So ticken Menschen, die nicht an unseren Staat glauben
Was tun, wenn ein Freund in die Szene der Verschwörungsgläubigen abrutscht? Meine Geschichte mit Markus, den Marionetten und der Reichsbürgerszene.
Es ist das Jahr 2017. Auf den Straßen ist Pegida noch ein Thema, der Diskurs in Talkshows dreht sich um Migration respektive angebliche »Überfremdung« und die Grenzen des Sagbaren. Von der Pandemie und dem Ukrainekrieg ist noch nichts zu ahnen.
Da stolpere ich auf sozialen Medien über einen Satz meines alten Freundes
Das ist doch nur die Wahrheit! Deutschland IST ein besetztes Land. Aufwachen!
Anlass ist ein Lied der Söhne Mannheims –
So auch Markus.
Ich kenne Markus von früher aus der Schule. Damals hörte er noch die
Als Markus einen Tag später der Facebook-Gruppe »Deutschland & Reichsbürger« beitritt, werde ich hellhörig. Auf seiner persönlichen Facebook-Seite finde ich ein geteiltes Video darüber, wie man aus der Bundesrepublik austritt. Ganz klar: Mein Schulfreund war dabei, ins Reichsbürgermilieu abzudriften – und ich startete den wenig hoffnungsvollen Versuch, ihn da rauszuholen.
Auch Jahre später lässt mich seine Geschichte nicht los und hat meine Sicht auf Verschwörungsideologien bis heute geprägt.
Das Reichsbürger-Einmaleins
Um zunächst einmal zu klären, mit wem sich Markus hier eingelassen hat, hole ich mir Verstärkung beim Psychologen Alexander Waschkau, der schon lange über die Szene recherchiert. Alexander Waschkau betreibt seit Jahren den Blog Hoaxilla, in dem er über
So ein Aufruf entspricht der Ideologie der Reichsbürger. Denn sie sind Verschwörungsgläubige, die der Bundesrepublik Deutschland gegenüber feindlich eingestellt sind. Ein anderes Wort für diese Szene wäre »Selbstverwalter«, das klingt erst mal unauffällig, bürokratisch und harmlos.
Neu ist das Phänomen nicht: Die erste Reichsbürger-Gruppe
- Staatsverweigerung: Reichsbürger:innen lehnen die Bundesrepublik und das Grundgesetz ab. Stattdessen glauben sie, das Deutsche Reich bestünde in früheren Grenzen bis heute
- Ablehnung jedes US-amerikanischen Einflusses: Viele Reichsbürger gehen zusätzlich davon aus, dass der Zweite Weltkrieg nicht rechtmäßig per Friedensvertrag beendet worden ist. Damit wäre das deutsche Volk nicht souverän und die BRD eine installierte Fremdregierung, die nur den Willen der eigentlichen Besatzer verwirklicht, vor allem den Willen der US-Regierung. USA-Feindlichkeit gehört damit zum Kern vieler Gruppen, vor allem,
- Widersetzen gegen Behörden: Da sich Reichsbürger nicht an den Staat und seine Organe gebunden fühlen, glauben sie, außerhalb des Gesetzes zu stehen. Sie bezahlen keine Rundfunkgebühren, Steuern und staatlichen Abgaben. Manche fahren Auto ohne Führerschein, bringen ihre Kennzeichen als Erkennungssymbol verkehrt herum an.
- Verschwörungsmythen: Reichsbürger bemühen diverse Verschwörungsmythen, um die eigene Weltsicht zu rechtfertigen. Sie betrachten sich selbst als die wenigen »Aufgewachten«, die diese angebliche Regierungsverschwörung der BRD durchschauen. Das macht Reichsbürger anfällig für andere Lügen wie
Viele von ihnen erkennen Gerichtsurteile und Bescheide von Ämtern nicht an, zerstören den eigenen Personalausweis und basteln (oder kaufen) sich neue Fantasiepapiere. Dadurch geraten sie
Das sagen die, die nicht an unseren Staat glauben wollen
Ich will die Welt verstehen, in die Markus sich hineinbegibt. Also erstelle ich mir mit einer neuen E-Mail-Adresse eines kostenlosen Anbieters ein neues Facebook-Profil unter falschem Namen, lade ein nichtssagendes Foto eines freien Bilderdienstes hoch und gebe ein paar Hobbys an. Als Beruf wähle ich Buchhändler und lege mir eine kleine Geschichte zurecht: finanziell eher erfolglos, Single, skeptisch gegen Asylpolitik und »Genderwahn«. Ich bitte die Facebook-Gruppe »Deutschland & Reichsbürger«, in der auch Markus unterwegs ist, um Aufnahme und werde prompt zugelassen.
Tagelang folge ich den Posts gegen Geflüchtete, gegen die Regierung und gegen »Systemmedien« – und klicke auf alle Empfehlungen. Schnell erschließt sich mir ein alternatives Weltbild mit eigenen Aufregern und Heilsversprechen – zusammengehalten durch Links, Werbebanner und Querverweise eines in sich geschlossenen
So lese ich über angebliche NATO-Kriege und die Opferrolle Russlands gegen die aggressiven USA, über Frühsexualisierung und warum wir Kinder davor schützen müssen und über angebliche Tabuthemen wie »Rassismus gegen Deutsche«. Übersteigertes Misstrauen scheint mir im Kern von vielen Beiträgen zu stecken. So stoße ich immer wieder auf das Thema Elektrosmog und auf Impfgegner – Jahre vor der Pandemie.
Ich klicke alle Links an und so lande ich in diversen Foren der rechtsradikalen Szene, in denen Aufmärsche organisiert und Nazisymbole geteilt werden – harter Tobak.
Nach 2 Wochen bin ich so weit abgehärtet, dass ich mich an Gespräche mit Reichsbürgern heranwage. Zunächst kommentiere ich Beiträge – ich weiß ja mittlerweile, worauf es ankommt. Hauptsache skeptisch, Hauptsache gegen die Behörden. Als »Neuling« nimmt man mich an die Hand. Mit manchen Reichsbürgern führe ich lange private Chatgespräche und lerne sie näher kennen:
- Iris’ Thema ist der Holocaust. Ihrer Überzeugung nach sei vieles gefälscht worden, um dem deutschen Volk Schuld einzureden und den »Juden zu ihrem Staat zu verhelfen«. Sie glaubt fest daran, dass Hitler die Konzentrationslager niemals zur Vernichtung erbaut hat. Die zahllosen dokumentierten Fotos der Befreiungen seien alle manipuliert und gestellt, im Auftrag der
- Axel will einfach aussteigen. Er wettert gegen Smartphones, Elektrosmog und all den »digitalen Dreck«, der das Leben aller Menschen angeblich zerstört. Sein Reichsbürgertum wirkt auf mich wie ein radikaler Ausstieg aus seinem Leben als unterbezahlter IT-Techniker. Auch Kapitalismuskritik schwingt bei ihm mit – Axel will nicht Konsument oder Bürger sein, sondern eine »natürliche Person«, eine beliebte Formulierung in der Szene. Die Mächtigen wollten alles digitalisieren, vor allem das Geld, um die totale Kontrolle zu bekommen, erklärt er. Da sei er endlich »aufgewacht«! Er hob alles Geld von der Bank ab und bezahlt nur noch konsequent bar. Holzweg oder nicht, ist ihm egal – besser überhaupt erst einmal raus »aus dem System«. Sein Traum ist eine Aussteigerkommune mit anderen auf dem Land – aber mit Internet. »Irgendwie muss man ja die Leute erreichen.«
- Markus kämpft gegen »die neuen Faschisten«. Das wird mir jedenfalls klar, als ich unter Decknamen auch mit meinem Schulfreund spreche. Seiner Ansicht nach sei die Bundesregierung die direkte Nachfolge des nie untergegangenen NS-Regimes und wer das nicht verstehe ein
Was ich aus zahllosen Chats mitnehme, ist der Einblick in eine sehr heterogene, exklusive Gemeinschaft, die ganz in ihrem gefühlten Rebellentum aufgeht. Der Feind ist das Establishment, vor allem die Bundesrepublik, aber eben nicht nur.
Was mich selbst erstaunt: Trotz faktisch falscher Annahmen und menschenverachtender Parolen wirken die Reichsbürger auf mich wie eine stabile Gemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützt, toleriert und selbst Mitgliedern mit absurden Ansichten Verständnis und Geborgenheit bietet. Man postet lustige Memes, muntert einander auf und hilft gar mit Tipps, »Widerstand« zu leisten.
Hallo ihr Lieben ;) Ich weiß nicht mehr, wie ich das SYSTEM Korrupte Drecks Pack der BRD GmbH ansprechen soll! Und Ja, ich habe sie mit ALLEN Beweisen konfrontiert! Und das schon seit zweieinhalb Jahren! […] Wie kann man dieses manipulierte Drecks PACK psychisch fertigmachen? Und wer kennt den richtigen Anwalt? Der auf die BRD scheißt? Sorry ;) mein’ ja nur.
Vielleicht ist es das, was Markus so angezogen hat. Ich lerne, dass er bereits vorher ein wirres Weltbild hatte und dieses nun nur mit neuem Selbstbewusstsein und von ähnlich Denkenden bekräftigt zur Schau stellt.
Nach knapp 4 Wochen in der Szene ziehe ich ein vorsichtiges Zwischenfazit: Reichsbürger haben starke Überschneidungen mit rechtsextremem Gedankengut, sind eher männlich, eher tierlieb, eher migrationsfeindlich und eher älter. Unter dem schwammigen Begriff versammeln sich Neonazis genauso wie Geschichtsleugner (Revisionisten), politisch unzufriedene Skeptiker und die, die einfach nur Geld damit verdienen wollen (Milieumanager).
Diese Mischung ist bunt, die Ideologie aber gefährlich.
Warum Reichsbürger gefährlich sein können
Auch wenn ich bisweilen für bestimmte Reichsbürger Mitleid und sogar Sympathie empfinde, bleibt eines doch ständig in meinem Bewusstsein: das Gefahrenpotenzial. Widerstand gegen den Staat ist ein zentrales Thema der Szene. Träume davon, die BRD mit Gewalt »hinwegzufegen«, werden generell akzeptiert und regelmäßig bejubelt. Immer wieder diskutieren einzelne Mitglieder über Mittel, sich zu verteidigen – von Pfeffersprays bis zu Schusswaffen –, und dass man »schon vorsorgen« müsse. Teilweise herrscht echte Endzeitstimmung:
Ich wünsche mir EIN Volk, das zusammensteht gegen die FinanzGmbH-BRD! Brüder, ein Volkssturm muss her!!!
Dass solche verbalen Gewaltfantasien nicht in digitalen Foren bleiben und sich auch in der echten Welt entladen können, dürfte
Immer wieder kommt es bis heute zu solcher Gewalt durch Personen der Szene. Manche horten Waffen und schießen auf Polizisten,
Aktionen gegen Reichsbürger werden seitdem gut vorbereitet. Erst Ende 2022 wurde bei einer der größten Polizeieinsätze der Bundesrepublik eine bewaffnete Gruppe des Milieus festgenommen. Unter den 52 Beschuldigten sind Ex-Elitesoldaten und eine frühere AfD-Bundestagsabgeordnete. Das Ziel: Das umzusetzen, wovon die Reichsbürger in ihren Gruppen schon immer fantasieren – die Bundesregierung zu
Doch Reichsbürger zu sein, bedeutet nicht zwangsläufig, gewaltbereit zu sein oder die Ideologie zu Ende zu denken. Das gab mir Hoffnung für Markus.
Wie weckt man einen Reichsbürger auf? Ich habe es versucht
Ich bin einen Monat mit meinem Pseudonym unterwegs, als es mir zu viel wird. Markus teilt gerade seinen Fund des Tages auf Facebook darüber, dass angeblich eine direkte Blutlinie von Adolf Hitler zu Angela Merkel besteht – da versuche ich spontan, ihn wachzurütteln. Direkt unter dem Post auf seiner Facebook-Seite gehe ich in die Offensive, halte dagegen, zweifele die Quellen an, zeige Logikfehler auf und schließe mit: »Das ist doch alles krude. Weißt du Markus, ich glaube, das ergibt keinen Sinn.«
Mein Versuch geht gehörig schief. Markus und seine neuen Freunde enttarnen mich als »Schlafschaf im Wolfspelz« und schließen mich nach einigen Beschimpfungen prompt aus.
Heute ist mir mein Fehler von damals klar: Ich hatte gewagt, in einem
Das weiß auch
- Private Gespräche suchen und gemeinsame Nenner finden. Gut funktionieren Hobbys und Erlebnisse. Das signalisiert dem anderen: Ich respektiere dich als Mensch.
- Zweifel säen statt entkräften: Harte Fakten helfen kaum gegen extreme Ideologien und werden notfalls einfach mit neuen Verschwörungsfantasien wegdiskutiert. Wer hier sachlich bleibt und mit Verständnisfragen die Ideologie abklopft, hat immerhin die Chance, dass nach dem Gespräch kritischer weitergedacht wird – eine Art Saat des Zweifels.
- Bei persönlichen Problemen unterstützen: Persönliche Probleme und Krisen sind nicht zufällig häufig in der Szene anzutreffen. Hier hilft keine »klare Kante«, sondern Verständnis, das Aufzeigen von Perspektiven abseits der Szene und das Weitervermitteln von Personen an Beratungsstellen, die wirklich etwas bewegen können.
Helfen kann man aber nur, wenn man den Kontakt nicht abbricht. Mein gescheiterter Versuch, Markus wachzurütteln, ist 6 Jahre her. Seitdem hat sich einiges getan.
Was danach passierte: Hoffnung für Markus
Das Reichsbürgertum entwickelt sich weiter. Doch anders als 2017 werden diese Entwicklungen stärker von Journalist:innen dokumentiert,
Auf der anderen Seite wurde die Szene in den vergangenen Jahren immer stärker von der AfD vereinnahmt. »Sie sind in jedem Fall ein Resonanzraum«, bestätigt auch AfD-Experte und Politikberater Johannes Hillje. Während sie auf der einen Seite von den Parteigänger:innen belächelt und herabgewürdigt werden (etwa der gescheiterte Aufstand als »Rentnergang«), bedient sich die
Manchen aus der Reichsbürgerszene kommen kaum noch mit bei all den Verschwörungsideen, die neuerdings eine Rolle spielen und nicht so ganz ins Weltbild passen wollen: von
Manche Reichsbürger haben davon langsam die Nase voll. So auch Markus. Der fordert plötzlich mehr Naturschutz auf sozialen Medien, statt gegen die Regierung zu wettern. Was ist da los?
Am liebsten würde ich von seinem Ausstieg aus der Szene berichten; von einer Erfolgsgeschichte mit Reue und einem Happy End. Doch so einfach ist es nicht. Ich treffe Markus vor einigen Wochen an der Seite einiger Freunde von damals wieder. Er redet viel davon, wie schlecht ihm das Internet eine Zeit lang getan habe – bis er einige Monate alle Medien ausgeschaltet habe.
»Ein Lebensumbruch«, erklärt er schulterzuckend. Markus ist älter geworden und nun Vater: »Da sieht man einige Dinge einfach anders.« Ich stimme ihm zu. Gerade habe er einen neuen Job angefangen im Gartenbaubereich – die Natur tue ihm gut und er habe weniger Zeit zu grübeln. Da arbeiteten auch manche mit Migrationshintergrund und seien »voll in Ordnung«. Als er anfängt, über Russland als angebliches Opfer der NATO zu reden, unterbreche ich ihn lieber und winke ab. Ich habe meine Lektion gelernt: Brücken bauen statt Konfrontation. Immerhin reden wir wieder miteinander, obwohl ich Journalist bin.
Markus scheint sich von ganz allein langsam aus der Szene und ihrem Verschwörungsdenken hinauszubewegen, die ihm nicht mehr das bietet, was er nun in seiner Familie und neuem Bekanntenkreis findet. Vielleicht ist genau dies das ganze Geheimnis.
Eine erste Version des Artikels wurde bei Perspective Daily zuerst 2017 veröffentlicht.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily