7 Ideen, mit denen deine Stadt dem Radverkehr kurzfristig helfen kann
Mehr Radparkplätze, mehr Knöllchen für Falschparker:innen und viele kleine Geschenke: Nicht jede Maßnahme, die die Verkehrswende voranbringt, ist langwierig und teuer.
Zeit. Das Dilemma heißt Zeit. Viele Kommunen stehen vor einer gemeinsamen Herausforderung: Sie wollen den Bürger:innen geben, was diese für den Verkehr fordern. Sie wünschen sich sichere Radwege, autofreie Wohngebiete und mehr Parks und Plätze statt Parkplätzen. Doch so sehr Initiativen, Vereine und Fahrradverbände die Argumente auf ihrer Seite haben und so sehr Kommunen gewillt sind, sich von diesen leiten zu lassen, stoßen alle Akteure immer wieder auf ein Dilemma, das sich kurzfristig nicht auflösen lässt. Dieses Dilemma heißt Zeit, denn jede Veränderung der bestehenden Infrastruktur muss geplant, genehmigt und gebaut werden. Je nach Eingriff ein Prozess, der sich über Jahre, teils Jahrzehnte ziehen kann. Hier trifft aktivistische Ungeduld auf deutsche Gründlichkeit und Behörden, deren Mühlen bekannterweise besonders langsam mahlen.
Während viel von der Abkehr der autogerechten Stadt gesprochen wird, zeigt sich der Wandel auf der Straße nur zögerlich. Sicher, einen neuen Radschnellweg baut man nicht von heute auf morgen. Doch es gibt Maßnahmen, die sich mit geringer behördlicher Komplexität und Dauer umsetzen lassen. Ganz flott also. Maßnahmen, die einen unmittelbaren Effekt auf die Radinfrastruktur haben und Menschen dazu animieren, aufs Rad umzusteigen. In diesem Artikel will ich 7 Maßnahmen vorstellen, die einen schnellen und effektiven Beitrag zur Radverkehrswende leisten und die vor allem eines machen: einen Anfang!
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1. Aus Straße wird Radweg
Weshalb teure Radwege planen, genehmigen und bauen, wenn es doch ganz einfach geht? Weshalb nicht die vorhandene Infrastruktur nutzen und durch Umwidmung Zeit, Kosten und Nerven sparen? Kommunen haben viele kleine Hebel in der Hand, um Radfahrer:innen schnell und preiswert den Platz und die Sicherheit zu bieten, die diese brauchen.
Das Prinzip ist simpel: Man nimmt eine bestehende Straße und gibt ihr einen neuen Zweck. Nicht der Autoverkehr soll hier fließen, sondern der Radverkehr. Aus einer Autostraße wird eine Fahrradstraße. Dies geht laut aktueller
Neben Fahrradstraßen gibt es weitere Möglichkeiten, das kommunale Radnetz enger zu spannen. Gemeinden können Einbahnstraßen schaffen und diese für den Radverkehr in beiden Richtungen freigeben. Auch Sackgassen können für den Radverkehr geöffnet werden.
Eine moderne Variante des Radwegs sind
2. Radwege schützen
Gefährliche Radwege sind einer der Hauptgründe, warum Menschen das Radfahren meiden. Auch sogenannte »Schutzstreifen«, weiße, gestrichelte Linien am Straßenrand, tragen nur wenig dazu bei, das Sicherheitsgefühl zu verbessern. Bezeichnend also, dass in Belgien diese Streife auch »Mordstreifen« genannt werden. Der neue Trend, Radwege zur besseren Sichtbarkeit mit roter oder grüner Farbe zu markieren, ist zwar sinnvoll, erhöht den Wohlfühlfaktor jedoch nur minimal. »Farbe ist keine Infrastruktur«, lautet ein oft zitierter Ausspruch aus der Fahrradszene, die fordert, Radfahrer:innen auch mit baulichen Maßnahmen zu schützen.
Hier kommen Poller ins Spiel: Ein Meter hohe, weiß-rot gestreifte Stangen, die das Befahren der Radwege mit dem Auto nahezu unmöglich machen. Neben Pollern leisten provisorisch Blumenkübel oder sogenannte Leitbaken für Baustellen gute Dienste. Auch Sandsäcke sind schon zum Einsatz gekommen. Ebenso ist es möglich, parkende Autos als Trennwand zum Verkehr für ungeschützte Radwege einzusetzen. Dafür müssen Park- und Radspur einmal getauscht werden. Die Sicherheitslage der Radfahrer:innen in den Kommunen wird schlagartig verbessert.
3. Fahrradparkplätze schaffen
Wer mehr Radverkehr möchte, muss auch für mehr Fahrradparkplätze sorgen – eine einfache Formel, die von Kommunen oft ignoriert wird. Besonders in den großen Städten steigt der Radverkehrsanteil Jahr für Jahr. In Berlin sind es mittlerweile bis zu 25%, gleichauf mit dem Autoverkehr. Neben den Zahlen hat sich auch das Verkehrsmittel weiterentwickelt: Es ist größer, schneller, schwerer und auch teurer geworden. Sharing Bikes, E-Bikes, Lieferdienste und das Lastenfahrrad – sie alle konkurrieren um knappe Stellflächen.
Neben einfachen Stellplätzen sind vor allem hochwertige Abstellanlagen wichtig, um Räder auch nachts wetterfest und diebstahlsicher im öffentlichen Raum parken zu können. Einige Kommunen experimentieren daher mit Fahrradboxen, sogenannten Minigaragen fürs Zweirad. Sie bieten optimalen Schutz vor Wetter, Diebstahl sowie Beschädigung und bieten Raum für bis zu 10 Fahrräder. Die Light-Variante sind offene, jedoch überdachte und beleuchtete Radabstellplätze, die einen relativen, aber keinen absoluten Schutz bieten. Dass man auch hier kreativ sein kann, zeigt die dänische Stadt Aalborg: Sie hat ein ausrangiertes Windrad so umfunktioniert, dass es als Überdachung für Fahrradstellplätze dient.
In Nachbarländern wie den Niederlanden wird die große Nachfrage nach sicheren Fahrradparkplätzen zunehmend mit eigenen Parkhäusern bedient. Im Jahr 2019 wurde in Utrecht das größte Fahrradparkhaus der Welt eröffnet.
4. Grüne Welle für Radfahrer:innen
Mobile Menschen wollen vor allem eines: schnell ankommen. Bei der Entscheidung für das richtige Verkehrsmittel ist Zeitersparnis meist der wichtigste Faktor. Fürs Auto gibt es in Deutschland seit über 100 Jahren die grüne Welle, fürs Fahrrad hingegen kaum. Doch gerade hier haben Kommunen einen großen Hebel in der Hand.
Durch etwas Kreativität lässt sich der Radverkehr erheblich beschleunigen. Als Vorbild kann hier wie so oft Kopenhagen dienen. Bereits 2004 erlebte die dänische Hauptstadt, dass sich der morgendliche und abendliche Radverkehr an den Hauptverbindungen erheblich staute. Die Lösung war einfach: Radelt man heute zur morgendlichen Rushhour konstant mit 20 Stundenkilometern auf einer der Hauptrouten, ist es möglich, die ganze Stadt zu durchqueren, ohne einmal absteigen zu müssen. Schilder am Wegesrand zeigen die Geschwindigkeit an, und seitlich des Radwegs eingebaute Lichter signalisieren, ob die nächste Grünphase noch erreicht wird oder ob man etwas schneller radeln muss.
Erste
Aus Deutschland sind solche Innovationen bislang wenig bekannt. Noch gilt vielerorts die grüne Welle nur fürs Auto. Doch es tut sich etwas. In Hamburg wird aktuell in einem bundesweit einmaligen Pilotprojekt versucht, das dänische Modell anzuwenden. An einem stark frequentierten Radweg zeigt eine Säule jedem Radfahrenden individuell die Geschwindigkeit an, mit der die nächste grüne Ampel noch erreicht wird. Ein grüner Haken heißt »Alles okay!«, ein gelber Pfeil nach oben oder unten bedeutet, dass das Tempo erhöht bzw. verringert werden muss.
5. Null Toleranz für Falschparker, Drängler und Co.
Nur kurz zum Bäcker, das Handy gecheckt, mal wieder zu spät dran – es mag viele Gründe für regelwidriges Verhalten im Straßenverkehr geben, nervig und gefährlich ist es für alle anderen dennoch. Falsch abgestellte Autos auf Radwegen, riskante Überholmanöver oder überhöhte Geschwindigkeit sind Gründe, warum Menschen das Radfahren scheuen, und tragen zum subjektiven Unsicherheitsgefühl bei, das Radfahrer:innen auf ihrem Weg durch die Stadt allzeit begleitet.
Eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Verkehrssündern sollte daher oberste Pflicht für jede Kommune sein. Die »Knöllchen« spülen nicht nur ordentlich Geld in die Kasse, sie leisten auch einen wichtigen Beitrag für das Wohl der Radfahrer:innen und zeigen, wer die Kontrolle hat. Dafür braucht es mehr Personal, mehr Wille und kreative Ideen zur Entdeckung und Ahndung von Verkehrsverstößen. Eine Aufstockung beim Ordnungsamt, der Verkehrspolizei oder an Blitzern reinvestiert sich in der Regel durch eine höhere Trefferquote und diszipliniert zugleich alle Verkehrsteilnehmer:innen. Auch die Bürger:innen können mittlerweile als Verkehrswächter:innen dienen. Apps wie Knölli, Park collect oder die Website weg.li sollen es Bürger:innen erlauben, schnell und einfach
6. Aufmerksamkeit schaffen
Neben der Hardware (Infrastruktur) gehört eine Strategie für die Software (Marketing) in der Entwicklung zur fahrradfreundlichen Kommune dazu. Eine Kampagne fürs Radfahren muss auffallen, Interesse wecken und die Vorteile klar kommunizieren. Das richtige Campaigning ist neben der Bereitstellung eines attraktiven Produktes daher besonders wichtig. In Malmö startete die Stadt einst eine
Solche kleinen Kampagnen, die kurz das eigene Verkehrsverhalten hinterfragen lassen oder die Lust am Neuen wecken, braucht es, um neue Leute fürs Rad zu gewinnen. Denn am Ende ist die Radinfrastruktur auch ein Produkt, das Kommunen ihren Kunden durch Werbung schmackhaft machen müssen.
7. Kleine Geschenke für den Radverkehr
Kleine Geschenke erhalten bekanntlich die Freundschaft – dies gilt auch für den Radverkehr. Wie das geht, sieht man einmal mehr in Kopenhagen: Mülleimer entlang der Radwege, die genau in Wurfrichtung geneigt sind, Haltestangen für Hände und Füße an Kreuzungen, sodass man bei Rot nicht abzusteigen braucht, oder Lichter im Boden, die anzeigen, wie die nächste grüne Ampel noch erreicht wird. Automatische Fahrradzähler neben dem Radweg, die darüber informieren, wie viele Gleichgesinnte schon unterwegs waren, oder Säulen, die einen mit dem Satz »Vielen Dank, dass du Rad fährst« ermutigen. In der dänischen Metropole ist für Radfahrer:innen quasi jeden Tag Weihnachten.
Jede Kommune kann solche kleinen Gesten der Freundschaft bereitstellen und damit ihren Radfahrer:innen signalisieren, erwünscht zu sein. Weitere Ideen sind frei zugängliche Reparaturstationen, öffentliche Luftpumpen, Schlauch-O-Maten oder ein Fahrradpannenservice, wie ihn sogar der ADAC anbietet. Um das Fahrrad spielerisch erlebbar zu machen, können fest montierte Räder mit Stromgeneratoren an Spiel- und Sportplätzen bereitgestellt werden, die den leeren Handyakku laden und gleichzeitig Anreize setzen, Menschen für den Sattel zu gewinnen.
Diese 7 Maßnahmen zeigen, welchen Handlungsspielraum Kommunen haben, um die Radverkehrswende zu beschleunigen. Sie sind für wenig Geld und ohne hohen Verwaltungsaufwand zu haben. Kommunen müssen ins Machen kommen, ins Ausprobieren, ohne Angst vor unperfekten Lösungen. Verkrustete Verwaltungsstrukturen müssen einer flexibleren Arbeitsweise weichen, Offenheit gegenüber neuen Ansätzen muss die »Das haben wir schon immer so gemacht«-Mentalität ersetzen. Mit dem richtigen politischen Willen und Weitsicht lässt sich die Position des Fahrrads mit jeder aufgelisteten Maßnahme stärken und korrigiert
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily