Die Zukunft der Landwirtschaft ist nass. So sieht sie aus
Äcker und Kuhwiesen auf trockengelegten Mooren sind ein Desaster für das Klima. Doch es gibt bereits viele Ideen, wie Landwirt:innen anders Geld verdienen können. Unterwegs auf einer Kohlenstoff-Farm.
6.000 Jahre – ungefähr so alt ist die vertorfte Moospflanze, die ich zwischen meinen Fingern zwirbele. Sie ist braun und riecht nach kalter Erde. Wurzeln und einzelne Blätter sind noch gut erkennbar. Ich hätte sie nur für einen Klumpen Erde gehalten, doch dafür habe ich Jenny Bennion an meiner Seite. Die Umweltschützerin vom Lancashire Wildlife Trust nimmt eine
Dinge zu erhalten, ist eine besondere Eigenschaft von Torf. Er ist eine Art Humus, der in dauernassen Landschaften entsteht. Dabei wachsen Torfmoose (sogenanntes Sphagnum) übereinander und drücken sich Schicht für Schicht ins saure Wasser. Dort können wegen des fehlenden Sauerstoffs kaum Mikroorganismen überleben, welche die Pflanzenmasse zersetzen würden. Alles, was im Moor versinkt, bleibt normalerweise in diesem eingeschlossen und gut konserviert. Die wohl bekanntesten Beispiele sind
Für das Treibhausgas sind Jenny und ich hier am Rande des englischen
Nasse Moore können Unmengen an Kohlenstoff speichern. Sie bedecken momentan rund 3% der weltweiten Landfläche, doch sie binden trotzdem
Das Problem: Viele der weltweiten Moore sind nicht mehr intakt, da sie seit dem 17. und 18. Jahrhundert bis heute für die Landwirtschaft trockengelegt werden. Ein Schritt, der damals sinnvoll war, da sich auf sumpfigen Böden kaum Nahrung anbauen ließ. Aber sobald das Wasser abgelassen wird und der Torf in Kontakt mit Sauerstoff kommt, beginnt der Zersetzungsprozess. Das über Jahrtausende gespeicherte Kohlenstoff wird freigesetzt. Darum sind Torfböden heutzutage einer der größten CO2-Emmitenten, obwohl sie Senken sein könnten.
Jenny und das Team vom Wildlife Trust for Lancashire, Manchester and North Merseyside arbeiten mit Forschenden und Landwirt:innen
Wie groß ist das Problem?
Die schlechten Nachrichten zuerst: Moore wurden in den letzten Jahrhunderten weltweit für Landwirtschaft, den Torfabbau oder Siedlungsbau trockengelegt. Das werden sie heute immer noch, vor allem in Südostasien. Einige natürliche Moore in gut zugänglichen Gegenden mit einem starken Bevölkerungswachstum wie in Mittel- und Osteuropa sind bereits unumkehrbar verloren, da keine Torfbildung mehr stattfindet. Die geschädigten Moorböden sind
Die guten Nachrichten: Es ist noch mehr zu retten als verloren. Rund 80% der weltweiten Moore sind
Momentan werden weltweit der Nutzen und das Potenzial von gesunden Torfböden erkannt und vielerorts Schutzmaßnahmen ergriffen. Indonesiens Regierung hat etwa eine
Irland hat ebenfalls große Pläne für die Renaturierung seiner Moore. Unser Gastautor David Ehl hat sich vor Ort angeschaut, wie es funktioniert:
Landwirt:innen tragen keine Schuld, aber eine große Verantwortung
Die Lage der Moore in Deutschland ist besonders schlecht. 5% von Deutschlands Landfläche sind von Mooren bedeckt, heute sind über 90% von ihnen mithilfe von Entwässerungsgräben und -rohren trockengelegt.
Die meisten Torfböden sind in Norddeutschland, besonders in Niedersachsen oder im Alpenvorland zu finden. Optisch sind sie nicht mehr als Moorgebiete erkennbar, da der Großteil land- oder forstwirtschaftlich genutzt wird, zumeist als Grünland für Milchkühe oder Schafe.
Die Schuld nun jedoch bei den Landwirt:innen zu suchen, denen der Großteil der entwässerten Moore gehört und die diese bewirtschaften, ist falsch.
Es steht uns nicht zu, mit dem Zeigefinger auf jemanden zu zeigen und zu sagen: ›Das ist alles falsch gemacht worden damals.‹ Es ist in der Vergangenheit in dem Glauben getan worden, eine Verbesserung zu erreichen, etwas Gutes zu tun. Das war es ja auch. […] Es sind ganz oft staatliche Aktivitäten gewesen, dass die Moorflächen entwässert wurden. Es nun auf die Schultern derer zu legen, die jetzt dort die Landwirtschaft betreiben, ist falsch. Der Staat muss die Aufgabe annehmen und die Menschen mit Kapazitäten und Geldern fördern.
Franziska Tannenberger unterrichtet an der Universität Greifswald und leitet das Greifswald Moor Centrum in Mecklenburg-Vorpommern. Das Forschungszentrum ist international vernetzt und testet viele Lösungsmöglichkeiten zum Schutz der Moore (dazu gleich mehr). Meine Begleiterin Jenny Bennion vom Lancashire Wildlife Trust stimmt ihrer deutschen Moorschutzkollegin zu. Darum sei sie so um das Forschungsprojekt der Kohlenstoff-Farm bemüht: »Es geht uns bei dem Projekt in erster Linie nicht um Biodiversitätsschutz«, sagt sie. »Es geht uns darum, Landwirt:innen eine neue Perspektive zu geben, wie sie mit ihrem Land anders umgehen können, sodass möglichst viel Kohlenstoff im Boden bleibt und sie mit dem Land weiterhin ihr Geld verdienen können.«
Unterwegs auf der Kohlenstoff-Farm
Das Gelände der Kohlenstoff-Farm liegt ungefähr 15 Fußminuten von der Straße entfernt. Es gibt einen offiziellen Pfad, der jedoch zugewachsen ist, weshalb wir eine Abkürzung über Weideland und durch Schafsherden genommen haben. Das Land hebt sich deutlich von den kurzgefressenen grünen Wiesen in der Umgebung ab. Wassergräben durchziehen die Landschaft. Meine Gummistiefel hinterlassen deutliche Abdrücke im Boden, die gleich wieder mit Wasser volllaufen. Der Boden vibriert leicht mit jedem Schritt, als würde ich auf einem Schwamm laufen.
Barrieren aus festgepresstem Torf umrahmen die fast 3 Fußballfelder große Kohlenstoff-Farm und verhindern, dass ihr Wasser in die umliegenden Wiesen fließt. Ein Wasserreservoir und eine solarbetriebene Pumpe sorgen dafür, dass sich der Wasserstand nicht verändert – für die Torfbildung idealerweise 10 Zentimeter unter der Bodenoberfläche.
Die Bewässerungskanäle unterteilen die Farm in 8 Zellen. Auf jeder wird eine etwas andere Zusammensetzung an Torfmoosen und Wasserstand ausprobiert. Alle 5 Moosarten, die auf der Farm getestet werden, sind dafür bekannt, möglichst viel Kohlenstoff aufzunehmen. »Vorne sind die Zellen etwas trockener und hinten etwas feuchter«, erklärt Jenny Bennion. »Manche Sphagnum-Arten scheinen sich besonders in den feuchteren Zellen wohlzufühlen.« Dort sind die kleinen Torfmoosstecklinge, von denen Freiwillige im Herbst 2020 über 150.000 per Hand auf der Farm gesetzt haben, stellenweise bereits zusammengewachsen. Irgendwann soll
Das Gelände der Kohlenstoff-Farm wurde in den 70er-Jahren entwässert und in Ackerland umgewandelt. Es grenzt genau an Winmarleigh Moss, ein Naturschutzgebiet mit einer intakten Moorlandschaft, welches dem Lancashire Wildlife Trust gehört. Die Wohltätigkeitsorganisation hat das Land von einem Landwirt namens Joe gekauft, dem mehrere Grundstücke in der Gegend gehören. Er sei der Idee gegenüber sehr aufgeschlossen gewesen, da das Land wegen seiner Nähe zum Moor zu sumpfig war, um es gut bewirtschaften zu können, und im Winter regelmäßig überflutet wurde. Da Torfmoore von Natur aus nährstoffarm sind, wären zudem große Mengen an Kunstdünger erforderlich gewesen, um es in nährstoffreiches Weideland umzuwandeln. »Heute bringt Joe manchmal selbst unaufgefordert interessierte Menschen auf die Farm und zeigt ihnen, was wir mit seinem alten Stück Land machen«, sagt Jenny.
Das Potenzial von Carbon Farming
Und was hat das 2-jährige Experimentieren mit der Farm bisher gebracht? »Im ersten Jahr, also von Dezember 2020 bis November 2021, konnten wir allein durch die Wiedervernässung und den Anbau der Moose den Kohlenstoffausstoß des Torfs um 86% reduzieren«, sagt Jenny. Das angrenzende entwässerte Weideland, das als Kontrollfläche verwendet wird,
Sobald die Moose aufeinander wachsen, sich gegenseitig ins Wasser drücken und neuer Torf entsteht, beginnt die Kohlenstoff-Farm auch mehr Kohlenstoff aufzunehmen, als sie emittiert. Wann genau dieser Punkt eintritt, kann Jenny noch nicht sagen. »Das ist der erste Versuch seiner Art weltweit«, sagt sie. »Wir probieren es einfach aus.« Torf wächst nur sehr langsam, im Schnitt einen Millimeter pro Jahr. Das ist viel langsamer, als der Kohlenstoff wieder entweicht, wenn er trockengelegt wird.
Nachdem die Farm einmal angelegt ist und sich das Sphagnum etabliert hat, sollte sie kaum mehr Pflege benötigen. Dann könnte der Kohlenstoff, welcher dort jährlich gebunden wird, in Form von CO2-Zertifikaten verkauft werden und sollte pro Hektar einen ähnlichen oder sogar höheren finanziellen Ertrag einbringen als die herkömmliche Landwirtschaft. So die Idee der Forschenden. Derzeit arbeitet das Team vom Lancashire Wildlife Trust zusammen mit Expert:innen der Manchester Metropolitan University an einem Berechnungsmodell, das die möglichen Einkünfte aus dem Carbon Farming greifbarer macht – und hoffentlich ein wirtschaftliches Geschäftsmodell stützt.
»Der nächste Schritt wäre, dass wir eine Kohlenstoff-Farm in Kooperation mit Landwirt:innen einrichten«, sagt Jenny. Die Landwirt:innen hätten die nötige Maschinerie, um die Entwässerungsgräben und Drainagen zurückzubauen. Jenny und ihr Team hatten hohe Startkosten, da sie die Geräte ausleihen und für Hilfe bezahlen mussten. »Es wäre wichtig zu sehen, wie die Kosten sind, wenn man mehr selbst macht«, sagt sie.
Jeder Torfboden und jede Situation sei anders. Manche trockengelegten Torfböden würden sich auch gar nicht als Kohlenstoff-Farm eignen, etwa wenn die Region zu trocken sei und es zu schwer sei, sie wiederzuvernässen. Am besten würden sich sumpfige Landstriche eignen, die mühsam zu bewirtschaften sind und die in der Nähe eines intakten Moores liegen.
Nasse Landwirtschaft auf Mooren
Wem das Carbon Farming noch zu futuristisch erscheint, für den gibt es eine konkretere, besser erprobte Alternative:
Was auf Mooren angebaut werden kann, ist so verschieden wie die Moore und ihre Standorte
Derzeit werden einige unterschiedliche Paludikulturen im europäischen Raum getestet:
- Wasserbüffel: Die meisten trockengelegten Moore in Deutschland werden als Weideflächen genutzt. Auf wiedervernässten Mooren finden die Tiere jedoch nicht genügend Nahrung. Nur einige robuste Rassen und Wasserbüffel können den nassen Bedingungen standhalten und für Fleisch und Milch gehalten werden. Diese Bewirtschaftungsform wird jedoch eher eine Nische bleiben, da der
- Torfmoose: In Deutschland wird kaum mehr Torf für Blumenerde abgebaut, sondern er wird aus Osteuropa importiert. Ein Weg, komplett auf den Jahrtausende alten Torf zu verzichten, ohne die Eigenschaften beim Blumenanbau zu verlieren, sind Torfmoose.
- Rohrkolben: Die 1,5–3 Meter hohen Gewächse können vielseitig verwendet werden. Die Luftkammern der Pflanze machen sie vor allem als nachwachsenden Rohstoff im Baustoffsektor interessant. In Deutschland kommt die Pflanze bereits als Dämmmaterial zum Einsatz, wird allerdings dafür importiert. Zudem ist die Ernte schwer, da die hohen Wasserstände Spezialtechnik und -wissen erfordern, und der Anbau wird erst seit diesem Jahr finanziell gefördert.
- Schilf:
- Sonnentaukraut: Die Arzneipflanze wird seit Langem erfolgreich in der Therapie von Hustenerkrankungen wie etwa Reizhusten, Asthma oder Bronchitis eingesetzt. Mit dem Rückgang der Moore ist ihr Vorkommen jedoch in Europa zurückgegangen. Auf dem europäischen Markt werden schätzungsweise 7–10 Tonnen des Rohmaterials der Pflanze gehandelt, das meiste wird aus Ostafrika importiert.
- Sellerie: In England wird momentan getestet, wie gut sich nässeverträgliche Lebensmittel anbauen lassen – beispielsweise Sellerie. Dazu wird der Wasserspiegel das ganze Jahr hochgehalten und nur für die Ernte gesenkt, sodass das Gemüse mit normalen Traktoren und ohne Spezialtechnik geerntet werden kann.
Die Sorgen der Landwirt:innen
Es gibt viele weitere Möglichkeiten der Paludikultur: Aus Süß- und Sauergräsern lassen sich Fasern für Papier und Pappe, Einweggeschirr und Bauplatten herstellen, und das Holz der Schwarz-Erle, die in Europa gut auf Mooren wächst, kann als Rohstoff verwendet werden. Ebenso lassen sich viele
Die Bewirtschaftungsformen sind noch nicht etabliert und die landwirtschaftliche Umstellung auf Paludikultur ist teuer. Denn es ist viel mehr, als einfach Wasser auf ein trockenes Moor zu pumpen. Es braucht eine Analyse des Zustands der Torfböden und des Grundwassers, die nötige Infrastruktur, Barrieren (damit Keller, Straßen und andere Felder bei der Wiedervernässung nicht geflutet werden), Fachwissen, Spezialtechnik für die Ernte und Kohlenstoff-Monitoring. Wer soll das alles bezahlen? Und wer soll garantieren, dass sich die Umstellung am Ende auch lohnt?
Diese Gedanken machen sich momentan betroffene Landwirt:innen. Sie fühlten sich von der Regierung nicht abgeholt, erzählen mir einige während meiner Recherche. Sie fürchten, dass sie eines Tages, wenn es hart auf hart komme, für den Klimaschutz enteignet werden könnten. Sie sind nicht grundlegend gegen die Wiedervernässung, denn viele von ihnen wissen:
Die meisten Landwirte, die ich getroffen habe, erkennen an, dass da CO2 aus dem Boden kommt. Die allerwenigsten leugnen es. Aber es ist für sie auch wichtig, wie die Wiedervernässung finanziert wird.
Momentan bekommen die Landwirt:innen laut der Moorforscherin EU-Subventionen, die sie nicht weiter beziehen können, wenn sie ihr Land wiedervernässen. Außerdem gebe es keine Blaupause für alle Moorböden. 5% der Fläche Deutschlands bestünden aus Torfböden und jeder Standort sei unterschiedlich, die Lebensrealitäten und Einstellungen der Landwirt:innen zum Thema individuell. »Es ist so wie der Kohleausstieg in manchen Regionen«, sagt Franziska Tannenberger. »Es geht nur gemeinsam, wir müssen das zusammen machen.«
Das plant die Bundesregierung
Moorschutz ist in den vergangenen Jahren immer weiter nach oben auf der Agenda der EU und auch Deutschlands gerückt. Nicht zuletzt,
Die Paludikultur soll dabei eine
Auf europäischer Ebene stehen verschiedene Programme der EU-Agrar- und Strukturförderung zur Verfügung.
- Die erste Säule sind Direktzahlungen, die Landwirt:innen pro Hektar bekommen, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Damit können für die Förderperiode 2023–2027 der europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik jedoch sowohl wiedervernässte als auch entwässerte Böden gefördert werden.
- Die zweite Säule setzt sich mit Förderprogrammen für die nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung und die ländliche Entwicklung ein. Darin enthalten sind die Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen, welche jedes Bundesland mitgestalten kann. Da durchzublicken, was durch welchen Fördertopf abgedeckt werden kann und am effizientesten für den eigenen Betrieb ist, ist jedoch nahezu unmöglich – und eine große Hürde für Landwirt:innen.
Mit ein wenig mehr Kommunikation (und einer einfacheren und einheitlicheren Förderung) könnten viele der Sorgen geklärt werden. Zumindest Ersteres soll nun kommen. Das Umweltministerium hat angekündigt, dass dieses Jahr eine Moorschutzagentur eingerichtet werden wird, die Landwirt:innen bei Genehmigungsverfahren beraten soll. Bis es so weit ist, sitzen Franziska Tannenberger und auch Jenny Bennion, die in Großbritannien auf ähnliche politische Umbrüche wartet, in den Startlöchern. »Wir sind der Politik immer einen Schritt voraus«, sagt Jenny. »Damit wir genau zum richtigen Zeitpunkt mit den nötigen Praxisbeispielen und Lösungen um die Ecke kommen.«
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily