Was Konstruktiver Journalismus in Zeiten der Klimakrise kann
In der Tageszeitung »Die Welt« erscheint ein Kommentar, der Konstruktiven Journalismus vor dem Hintergrund der Klimaberichterstattung anfeindet. Das können wir so natürlich nicht stehen lassen. Eine ausführliche Erwiderung.
Seit es Konstruktiven Journalismus gibt, wird er bissig bekämpft: zu aktivistisch, zu unkritisch,
Manchmal kommt die Kritik von Kolleg:innen, aus Redaktionen. Natürlich ist es erst einmal gut, wenn sich viele Menschen mit unserer Art der Berichterstattung auseinandersetzen. Doch das Ergebnis ist dann enttäuschend, wenn Journalist:innen nach einer wohl eher oberflächlichen Recherche in Konstruktivem Journalismus ihr neues Feindbild finden wollen.
Dieses Mal war Anna Schneider von der Welt dran.
Die streitbare österreichische Autorin und sogenannte »Chefreporterin Freiheit« veröffentlichte vergangene Woche ein
Wo liegt das Problem?
Die Quintessenz von Schneiders Kommentar ist einfach wie erwartbar: Konstruktiver Journalismus sei gar kein guter, kein kritischer, kein echter Journalismus. Sie analysiert:
Anstatt Begrifflichkeiten umzudeuten, könnte man diese ganzen Weltverbesserungsagenden als das bezeichnen, was sie sind: Aktivismus.
Als Belege dafür sollen ausgerechnet die Gründer:innen von Perspective Daily herhalten, die zitiert werden:
Immer nach Objektivität zu streben, ist eine Obsession vor allem im deutschen Journalismus. Ich glaube, sie schlägt fehl. Medien sind nie objektiv, es gibt immer Entscheidungen, für gewisse Themen, für ein Framing.
Für Anna Schneider ist das ein rotes Tuch. So holt sie aus zum bissigen Rundumschlag gegen Konstruktiven Journalismus, gegen die Klimaberichterstattung der deutschen Medien insgesamt und gegen alle »Gesinnungstäter oder Haltungswahrer« in der deutschen Medienlandschaft.
Nun kann man im Textformat eines Kommentars natürlich sehr viel machen – insbesondere die eigene Perspektive zur moralischen Messlatte erheben oder andere darin belehren, was sie zu fühlen, was zu lesen und wie sie gefälligst zu schreiben
Doch hier geht es um weit mehr als nur Befindlichkeiten. Es geht um Journalismus, um seine Aufgabe in unserer Gesellschaft und um mögliche Fallstricke und Irrwege in Zeiten der Klimakrise.
Da können wir nur sagen: Danke für die Gelegenheit, konstruktiv darüber zu sprechen und ein paar Missverständnisse und Scheinargumente auszuräumen.
Denn beim Thema Journalismus sind wir im Kern sehr viel näher an Anna Schneiders Position, als sie vielleicht denkt.
»Wir werden alle sterben« – Negativberichterstattung, Angst und Klima
Wir können wohl gemeinsam davon ausgehen, dass alle Menschen möglichst lange und angenehm leben möchten. Dass dies nur dann möglich ist, wenn die natürlichen Lebensgrundlagen geschützt werden, hat der deutsche Staat erkannt und im Grundgesetz als Staatsziel verankert:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
Und genau diese natürlichen Lebensgrundlagen sind durch den Klimawandel akut bedroht. Das bestreitet nicht einmal die Redaktion der Welt. So veröffentlicht das Portal alarmierende Artikel über den Ist-Zustand unserer Umwelt wie
Forscher warnen seit Jahrzehnten vor den Folgen eines durch den Menschen mitverursachten Klimawandels: Durch die globale Erwärmung droht eine Zunahme von Naturkatastrophen wie Sturmfluten, Überschwemmungen und Wirbelstürmen, aber auch Dürre, Hunger und die Verödung ganzer Landstriche mit kaum absehbaren Konsequenzen.
Es ist unstrittig, dass natürliche Lebensgrundlagen durch menschliches Einwirken akut bedroht sind und die Zukunft kommender Generationen unsicherer geworden ist. Ist es da nicht nachvollziehbar, dass gerade junge Menschen Sorgen und Ängste verspüren?
Dass sie es tun, nimmt auch Anna Schneider wahr. Allerdings interpretiert sie in ihrem Kommentar diese Sorgen und Ängste als Weltuntergangsstimmung, die sie in der folgenden unterkomplexen Überspitzung zusammenfasst:
Dass wir alle sterben werden, ist inzwischen so ziemlich jedem klar. Also, nicht auf natürliche Weise, sondern durch langsames Verbrutzeln, wenn man den Horrorszenarien der Klimabewegten Glauben schenken will.
Natürlich sind extreme Weltuntergangsgefühle und Endzeitängste schädlich wie irreführend und mögen auch bei einzelnen Klimaaktivist:innen vorkommen. Nicht umsonst sehen Psycholog:innen diese beim radikalen Aktivismus der Gruppe
Wenn nicht mit Aktivismus und Druck auf politische Entscheidungsträger:innen – wie soll die Klimakrise dann bewältigt werden?
Anna Schneider setzt darauf, dass sich die Menschheit der Klimakrise einfach anpasst und dass »antifossiler Kapitalismus der Menschheit im wörtlichen Sinn den Allerwertesten retten« wird. Wir sehen das anders. Die Anstrengungen der freien Wirtschaft zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen und hin zu erneuerbaren Energien überzeugen uns nicht.
Im besten Fall kann man Anna Schneiders Kommentar als engagierten Versuch lesen, gegen »Klimaangst« und die darin enthaltene Hoffnungslosigkeit anzuschreiben. Genau das könnte tatsächlich eine wichtige Funktion von Journalismus als vierter Macht im Staat in Zeiten der Klimakrise sein.
Leider verfehlt ihr Kommentar das Ziel, weil er auf die Falschen schießt.
Denn Konstruktiver Journalismus will mitnichten das, was Schneider ihm unterstellt: die Ängste von Menschen als »perpetuierendes Geschäftsmodell« ausnutzen.
Konstruktiver Journalismus will ganz im Gegenteil genau das, was offenbar auch der »Chefreporterin Freiheit« am Herzen liegt: Menschen nicht ihren Ängsten überlassen.
Der Kern unserer Berichterstattung: Gegen die Hilflosigkeit!
Der Ansatz des Konstruktiven Journalismus beruht auf Erkenntnissen der Psychologie und Journalismusforschung. Verschiedene Studien zeigen auf, dass die Medienberichterstattung international überwiegend negativ geprägt ist. Auch in Deutschland fokussieren sich Medien, auch die Welt,
Das hat psychologische Auswirkungen, wie Studien nahelegen:
- Erlernte Hilflosigkeit: Die Konfrontation mit Problemen ohne weiterführende Perspektiven kann Hoffnung rauben, das Wohlbefinden senken, gar psychisch lähmen oder krank machen. Nicht umsonst lässt sich etwa der Weltklimarat
- Verzerrte Realitätswahrnehmung: Menschen nehmen durch den Konsum von negativ geprägten Nachrichten die Welt übertrieben pessimistisch wahr. Das führt etwa dazu, dass sie Sachverhalte falsch einschätzen, wie das
Manche Journalist:innen nehmen diese Erkenntnisse nicht sonderlich gut auf, lassen sie sich doch als direkte Kritik an ihrer Arbeit
Und genau das tut Konstruktiver Journalismus: Er erkennt wissenschaftlich belegte Effekte der Medien an und denkt als Lösung ihre Wirkung auf die Rezipient:innen mit.
Aus »Wir sagen, was ist« wird »Wir sagen, was ist, und zeigen auf, wie es weitergehen könnte«. Oder wie Perspective-Daily-Mitgründerin, die Autorin, Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie Maren Urner, es ausdrückt: Es gehe darum, »nicht nur zu informieren, sondern Menschen handlungsfähig zurückzulassen«.
Der Negativitätsfokus sorgt dafür, dass die meisten Menschen mit einem unrealistischen negativen Weltbild durch die Gegend laufen. Und das kann dazu führen, dass sich immer mehr Menschen von den Medien abwenden, weil sie einfach nicht mehr in der Lage sind, das zu verarbeiten. Das schadet am Ende der Demokratie.
Um den hier angesprochenen Trend der zunehmenden bewussten Vermeidung von Nachrichtenkonsum (»news avoidance«) sorgt sich auch Welt-Autorin Anna Schneider. Und nutzt das Zitat von oben ebenfalls in ihrem Kommentar. Für Schneider ist mit »Nicht nur informieren« bereits eine rote Linie überschritten.
Auch das kennen wir schon.
Wo Journalismus in Zeiten der Klimakrise aufhört und Aktivismus anfängt
Journalist:innen weltweit stehen gerade vor einer enormen Herausforderung. Sie verstehen, dass sie sich mit einem hochkomplexen Phänomen mit weitreichenden und globalen Auswirkungen befassen müssen: dem Klimawandel.
In dessen Kontext, das machen die Sachstandsberichte des Weltklimarates (IPCC) deutlich, bedeutet jedes »Weiter so« einen potenziellen Verlust an Wohlstand und Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen.
Wie also sollte Journalismus reagieren?
Die einfache Antwort lautet: Mit mehr Informationen.
Daher ist es logisch, dass gerade neue »grüne
Für Welt-Journalistin Anna Schneider ist das ein Unding. Sie interpretiert diese verstärkte Klimaberichterstattung als politisch motivierte Einseitigkeit, als nervige Bevormundung, als Verletzung journalistischer Standards und ja: als
Gehen wir nacheinander auf ihre 3 Kritikpunkte ein:
»Aktivismus«: Ist ständige Klimaberichterstattung nicht zu einseitig? Nun, guter Journalismus bleibt bei den Fakten, analysiert sie so sachkundig wie möglich und bewertet sie ausgewogen. Das dürfte wohl unstrittig sein und gehört weltweit zum journalistischen Selbstverständnis. Im Fall des Klimajournalismus passiert eigentlich nur das: Journalist:innen verstehen die wissenschaftlichen Ergebnisse um die Bedrohung durch den Klimawandel als hochrelevant und
Gute (Klima-)Journalist:innen wollen wissenschaftliche Erkenntnisse kommunizieren, Fake News und Unwahrheiten entkräften und ja – auch Menschen aus einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Thema wachrütteln. Auch wir bei Perspective Daily bemühen uns darum. Ob man das nun »konstruktiv« nennt oder anhand der Faktenlage journalistisch geboten, ist dabei egal.
»Objektivitätsverweigerung«: Im Journalismus existiert Objektivität als Ideal,
»Erziehung zur Unmündigkeit«: Hier kommen wir zum Kernvorwurf von Anna Schneiders Meinungsstück und dem eigentlichen Stein ihres Anstoßes: Dass sich Konstruktiver Klimajournalismus nicht in der Beschreibung der Probleme erschöpft, sondern tatsächlich auslotet, wie es weitergehen könnte. Dabei missversteht die Journalistin, was wir als konstruktiv auffassen.
Anstatt die Argumente des Konstruktiven Journalismus so präzise wie möglich wiederzugeben, wird hier ein Strohmann eines belehrenden, bevormundenden Journalismus aufgebaut, der Lösungen diktieren und damit die Freiheit der Menschen einschränken will. Wäre das Konstruktiver Journalismus, würden wir Schneider sogar zustimmen: Das wäre schlechter Journalismus.
Nur bleibt diese verzerrende Beschreibung weder bei den Fakten, noch erscheint sie sachkundig und ausgewogen.
Um es ganz konkret zu machen, wirkt sich unsere Auffassung von Konstruktivität wie folgt auf unsere Arbeit aus:
Konstruktiver Journalismus ist das Gegenteil davon, was die Welt-Autorin ihm unterstellt: Er ist im besten Fall eine Befähigung zur Mündigkeit. Damit redet er auch nicht per se grüner oder linker Politik das Wort. Wenn mögliche Lösungen einer progressiven Umweltpolitik näherstehen als dem konservativen Glauben an die unsichtbare Hand des freien Marktes, zeigt das viel mehr, dass Journalist:innen weltweit sachkundig einordnen, dass konservative Politik derzeit keine überzeugenden Lösungen für die Klimakrise anbietet oder das Problem des Klimawandels schlichtweg unterschätzt.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily