Diese Dinge gäbe es nicht ohne Staub
Staub kann nerven! Zum Beispiel Allergiker und Sauberkeitsliebende. Aber er ist besser als sein Ruf, denn ohne ihn gäbe es keinen Wein, keine Sonnenuntergänge, und statt Regen kämen herabfallende Sturzbäche vom Himmel.
Für sehr viele Menschen dürfte die Vorstellung, jede Stunde mehrere Millionen winziger Staubpartikelchen einzuatmen, entsetzlich sein. Wäre nicht eine ganz reine, durchsichtige Luft, eine Luft ohne Staub, ohne Partikel, ohne die Überreste, den Abrieb und die Exkremente ungezählter Wesen und Dinge viel besser, viel zuträglicher?
Solche Überlegungen sind nur allzu verständlich. Es ist logisch, dass Menschen vor der dicken Luft der Städte in die Berge fliehen, wo alle, die unter Allergien oder an Lungenerkrankungen leiden, Linderung erfahren, weil auf hohen Bergen die Luft wesentlich sauberer ist; ab 1.500 Metern gibt sogar die Hausstaubmilbe auf.
Das Buch

Ob als dicke Schicht auf dem Bücherregal oder als allergieauslösendes Blütenpulver im Frühling: Staub nervt! Nicht den Staubexperten Jens Soentgen. Er sagt: Ohne diese feinsten Teilchen stünde die Welt schlecht da. In »Staub – Alles über fast nichts« erklärt er, woher der ganze Staub kommt, für welche Naturprozesse er verantwortlich ist und warum selbst Kunst und Literatur von Staub abhängen.
Bildquelle: dtv VerlagDoch Staub ist nicht nur ein Lästling, nicht nur ein Schädling, er ist auch nicht nur ein Nebenprodukt der Zivilisation, sondern gehört, in den richtigen Mengen, sehr wohl zum großen Kreislauf der Natur, und eine Welt ganz ohne Staub wäre keineswegs die beste aller möglichen Welten!
In Staubgestalt nämlich werden Dinge und Stoffe beweglich, die sonst an ihrem Ort festsäßen; über den Staub können weit entfernte Lebewesen und Ökosysteme miteinander in Kontakt kommen. Der Staub ist ein Kunstgriff der Natur, um Grenzen zu überwinden. Er verflüssigt das Starre und macht lange Wege kurz. Er ist ein Zauberer, der die normalerweise geltenden Gesetze überwindet. Ihm verdanken wir mehr, als uns bewusst ist.
Das große Stauben
Ohne Staub fände das Wasser, das in der Luft unsichtbar als Wasserdampf unterwegs ist, keinen leichten Weg, wieder zur Flüssigkeit zu werden, um die Erde zu tränken. Denn Wasserdampf nutzt die feinen Staubpartikelchen in der Luft, um an ihnen zu kondensieren. Gibt es sehr viele Staubpartikel, dann bildet sich Nieselregen, der daher in Städten auch viel häufiger ist als auf dem Land. Fehlen Staubpartikel völlig, könnten sich Wolken nur noch sehr mühsam bilden, der Wasserdampf würde notgedrungen an den Felsen hoher Berge kondensieren und würde uns von dort in reißenden Sturzbächen entgegenkommen.
Regen könnte durch den Klimawandel irgendwann ganz ausbleiben. Wie sich Europa für diesen Notfall vorbereitet, haben Maria Stich und Désiree Schneider zusammengetragen:
Das Tageslicht wäre nicht mehr abwechslungsreich und farbig, nicht mehr durch Dunst und Wolken unendlich vielfältig abgetönt, sondern brutal und immer gleich grell, die Sonne würde zum Fluch. Das stimmungsvolle Abendrot fehlte ebenso wie das Morgenrot, Sonnenuntergänge gäbe es nicht mehr, das Blau des Himmels wirkte schwarz. Man müsste fragen, ob man überhaupt noch sagen kann, »es tagt«, denn in einer Welt ohne Staub kommt und geht die Sonne zwar wie gewohnt, aber sie wird überhell und monoton. Zimmer, deren Fenster nach Norden liegen, blieben düster, weil sie kaum mehr indirektes Himmelslicht empfingen.
Den Dunst der Ferne gäbe es nicht mehr; die Wolken und alle vertrauten Stimmungen würden verschwinden, zum Beispiel die neblige Herbstatmosphäre. Und es kommt noch schlimmer, denn dem Herbst fehlte nicht nur der Nebel, sondern auch die Ernte, die Weizengarben, Apfelkörbe, die Weinreben und damit das, was ihn ausmacht. Denn die Pflanzen könnten ohne Staub, nämlich ohne Blütenstaub, keine Früchte mehr bilden.
Staub ist nicht nur ein gesundheitsschädliches Etwas, er ist für sehr viele Prozesse in der Natur unerlässlich. Diese bedient sich ohne irgendwelche Berührungsängste des Staubes und macht sich seine besonderen Eigenschaften zunutze, seine feine Mobilität und seine Fähigkeit, in den letzten Winkel zu kommen, jeden noch so versteckten und weit entfernten Ort zu erreichen. Sie macht das Beste aus ihm.
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