»Was macht man eigentlich, wenn man beim Sex aufs Klo muss?«, fragt ein 8-Jähriger in der Pause seinen Freund. »Überhaupt kein Problem, dafür gibt es ja Kondome!«, lautet dessen Antwort.
Wenn Magdalena Heinzl Workshops zum Thema Sexualität in Schulen gibt, schnappt sie immer wieder ehrliche Gespräche wie diese auf. Zwar begeistert sie die kindliche Logik, zurück in der Klasse klärt Heinzl die Schüler:innen dann aber auf: »Wenn man aufs Klo muss, geht man aufs Klo. Beim Sex macht man es ganz einfach so, wie man es sonst auch macht.«
In ihrem Workshop dürfen die Kinder Heinzl alles rund um das Thema Sexualität fragen – egal was. Nur noch selten bringen unerwartete Fragen die Sexologin ins Schwitzen.
Ins Schwitzen geraten dagegen meist die Erwachsenen. Weil das Kind sich auf dem Spielplatz nackt auszieht oder wieder eine neugierige Frage stellt. Oder weil sie als Eltern beim Informationsabend von Magdalena Heinzl die Schulbank drücken.
Erwachsenen ist das Thema Sexualität oft peinlich, weil sie überfordert sind. Die wenigsten haben jemals gelernt, offen darüber zu sprechen. Das möchte Magdalena Heinzl mit ihrem Buch »Was kribbelt da so schön?« ändern. Denn wenn Erwachsene die richtigen Worte finden, um über Sexualität zu sprechen, gelingt es Kindern auch.
In diesem Interview erzählt Heinzl, wie Eltern von Anfang an zur sexuellen Bildung ihrer Kinder beitragen können, wieso Aufklärung Kinder vor sexueller Gewalt schützt und wie Eltern zwischen kindlichen »Doktorspielen« und Übergriffen unterscheiden können.
Antonia Strotmann:
Magdalena, wie wurdest du aufgeklärt?
Magdalena Heinzl:
So richtig aufgeklärt wurde ich in der ersten oder zweiten Klasse auf dem Schulweg nach Hause. Meine Freundin wusste von ihrer älteren Schwester, dass Frauen und Männer unterschiedlich aussehen und meinte zu mir: »Manche machen es gern auf der Wiese, aber die meisten machen es im Bett.« Ich wusste nicht, was »es« bedeutet, also erklärte meine Freundin mir: »Der Penis kann da rein bei der Frau!« Das fand ich ganz schlimm. Und weil ich eine kleine Schwester hatte, bedeutete es für mich damals automatisch, dass meine Eltern »es« sogar zweimal getan haben mussten.
Warum wolltest du dann trotzdem Sexologin werden?
Magdalena Heinzl:
Im Studium der Sozialen Arbeit habe ich gemerkt: Egal, um welche Zielgruppe es sich handelt, sobald das Thema Sexualität auftaucht, werden alle unruhig, unprofessionell und ganz komisch. Das wollte ich ändern. Nach ein paar Workshops im Gewaltpräventionsbereich habe ich Kinder zu Prozessen begleitet und zur Polizei. Da habe ich dann festgestellt, dass ich nicht immer erst das Pflaster kleben möchte, sondern viel früher ansetzen will. Und weil sexuelle Bildung die beste Präventionsarbeit ist, habe ich mich dann darauf spezialisiert.
Eltern können ihre Kinder also mit sexueller Aufklärung vor Übergriffen schützen – wie sieht das in der Praxis aus?
Magdalena Heinzl:
Sexuelle Aufklärung ist viel mehr als nur die Antwort auf die Frage »Wie entstehen Kinder?«. Wenn Kinder wissen, dass sie über Sexualität sprechen dürfen, dass sie ihre Bezugspersonen alles fragen dürfen und auch Antworten bekommen, und dass man sie ernst nimmt, dann fördert das die Körperwahrnehmung und Emotionsregulation des Kindes. Und wenn das Kind eine gute Körperwahrnehmung hat, spürt es viel schneller, ob sich etwas toll oder komisch anfühlt.
Wenn es dann noch weiß, dass Sexualität etwas für Erwachsene ist und niemals zwischen Erwachsenen und Kindern passiert, dann holen Kinder sich viel schneller Hilfe oder können es früher artikulieren, wenn doch etwas passiert ist.
belegen auch, dass sexuell gebildete Jugendliche weniger Risiken eingehen, wenn es um ungewollte Schwangerschaften oder sexuell übertragbare Infektionen geht.
»Sexuelle Aufklärung bedeutet nicht nur Opferprävention, sondern auch Täterprävention«
Gleichzeitig weiß man, dass die meisten Sexualstraftäter:innen aus sehr sexfeindlich eingestellten Familien kommen, in denen über das Thema gar nicht gesprochen wurde. Sexuelle Aufklärung bedeutet nicht nur Opferprävention, sondern auch Täter:innenprävention.
Wer ist neben den Eltern für Sexualaufklärung verantwortlich?
Magdalena Heinzl:
Ich sehe die Verantwortung ganz klar bei uns Erwachsenen und unserer Gesellschaft. Wir machen Präventionsworkshops und bringen Kindern bei, und dass ihr Körper wichtig und wertvoll ist. Das sind alles wichtige Botschaften. Aber es braucht Erwachsene, die auf das Kind hören, wenn es signalisiert, dass es etwas nicht möchte. Ein Kind muss der Tante Mitzi kein Bussi geben, weil sie ein Geschenk mitgebracht hat.
In meiner Utopie arbeiten Eltern, Bezugspersonen, , und externe Fachpersonen zusammen. Deshalb habe ich auch mein Buch geschrieben: Ich möchte Eltern und Bezugspersonen ermutigen, dieses Thema aufzugreifen, weil sie damit einen wesentlichen Beitrag leisten können, ihre eigene Wertehaltung mittransportieren und im Gespräch mit ihren Kindern bleiben.
Wohlbehütet auf dem Land großgeworden, hat Antonia erst Betriebswirtschaft studiert und im Marketing gearbeitet. Anstatt Leute vom Kaufen zu überzeugen, wollte sie mit ihnen lieber über Probleme sprechen – und fand so zum Journalismus. Als Studentin der Kommunikationswissenschaft weiß sie, wie Medien den Menschen beeinflussen können, im Guten wie im Schlechten. Deshalb ist Antonia im Konstruktiven Journalismus zu Hause und unterstützte Perspective Daily im Februar und März 2023 als Praktikantin.