Wie Satire das Internet rettet
Peinliche Politiker, abnormale Abgasnormen, falsche Freiheit im Netz? Humor hilft.
– John Oliver
– Kristie Lu Stout, CNN
Sei ehrlich, welcher der beiden Beiträge spricht dich mehr an? Beide behandeln dasselbe Thema, sind im Mai 2014 erschienen. Sie erklären die Bedeutung von Netzneutralität in den USA und ihre Gefährdung durch die guten Beziehungen zwischen Politikern und Netzanbietern. 12 Millionen Youtube-Klicks gab es für den britischen Satiriker John Oliver und seinen
Die Reichweite von CNN mit demselben Fokus: Nicht einmal 3.000 Ansichten. Wie ist das möglich?John Oliver, der kleine Engländer mit dem verkniffenen Steuerberatergesicht und der Besserwisser-Brille, verpackt in der amerikanischen Show Last Week Tonight Woche um Woche ernste Themen in witzige, klare Bilder. Doch er ist nicht allein. Weltweit wehren sich Satiriker mit scharfem Humor gegen absurde Politik und den Unsinn unserer Zeit – und das mit hoher Online-Reichweite. 6 Punkte, wie das wirkt und warum wir mehr davon brauchen.

1. Satire ist sexy
Im Netz kommt heute kaum jemand um Die ZDF-Onlinestudie belegt das Wachstum an Internet-Nutzern (2016) Studien belegen zwar, dass mehr Menschen im Internet nach Informationen suchen.
herum. Online wird schließlich das geklickt, geliked und geteilt, was witzig »Jugendliche informieren sich heute so«, sagt Kabarettist Till Reiners, mit dem ich über seine Arbeit und moderne Satire gesprochen habe. Mit seiner Einschätzung trifft Till ins Schwarze:Doch gleichzeitig Reuters Institute Digital News Survey schlüsselt das Internetverhalten von Jugendlichen auf (2016) sinkt unter Jugendlichen die Nutzung traditioneller Nachrichtenangebote. Vor allem in den USA wird Satire bei den unter 18-Jährigen zunehmend zu einem Ersatz für echte Sie informieren sich lieber bei John Oliver als bei parteigefärbten Kommentatoren in einer 24-Stunden-Dauerschleife auf CNN und
Da sind wir hierzulande noch nicht, und die deutsche Medienwelt funktioniert anders. Doch Satire macht auch in Deutschland etwas grundlegend richtig und trifft in der Mischung des Lustigen mit dem Bitterernsten einen Nerv.
– Till Reiners
2. Satire macht kritisch
Satire funktioniert anders als Nachrichten oder Comedy. Bei ihr wird der Zuschauer nicht mit Fakten oder Witzen berieselt, sondern mit einer Mischung aus beidem. Wer mithört, muss mitdenken – und bereits einiges Vorwissen mitbringen. Sonst bleiben der scharfe Witz und die Ironie darin unverständlich.
Gerade im ständigen Wechsel zwischen ernst und heiter und den immer neuen Gedankensprüngen und Perspektivenwechseln ist Satire für den Zuschauer Gehirnjogging. Satire leistet mehr als nur Informationsvermittlung, sie abstrahiert und regt zum Weiterdenken an.
– Till Reiners
John Oliver beleuchtet in dieser Folge seiner Show die Rolle von Donald Trumps Kindern für die US-Politik.
Das Wissen, das Satire vermittelt, bleibt sogar besser hängen. Das belegt eine Studie der Universität von Minnesota: Zuschauer des Satirikers Stephen Colbert und seines Die Studie der University of Minnesota verglich den Effekt von Satire und echten Nachrichten (englisch, 2013) schnitten beim Verständnis von politischen Themen besser ab als Zuschauer einer Politik-Talksendung, die sich intensiv mit den Themen beschäftigte.
3. Satire schneidet einfach tiefer
Hinter jeder guten Geschichte steckt eine gute Recherche. Das trifft auch auf Satire zu: Während Festzelthumor à la Mario Barth noch mit Stereotypen und Witzchen auskommt, graben sich Satiriker und ihre Rechercheteams tief in ein Problem hinein. Aber kann sich Satire auch mit gut recherchiertem Journalismus messen?
Das Medienmagazin American Journalism Review sagte ja und forderte in einem Artikel US-amerikanische Medien auf, sich an den Der Artikel im American Journalism Review über Jon Stewart (englisch, 2007) Satiriker Jon Stewart zu halten: Dessen Versessenheit auf Details und Absurditäten einer Geschichte helfen dabei, das Problem für den Zuschauer herauszukristallisieren.
Satire kann sich etwas trauen, was traditionellen Nachrichtenmedien fehlt: Hier lassen dich Han Langeslag & Maren Urner deine Objekitivtät hinterfragen ausgewogen und objektiv sein nimmt Satire klare Perspektiven ein und kann politischen Unfug und absurde Vorgänge auch als solche bezeichnen und lächerlich Diese Studie legt nahe, dass neutrale Berichterstattung Leser demotiviert, die Wahrheit zu finden (englisch, 2011) Leicht überspitzt zerschellen Politikersprech und Propaganda dabei am gesunden Menschenverstand. Das Ergebnis: Klares Verständnis und Empörung bei den Zuschauern.
Während Sender wie CNN etwa4. Satire zeigt, wer keinen Spaß versteht
Wenn Jan Böhmermann hierzulande herabwürdigend über den türkischen Präsidenten dichtet und damit eine kleine Staatsaffäre
dann ist das vielleicht nicht gerade ein literarischerer Höhenflug – und rüttelt nachweislich an internationalen Beziehungen. Es zeigt aber auf, wie es einige Machthaber mit der Redefreiheit halten, und testet, wie wertvoll uns die Meinungsfreiheit hierzulande ist. Damit ist Satire auch ein guter Indikator für eine offene Gesellschaft und ihre (eingeschnappten) Feinde.
Und wo geht Satire zu weit? Darauf hat Till Reiners eine klare Antwort:
– Till Reiners
Das Positive an solchen Skandalen: Jede Diskussion über Redefreiheit und Freiheit der Kunst bringt diese wichtigen Themen wieder auf die Tagesordnung. Diskussionen um die Grenzen von Satire zeigen deutlich die politische Haltung der Wortführer, die gegen diese Freiheiten wettern. Und das kann gerade in Zeiten des wachsenden Extremismus nicht verkehrt sein. Till Reiners behauptet sogar: »Der erste Weg in den Faschismus ist Humorlosigkeit.«
5. Satire bewegt etwas
Lachen, nicken, weitermachen? Gerade politische Satire hat sich weiterentwickelt:
– Till Reiners
Satire kann Menschen politisch aktivieren und ihre Unzufriedenheit in Bahnen lenken. Das bewies John Olivers Beitrag zur Netzneutralität. Der Satiriker rief seine Zuschauer dazu auf, ihre Empörung online bei der Federal Communications Commission (FCC) zu äußern. Das taten so viele
innerhalb kürzester Zeit, dass die Website des US-Ministeriums überlastet zusammenbrach. Diese Aktion wurde wiederum von anderen US-Nachrichtenmedien aufgegriffen und politisch debattiert. Letztlich wurde so der Angriff auf das freie InternetAuch in Deutschland funktioniert »Satire-Journalismus«: Die Anstalt vom März über Abgasnormen und Diesel (2017) In einer Folge der ZDF-Satire-Show »Die Anstalt« legte das Satire-Team um Claus von Wagner und Max Uthoff etwa die Absurditäten der europäischen Abgasnormen offen – und Nach dem Beitrag der Anstalt etwa hier bei der F.A.Z. (2017) löste eine neue Diskussion über Diesel-Fahrzeuge aus. Ein Zitat der Sendung schaffte es sogar in den Bundestag: Das Video der Sitzung beim Bundestag (2017) Die Linken-Politikerin Sabine Leidig zitierte die Anstalt als Spitze gegen Verkehrsminister Alexander Dobrindt und empfahl gleich, sich in der Sendung zu informieren.
Ersetzen kann Satire traditionellen Journalismus aber nicht. Schließlich picken sich Satiriker ihre Themen heraus und beißen sich an einzelnen, absurden Neuigkeiten fest – statt breit gefächert zu berichten. Doch in den wenigen Themen glänzt gute Satire dafür umso mehr und kann begeistern.
Im Kern geht es bei Satire darum: Mit aggressiver Rhetorik, Humor und Spott und bei ausgewählten Themen an einem Status quo zu rütteln, damit sich etwas zum Besseren ändert. Aber ist Satire dabei nicht auch einseitig? Tatsächlich hat Satire meist eine Schlagrichtung – nach oben, gegen die Mächtigen.
– Till Reiners
Doch auch für konservative Zuschauer ist Satire da.Schließlich vermittelt sie vor allem Grundlagen Hier findest du alle unsere Artikel zum Kritischen Denken kritischen Denkens. Satire trainiert das Gehirn dazu, Das Paper der Marshall University analysiert den Effekt der Daily Show with Jon Stewart (2007) skeptisch gegenüber Informationen zu sein, und ist auch gerade deshalb in autoritären Regimen verhasst – rechts wie links.
Till Reiners fragt: Was darf Satire? Und antwortet mit Satire.
6. Satire ist ein Privileg
Was wir bei allem Lob für Satire aber nicht vergessen dürfen:
– Till Reiners
Mit scharfer Zunge und Humor wird weder ein autoritäres Regime in die Knie gezwungen noch Frieden irgendwo auf der Welt geschlossen. Doch Satire gibt vielleicht denen Hoffnung, die in Krisen und Unterdrückung leben müssen. Wie etwa Bassem Youssef, der ägyptische Satire-Star, der Revolution for Dummies: Laughing through the Arab Spring (englisch, 2017) Revolution for Dummies schrieb. Die ganze Geschichte bei CNN (2017) Er floh vor einer Millionenstrafe der beleidigten Machthaber und aus Angst um seine Familie nach Kalifornien. Die Satire seiner Sendung wirkt auf Youtube weiter und hält der Gesellschaft und der dahinterstehenden Kultur den Spiegel vor – Albernameg, der Youtube-Kanal des Satirikers Bassem Youssef (ägyptisch, 2017) sein Youtube-Kanal hat noch heute über 2,5 Millionen Abonnenten. Das Internet macht’s möglich.
Satire – gute wie schlechte – lohnt sich also auch deshalb zu genießen, weil wir sie in Deutschland ausüben dürfen. In einer offenen Gesellschaft kann sie zudem aufklären, verändern und für die Freiheit eintreten – etwa die Freiheit des Internets.
Um das zu beweisen, trat Satiriker John Oliver vergangenen Monat erneut an und kritisierte in Last Week Tonight mit »Net Neutrality II« den neuesten Angriff des
auf dieDer britische Satiriker wiederholte den Aufruf des Protests und stellte gleich eine Der passende Name: www.gofccyourself.com Internetseite mit Direktlink zu der neuerdings versteckten Kommentar-Sektion der Federal Communications Commission (FCC) online. Das vorläufige Ergebnis: knapp 2,5 Millionen Zuschauer in wenigen Tagen – und erneut eine Hier berichtet BUSTLE darüber (englisch) Überlastung der Website der FCC.
Wirksam und witzig.
Deutschland ist trotz einiger Ambitionen beim Thema Humor noch Entwicklungsland. Wie Humor effektiv in einer Gesellschaft wirkt und sie verändert, verraten wir dir demnächst anhand des Beispiels Südafrika.
Titelbild: HBO - copyright
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