Letzte Generation: Ihr müsst umdenken!
Die Diskussionen um die Proteste der »Klimakleber« werden immer hitziger. Auf der Straße werden die Aktivist:innen sogar angegriffen. Die Aktionen sind wichtig, aber sie treffen die Falschen. Wie es anders gehen könnte.
Ist es überhaupt noch möglich, sich sachlich und konstruktiv mit den Protesten der Letzten Generation auseinanderzusetzen? Ich bin mir nicht sicher, aber will es in diesem Meinungsbeitrag versuchen. Denn die Diskussionen über die Proteste der Klimabewegung sind inzwischen über die Maßen emotional aufgeladen: Autofahrer:innen regen sich bei jeder Straßenblockade gehörig auf, manche Autofahrer (absichtlich nicht gegendert) packen auch gerne mal zu und schleifen Protestierende von der Straße.
Bilder eines Vorfalls, bei dem ein
Angestachelt werden sie von der Axel-Springer-Verlagsgruppe, deren Medien Bild und Welt immer wieder Rechtsexpert:innen zitieren, die zumindest das Wegtragen der Aktivist:innen als
Hier schreibt Dirk Walbrühl über diese Vergleiche:
Polizist:innen drohen vor laufender Kamera mit
Das ist die eine Seite. Andererseits sorgt das alles für Solidarität mit den Aktivist:innen, vor allem bei klimabesorgten Menschen. Auch ich sympathisiere mit ihnen, denn die Klimakrise ist ein zentrales und drängendes Problem der Menschheit. Aber je länger diese Proteste andauern, desto mehr Zweifel kommen in mir auf, ob die Letzte Generation wirklich auf dem richtigen Weg ist. Nicht, ob sie mit ihrer Ansicht recht hat, Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken und Gegenmaßnahmen zu fordern, sondern damit, wen sie mit ihren Aktionen treffen.
Eine nicht repräsentative Umfrage des NDR gibt Hinweise darauf, dass ich mit den Zweifeln nicht allein bin: Mehr als 70% der gut 12.000 Teilnehmenden finden die Aktionen der Aktivist:innen überhaupt nicht oder eher nicht angemessen. Auch unter Menschen, die mehr Klimaschutz fordern,
Es ist vielleicht wirklich an der Zeit, dass die Letzte Generation ihre Proteste auch auf mögliche Kurskorrekturen untersucht. Wie es anders laufen könnte und warum die Gruppe dafür nicht weichgespülter werden müsste.
Es braucht Proteste, die Aufmerksamkeit erzeugen, aber …
Die Letzte Generation wertet die aktuelle Klimapolitik der Bundesregierung als eklatant unzureichend, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen – was auch stimmt. Sie will deshalb allen Menschen gewaltlos, aber beständig auf den Senkel gehen und so den Politiker:innen Dampf machen, sich mehr für adäquate Klimapolitik einzusetzen und endlich wirklich etwas zu verändern.
Aktuell geht es etwa um ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen, ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket und die Gründung eines Gesellschaftsrats. Darin sollen zufällig ausgeloste Menschen Maßnahmen erarbeiten, um aus der Verbrennung fossiler Energieträger auszusteigen. Das sind alles Maßnahmen, die – vielleicht abgesehen vom Gesellschaftsrat – bereits greifbar und relativ leicht umzusetzen sind. Sie können den
Der Störfaktor der Letzten Generation ist Kalkül, klar. Die Menschen sollen so genervt von den Protesten sein, dass sie den Parteien, die nicht handeln, mit einer Abwahl drohen. Die Politik muss dann handeln. Aber was passiert wirklich? Politiker:innen wie Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) laden die Aktivist:innen zu einem Gespräch ein,
So setzt sich nur eine Spirale der Eskalation in Gang, die am Ende das Gegenteil davon erreicht, was sie eigentlich will: Hetze gegen wichtige Klimapolitik und steigende Gewaltbereitschaft gegen Menschen, die sich für das Klima einsetzen.
Der Weg in eine klimaneutrale Welt führt über mehr soziale Gleichheit
Mir ist klar, dass sich die Aktivist:innen viele Gedanken über Form und Ziel ihres Protests gemacht haben, das verrät ein Blick auf die Website,
Warum blockieren die Aktivist:innen Berliner Taxifahrende, Pendler:innen, die zur Arbeit müssen, schlecht bezahlte Paketlieferant:innen, Lkw-Fahrende und Eltern, die ihre Kinder pünktlich zur Kita bringen müssen? Diese Leute sind nicht auf der Straße, weil sie nichts Besseres zu tun haben, sondern weil sie ihren oft geringen Lebensunterhalt verdienen müssen. Manche pendeln auch aus Außenbezirken in die Städte, weil sie sich das Wohnen zentrumsnah nicht mehr leisten können. Sie sind täglich ohnehin viel Stress ausgesetzt und sorgen sich oft zusätzlich,
Die Folgen sozialer Ungleichheit sind enorm. Wissenschaftliche Erkenntnisse unterstreichen das: Wer weniger Geld und einen schlechteren Zugang zu Bildung hat, dem
Sie sind das Hauptziel der Proteste, aber nicht die
- Konzerne sind die Übeltäter: 30 Konzerne verursachen allein
- Vor allem die Reichen erzeugen CO2: Die reichsten Teile der Bevölkerung akkumulieren nicht nur immer mehr Vermögen, sondern stoßen auch
Hier anzusetzen, könnte sich lohnen. Die wenigen reichen Unternehmer:innen, die mit Limousinen zu Privatjets fahren, jucken die Klimaproteste auf deutschen Straßen bisher wahrscheinlich herzlich wenig. Diesen Eindruck machte zumindest gerade erst der deutsche Verleger Julien Backhaus in einer ZDF-Sendung, in der er auf einen Vertreter der Letzten Generation traf. Auf die Frage, wie der bekennende Privatjetnutzer seiner Verantwortung für die Umwelt nachkomme,
Die Mehrheit der Menschen gehört nämlich nicht zu denen, die »ganz oben sind« und nach Gusto die Erde verschleißen. Je ärmer die Menschen, desto weniger konsumieren sie und produzieren pro Kopf entsprechend nur einen Bruchteil des Ausstoßes der Reichen und Superreichen – nicht nur im globalen Vergleich,
So wird aus der »Letzten Generation« die »Beste Generation«
Hier zeigt sich ein Lösungsweg! Der Klimaprotest der Letzten Generation muss die Frage der sozialen Gerechtigkeit mitdenken. Blockiert Privatjets, keine Polos! Blockiert die Limousinen von Vorstandsbossen und Politiker:innen, nicht die Fiats von Menschen, die unsere Eltern pflegen, auf unsere Kinder aufpassen, unsere Abflüsse reinigen und unsere Supermarktregale befüllen. Die Ziele, wofür die Klimaaktivist:innen kämpfen, sind auch für diejenigen relevant, die sie mit den Blockaden gegen sich aufbringen. Sie alle müssten ein Interesse daran haben, dass die Klimakrise so stark wie möglich begrenzt wird, dass sich die Belastungen durch Klimafolgen für sie verringern und dass sie dabei finanziell nicht schlechter gestellt werden. Die Menschen im Stau, die jetzt gegen die Aktivist:innen ätzen und sie gelegentlich sogar verletzen, sind eigentlich natürliche Verbündete, die man braucht, um den politischen Mehrheitskampf in einer Demokratie zu gewinnen.
Was läge also näher, als gezielt diejenigen zu nerven, die die Klimakrise zu einem großen Teil zu verantworten haben? Die Konzerne, die Superreichen und die Politiker:innen, die beständig Limbo unter der Latte der Pariser Klimaziele hindurch tanzen?
Im November 2022 blockierten Aktivist:innen von Greenpeace und Extinction Rebellion friedlich Privatjets am Amsterdamer Flughafen. Anfang April 2023 kündigte der Flughafen an, ab 2025 keine Landungen von Privatjets mehr zuzulassen und auch die jährlich etwa 10.000 Nachtflüge zu verbieten –
Während ich die letzten Korrekturen in den Computer tippte, startete die Letzte Generation übrigens eine Aktion auf dem Berliner Flughafen BER, wo Aktivist:innen ein Kleinflugzeug mit Farbe beschmierten. Es wirkte wie die Amsterdamer Aktion im November, in Mini-Ausführung. In der Pressemitteilung dazu heißt es:
Gegen die Ziele der Letzten Generation – Tempolimit, 9-Euro-Ticket oder Gesellschaftsräte – lässt sich nicht viel sagen. Erstaunlich ist, dass sie deutlich weniger radikal sind als die Protestmethoden. Aber mit gewaltfreien Aktionen gegen Luxusmodelabels, Nobelkarossenhersteller, Energiekonzerne oder Superreiche lässt sich sicher mehr breite Zustimmung einfahren als mit den Aktionen an irgendwelchen Kreuzungen.
Die sorgen zwar für Spektakel im Boulevardjournalismus, aber in diesem Fall bin ich mir nicht sicher, ob schlechte PR besser ist als gar keine PR. Denn demokratische Mehrheiten zu ermöglichen ist ein anderes Geschäft, als mit Schockwerbung einfach nur Bekanntheit zu erzielen,
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily