In der Heldenschmiede gegen Terrorismus
Suleiman Bakhit will Kinder aus der arabischen Welt durch Comics zu Helden machen, damit sie nicht als Kanonenfutter der Extremisten enden. Für den Jordanier ist klar: Wer auf die falsche Prävention setzt, wird den Kampf gegen den Terrorismus verlieren.
»›Wer sind eure Helden?‹, frage ich die Kinder. Sie blicken mich grübelnd an und sagen: ›Eigentlich haben wir keine Helden, aber wir hören viel über Osama Bin Laden und
Der jordanische Unternehmer und Comic-Autor Suleiman Bakhit steht in einem vollen Klassenzimmer in Amman, der Hauptstadt Jordaniens. Ihm gegenüber sitzen Schulkinder aus überwiegend armen Familien. Ihre Antworten schockieren Bakhit. Die Kinder sind heldenlos, doch legendentreu. Ein Schlüsselmoment für ihn, in dem er beschließt: Diese Jugendlichen und Kinder verdienen richtige Helden und keine Blutkrieger, die im Namen Gottes töten.
Von dieser Szene berichtet Bakhit gern, wenn er mit Journalisten spricht oder einem großen Publikum die Idee für seine Comic-Helden erklärt. 2006 gründet er die
Nach seinem Auftritt beim
Das Terror-Virus bekämpfen
Suleiman Bakhits Biografie liest sich wie die eines Draufgängers: Der 38-Jährige ist Sohn des ehemaligen jordanischen Premierministers und ging für das Studium nach Amerika. Dort verprügelte ihn nach den Anschlägen des 11. Septembers eine Gruppe von Männern aus Fremdenhass mit zerbrochenen Bierflaschen. Doch er ließ sich nicht einschüchtern und studierte weiter an der Universität in Minnesota. Knapp 8 Jahre später wurde er wieder attackiert. Dieses Mal vor seinem Büro in Jordanien, wo ihn Unbekannte mit einer Rasierklinge wegen seines Comic-Aktionismus übel zurichteten. Davon blieben ihm die markante Narbe und der unbedingte Wille, dem Hass zuvorzukommen.
»Wir brauchen ein Gegengift und zwar schnell! Damit unsere Jugendlichen nicht als Kanonenfutter des IS enden.«
»Gewalttätiger Extremismus und die Weitergabe extremistischer Ideologien infiziert unsere Jugend wie ein Virus. Dafür brauchen wir öffentliche Präventionsmaßnahmen, bevor die Jugendlichen sich unheilbar anstecken«, sagt Bakhit. Doch die Zeit drängt:
Doch Prävention ist nicht gleich wirksame Prävention. Laut Bakhit richten sich viele Anti-Terror-Kampagnen gegen die falschen Symptome: vornehmlich gegen die Medien-Propaganda des IS. Al-Qaida hat es vorgemacht: Durch Medienpublikationen wie dem
Virtuelle Einladung zu Gewalt
Wenn der radikal-islamistische Terror der Taliban Stufe 1.0 war und der von Bin Laden die zweite Eskalationsstufe, dann könnte man den des IS als Terror 3.0 bezeichnen.
»Es ist ein Fehler anzunehmen, dass diese Videos allein der Grund dafür sind, dass Jugendliche sich Extremisten anschließen«, warnt Suleiman Bakhit. Er ist davon überzeugt, dass Prävention nicht dort beginnt, wo man versucht, IS-Publikationen zu zensieren oder Jugendlichen durch Anti-Terror-Werbung zu zeigen, wie »uncool« Terroristen eigentlich sind. Ein solches Anti-Propaganda-Projekt ist die CIA-Kampagne
Suleiman Bakhits Comics werden oft als eine ähnliche Strategie der Gegenpropaganda missverstanden. Doch der Autor will nicht einfach nur seine Form von Popkultur gegen den
Am Ende wirkt jedoch nicht nur die Aufmachung, sondern auch der Inhalt. Das gilt sowohl für Bakhits Comics als auch für die Medienpropaganda des IS: »Wir machen einen gewaltigen Fehler, indem wir die
Die vergiftenden Narrative des IS
Nach dem eingangs geschilderten Besuch in der jordanischen Schule studierte Bakhit die Narrative von Al-Qaida und anderen radikalen Islamisten-Gruppen, um zu verstehen, warum sich ihnen Menschen anschließen. Er zieht ein beunruhigendes Fazit: »Wir sind unterlegen. Die Extremisten sind uns Lichtjahre voraus in der Verbreitung ihrer Narrative.« Dabei identifiziert er 3 Haupt-Erzählungen, mit denen der IS weltweit rekrutiert:
- Der Westen ist im Krieg mit dem Islam: Ein Narrativ, das durch den Einmarsch der Amerikaner 2003 im Irak verstärkt wurde. Damals begründete der amerikanische Präsident George W. Bush den Militäreinsatz damit, das irakische Regime unter Saddam Hussein lagere nukleare Waffen ein –
- Die ungläubigen Eindringlinge: Al-Qaida und der IS ziehen eine Parallele zwischen dem Einfall fremder Mächte und Armeen in der arabischen Welt heute und den Kreuzzügen im Heiligen Land. 1099 eroberte das Kreuzfahrer-Heer Jerusalem und hielt die Stadt knapp 90 Jahre lang bis zur Rückeroberung durch Sultan Saladin.
- Die muslimischen Heuchler: Mit diesem Narrativ legitimiert der IS die Morde an Muslimen, die nicht seine Auslegung des Korans teilen. So töten sie neben
Der IS braut ein toxisches Gemisch zusammen, das er den Rekruten verabreicht.
Der Mythos dieser 3 Erzählungen wird genährt durch die Ungerechtigkeit und das Leid, denen sich die muslimische Welt ausgeliefert sieht. Der Syrienkrieg liefert neue Nahrung. Die Narrative treiben viele junge Menschen in die Arme der Extremisten. Jugendliche fühlen sich ausgeschlossen, minderwertig und gedemütigt – durch Kriege, durch Repressionen in arabischen Staaten und auch durch den Rassismus, dem Menschen ihrer Religion und Herkunft wegen in westlichen Ländern ausgeliefert sind. Die Missachteten erleben ein Gefühl großer Scham. In ihrem Leben läuft anscheinend etwas grundlegend falsch, etwas, worauf der Einzelne keinen Einfluss hat. Dieses Gefühl übersetzt der IS in Hass. Suleiman Bakhit spricht von einer »vergiftenden Scham«: »Der IS kommuniziert ihnen, dass sie der Heilige Krieg von dieser Scham erlösen wird.«
Das toxische Gemisch aus den 3 Haupt-Narrativen, vergiftender Scham und dem Versprechen, ein Held zu werden, funktioniert für den IS. Die primitive Selbstdarstellung in Hinrichtungsvideos und Kampfansagen trügt. Suleiman Bakhit gehört zu den wenigen Menschen, die die komplexe Strategie dahinter erkannt haben. Lange Zeit suchte er nach einem Gegengift für das Terror-Virus und lernte dabei von den Besten: den Extremisten selbst.
Die neue Liga der arabischen Helden
Terroristen erzählen von ihren Märtyrern und Kriegern als Helden. Groß, mächtig und erstrebenswert. Ihre Helden tragen Kalaschnikows und metzeln damit Menschen nieder. Sie sprengen sich mit viel Dynamit in die Luft und reißen hunderte Menschen mit in den Tod – das ist ein Fall für Bakhits Helden-Liga: »Es ist wie bei David gegen Goliath: Mach deinen Nachteil zu deinem Vorteil. Unser Nachteil ist, dass Terrorismus sich als Heldentum tarnt. Ich mache das zu meiner Stärke und setze eine positive
Der Krieg Gut gegen Böse, Comics gegen Extremisten klingt naiv. Bakhit ist sich aber sicher, dass seine Erzählungen einen der wichtigsten Beiträge zum Kampf gegen Extremismus leisten. Denn sie sollen Kinder ermutigen, sich selbst zu erfinden. Das steht im krassen Gegensatz zu den Narrativen der Extremisten, die nicht viel Raum für Selbstentfaltung lassen und die individuelle Persönlichkeit mit Hass ersticken. Bakhit hingegen ist davon überzeugt, dass aus Scham auch
Dabei musste Bakhit mit seinem Helden-Projekt bereits viele Rückschläge einstecken: Comics im arabischen Raum zu vertreiben, ist immer mit einem großen finanziellen Risiko verbunden. Der Markt ist sehr klein. Vor 3 Jahren geht Suleiman Bakhit das Geld aus, um seine Firma weiter zu finanzieren. Er schließt das Büro in Jordanien. Wie es weitergehen soll, weiß Bakhit nicht. Er schnallt sich einen Rucksack auf und nimmt eine Auszeit in Thailand.
Doch als er zurück nach Jordanien kommt, passiert etwas Unerwartetes: Seine Heldinnen eilen ihm zu Hilfe. 2 junge Jordanierinnen bitten ihn um ein Treffen. Eine von ihnen legt Bakhit ein selbst gestaltetes Comic-Heft vor. Eine eigene Geschichte, zu der sie seine Comics inspirierten. Aus der Begegnung schöpft er Kraft für ein neues Projekt: den »Hero Factor«. Sobald die Finanzierung dafür steht, möchte er sein Comic-Angebot erweitern. Indes teilt Bakhit weiterhin seine Heftchen an Schulen aus. Laut eigenen Angaben hat er bereits 1,2 Million Exemplare verteilt oder verkauft. Die Zukunft, so will es Suleiman Bakhit, soll nicht den Extremisten, sondern selbstbewussten Helden gehören.
Titelbild: Suleiman Bakhit - copyright