Rauf mit dem Gehalt, runter mit der Zurückhaltung!
Viele Großkonzerne machen Milliardengewinne, während Arbeitnehmende in der Inflation Maß und Mitte halten sollen. Das ist falsch. Warum die Löhne gerade jetzt steigen müssen!
Post-Chef Frank Appel kann sich freuen. Er hat mit der Deutschen Post AG 2022 ein richtig gutes Jahr hingelegt. Mehr als 8 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern. Das alles im Umfeld des russischen Angriffskrieges und der heftigen Inflation. Alles wird teurer –
Nach Warnstreiks einigten sich Gewerkschaft und Post AG auf durchschnittlich 11,5% mehr Lohn und eine Sonderzahlung von 3.000 Euro für die 160.000 Beschäftigten.
Zum Beispiel bei der Bahn. 12% oder mindestens 650 Euro mehr soll der Konzern zahlen,
Aktuell sind die Verhandlungen nach dem großen Warnstreik am 27. März, zu dem neben Verdi auch die EVG aufgerufen hatte, noch in der
»Gefährlich für uns alle!«, mahnen jetzt die ersten Wirtschaftsliberalen aus Ökonomie und Politik.
Die Gefahr besteht, dass überzogene Lohnforderungen und -steigerungen von 12% die Inflation noch anheizen, und die Lohn-Preis-Spirale sich unaufhaltsam weiter dreht.
Doch das Gegenteil ist richtig: Zahlreiche Großkonzerne fuhren Milliardenprofite ein. In Zeiten der Inflation sind saftige Lohnerhöhungen deswegen mehr als überfällig!
Wie das Gespenst der Lohn-Preis-Spirale die Profite der Konzerne schützt
Vielleicht wirst du dir jetzt denken: Lohn-Preis-was?
Das Konzept dahinter sieht so aus: Die Verhandlungsmacht von Arbeitnehmenden führt zu höheren Löhnen. Nun erhöhen die Unternehmen wiederum ihre Preise, um die Kosten für die höheren Löhne aufzufangen und weiterhin Gewinne machen zu können. Angesichts der dann weiter steigenden Preise fordern die Arbeitnehmenden erneut mehr Geld, weil alles teurer wird. Die Inflationsspirale dreht sich – und zwar im Worst Case unaufhörlich.
Dieses Phänomen ist keine reine Fantasie und kann durchaus gefährlich werden – allerdings ist die Lage in der aktuellen Situation eine andere.
Hier schreibt Chris Vielhaus, warum Sparen nicht gegen die Inflation hilft:
Denn die hohe Inflation kam vor allem
Viele ergriffen aber auch die Gunst der Stunde und langten etwas großzügiger zu, nahmen also zusätzliche Gewinne mit. Zuletzt verdichteten sich die Hinweise, dass einige Unternehmen einfach ausloten, was geht, und ihre Preise unabhängig von eventuellen Mehrkosten erhöhen.
Warum wir nicht Lohn-, sondern Profitzurückhaltung brauchen
Ökonom Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schreibt in einem Artikel für die Wochenzeitung Zeit, die Inflation werde derzeit weniger von Lohnerhöhungen, sondern vielmehr von eben diesen Unternehmensgewinnen befeuert.
Tatsächlich: Nicht nur die Post stand gut da,
So hat im vergangenen Jahr der Anstieg der Unternehmensgewinne einen doppelt so großen Beitrag zur Inflation geleistet wie die Lohnerhöhungen. In der Industrie haben die Löhne sogar gar nicht zu Preissteigerungen beigetragen, da sie lediglich den Anstieg der Arbeitsproduktivität widergespiegelt haben.
Die Inflation bedeutet einen echten Wohlstandsverlust. Millionen Menschen, die derzeit trotz eines Jobs in Armut leben, drohen jetzt noch tiefer in die Existenznot
Gibt es eine neue Streikkultur in Deutschland?
Mancher Artikel beschäftigt sich mit der Frage, ob sich die deutschen Gewerkschaften
Die Verwunderung über den untypisch heftigen Warnstreik von Verdi und EVG kann aber auch daher kommen, dass Gewerkschaften in Deutschland jahrzehntelang eine eher partnerschaftliche Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern gepflegt haben.
Die Exportweltmeisterschaft
Zudem entstand in den
Mehr Geld für alle hilft Friseuren, Imbissbuden und Handwerksbetrieben
Wenn die Unternehmensgewinne steigen, während die Arbeitnehmenden der Republik im Supermarkt abwechselnd vom leeren Portemonnaie auf die Gurke für 2 Euro starren, kann niemand deutliche Lohnerhöhungen als unangemessen bezeichnen.
Worüber keiner spricht: Auch die deutsche Wirtschaft kann von steigenden Löhnen profitieren. Denn wer jeden Cent 2-mal umdrehen muss, geht nicht öfter zum Friseur als unbedingt nötig, von Café- oder Restaurantbesuchen ganz zu schweigen. Mehr Lohn nutzt nicht nur denen, die ihn direkt aufs Konto bekommen. Die Unterstützung der Streiks durch die Bevölkerung ist also keine reine Nächstenliebe.
Dass immer mehr Medien und auch Ökonom:innen nun das Argument der Lohn-Preis-Spirale aktiv auf das Abstellgleis schieben, ist ein gutes Zeichen. Und auch in der Bevölkerung sind die Streiks nicht der große Skandal, den Bild und Co. herbeizuschreiben versucht haben.
So ist das vermeintlich beispiellose Chaos ausgeblieben, das der Warnstreik vom 27. März auslösen sollte. Zwar stand wie geplant vieles still, aber ein Chaos gab es nicht, auch keinen Sturm der Entrüstung. Die Bevölkerung hat sich nicht instrumentalisieren lassen, um den Kampf für eine Lohnerhöhung zu verhindern.
In diesem Jahr wird es sicher noch mehr Tarifabschlüsse mit einem Plus um die 10% geben, ähnlich wie bei der Post. Das sollten wir uns zumindest wünschen und uns solidarisieren – nicht zuletzt auch aus Eigennutz.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily