Warum dein Lieblingskrankenhaus schließen sollte
In Deutschland gibt es zu viele Kliniken. Dänemark zeigt, dass es anders geht. Schrumpfen wir uns gesund!
Als der Notarzt Falk Stirkat am Unfallort eintrifft,
Der Patient mit Rückenleiden hatte erst den ärztlichen Bereitschaftsdienst angerufen, war dort aber nicht durchgekommen. Deshalb wählte er die 112 und rief damit Falk Stirkat und sein Team zu sich.
Er hätte Herrn Stirkat wohl nicht gerufen,
Dass er und andere Menschen mit geringfügigen, also nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen dennoch den Notarzt rufen oder selbst in die Notaufnahme fahren, ist ein echtes Problem für unsere Notfallversorgung.
Deutschlands Ärzte sind überlastet
Jeder dritte Arzt in Deutschland unterschreibt bei Arbeitsbeginn die sogenannte Opt-In-Erklärung.
Ohne die Opt-In-Erklärung müssten Klinikbetreiber viel mehr Ärzte einstellen. Die hohe Arbeitsbelastung hat Folgen: Ärzte schlafen schlechter, sind tagsüber müde, haben ein höheres Suizidrisiko, sogar unter den jungen Berufsanfängern fühlt sich nur
Bei alldem stellt sich folgende Frage: Warum verschleißen wir unsere ärztliche Elite, obwohl das nicht nötig wäre? Denn in Deutschland gibt es keinen Ärztemangel: Kein einziger Fachbereich ist unterbesetzt. Die Gesamtversorgungsrate von niedergelassenen Allgemeinmedizinern liegt bei 110%. Bezieht man alle Fachärzte in die Berechnung ein, beträgt die Gesamtversorgungsrate sogar 130% –
Wenn Kliniken unterbesetzt sind und Ärzte Überstunden schieben, dann liegt das also nicht an der Personalsituation, sondern an strukturellen Mängeln.
Woran hakt es? Wie können wir gegensteuern? Ein Lösungsvorschlag in 3 Schritten:
- Telefonische Anfragen zentralisieren: Um Patienten die Angst vor Erkrankungen zu nehmen, benötigt Deutschland ein professionelles Callcenter. In Deutschland ist die
- Ambulante Versorgung verbessern: Vielleicht hätte der Patient sich aber auch missverstanden gefühlt und unbedingt persönlich einen Arzt sprechen wollen. Er wäre also trotz des Telefongesprächs in die Notaufnahme gefahren und hätte ärztliche Kapazitäten besetzt.
Auch manche Berufstätige suchen unnötigerweise die Notaufnahme auf, denn Hausarztpraxen schließen in der Regel um 17 oder 18 Uhr – zu früh. Um einen Termin zu bekommen, müssen Angestellte Urlaub nehmen. Oder sie fahren am Abend eben direkt ins Krankenhaus.
Hätte der Patient mit dem Rückenleiden vom Callcenter einen hausärztlichen Bereitschaftsdienst genannt bekommen, der sich in seiner Nähe befindet, hätte er sich wahrscheinlich dort hinbegeben – und die Notfallaufnahme der Klinik gemieden. Er würde von einem erfahrenen Hausarzt vielleicht sogar besser beraten werden, weil dieser mit der »Volkskrankheit« Rückenleiden besser vertraut ist als ein Assistenzarzt, der gerade Notdienst schiebt.
Eine Entlastung für Notfallambulanzen wären also hausärztliche Praxen, die 24 Stunden geöffnet haben. Selbstverständlich würde keine Hausarztpraxis dazu verpflichtet werden, diesen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst einzurichten. Hausärzte, die über die entsprechenden Kapazitäten in puncto Ausstattung und ärztliche Mitarbeiter verfügen, stünde es aber frei,
Nicht nur, aber auch für die
Mehr Ärzte, die telefonischen Bereitschaftsdienst leisten, mehr Hausärzte, die Nachtdienste machen oder online verfügbar sind – das klingt nach noch mehr Arbeit für die ohnehin schon ausgelastete Ärzteschaft. Stimmt! Deshalb müssen mit den oben beschriebenen Maßnahmen 2 Veränderungen einhergehen. - Kliniken reduzieren: Die erste Veränderung, die stattfinden muss: Patienten dürfen die Notaufnahme nicht mehr selbsttätig besuchen. Nur wenn man über die ärztliche Bereitschaft einen Termin bekommen hat oder der Notarzt einen im Krankenwagen mitnimmt,
Die zweite und entscheidende Veränderung: Jedes zweite Krankenhaus müsste schließen. Bei einigen schellen jetzt vielleicht die Alarmglocken: »Was passiert, wenn mein Kind Spülmittel getrunken hat? Was, wenn mein Mann von der Leiter fällt?« Zum Glück kann man solche berechtigten Sorgen schnell zerstreuen.
Politik und Bürger wollen ihr Krankenhaus behalten
Da stellt sich doch die Frage, wie es trotz wirtschaftlichen Drucks und Gewinnmaximierung möglich ist, dass so viele überflüssige Krankenhäuser betrieben werden. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen macht sich ein Kommunalpolitiker bei der Bevölkerung unbeliebt, wenn er eine Krankenhausschließung verkündet. Denn viele Menschen verbinden mit einem örtlichen Krankenhaus ein Sicherheitsgefühl, etwa weil dort eine eigene Behandlung oder die eines Angehörigen zu einer erfolgreichen Heilung geführt hat. Zudem assoziieren vor allem Bürger ländlicher Regionen Krankenhausschließungen mit der Strukturschwäche ihrer Gegend und fürchten, dass es mit ihrer Region nun weiter bergab geht. Will der Bürgermeister oder Landespolitiker wiedergewählt werden, dann lässt er die Krankenhäuser am besten genau dort, wo sie sind.
Viele Menschen verbinden mit einem örtlichen Krankenhaus ein Sicherheitsgefühl.
Ein zweiter und mindestens ebenso wichtiger Grund ist ökonomischer Natur: Eine überflüssige Klinik kann trotzdem rentabel sein, denn bestimmte Untersuchungen, wie zum Beispiel Herzkatheter-Untersuchungen, werden von der Kasse besser vergütet als andere. Also richtet sich eine Klinik ein Herzkatheter-Labor ein, auch wenn 5 Kilometer weiter eine andere Klinik bereits über ein solches verfügt. Das Problem: Es gibt kein Gesetz, das eine Maximalanzahl von Herzkatheter-Laboren in einem Landkreis vorschreibt. Besser wäre es aber, wenn komplexere Untersuchungen in wenigen und dafür sehr gut ausgestatteten Kliniken vorgenommen würden. Die dort tätigen Ärzte wären erfahrener, weil das Einzugsgebiet der Klinik größer wäre und sie die Untersuchungen oft durchführten. Und: Sie wären ausgeruhter, weil mehr Ärzte und Ärztinnen durch die Schließung ineffizienter Häuser zur Verfügung stünden.
Die Dänen machen es vor
Als Kritiker könnte man jetzt einwenden, die oben genannten Vorschläge würden womöglich gar keine Verbesserung bringen. Woher soll man wissen, dass eine Reduzierung der Klinikanzahl, eine Aufstockung der telefonischen Notrufannahme und die Einführung von hausärztlichen Bereitschaftsdiensten tatsächlich vorteilhaft sind? Die Antwort ist simpel: Das Ganze ist längst erprobt – und zwar in unserem Nachbarland Dänemark.
Im Jahr 2000 gab es dort noch 56 Akutkrankenhäuser, inzwischen sind es 21. Das heißt, es gibt heute nicht einmal mehr halb so viele Krankenhäuser wie noch vor 17 Jahren. Das bedeutet außerdem, dass ein Krankenhaus dort durchschnittlich 265.000 Einwohner versorgt. In Deutschland hat ein Krankenhaus ein Einzugsgebiet von etwa 75.000 Personen.
Angesichts dieser Zahlen könnte man annehmen, dass dänische Ärzte nun noch mehr arbeiten müssen, weil sie ja für viel mehr Patienten zuständig sind als deutsche Ärzte. Das Gegenteil ist der Fall. In Dänemark kommen durchschnittlich 18 Ärzte und mehr als 40 Krankenpfleger und Krankenschwestern auf 1.000 Patienten. In Deutschland behandelt das ärztliche Personal und das Pflegepersonal durchschnittlich
Das ist möglich, weil Ärzte und das Pflegepersonal in Dänemark durch Krankenhausschließungen nicht arbeitslos geworden sind, sondern auf wenige und viel größere »Super-Hospitals« verteilt wurden. Außerdem kommen weniger Patienten in die Notaufnahme, weil ihnen durch die telefonische
Und wenn ein dänischer Patient dann in die Notaufnahme kommt, bleibt er durchschnittlich kürzer dort als ein deutscher Patient in einer deutschen Notaufnahme. Nach 48 Stunden wird ein dänischer Patient aus der Bettenstation entlassen. Entweder wird er dann ambulant weiterversorgt oder auf eine »normale« Station verlegt. Nur 1/3 der dänischen Patienten wird stationär aufgenommen. In Deutschland ist es die Hälfte.
Nur 1/3 der dänischen Patienten wird stationär aufgenommen. In Deutschland ist es die Hälfte.
Die dänischen Ärzte und das Pflegepersonal werden durch diese Maßnahmen entlastet, weil weniger Arbeit zusammen mit mehr Kollegen erledigt wird. Auch die dänischen Patienten profitieren von diesem veränderten Gesundheitssystem. Zum einen, weil jede Notaufnahme sehr gut aufgestellt ist,
Zum anderen haben dänische Ärzte mehr Zeit für ihre Patienten, weil sie im Durchschnitt für geringere Fallzahlen verantwortlich sind.
Und wie sieht es mit dem Gesundheits-Outcome aus? Schaut man sich die häufigste Todesursache in Deutschland an –
– so ergibt sich folgendes Bild: Von allen Patienten über 45 Jahren, die in Deutschland mit einem Herzinfarkt in ein Krankenhaus eingewiesen wurden, verstarben 9 von 100 Personen auf Station.
Die geringfügig weiteren Wege zur Notfallstation und der Rückgang der Krankenhäuser führen also keinesfalls zu einer schlechteren Notfallversorgung. Aber ist dieses dänische Szenario realistisch für Deutschland? Seit dem Jahr 1991 ist die Anzahl der Krankenhäuser bei uns um etwa 20% gesunken. Behalten wir dieses Tempo bei, dann haben wir erst in den 2090er-Jahren eine ähnliche Krankenhausdichte wie in Dänemark.