So erholst du dich richtig von der Arbeit
Pausen einhalten, die richtige Erholungsart finden und in den Alltag einbauen: Das Rezept für richtige Erholung klingt einfacher, als es in Wahrheit ist. Eine Arbeitspsychologin erklärt, wie es dennoch gelingen kann.
Nur noch kurz diese eine Sache erledigen – die E-Mail versenden, den Absatz zu Ende schreiben, die Nachricht im Messenger beantworten –, und zack, ist die Mittagspause mal wieder ohne Essen oder Erholung vorbei.
Kennst du solche Momente auch?
Mir passiert das vor allem im Homeoffice, wenn mich niemand an meine Pause erinnert. Und ja, ich gebe es zu: Manchmal schreibe ich
Gezielte Erholung ist die wichtigste Maßnahme, um negative Folgen von Stress abzubauen. Anders gesagt: Würden wir uns nicht ausruhen, könnten wir unseren Alltag kaum noch bewältigen. Und in unserer schnellen und zunehmend digitalisierten Arbeitswelt wird die richtige Erholung immer wichtiger.
Doch wie schaffen wir es, uns wirklich nachhaltig auszuruhen? Und warum ist Erholung eigentlich so wichtig?
Wie wir verlernt haben, uns zu erholen
»Erholung ist ein Prozess, in dem bestimmte Stressreaktionen wieder rückgängig gemacht werden«, erklärt mir Arbeitspsychologin Carmen Binnewies im Interview. Sie
In Erholungsphasen werden körperliche Prozesse, die von Stress ausgelöst werden, umgekehrt. Stresshormone werden abgebaut, der Blutdruck sinkt, die Atmung verlangsamt sich, die Verdauung kommt wieder in Schwung. Stehen wir unter Stress,
Diese Erkenntnisse sind auch eine Grundlage für das Arbeitszeitgesetz, das sicherstellen soll, dass sich Menschen hierzulande nicht überarbeiten. Aktuell sieht es Folgendes vor:
- Zwischen 2 Arbeitstagen
- Bei 6–9 Stunden Arbeit muss es mindestens 30 Minuten Pause geben (die Mittagspause). Bei mehr als 9 Stunden Arbeit sogar 45 Minuten.
Diese Vorgaben sind ein Mindestmaß. Doch selbst das wird in der Realität nicht immer eingehalten. Im Arbeitszeitreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gaben rund 20% der Menschen an, dass sie zwischen 2 Arbeitstagen regelmäßig weniger Erholungszeit haben als gesetzlich vorgeschrieben. Auch kurze Ruhepausen während der Arbeitszeit werden nicht immer eingehalten. 28% der Beschäftigten
Unbezahlte Care-Arbeit kennt keine Arbeitszeitgesetze
Außerhalb der Erwerbsarbeit gelten erst gar keine Arbeitszeitgesetze, woran man sich halten könnte. Von 11 Stunden Pause zwischen 2 »Arbeitstagen« können Menschen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten, deshalb oft nur träumen. Das macht Zeit für Erholung umso wichtiger. Trotzdem ist der Care-Bereich in der Erholungsforschung bislang leider nur selten Thema – und auch die Maßnahmen, um die es in diesem Text geht, passen großteils zur Situation von Erwerbsarbeitenden. Deshalb vorab der dringende Hinweis, dass Erholung für alle Menschen gleichermaßen wichtig ist,
Die Auswirkungen von ständigem Erholungsausfall lassen sich belegen.
Die Angaben sollten dennoch hellhörig machen. Denn fortgesetztes Nicht-erholt-Sein sorgt für Schlafprobleme, Anfälligkeit für Krankheiten und ein erhöhtes Unfallrisiko. Im schlimmsten Fall kann es psychische Krankheiten begünstigen. Um diesen Folgen vorzubeugen, sind nicht nur die Dauer und das Einhalten der Pausen entscheidend, sondern auch die Art und Weise, wie wir unsere Erholungszeit gestalten.
So findest du die richtige Erholungsart
In der Mittagspause am Smartphone chatten, während man mit einem Ohr dem Radio zuhört und parallel ein halbherzig geschmiertes Brötchen reinwürgt, um ja Zeit zu sparen – so sieht mit Sicherheit keine gute Erholung aus.
Die gute Nachricht: Die Psychologie weiß heute schon viel darüber, was Menschen wirklich brauchen, um sich richtig zu erholen und nachhaltig leistungsfähig und zufrieden zu bleiben. Manche Menschen schwören auf Sport zur Erholung, die anderen schöpfen ihre Kraft aus Musik oder aus Treffen mit Freund:innen. Wieder andere lesen gern ein Buch, um sich auszuruhen, kochen oder gehen ins Kino.
Was davon ist besser und was schlechter?
Laut Stressforscherin Carmen Binnewies ist jede Art von Erholung erst mal sinnvoll: »Es gibt nichts, was man grundsätzlich verteufeln sollte, auch Fernsehen und Couch sind okay.« Wichtig sei, »dass ich die Entscheidung freiwillig und selbstbestimmt treffe und nicht, weil ich zu nichts anderem mehr die Kraft habe.« Im Grunde komme es auch gar nicht auf die Art der Erholung an, sondern auf etwas ganz anderes: »Es sind nicht nur die Aktivitäten an sich, sondern wie man sie erlebt und welche Funktionen sie für mich haben«, sagt sie.
Und wie finde ich heraus, was das Richtige für mich ist? Binnewies erklärt, dass wir anhand von Merkmalen überprüfen könnten, ob eine Erholungsart eher für uns geeignet sei oder nicht:
- Die Tätigkeit hilft, von der Arbeit abzuschalten – und zwar nicht nur physisch, sondern auch psychisch.
- Die Tätigkeit entspannt.
- Die Tätigkeit gibt ein Erfolgserlebnis und macht Spaß. Die Psychologie spricht von »Mastery-Erlebnissen«, sie sorgen dafür, dass sich Menschen kompetent fühlen. Dabei
- Die Tätigkeit gibt das Gefühl der Kontrolle und Selbstbestimmung. Dabei geht es vor allem darum, etwas aus eigenem Willen und Interesse zu tun – und nicht, weil es andere erwarten.
Hast du deine Erholungsart gefunden, folgt sofort das nächste Problem: Die richtige Erholung auch in den Alltag einzubauen. Wie kann das gelingen?
Integriere Erholung in deinen Alltag
Eine Grundvoraussetzung, um sich zu erholen, ist, sich auch Zeit dafür zu nehmen. »Es kann helfen, sich zunächst kleine Ziele zu setzen und sich erst einmal eine Stunde in der Woche freizuräumen. Wenn das klappt, kann man sich weiter steigern«, sagt die Arbeitspsychologin. Sind die Freiräume geschaffen,
- Ein Ziel festlegen: Zum Beispiel 2-mal pro Woche Joggen gehen. »Das Ziel sollte dabei realistisch bleiben«, sagt Binnewies.
- Konkret planen, wie sich das Ziel erreichen lässt, und es dafür beispielsweise an eine Situation koppeln. Das kann so aussehen: »Wenn ich am Mittwoch nach Hause komme, schnappe ich meine (schon gepackte) Tasche und gehe zum Yoga.« Dabei hilft es auch, sich mit Freund:innen zum Sport zu verabreden oder einen festen Kurs zu besuchen. Wer wenig überlegen muss, um einen Plan umzusetzen, lässt sich auch nicht mehr so schnell davon abbringen.
- Im Voraus Ersatzpläne für den Fall schmieden, wenn etwas anders läuft als gedacht. Zum Beispiel: »Wenn ich Spazierengehen will und es regnet, nehme ich meine Regensachen und einen Schirm und gehe trotzdem.«
Wie genau du es schaffst, neue Gewohnheiten in deinen Alltag zu integrieren, erklärt meine Kollegin Judith Braun in diesem Artikel:
Dein Beruf und deine Freizeit verschwimmen? So setzt du Grenzen
Wer sich Zeit nimmt, sich auf die Yogamatte zu legen, hat zwar den ersten Schritt geschafft. Doch wenn uns während einer Meditation Gedanken an E-Mails und Deadlines durch den Kopf rauschen, hilft das wenig. Immerhin 22% der Befragten im Arbeitszeitreport gaben an,
Umso wichtiger ist es, Grenzen zu ziehen. Binnewies erläutert mir einige Strategien, die helfen können, Abstand von der Arbeit zu wahren und den Kopf nach Feierabend freizubekommen:
- Lege trotz flexibler Arbeitszeiten fest, wann du arbeitest, oder setze umgekehrt Auszeiten fest, in denen du nicht arbeitest – kommuniziere diese in deinem Team.
- Trenne die Arbeit physisch von deiner Freizeit: Das heißt, nicht am Küchentisch arbeiten, sondern nur am Schreibtisch oder im Unternehmensbüro statt im Homeoffice. Lasse zu Hause zudem nicht überall Dinge von der Arbeit herumliegen.
- Technische Lösungen: Erstelle dir 2 Accounts an deinem PC, falls du ihn für die Arbeit und privat nutzt – einen davon für die Arbeit, einen für die Freizeit. Nutze ein Diensthandy und stelle Pushnachrichten ab.
- Kommuniziere deine Grenzen: Wenn du nach 18 Uhr oder im Urlaub nicht angerufen werden möchtest, teile das offen mit.
Oft kreisen aber nicht nur die Gedanken um die Arbeit. Für viele Menschen wird Erholungszeit ständig zur Arbeitszeit.
Wer so arbeitet,
Wer nicht nur abends, sondern auch nachts arbeitet oder arbeiten muss, geht weitere Risiken ein. Nachtarbeit bringt beispielsweise den circadianen Rhythmus – also unseren Schlaf-Wach-Rhythmus – durcheinander und
In Berufen, bei denen Schichtarbeit unumgänglich ist, wie im Krankenhaus, muss deshalb noch mehr Wert auf Erholung und Pausen gelegt werden. Hier sind besonders die Arbeitgebenden gefragt, gute Lösungen zu finden.
Hinterfrage dein Verhalten
Wer die Arbeit dagegen freiwillig in die Abend- und Nachtstunden legt, sollte hinterfragen, wieso er sich die Nacht um die Ohren schlägt. »Vorgesetzte spielen hier eine wichtige Rolle: Wenn der Chef oder ein Kollege immer abends um 23 Uhr eine Mail schreibt, dann schürt das in mir vielleicht die Erwartung, dass ich auch abends noch arbeiten sollte«, sagt Binnewies. Das sei aber meist gar nicht der Fall. »Hier ist Kommunikation sehr wichtig: Zu sagen, warum man zu diesen Zeiten arbeitet und dass man es eben nicht von anderen erwartet, das auch zu tun«, empfiehlt die Psychologin.
Sie ordnet aber auch ein: »Es hängt sehr von der Lebenssituation ab. Wer zwischendurch Kinder abholen muss, dem helfen flexible Arbeitszeiten mehr als der Fakt, dass er ab 17 Uhr nicht mehr arbeiten darf.« Wichtig sei, offen darüber zu sprechen und so eine Lösung zu finden, die für alle passe – und die auf Dauer auch nicht der Gesundheit schade.
Hin und wieder einen Text nach Feierabend zu Ende zu schreiben oder eine Pause zu überspringen, ist also völlig in Ordnung, solange die Erholung nicht zu kurz kommt. Für heute nehme ich mir deshalb vor, den Computer pünktlich auszuschalten, keine E-Mails mehr zu checken, wenn das Kind schläft – und stattdessen etwas zu machen, was ich wirklich möchte.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily