Warum uns die Mehrwertsteuer nicht Wurst sein sollte
Currywurst im Sitzen: 19%. Currywurst im Stehen: 7%. Wer soll das noch verstehen, fragen Kritiker zum 50. Geburtstag der Mehrwertsteuer. Doch manchmal lohnt ein zweiter Blick.
Liebe Mehrwertsteuer,
nun bist du schon 50 Jahre alt und noch kein bisschen
7 Mal seist du schon erhöht worden, bringst dem Staat jährlich über 100 Milliarden Euro, du Goldesel des Finanzministers. Im Kreuzfeuer der Kritik: wieder mal deine 2 unterschiedlichen Sätze. »Leitungswasser, Äpfel und frische Pilze kosten 7%, Mineralwasser, Apfelsaft und Pilze im Glas 19%.« Bei der Currywurst hänge der Steuersatz davon ab, ob sie im Stehen oder im Sitzen gegessen wird. »Wer soll das noch verstehen?«, mit dieser rhetorischen Frage wirst du vorgeführt.
Sozialstaat ohne dich? Kaum vorstellbar!
Tja, liebe Mehrwertsteuer – jetzt liegt der Ball in deinem Feld. Ich finde, das ist nicht ganz fair. Du kannst dich nicht mit einem cleveren, social-media-tauglichen Video wehren. Du bist nur ein Gesetz – schlimmer noch: ein Steuergesetz. Pfui!
Niemand scheint dich zu mögen. Und trotzdem wirst du immer größer. Herzlichen Glückwunsch nachträglich!
»Keine Halbwahrheiten« – Ingo Zamperoni (im ARD-Trailer »Das Erste – wenn es wichtig wird«)
Ich habe etwas Mitleid mit dir. Du wirst missverstanden, glaube ich. Denn die mehr als 150 Milliarden Euro, die du jährlich in die deutschen Steuerkassen
Mehr als den gesamten Etat des mit Abstand geldhungrigsten Bundesministeriums könnten wir mit dir allein bezahlen: Für Arbeit und Soziales gab der Staat im Jahr 2015 über 126 Milliarden Euro aus, inklusive rund 90 Milliarden als Zuschüsse in die schwächelnden Rentenkassen. Auch das Arbeitslosengeld II (»Hartz IV«) wird mit 20 Milliarden aus diesem Budget gezahlt.
Ganz schön viele staatliche Mittel also, die du in die Staatskasse spülst – für Straßen, Krankenhäuser, Gehälter oder merkwürdige Kunstinstallationen im öffentlichen Raum. Danke, liebe Mehrwertsteuer! Darum will ich heute dein Anwalt sein und dich vor deinen Kritikern in Schutz nehmen. Die Kollegen von der ARD werben hier ja selbst damit, dass »Informationen Einordnung brauchen« (Anne Will).
Ich gebe zu: Mir fällt es nicht ganz leicht, für dich einzutreten. Wer mag schon Steuern? Trotzdem: Als Zuschauer der Tagesthemen hatte ich den Eindruck, dass deine steuerlich vergünstigte Schokoladenseite unterschlagen wurde.
Dein Grundgedanke ist gar nicht so schlecht
Deine DNA (also die Paragraphen, aus denen du bestehst) ist keine leichte Kost. § 12 Umsatzsteuergesetz und die Anlage 2 zu § 12 Absatz 2 Nummer 1 und 2 Umsatzsteuergesetz legen fest, in welchen Fällen dein ermäßigter Steuersatz von 7% gilt.
Aber der Grundgedanke ist gar nicht schlecht.
- die meisten Lebensmittel (Getränke überwiegend ausgenommen),
- der Personennahverkehr und
- Kulturveranstaltungen.
So weit, so nachvollziehbar. Aber warum darf Currywurst im Stehen dann für 7% verzehrt werden, während im Sitzen 19% fällig werden? Nun, bei einer Currywurst im Stehen wird vor allem die Currywurst gekauft. Juristisch ausgedrückt: Der Erwerb steht bei diesem Rechtsgeschäft im Vordergrund. Wer im Sitzen isst, nimmt für den Verzehr vom Gastronomen angemietete Fläche in Anspruch, zum Teil inklusive Bewirtung.
Ein genauerer Blick auf die meisten anderen Beispiele zeigt, dass die Unterscheidungen auch dort meist nicht so unbegründet sind:
- Der vergünstigte Apfel ist, im Gegensatz zum Apfelsaft, kein Getränk.
- Auch für den zunächst verwirrenden Unterschied zwischen Leitungswasser und teurerem Mineralwasser gibt es gute Argumente. Nr. 24 der oben verlinkten Anlage 2 lautet: »Wasser [unterliegt dem ermäßigten Steuersatz], ausgenommen Trinkwasser, einschließlich Quellwasser und Tafelwasser, das in zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Fertigpackungen in den Verkehr gebracht wird«. Man kann hier argumentieren, dass es umwelttechnisch sinnvoll ist, ein Produkt zu vergünstigen, das nicht erst verpackt und produziert wurde.
- Frische Pilze zu vergünstigen und Pilze im Glas nicht, ist auch nicht unbedingt schlecht. Das fördert den regionalen Verzehr, reduziert so lange Lieferstrecken und stärkt nebenbei den Kleinbauern auf dem Markt.
Also alles in Butter?
Falls du dich jetzt allerdings zufrieden zurücklehnst, liebe Mehrwertsteuer, muss ich dich enttäuschen. »Bitte bleib nicht so, wie du bist«, verabschiedet sich aus dem Off der Sprecher deines Tagesthemen-Geburtstagsbeitrages – und hat damit nicht ganz unrecht.
Als dein Freund möchte ich dich auf etwas hinweisen: Du bist zu komplex. Nein, du musst nicht zwangsläufig in ein 1-minütiges Geburtstagsvideo passen. Aber Hand aufs Herz: Warum besteuerst du Wachteleier anders als Hummer? Warum müssen die Mitglieder von Perspective Daily 19% zahlen und für die Einweg-Tageszeitung sind nur 7% fällig? Ist das nachhaltig? An dieser Stelle danke an die
Viele deiner Regeln sind vielleicht gut gemeint – aber leider nicht immer gut gemacht.
Du und deine Freunde, die anderen Steuergesetze, ihr haltet uns Steuerzahler ganz schön auf Trab. Kein Wunder, dass die Prüfung zum Steuerberater als eine der schwierigsten in Deutschland gelten – bei einer
»[Informationen] bestehen selten nur aus 140 Zeichen« – Frank Plasberg
Ihr Steuergesetze seid schon ein
Die Mitleser dieses Briefes kann ich also schlecht auf die Schnelle zu Steuerexperten machen. Aber ich kann zur Diskussion über Steuern anregen. Vielleicht gibt es Fragen, Meinungen, emotionalen Klärungsbedarf. Bestimmt gibt es Professoren, Fachanwälte oder Steuerberater, die mir dabei helfen können, sie zu beantworten. Also, her mit euren Gedanken zum deutschen Steuerrecht!
Titelbild: Wiki Commons / Superbass - CC BY-SA 3.0