Warum immer mehr Forschende Pflanzen für intelligent halten
Ein Neurobiologe gibt Einblicke, wie Blumen, Bäume und Co. Licht »sehen« und Wasser »hören« – und warum viele Annahmen, die wir über Pflanzen haben, falsch sind.
Wer schon einmal selbst Kresse, Basilikum, Tomaten, Sonnenblumen oder ein anderes Gewächs gesät hat, weiß, wie schnell es wachsen kann. Erst tut sich tagelang gar nichts. Du starrst ungeduldig auf die dunkle, feuchte Erde. Bis eines Morgens auf einmal die ersten grünen Pflänzchen die Kruste durchbrechen. Dann kann es gar nicht schnell genug gehen.
Sie schießen der Sonne entgegen – und du kannst ihnen dabei zuschauen. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, woher die Pflanze weiß, in welche Richtung Wurzeln und Pflanzenspross wachsen sollen, wie dick der Pflanzenstängel werden muss und wie sie ihre Blätter ausrichtet? Ob all das vorprogrammiert ist oder die Pflanze eigene Entscheidungen trifft?
Der Pflanzenforscher František Baluška geht von Letzterem aus. Ihm zufolge können Pflanzen ihre Umgebung durch Sinne wahrnehmen, die gar nicht so anders als die des Menschen sind. Pflanzen könnten , hören, sehen, fühlen, haben ein Gedächtnis, können lernen und sogar Kosten-Nutzen-Analysen durchführen, aufgrund derer sie ihr Verhalten anpassen. Einiges davon ist bereits gut belegt, bei vielem anderem tappen die Forschenden noch im Dunkeln.
Zur Person
František Baluška hat die »Society for Plant Signaling and Behavior« mitgegründet, die internationale Symposien zur Pflanzenneurobiologie organisiert, und ist Gründer von 2 Fachzeitschriften. Der Wissenschaftler entdeckte, dass Wurzelspitzen eine Übergangszone haben, die für die pflanzliche Signalübertragung und Wahrnehmung wichtig ist. Sie ermöglicht die Orientierung und Vernetzung der Wurzeln.
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privat
Das interdisziplinäre Forschungsfeld dazu ist unter dem Begriff der »Pflanzenneurobiologie« bekannt. Dabei geht es um die pflanzliche Kommunikation und Signalverarbeitung sowie darum, wie Pflanzen ihre Umwelt wahrnehmen und darauf reagieren. Die Forschung ist noch jung und stößt auf einige Widerstände in der Wissenschaftscommunity. Kein Wunder, schließlich stellen die Forschenden das komplette bisher vorherrschende menschliche Weltbild und Verständnis von Pflanzen auf den Kopf.
Désiree Schneider:
František, wie lange forschst du schon zum Verhalten von Pflanzen?
František Baluška:
Seit dem Ende meines Biologiestudiums im Jahr 1981. Das sind nun fast 42 Jahre. Zuerst habe ich hauptsächlich zu Wurzelsystemen von Mais geforscht. Später habe ich mich mehr auf die Zellbiologie fokussiert – auf das Cytoskelett und und auf die Frage, wie die einzelnen Pflanzenzellen miteinander kommunizieren und wie die Zellen auf Schwerkraft und Licht reagieren.
Was konntest du dabei herausfinden – sind Pflanzen feinfühliger als gedacht?
František Baluška:
Pflanzen nehmen allerlei Arten von sensorischen Informationen auf. Sie haben ihre pflanzenspezifische Version des Sehens, , Fühlens, Riechens, Schmeckens – alles, was wir Menschen auch können, . Denn eine Pflanze kann nicht ihren Standort wechseln. Also muss sie in der Lage sein, sich an den Standort anzupassen, an dem sie sich befindet. Das ist schwer. Tiere und Menschen können weglaufen und Schutz finden, wenn sie sich in unangenehmen oder gefährlichen Situationen befinden. Pflanzen nicht.
Darum sind Pflanzen sensorisch noch aktiver als Tiere. Jede Sekunde verarbeiten ihre Zellen viele, viele Informationen und treffen Entscheidungen, etwa wohin die Wurzel oder der Trieb wachsen soll. Pflanzen sind ständig in Bewegung. Sie passen die Richtung an, in die ihr Stängel, ihre Blätter und Wurzeln wachsen. Das nehmen wir gar nicht wahr, da die Veränderungen auf der Ebene der Pflanzenorgane so klein sind, dass wir sie nicht sehen können. Aber auf der Ebene der Zelle und des Gewebes spielt sich alles ganz schnell ab.
Sensorische Aktivitäten wurden bislang ausgehend von Menschen und Tieren charakterisiert. Pflanzen »sehen« und »hören« auch, aber anders als Menschen.
Wie unterscheidet sich das Sehen von Pflanzen und Menschen?
František Baluška:
Eine Pflanze hat keine Augen wie ein Mensch. Bisher sind rund 12 verschiedene Arten von für die Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Schotenkresse) definiert. Wie alle sicher wissen, .
Doch Fotorezeptoren befinden sich auch in den Wurzelspitzen, . Das ist sehr erstaunlich, denn normalerweise sind Wurzeln und ihre Spitzen tief in der Erde vergraben. Die Menge an Licht ist dort sehr, sehr gering. Aber es gibt noch ein wenig. Die Pflanze nutzt die Fotorezeptoren, um sich unter der Erde zurechtzufinden und vom Licht wegzuwachsen. Licht stresst die Wurzeln unheimlich.
Viele Pflanzen kommunizieren durch Duftbotenstoffe mit ihrer Umwelt, locken Bestäuber an oder warnen ihre Nachbarn vor Fressfeinden.
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Claudia Wieczorek
Inwiefern können Pflanzen »riechen« und »schmecken«?
Die beiden Sinne überlappen sich bei Pflanzen etwas. Studien zeigen, dass Pflanzen gewisse Geruchsmoleküle aussenden, um etwa Bienen anzulocken, Schädlinge abzuschrecken oder andere Pflanzen vor Gefahr zu warnen. Andersherum können sie das Herannahen von Fressfeinden und Warnungen riechen. Dabei dringen die Botenstoffe durch die Poren auf der Blattoberfläche ein, lösen sich im Zellwasser auf und binden sich an einen bestimmten Rezeptor, wodurch eine Abwehrreaktion des Blattes ausgelöst wird. Sie »schmecken« die Gefahr.
Es ist also eine Definitionssache: Wenn wir »Sehen« als die Fähigkeit definieren, Lichtunterschiede wahrzunehmen und darauf zu reagieren, können Pflanzen sehen.
František Baluška:
Ja. Dann sind sie darin sogar viel besser als wir, da sie viel schwächere Lichtquellen erkennen können. Vor allem die Wurzeln sind sehr lichtempfindlich.
Wir haben , die wir in einer Petrischale wachsen ließen. Wenn wir die Wurzeln grellem Licht ausgesetzt haben, aber ein paar Millimeter weiter einen dunklen Fleck gelassen haben, erkannten die Wurzelspitzen direkt die Lichtquelle.
Die Wurzelspitzen änderten sofort ihre Wuchsrichtung und bewegten sich auf den dunkleren Fleck in der Erde zu, obwohl dieser weiter entfernt war. Ein ganzes Stück weiter entfernt. Aus der Sicht eines Menschen – also, wenn ein Mensch die Wurzel wäre – wäre der dunkle Fleck ein paar Hundert Meter von uns entfernt. Das legt nahe, dass Pflanzen eine Art Sehvermögen haben.
Und wie können Pflanzen »hören«?
František Baluška: dass Wurzeln von dem Geräusch von fließendem Wasser angezogen werden. Das würde bedeuten, dass Wurzeln in irgendeiner Form hören können. Natürlich haben Wurzeln keine Ohren, .
Du kannst es dir so vorstellen, als wäre in jeder Zelle ein Mikro-Ohr und zusammen helfen sie der Wurzelspitze, die Quelle des Geräusches herauszufinden.
Zimmerpflanzen werden viele Eigenschaften zugeschrieben: Sie sollen die Luft reinigen, die Konzentrationsfähigkeit verbessern, sogar bei Depressionen helfen. Doch was davon kann wissenschaftlich nachgewiesen werden? Das erfährst du in diesem Text:
Es klingt so, als ob Pflanzen bewusste, informierte Entscheidungen treffen würden. Können sie das?
František Baluška:
Ja. Die Forschung der letzten Jahrzehnte zeigt das. Wächst eine Pflanze beispielsweise im Dunkeln, dann steckt der Keimling seine ganze Kraft in den Trieb, um sie möglichst hoch wachsen zu lassen, um Licht für die Fotosynthese zu finden. Die braucht sie zum Überleben. Die Wurzeln hingegen wachsen kaum und sind sehr kurz. Eine Pflanze, die an einem großen, hellen Fenster wächst, wird vermutlich längere Wurzeln haben als eine Pflanze, die an einem dunkleren Ort wächst.
Sind diese Verhaltensmuster nicht automatisiert und in den Genen vorprogrammiert?
František Baluška:
Nein, diese schnellen Reaktionen werden nicht direkt von Genen gesteuert. Sie geschehen innerhalb weniger Minuten, ohne die zu verändern. Das ist zu schnell. Die Änderung der Genexpression und die Aktivierung neu ausgedrückter dauert mehrere Stunden. Sehr oft muss die Pflanze jedoch sofort reagieren.
Wird eine Pflanze in Narkose verlangsamt sich ihre Reaktionszeit. Sie kann keine schnellen Entscheidungen mehr treffen und verzögert auch ihre Bewegungen. Wir haben in Experimenten gezeigt, . Sobald die Wirkung nachgelassen hatte, hatten sie wieder eine normale Reaktionszeit.
Das Verhalten ist nicht nur eine fest verdrahtete, automatische Reaktion eines mechanischen Systems. Davon gehen die meisten Menschen nach wie vor aus. Die Reaktionen beruhen auf verschiedenen sensorischen Informationen und einer zielgerichteten Planung.
Wenn Pflanzen bewusste Entscheidungen treffen können, stellt das sicher das Weltbild vieler Menschen auf den Kopf. Wie akzeptiert sind diese Forschungsergebnisse in der Wissenschaftscommunity?
František Baluška:
Dass Pflanzen nicht nur unbelebte Materie oder Halbleben sind, ist inzwischen reichlich belegt und weit akzeptiert. Auch dass sie Sinne haben und lernen können – es wird nur nicht »lernen« genannt, sondern man lässt sich andere Worte dafür einfallen.
Dass sie auch ein Bewusstsein haben könnten und Entscheidungen treffen können, ist noch nicht in der breiten Forschung angekommen. Das kann noch lange dauern. Die Forschung ist sehr traditionell und Dinge ändern sich nur sehr langsam. Obwohl die Wissenschaft offen für Neues sein und Änderungen nicht ausschließen sollte, macht sie das oft.
Pflanzen haben wie die Menschen 5 Sinne, wenn diese auch pflanzenspezifisch sind.
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Illustration:
Claudia Wieczorek
Warum? Hast du ein Beispiel?
František Baluška:
Es ist seit Langem bekannt, dass einige einzellige Algen sehen können. Das heißt, . Das war nicht so heftig umstritten wie die Erkenntnis, dass Pflanzen sehen können. Dabei haben sich Pflanzen aus Algen entwickelt.
Ich denke, das Unbehagen über kognitive Pflanzen kommt daher, dass wir Menschen von Pflanzen abhängig sind. Wenn sie Eigenschaften wie andere Tiere haben und ihre Umwelt aktiv wahrnehmen, ist uns das unangenehm. Da spielt auch das unterbewusste Gefühl eine Rolle, .
Manchmal ist es auch ein persönliches Problem: Ich kenne Leute, die ihr ganzes Leben lang über nicht empfindungsfähige Pflanzen forschen und deren gesamte wissenschaftliche Arbeit in Gefahr wäre, wenn sich herausstellen würde, dass Pflanzen empfindungsfähige und kognitive Organismen sind. Sie glauben, dass dies ihre gesamte Arbeit infrage stellen würde. Die Forschung muss sich anpassen
Ein Beispiel: Seit Jahren werden Pflanzen für alle möglichen Experimente in durchsichtigen Petrischalen herangezüchtet, in denen sogar das Wurzelsystem Licht ausgesetzt ist. Alle Daten, die aus diesen Experimenten erzielt wurden und noch werden, müssten neu interpretiert werden, da sich die komplette Pflanze in einem äußersten Stresszustand befindet und eventuell anders reagiert, . Am besten benutzt man eine Petrischale, die auf der Wurzelseite abgedunkelt ist. Das spielt in der Molekularbiologie bisher aber keine Rolle und wird ignoriert.
Förster und Buchautor Peter Wohlleben, der unter anderem den Beststeller »Das geheime Leben der Bäume« schrieb, gehört in Deutschland wohl zu den bekanntesten Stimmen zum Thema. Musstest du dich schon einmal mit ähnlichen Vorwürfen auseinandersetzen?
František Baluška:
Ich kenne ihn persönlich. Solchen Gegenwind hören wir immer wieder, aber es wird langsam weniger, da die Forschung zu Pflanzenverhalten, -kommunikation und -intelligenz immer akzeptierter wird.
Als ich 2005 die Gesellschaft für Pflanzenneurobiologie mitgegründet habe, ist das in der Wissenschaft auf Kritik Ein paar Studierende im Netzwerk hatten wegen der Vorurteile, die mit dem Namen assoziiert wurden, Karriereprobleme. Deswegen haben wir es in (Gesellschaft für Pflanzenkommunikation und Verhalten) umbenannt. Heute, fast 20 Jahre später, ist das Wort Pflanzenneurobiologie etwas mehr anerkannt und die neue Sichtweise auf Pflanzen stößt auf großes Interesse.
Warum ist es dir so wichtig, dass Menschen Pflanzen als eigenständige, aktive Lebensform anerkennen?
František Baluška:
Der Mensch ist Teil der Natur und manchmal ziemlich unwissend. Wir unterscheiden uns nicht wesentlich von anderen Lebewesen. Es ist bekannt, dass alle so genannten spezifischen menschlichen Eigenschaften gar nicht spezifisch für den Menschen sind. Zum Beispiel das Fühlen, Lernen und Erinnern. Langsam akzeptieren wir, dass einige Lebewesen diese Eigenschaften auch haben, wie Hunde und Delphine. Aber in Wirklichkeit haben alle lebenden Organismen diese Eigenschaften, weil sie einfach grundlegende biologische Merkmale sind. Natürlich in einer anderen Komplexität.
Wie schon gesagt: Wir sind auf Pflanzen angewiesen. Ohne Pflanzen könnten wir nicht überleben. Andererseits würden die meisten Pflanzen ohne den Menschen überleben. Nur einige heutige Nutzpflanzen, wie etwa könnten ohne unser Zutun nicht überleben. Außerdem sind Pflanzen wichtig für unser Klima, die Luft, die Erde und Wasserzirkulation. Wir sollten versuchen, sie besser zu verstehen, in ihrer ganzen sensorischen und kognitiven Komplexität.
Der Klimawandel hat bereits viele Kipppunkte erreicht. Die gute und die schlechte Nachricht zugleich: Er ist menschengemacht. Wir können also etwas dagegen tun. Als Umweltjournalistin geht Désiree folgenden Fragen nach: Wie können wir unseren Konsum nachhaltiger gestalten? Was müssen Firmen tun? Und wo muss sich das System ändern? Denn jeder Mensch und jedes Unternehmen kann Teil des Problems sein – oder der Lösung.