So holen wir unsere Hilfsgelder zurück
Nicht wir finanzieren die Entwicklungsländer, sie finanzieren uns. Wie wir die Rechnung endlich begleichen können.
Entwicklungsländer sind wirtschaftlich rückständig! Darum müssen wir, die reichen Industrienationen, sie mit viel Geld unterstützen.
Klar, es könnte immer mehr sein, aber wir tun doch das Richtige, oder?
Nein, tun wir nicht. Denn auch wenn es den wenigsten bewusst sein dürfte: Es sind die Entwicklungsländer, die uns finanzieren, und nicht umgekehrt. Jedem Euro, den wir als Entwicklungshilfe in den globalen Süden schicken, stehen mehr als
Denn wir sprechen von unvorstellbaren Summen: Allein 2012 flossen mehr als 3
Entwicklungshilfe ist unglaublich wichtig, denn sie soll Menschenleben retten. Es gibt Staaten, die ohne Transferleistungen aus reichen Gesellschaften nicht überlebensfähig wären. Solange wir aber ein Weltfinanzsystem akzeptieren,
Das internationale Finanzsystem versagt darin, die globalen Finanzflüsse zu regulieren, und ermöglicht so unlautere Geldtransfers.
Steuern hinterziehen ist nicht schwer, aber was ist eigentlich eine Steueroase?
Fachanwälte für internationales Steuerrecht dürfen diesen Abschnitt gern überspringen. Für den Rest von uns sind ein paar Begriffsklärungen aber unbedingt notwendig, weil sich das gesamte Ausmaß des Skandals sonst nur schwer erläutern lässt.
- Steueroase: Ein Land oder Territorium mit niedrigen Steuersätzen und/oder Geheimhaltung von Finanztransaktionen und Eigentumsverhältnissen von Firmen und Stiftungen. Bekannte Beispiele sind die Schweiz, Luxemburg, Panama und die Cayman Islands, aber auch die Niederlande, die USA und andere Industrieländer gelten für bestimmte Zwecke als Steueroasen.
- Steuerhinterziehung und Steuervermeidung: Ersteres ist strafbar, letzteres Lebensgrundlage für Millionen von Steuerberatern weltweit. Die Grenzen sind fließend und in der Praxis von den Fähigkeiten der beteiligten Juristen abhängig. Aus Sicht der Entwicklungsländer ist aber beides Steuerflucht, die mit enormen wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen verbunden ist.
- Unlautere Finanzflüsse: Internationale Überweisungen, die auf illegal erworbenes Kapital oder Steuerhinterziehung zurückgehen.
- Trade Misinvoicing: Rechnungsfälschung, mit der zum Zwecke der Steuerhinterziehung gegenüber den Finanzämtern von Entwicklungsländern Importe künstlich teuer und Exporte künstlich billig angegeben werden.
- Transfer Pricing: Strategie zur Steuervermeidung durch internationale Konzerne, bei der durch den Handel von Waren, Lizenzen und Dienstleistungen zwischen eigenen Tochterunternehmen Gewinne nach Belieben zwischen einzelnen Ländern hin und her geschoben werden können.
- Briefkastenfirma: Ein Unternehmen oder eine Stiftung, deren wirtschaftlich begünstigte Eigentümer verschleiert werden und/oder die ausschließlich zur Steuerhinterziehung oder -vermeidung dient. Besonders Steueroasen bieten internationalen Konzernen und Privatpersonen die Möglichkeit, solche Briefkastenfirmen mit geringem Aufwand zu gründen und durch lokale Anwaltskanzleien verwalten zu lassen. Gern gründen Briefkastenfirmen eigene Tochterunternehmen in anderen Steueroasen, um Besitzverhältnisse so noch undurchsichtiger zu machen.
Der ultimative Raub: Wie Entwicklungsländer ausgebeutet werden
Wir fangen am besten am Ende an. Was passiert eigentlich mit dem ganzen Geld, das aus den ärmsten Ländern der Welt rausgeschafft wird? Ein gut gefülltes Bankkonto auf den Cayman Islands, in der Schweiz oder Panama zu haben und darauf keine Steuern zahlen zu müssen, ist zwar sicher nett, aber die wenigsten korrupten
»Wenn das Geld erst mal in einer Steueroase ist, dann kann man alles damit machen« erklärt Nicholas Shaxon, Autor des Buchs »Treasure Islands«. »Zum Teil wird es am internationalen Kapitalmarkt angelegt, wo sich gute Renditen erzielen lassen. Oder die Briefkastenfirma kauft ein Penthouse in Paris, London oder München und finanziert die Kreditkarte für den Shoppingausflug gleich dazu.« Internationale Konzerne können ihren Teilhabern Gewinnbeteiligungen ausschütten, praktischerweise bei Bedarf direkt in den Steueroasen selbst. Oder das angesammelte Kapital wird genutzt, um weitere Märkte zu erschließen, natürlich ohne die Absicht, dort dann Steuern zu zahlen.
Das Ausmaß des internationalen Systems an Steueroasen und Briefkastenfirmen wurde der gesamten Welt vor einem Jahr durch die
Das wirft natürlich die Frage auf, wie man das ganze Geld eigentlich am besten an den Finanzbehörden der Entwicklungsländer vorbei ins Ausland schafft. Trade Misinvoicing ist wohl die beliebteste Methode.
Wer durch Trade Misinvoicing Steuern hinterziehen will, braucht dafür eine Briefkastenfirma in einer Steueroase und einen Geschäftspartner in einem anderen Land. Von diesem Geschäftspartner lässt man sich Waren liefern, zum Beispiel gebrauchte Autos im Wert von 1.000.000 Euro. Die Rechnung stellt der Geschäftspartner aber nicht an mich, sondern an meine Briefkastenfirma, die sie auch bezahlt. Die Briefkastenfirma, deren Eigentumsverhältnisse dem Finanzamt ja nicht bekannt sind, stellt wiederum mir eine Rechnung, aber über einen weit höheren Betrag, zum Beispiel 1.500.000 Euro. So wandern 500.000 Euro, für die ich sonst hätte Steuern bezahlen müssen, ins Ausland.
Das Ganze funktioniert natürlich auch andersherum: Als Exporteur verkaufe ich Tropenholz an einen Geschäftspartner im Ausland. Dieser zahlt den Marktpreis an meine Briefkastenfirma, die mir eine viel zu niedrige Rechnung stellt. Die Differenz bleibt auf einem Konto in der Steueroase.
Das Perfide: Der Geschäftspartner im Ausland muss nicht unbedingt von dem schmutzigen Geschäft wissen. Und weil die Eigentümer der Briefkastenfirmen geheim sind, kann der Anschein der Legalität gewahrt bleiben. Zudem sind die Preise vieler Waren und besonders von Lizenzen und Dienstleistungen nur schwer bestimmbar. Selbst bei einem konkreten Verdacht kann ein Gesetzesbruch also nur selten nachgewiesen werden.
Bei einem Experiment gelang es zum Beispiel einer zivilgesellschaftlichen Organisation in Ghana,
Transfer Pricing wiederum ähnelt Trade Misinvoicing, mit dem Unterschied, dass es sich komplett innerhalb eines internationalen Konzerns abspielt. Indem die Tochterunternehmen eines Mutterkonzerns Waren, Lizenzen und Dienstleistungen über Briefkastenfirmen in Steueroasen austauschen, können Gewinne beliebig verschoben werden. Und weil Gewinne dort besteuert werden, wo sie auf dem Papier entstehen, kann sich ein Unternehmen mit entsprechender Rechtsabteilung die niedrigsten Steuersätze rund um den Globus aussuchen.
Theoretisch müssen Tochterunternehmen eines Konzerns miteinander verhandeln wie unabhängige Unternehmen. In der Praxis lässt sich das oft weder nachprüfen noch bestrafen.
Wie das in der Praxis funktioniert, lässt sich an einem schönen Beispiel demonstrieren: Bier. SABMiller, ursprünglich eine südafrikanische Brauerei, ist heute der weltweit zweitgrößte Bierkonzern, mit Operationen auf 6 Kontinenten. In vielen afrikanischen Ländern ist SABMiller mit lokalen Marken wie Castel und Stone Lager Marktführer, unter anderem in Ghana.
Ghanaer sind enthusiastische Biertrinker.
Natürlich ist SABMiller in Ghana profitabel. Die Verluste entstehen, weil der ghanaische Ableger von SABMiller die Markenrechte für die ursprünglich afrikanischen Biermarken von einem Schwesterunternehmen in den Niederlanden lizensiert. Einem Schweizer Schwesterunternehmen zahlt SABMiller Ghana Millionenbeträge für »Service- und Marketingleistungen«. Und Rohstoffe bezieht der ghanaische Ableger von einem Schwesterunternehmen in Mauritius, welches aber ganz im Sinne der Transferpreis-Logik nur als Zwischenhändler für den eigentlichen Lieferanten, ein weiteres Schwesterunternehmen aus Südafrika, fungiert. Von dem Schwesterunternehmen in Mauritius hat SABMiller Ghana außerdem noch einen großzügigen Kredit bekommen, der die Steuerschuld gegenüber dem ghanaischen Fiskus weiter reduziert. In Mauritius, der Schweiz und den Niederlanden, wohin die Gewinne aus Ghana fließen, zahlt SABMiller praktisch keine
Trade Misinvoicing und Transfer Pricing werden im Übrigen auch vom organisierten Verbrechen für Geldwäsche genutzt. Denn größere Geldbeträge in bar über Landesgrenzen hinweg zu transportieren, ist nicht nur gefährlich, sondern vor allem unpraktisch. 1 Million Dollar wiegen sowohl in Scheinen als auch in Gold mehr als 10 Kilogramm, im Handgepäck fällt das schnell auf. Aber wer sich im Dickicht des internationalen Finanzsystems auskennt, kann so etwas auch per Online-Banking erledigen.
Das wirtschaftliche Elend von Milliarden
Tatsächlich übersteigt die Summe der Steuerflucht aus den Entwicklungsländern zwischen 1980 und 2012 den kombinierten Wert allen jemals geschürften
Für die betroffenen Länder hat dies enorme wirtschaftliche und soziale Konsequenzen. Vergleiche zwischen Ländern lassen sich am besten ziehen, indem man die Steuerflucht ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung eines Landes
Diese Schätzungen sind extrem konservativ. »Unlautere Finanzabflüsse« umfassen nur Steuerhinterziehung, nicht -vermeidung. Aus den zugrundeliegenden Statistiken kann man außerdem nur Trade Misinvoicing auf Waren, aber nicht auf Dienstleistungen ableiten. Der tatsächliche Verlust durch Steuerflucht dürfte darum für viele Länder erheblich höher sein, als die Zahlen kenntlich machen.
Weil die Regierungen der Entwicklungsländer das abfließende Kapital nicht besteuern können, fehlt Geld für Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur. Entwicklungsländer versuchen, dies notdürftig durch Schulden und letztlich höhere Steuern auf Importe und Konsum zu kompensieren. Das trifft die Ärmsten der Bevölkerung am schwersten, denn sie verlieren sowohl durch die nicht stattfindenden Investitionen als auch durch die teuren Konsumgüter. Das wirtschaftliche Wachstum des Landes wird abgewürgt. Die Folge:
Auch politisch haben Steuerflucht und unlautere Finanzströme Folgen: »In Afrika sind davon vor allem rohstoffreiche Staaten betroffen. Unlautere Finanzströme fördern politische Volatilität und Konflikte. Um das zu sehen, muss man nur nach
Die Eliten der Gesellschaft profitieren natürlich von den unbegrenzten Möglichkeiten des internationalen Finanzsystems. 4,4 Billionen Dollar an Kapital haben die Bürger von Entwicklungsländern, ohne davon etwas zu haben, allein in den einschlägigen Steueroasen dieser Welt gebunkert. Zum Vergleich: Die Schulden ihrer Heimatländer sind nur etwa halb so hoch.
Briefkastenfirmen ausleuchten
Die Verantwortung für diese Zustände allein bei den Entwicklungsländern und den einschlägigen Steueroasen abzuladen, ist zu einfach. »Auch Länder wie Deutschland fungieren als Steuerparadies und sind Ziel von geflohenem Geld«, gibt Nicholas Shaxon zu bedenken. Westliche Politik und die korrumpierenden Geschäftspraktiken internationaler Konzerne tragen zudem maßgeblich zur Korruption und Steuerhinterziehung von Teilen der Eliten in Entwicklungsländern
Steueroasen wiederum gibt es nur, weil die mächtigen Staaten dieser Welt sie akzeptieren. Oder weil diese Staaten selbst welche sind.
Unter Aktivisten und Akademikern gelten die USA und Großbritannien als die weltweit wichtigsten Steueroasen. Beide Länder sind Knotenpunkte des Finanzwesens und beide haben auf ihrem Territorium Gebiete, die von besonders niedrigen Steuern profitieren und so Kapital aus der ganzen Welt anziehen. In den USA ist das zum Beispiel der Bundesstaat Delaware, in Großbritannien sind es die diversen Überseegebiete und Kanalinseln vor der Küste Frankreichs.
Das größte Hindernis im Kampf gegen Steuerflucht ist für die Entwicklungsländer aber die Geheimhaltung. Weder die bekannten Steueroasen noch Industrienationen teilen normalerweise Steuerinformationen mit Entwicklungsländern. Meist werden Datenschutzbedenken als Grund angegeben.
Ausnahmen werden gemacht, wenn die betroffenen Staaten Doppelbesteuerungsabkommen mit den Industrienationen abschließen. Darin wird festgeschrieben, dass Unternehmen und Privatpersonen auf dasselbe Einkommen nicht in 2 Ländern Steuern zahlen müssen. Genau wie bei Verhandlungen mit internationalen Konzernen sind Entwicklungsländer aber auch beim Abschluss solcher Verträge im Nachteil. Die hoch bezahlten Anwälte und Wirtschaftsanalysten arbeiten für die Gegenseite, und das Entwicklungsland ist immer in der Rolle des Bittstellers. Die Abkommen sorgen somit zwar für ein wenig mehr Transparenz, aber durch ihre Vertragsbedingungen nicht unbedingt für mehr Steuereinnahmen. Daran wird auch
Dabei ist radikale Transparenz der wichtigste Schritt im Kampf gegen Steuerflucht. Briefkastenfirmen funktionieren als Vehikel zur Steuerflucht nur, weil sie die wirtschaftlich Begünstigten ihres Anlagekapitals verschleiern.
Einen wichtigen Schritt ist Deutschland zumindest schon gegangen. Mit der Umsetzung der Vierten EU-Geldwäsche-Richtlinie wird es vermutlich noch
Ursprünglich sollte das Verzeichnis übrigens der Öffentlichkeit verschlossen bleiben. Dass es anders kommt, ist den Panama Papers zu verdanken. Die Enthüllungen aus den Interna der Kanzlei Mossack Fonseca hatten weltweit zu Rufen nach mehr Transparenz geführt.
Deutschland könnte seine Position innerhalb der EU und der Welt nutzen, noch stärkere Transparenzmaßnahmen auch in anderen Ländern durchzusetzen. Die Chance besteht aktuell deshalb, weil mit Großbritannien ein Verfechter der Geheimhaltung und Mutterland vieler
Um das Ausmaß von Transfer Pricing und Trade Misinvoicing zu begrenzen, kann man zudem Rechnungen mit Datenbanken von aktuellen Vergleichspreisen
Ein radikalerer Schritt wäre die Umstellung auf das Prinzip der Gesamtkonzernbesteuerung für multinationale Konzerne. Transfer Pricing ist nur möglich, weil Tochterfirmen eines Unternehmens aus steuerlicher Sicht wie eigenständige Einheiten behandelt und Steuern dort erhoben werden, wo sie auf dem Papier anfallen. Gesamtkonzernbesteuerung umgeht dieses Problem,
Die Bedeutung von Steuerflucht ist zum Glück auch auf dem politischen Parkett anerkannt. Das Thema findet etwa Erwähnung in dem
Aus deutscher Sicht können wir uns weiter gut dabei fühlen, wenn wir Geld für wohltätige Zwecke in Entwicklungsländern spenden. Aber uns sollte auch klar sein, dass der Spendenaufruf zu Weihnachten in den meisten Fällen nicht notwendig wäre, wenn sich unsere Konzerne, unsere Banken und unsere Regierung nicht am größten Raub der Menschheitsgeschichte beteiligt hätten. Das internationale Finanzsystem gleicht einem Organismus, alle Teile interagieren miteinander. Das Kapital, das aus Entwicklungsländern flieht, steigert den Wert unserer privaten Altersvorsorge und unserer Aktienportfolios. Hausbesitzer freuen sich über höhere Immobilienwerte und Mieten. Steuerflucht aus Entwicklungsländern finanziert am Ende auch Arbeitsplätze in Deutschland.
Der gleiche Effekt ließe sich im Übrigen auch durch eine bessere wirtschaftliche Entwicklung der Entwicklungsländer erzielen. Mit dem Unterschied, dass ein höheres Steueraufkommen und Investitionen in Entwicklungsländern nicht nur uns, sondern auch diesen Ländern selbst zu Gute kommen würden. Möglich wird dies durch eine grundlegende Reform des internationalen Finanzsystems, durch mehr Transparenz und stärkere Regulierungen von Banken und Finanzdienstleistern.
Das sind Aufgaben der Regierung, aber politischer Wandel beginnt mit einem Wandel des Bewusstseins. Nicht wir finanzieren die Entwicklungsländer, sie finanzieren uns zum Nachteil ihrer eigenen Volkswirtschaften. Das zu ändern sollte eine zentrale Forderung an unsere politischen Vertreter sein.
Seit Jahrzehnten profitieren wir von den Billionen, die ihren Weg auf illegale und illegitime Weise aus den Entwicklungsländern in die Weltwirtschaft finden. Es wird Zeit, dass wir die Rechnung begleichen.