Das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner. Die Sonne Spaniens, das Essen in Italien, die Natur in Norwegen. Nach einer Reise kommen wir oft mit dem Gefühl wieder: »Ach, warum gibt’s das hier nicht.« Sonnenschein und Natur können wir nicht mitnehmen, alles andere schon.
Darum haben wir uns gefragt: Welche Eigenschaft eines Landes, in dem du mal gelebt hast, würdest du exportieren?
Katharina Wiegmann: Tschechien steht auf (Höflichkeit)
Für wen gibst du deinen Sitz in der Straßenbahn auf? Eine ältere Dame, eine Schwangere. Eine vollbepackte, erschöpft aussehende Frau oder Kinder, die eigentlich ganz fit aussehen?
Wer in Tschechien mit den Öffentlichen unterwegs ist, muss den Überblick behalten. Wer nicht schnell genug von seinem Platz aufspringt, sobald Vertreter der genannten Gruppen im Sichtfeld auftauchen, erntet zumindest kritische Blicke. Wenn die Mitreisenden besonders kritisch sind, gibt es vielleicht sogar einen mahnenden Kommentar oder einen Knuff in die Seite. Auch konzentrierte Lektüre geht nicht als Entschuldigung durch.
Tram, Bus und U-Bahn bilden in Tschechien Inseln der Rücksichtnahme und Höflichkeit. Natürlich bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel. Das Maß an konstanter Aufmerksamkeit gegenüber den Mitreisenden und die umgehende waren neu für mich, als ich meinen Wohnsitz vor 4 Jahren nach Prag verlegte. Die überraschten Reaktionen von Touristen bestätigten meinen Eindruck immer wieder.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
Richtig angekommen war ich wohl, als ich einen jungen Italiener für meine wenig gebrechlich aussehende Mutter vom Sitz scheuchte – zur Verwunderung beider. Aus der Reihe hinter ihnen nickte mir derweil eine tschechische Rentnerin mit einem Lächeln anerkennend zu.
Maren Urner: In Kanada gibt es offiziell 2 Sprachen
Wie viel Platz ist auf einem Verkehrsschild? In Kanada genug, um 2 Sprachen unterzubringen: »Stop« und »Arrêt« steht auf jedem achteckigen Schild, das zum Anhalten auffordert.
Auch wenn heute viele Menschen 2 oder mehr Sprachen sprechen, gehört Kanada weltweit zu den wenigen Staaten, die Das bedeutet nicht, dass alle Kanadier fließend französisch und englisch sprechen. Häufig ist eher vom die Rede, der das Land von der Gürtelschnalle an der Ostküste aus entlang der Grenze zu den USA umspannt. Trotzdem sind fast alle Kanadier
Während meines Auslandssemesters in Montréal 2006 habe ich gemeinsam mit 2 frankophonen Kanadierinnen, einem anglophonen Kanadier und einem anglophonen Inder zusammengewohnt. Die Zweisprachigkeit begegnete mir nicht nur im WG-Zimmer und auf Straßenschildern, sondern war die ganze Zeit präsent – sogar auf jeder Verpackung im Supermarkt.
Ich könnte nun über die Doch ein anderes Phänomen wurde mir in Montréal von Tag zu Tag bewusster: Mehrsprachigkeit erzeugt Akzeptanz und Demut. Akzeptanz der anderen Sprache, dem gegenüber, und Demut gegenüber der eigenen Sprache. An jeder Straßenecke steht: Meine Muttersprache ist nur eine von vielen.
Felix Austen: Südspanier leben auf der Straße
Ein Leben auf der Straße? In Sevilla im spanischen Andalusien ist das anders: Dort findet das Leben aller tatsächlich auf der Straße statt. So auch meins, als ich dort 2011 ein halbes Jahr studierte.
Wenn die Hitze des Tages verflogen ist, strömen die Menschen in die Gassen: Sie sitzen auf den warmen Steinplatten der vielen Plätze, stehen vor einer der unzähligen Bars oder sitzen im Außenbereich eines Restaurants. In der Rechten ein kaltes Getränk, Das hat natürlich mit dem Klima zu tun: In Andalusien ist es das ganze Jahr lang warm und sonnig. Ich erinnere mich, wie ich im Januar im T-Shirt durch die Straßen spazierte, während die Nachrichten Bilder von eisbehangenen Straßenlaternen auf Mallorca zeigten.
Hinzu kommt die lange Mittagspause, die Siesta, aber auch die Warum also nicht schon am Mittag Warum auch immer: Für viele Spanier ist die Stadt das Wohnzimmer. Hier verbringen sie den Abend mit Freunden und Familie. Anstatt sich in kleine Wohnungen oder stickige Bars zu quetschen, gehen die Menschen einfach zu ihren angestammten Ecken, im Vertrauen darauf, ein paar Bekannte zu treffen. Die Straßen sind belebt, Kinder spielen bis spät in den Gassen, man fühlt sich sicher. Das Schönste an diesem besonderen Gefühl der gegenseitigen Verbundenheit: Jeder, der neu ist, muss nur den Fuß vor die Türe setzen,
Peter Dörrie: Religiöse Toleranz in Burkina Faso
Kann in dem und der Welt vormachen, wie gelebte religiöse Toleranz aussieht? Ja! In Burkina Faso ist das möglich. Alles, was es dazu braucht, ist die richtige Einstellung.
Die meisten Burkinabé sind deutlich gläubiger als der durchschnittliche Deutsche. Bierernst nehmen ihre Religion deshalb aber nur die wenigsten. Wenn an dem Opferfest, Ziegen das Zeitliche segnen, sitzen die christlichen Verwandten und Freunde selbstverständlich mit am Tisch. Genauso wie die muslimischen Nachbarn zu Weihnachten. Der Glaube der Anderen wird hier nicht als Bedrohung der eigenen Identität wahrgenommen. »Man ist zuerst Mensch und Burkinabé, erst dann Christ oder Muslim«, ist ein häufiger Spruch.
Diese Überzeugung ist Zu tief reichen die persönlichen Beziehungen zwischen den Religionen. Praktisch jede Familie ist religiös gemischt, Die Burkinabé mögen sein, religiöser Dogmatismus liegt ihnen aber fern. Am deutlichsten wird das in den vielen Kneipen, in denen auch Muslime den lokalen Favoriten unter den Biermarken »Brakina« und »So.B.Bra« zusprechen – alles andere als bierernst also.
David Ehl: Leben mit dem Terror in Israel
Neulich entdeckte ich in Köln darauf die Aufschrift »Zum Festplatz«. Darunter stand weiß auf hellblau »Wollen wir so leben?« und der Aufruf, Die Message: »Terroristen rasen überall in Lkw umher, fürchte dich!«
Das ist statistisch betrachtet völliger Unsinn – auch nach dem Anschlag vom
An das Leben mit dem Terror hat man sich in Israel schon längst gewöhnt. 2015/16 habe ich ein halbes Jahr in Jerusalem und Tel Aviv gelebt – Diese Gewöhnung in der israelischen Gesellschaft hat weder mit Gleichgültigkeit noch mit Fatalismus zu tun, sondern vor allem mit der stoischen Feststellung: Die Attentate werden nicht weniger, wenn wir uns verkriechen. Also leben wir ganz normal weiter unser Leben.
In meinen 6 Monaten war ich 2–3 Mal relativ nahe dran – direkt in der ersten Woche Jerusalem stand unser Taxi plötzlich im weil es ein paar hundert Meter weiter eine Schießerei gegeben hatte. Trotzdem habe ich nach ein paar Wochen kapiert, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, in den falschen 5 Minuten am falschen Ort zu sein. Die wichtigste Erkenntnis, die wir uns von Israel abschauen können, ist:
Dirk Walbrühl: Vorfahrt für Fahrräder in den Niederlanden
Die Niederländer fahren Rad. Das weiß jeder. Seit 5 Jahren lebe ich in einer Kleinstadt an der deutsch-niederländischen Grenze. Um Freunde zu besuchen, fahre ich häufig hinüber – auf 4 motorisierten Rädern überhole ich dabei die wenigen deutschen Fahrradfahrer, die sich auf Bürgersteigen oder einem schmalen Streifen am Fahrbahnrand zurechtfinden müssen.
Auf der anderen Seite steige ich selbstverständlich aufs Fahrrad um. Eins ist immer übrig – schließlich hat Auf 2 Rädern unterwegs zu sein, ist vom Schulkind bis zur Geschäftsfrau im Business-Outfit für die Niederländer völlig normal – und das liegt nicht nur Und war tatsächlich nicht immer so.
In den 1970er-Jahren Was folgte, war eine intensive Förderpolitik, bei der immer galt: Fahrradfahrer haben Vorfahrt. Die haben sie seitdem etwa Parkgebühren für Autos sind extrem teuer, Parkplätze am Straßenrand selten und vor Ampeln gibt es Sammelbereiche, in denen sich Fahrradfahrer vor Autos platzieren können. Zweispurige, von der Straße getrennte Radwege gehören zur Grundausstattung. damit die Bewohner Das wurde sogar zum Exportschlager und Kopenhagen und Münster.
Doch die Begeisterung hat auch einen Preis. nehmen es Radfahrer mit den Verkehrsregeln häufig nicht so genau und gehen dabei unnötige Risiken ein. Auch ich erwische mich dabei, wie ich auf niederländischen Radwegen Autos ausbremse und anschließend schimpfe:
Han Langeslag: Britische, höfliche Ignoranz für ein friedliches Zusammenleben?
Knapp 37% Die sprechen Trotz dieser großen kulturellen Vielfalt schaffen es Londoner verhältnismäßig gut miteinander auszukommen. Ab der zweiten Generation als eins: britisch!
Der Ort, an dem alle zusammenkommen, ist der einige Waggons lange und 2 Meter breite Raum unter der Erde: Hier sitzen und stehen jeden Tag Millionen Menschen dicht beieinander. Schweigend, mit Musik in den Ohren, stehend mit dem Kopf gegen die Tür gelehnt, zwischen 3 anderen eingequetscht ein Buch oder auf dem Smartphone lesend. London erinnert hier an einen Ameisenhaufen. Man hat ständig Menschen um sich herum, sodass es wichtig ist, Distanz zu halten.
Gesprochen wird in der Tube wenig. Es sei denn, man tritt ausversehen auf den Schuh eines Nachbarn. Dann kann man sich des fast reflexartigen »Sorry!« gewiss sein. Durchaus höflich. So lässt sich die Interaktion auch außerhalb der Tube beschreiben. Beim Einkauf lächelt der Inder, wenn er mir einen »Good day!« wünscht. Der Busfahrer aus Bangladesch nickt mir freundlich zu, wenn ich mit einem »Beep«-Geräusch für meine Fahrt mit dem roten Doppeldecker mit meiner Oyster-Karte Auf meine winkende Bewegung zu den beiden heftig diskutierenden Sicherheitsbeamten ernte ich 2 schnelle »Hi!«, die eine davon Britin mit Cockney-Akzent, der andere ein Nigerianer mit afrikanischem Akzent.
Vielleicht ist genau das der »Trick«, warum es in London noch immer relativ gut funktioniert: sich höflich zu ignorieren. Gespräche bleiben oberflächlich – und das ist gut so. Alles andere ist privat, frei nach dem Motto »leben und leben lassen«.
Mit Illustrationen von
Lucia Zamolo
für Perspective Daily
Uns ist wichtig, in der Redaktion gemeinsam zu arbeiten: In der Regel wird jeder Artikel während seiner Entstehung mit 3–4 Autorinnen und Autoren aus dem Team besprochen. Es gibt aber auch Texte, die in einer noch engeren Zusammenarbeit entstehen oder womit wir uns als Redaktion geschlossen positionieren wollen. Diese Texte stehen dann für das ganze Team von Perspective Daily.