Unser Essen ist viel stärker genetisch verändert, als wir denken
Gentechnisch verändertes Essen ist schlecht für die Ökosysteme und die Gesundheit – so lauten 2 der gängigsten Bedenken. Der Biotechnologe Robert Hoffie erklärt, was dran ist an diesen Vorbehalten und woran die Forschung gerade arbeitet.
Trockenheit, extreme Niederschläge, neue Schädlinge und Krankheitserreger: Die Landwirtschaft hat mit immer neuen Herausforderungen zu kämpfen, besonders mit dem Fortschreiten der Erderhitzung.
Schon seit Langem arbeiten Forschende daran, Pflanzen so zu züchten, dass sie auch unter widrigen Bedingungen wachsen. Und nicht nur das: Im Laufe der Jahrhunderte haben Menschen dafür gesorgt, dass viele Getreide-, Obst- und Gemüsesorten heute mehr Nährstoffe enthalten, besser verträglich sind und besser schmecken als früher.
Nicht nur können Forschende verschiedene Pflanzenarten miteinander kreuzen, um gewünschte Eigenschaften zu kombinieren. Zusätzlich haben sie heute ganz andere Möglichkeiten: Sie können Gene gezielt verändern. Neue Verfahren in der Gentechnik, allen voran machen das möglich – führen aber auch zu neuen Fragen und Ängsten.
Die EU-Kommission überlegt derzeit, die Möglichkeiten der Genomeditierung in Zukunft anders zu regeln. Bald soll dazu ein Gesetzentwurf im Parlament vorgebracht werden. Details sind bislang nicht bekannt.
Kritiker:innen von Gentechnik sagen: Die neuen Gentechnikverfahren seien unberechenbar und sollten nicht gelockert, sondern im Gegenteil noch stärker reguliert werden. Wissenschaftsorganisationen wie die Leopoldina und die Deutsche Forschungsgemeinschaft sprechen sich hingegen dafür aus, nicht die Technik zu regulieren – sondern die Produkte, egal wie sie gezüchtet wurden.
Wir haben dem Biotechnologen Robert Hoffie unsere drängendsten Fragen zur sogenannten »Grünen Gentechnik« gestellt – und mit ihm über Risiken und Potenziale gesprochen.
Perspective Daily:
Als Biotechnologe verändern Sie Pflanzen mithilfe gentechnischer Verfahren. Was bedeutet das konkret?
Robert Hoffie:
Der Schwerpunkt unserer Forschung liegt im Bereich der Genomeditierung. Genomeditierung gibt es schon länger, die meisten Verfahren waren aber schwierig zu handhaben. Der richtige Durchbruch kam vor etwa 10 Jahren mit CRISPR/Cas, auch Genschere genannt.
Damit arbeiten wir hauptsächlich an Gerste, Weizen, Mais und ein paar anderen Kulturpflanzen. Zum Beispiel haben wir versucht, Gerste so zu verändern, dass sie resistent gegen eine bestimmte Viruserkrankung wird.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Robert Hoffie:
Es gibt mehrere Gene, die für die Virusanfälligkeit der Gerste verantwortlich sind. Durch gezielte Veränderung eines dieser Gene mithilfe der Genschere konnten wir eine Linie produzieren, die resistent gegen die Viruserkrankung ist.
Wir kannten die Resistenz schon aus der Genbank unseres Instituts. Dort haben wir 150.000 Saatgutmuster von Kulturpflanzen und ihren wilden Verwandten eingelagert. Zum Beispiel sehr alte Sorten aus Südostasien, bei denen dieses Gen defekt ist – das heißt, in manchen dieser alten Sorten ist es
Klassischerweise würde man versuchen, durch Züchtung und Einkreuzen eine neue Sorte zu entwickeln, bei der das virusanfällige Gen auch abgeschaltet ist. Das ist in diesem Fall schwierig, weil sich das dieser Gerste nicht gut mit dem der Kulturgerste kombinieren lässt. Es wäre kompliziert, die Pflanzen so zu kreuzen, dass man die ganzen anderen negativen Eigenschaften der alten Sorten loswird, die man eigentlich gar nicht mag.
Wieso?
Robert Hoffie:
Es sind viele Faktoren, aus denen sich die Eigenschaften einer Sorte zusammensetzen. Resistenzen sind das eine. Aber dann gibt es natürlich noch den Ertrag, Inhaltsstoffe und ackerbauliche Faktoren wie den Aussaat- und Erntezeitpunkt – Eigenschaften, die man beibehalten will. Obwohl man die Virusresistenz der alten Sorte schon über 10 Jahre kennt, gibt es deshalb noch keine Sorten damit.
Dank der Genschere CRISPR konnten Sie also eine virusresistente Gerstensorte im Labor züchten. Angebaut wird Ihre Gerste aber noch nicht, oder?
Robert Hoffie:
Genau. Weltweit gesehen befinden wir uns in einem Übergangsstadium. Wir forschen gerade vor allem daran, Funktionen von Genen aufzuklären. Und das war auch das Hauptziel von meinem Projekt: die Funktion der Gene zu untersuchen.
Als Institut entwickeln wir keine eigenen Sorten, sondern Wissen. Dieses Wissen könnten Züchtungsfirmen theoretisch nutzen, um beispielsweise virusresistente Gerstensorten zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.
Und in der Praxis?
Robert Hoffie:
Firmen arbeiten schon mit diesen Techniken. Aber nur, wenn sie auch außerhalb von Europa einen Absatzmarkt haben.
In Japan ist zum Beispiel die erste Tomate auf dem Markt, die mithilfe von CRISPR verändert wurde. Sie produziert eine bestimmte Aminosäure, die die Gesundheit verbessern soll – .
Das klingt nicht besonders bahnbrechend.
Robert Hoffie:
Nein, bisher gibt es in der Praxis noch keine richtigen »Aushängeschilder«. Aber das muss man einordnen: Die Technik an sich gibt es erst seit 10 Jahren. Nach ihrer Entdeckung wurde sie auch in Pflanzen adaptiert, das ging relativ schnell. Es ist erstaunlich, dass überhaupt schon erste Anwendungen auf dem Markt sind. Und »Aushängeschilder« sind in der Pipeline für die Marktreife.
Bei den Tomaten ging es um gesundheitliche Aspekte. Sie arbeiten an einer Virusresistenz. Was hoffen Sie, kann die Forschung mit Genomeditierung erreichen?
Robert Hoffie:
Mittelfristig sehe ich auf jeden Fall Potenzial bei Krankheitsresistenzen, also dabei, Pflanzen widerstandsfähiger gegen Erreger zu machen, vor allem gegen Pilze und Viren.
Aus 2 Gründen: Zum einen sind diese Bereiche sehr gut erforscht. Wir kennen viele Gene, die für Resistenzen verantwortlich sind. So haben wir konkrete Ziele, die wir mithilfe der Genomeditierung so verändern können, dass die Pflanzen resistent werden. Und zum anderen beruhen diese Eigenschaften in der Regel auf einem oder wenigen Genen.
Mit CRISPR haben wir eine Technik, die sehr präzise ist und mit der wir vor allem solche Eigenschaften verändern können, die von wenigen Genen vererbt werden.
Gibt es noch andere Eigenschaften, die man so »erzeugen« könnte?
Robert Hoffie:
Inhaltsstoffe zu verbessern ist ein weiteres Zuchtziel; eigentlich schon immer. Denken wir an Raps: Der hat bis in die 70er-Jahre nur Industriefett geliefert, weil das Öl nicht als Lebensmittel geeignet war.
Durch Züchtung ist daraus eine Pflanze geworden, die ernährungsphysiologisch eines der hochwertigsten Öle produziert. In solchen Fällen sind es oft einzelne Schlüsselgene, die man ausschalten kann, damit eine Pflanze einen bestimmten Inhaltsstoff nicht mehr produziert. So lässt sich die Qualität der Produkte verbessern.
Die Züchtungsziele sind nach wie vor die gleichen, wir haben jetzt nur mehr Möglichkeiten, sie zu erreichen.
Es wird auch darüber diskutiert, Pflanzen widerstandsfähiger gegenüber Hitze und Trockenheit zu machen. Damit soll die Ernährungssicherheit bei fortschreitender Erderhitzung gewährleistet bleiben. Ist es eine realistische Hoffnung, das mithilfe von Genomeditierung zu erreichen?
Robert Hoffie:
Das ist ein Punkt, der polarisiert. Es gibt die Befürworter von Gentechnik, die zu stark vereinfachen und sagen: »Wir züchten mit CRISPR Klima-Wunder-Pflanzen!« Und dann gibt es die, die sagen: »Nee, das geht nicht.« Die Realität liegt irgendwo dazwischen.
Sie haben eine virusresistente Pflanze mithilfe von CRISPR entwickelt. Ist es bei Klimawandel-resistenten Pflanzen wirklich so viel komplizierter?
Robert Hoffie:
Nehmen wir die Toleranz gegenüber Trockenheit. Es gibt leider nicht das Trockentoleranz-Gen. Pflanzen brauchen etwa besonders gutes, tiefes Wurzelwachstum, müssen aber auch die Wasserverdunstung gut regulieren können, um Trockenheit auszuhalten.
Das sind alles Einzelaspekte, die sich mit klassischer Züchtung Stück für Stück bearbeiten lassen. Mit der Zahl der Gene, die ich kombinieren will, steigt der züchterische Aufwand aber exponentiell. Das lässt sich auf CRISPR übertragen: Wenn man die verantwortlichen Gene kennt, kann man sie genauso Stück für Stück mit Genomeditierung bearbeiten. Aber es ist komplizierter, als an einer Eigenschaft zu arbeiten, die nur von wenigen Genen abhängt.
Also ist Gentechnik keine Lösung für die Folgen der Erderhitzung?
Robert Hoffie:
Genomeditierung ist kein Allheilmittel. Es ist einfach eine sinnvolle Ergänzung der Züchtung. Die Technik kann einen Beitrag dazu leisten, Pflanzen zu verbessern. Dazu gehört auch die Anpassung an ein sich veränderndes Klima. Es wäre aber falsch, zu erwarten, dass wir einen Schnitt mit der Genschere machen und unsere Pflanzen dann nicht mehr vertrocknen.
Wieso verwenden wir nicht einfach Pflanzen, die schon hitzeresistent oder resistent gegen Erreger sind? Wie die alten Sorten aus Asien oder ?
Robert Hoffie:
In der Pflanzenzüchtung gibt es schon einen globalen Austausch. Diese Sorten eins zu eins in Europa zu nutzen, wird aber nicht funktionieren, weil viele andere Aspekte mitbeachtet werden müssen.
Wenn wir eine Pflanze aus eher trockenen Regionen anbauen wollen, dann kommt sie aus südlicheren Weltgegenden. Dort sind dann zum Beispiel die Tageslängen andere. Pflanzen reagieren darauf mitunter sehr empfindlich. Soja wächst bei uns bisher nicht so gut, weil die Pflanze
Wollen wir sie hier anbauen, müssen wir das ändern. Entweder mit klassischer Züchtung – was länger dauert – oder mithilfe von Genomeditierung.
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Ist es möglich, dass durch Genomeditierung Arten entstehen, die so in der Natur nicht entstehen könnten?
Robert Hoffie:
Kulturpflanzen sind per Definition menschengemacht. Unter natürlicher Selektion wären sie nicht entstanden. Wir haben Pflanzen durch gezielte Selektion, Domestikation und Züchtung extrem an unsere Bedürfnisse angepasst. Gleichzeitig sind sie darauf angewiesen, dass der Mensch sich um sie kümmert, sie erntet, aussät und vor Feinden schützt.
Ein einfaches Beispiel ist Getreide: Wenn in der Natur bei Gräsern die Samen reif werden, zerbricht normalerweise die Ähre. So können sich die Samen ausbreiten. Das ist natürlich unpraktisch, wenn man das Getreide ernten und mit nach Hause nehmen will. Deswegen haben Landwirtinnen und Landwirte schon vor Tausenden Jahren – mit Beginn des Ackerbaus – angefangen, Getreide so zu selektieren, dass die Ähre nicht mehr bricht.
Das wiederum ist für eine Pflanze in der Wildnis super unpraktisch, weil sie sich von selbst nicht mehr verbreiten kann. Deswegen gibt es eigentlich auch keine Beispiele für Kulturpflanzen, die sich invasiv ausbreiten: Sie schaffen es ohne menschliche Hilfe nicht.
Einige Kritiker:innen fürchten, dass genomeditierte Pflanzen weiter mutieren, ohne dass es Forschende bemerken. Und zwar so, dass sie zum Beispiel giftig werden oder Allergien verursachen. Gibt es dieses Risiko?
Robert Hoffie:
Ich würde sagen, dass dieses Risiko bei klassischer Züchtung viel größer ist. Schon ohne Genomeditierung entstehen grob über den Daumen gepeilt etwa 100 Mutationen pro Pflanzengeneration. Das heißt: Jede Generation unterscheidet sich in 100 Mutationen von der vorherigen – und wir fügen noch eine oder wenige Mutationen hinzu.
In der konventionellen Pflanzenzüchtung wird dafür mit Techniken wie Bestrahlung oder Chemikalien gearbeitet, um die Mutationsrate zu erhöhen. Dabei kommt es zu Tausenden Mutationen in einer Population, die viel schwerer zu überblicken sind als die gezielten Veränderungen mit der Genschere. Es gibt im Hintergrund Mutationen, die ich gar nicht sehe und bei denen ich auch gar nicht weiß, wo ich suchen sollte.
Prinzipiell lässt es sich aber nicht ausschließen, dass durch eine Mutation während der Züchtung das Risikopotenzial einer Pflanze erhöht wird. Es gab Fälle, bei denen man eine Resistenz aus einer Wildpflanze in eine Kulturpflanze einkreuzen wollte und . Darauf sollte man also ohnehin immer achten, nicht nur bei genomeditierten Pflanzen.
Kann man denn irgendwie sichergehen, dass ein Gen genau so verändert wird, wie man es gerne hätte?
Robert Hoffie:
Es gibt schon eine kleine Zufallskomponente. Welches Gen angesteuert wird, bestimmt man über 20 Buchstaben im genetischen Code. Das ist sozusagen die Adresse, mit der die Genschere losgelassen wird. Sie sucht den gesamten DNA-Strang in der Zelle ab, bis sie die Stelle mit der richtigen Adresse findet. Dort setzt sie den DNA-Schnitt.
Dieser Schnitt wird dann von der Pflanze repariert. Dabei entstehen Fehler. Das heißt: Bei dieser einfachsten Anwendung der Genomeditierung warten wir auf zufällige Fehler an dieser vorher von uns bestimmten Stelle.
Und wie geht es dann weiter?
Robert Hoffie:
Wenn wir so ein Experiment machen, entstehen dabei üblicherweise 30–50 Pflanzen. Bei denen schauen wir uns an, welche Mutationen an der Position des Genoms passiert sind, die wir angesteuert haben.
Bei geschätzt 80% der Mutationen gehen 1–2 Buchstaben des genetischen Codes verloren. Das führt in der Regel dazu, dass ein Gen abgeschaltet wird. Wir züchten aber nur mit den Pflanzen weiter, die sich so verändert haben wie geplant.
Die Diskussion um die Zielsicherheit der Genschere ist deshalb wichtiger, wenn es um medizinische Anwendungen geht. Denn beim individuellen Patienten muss man wirklich zu 100% sicher sein, dass nur die Stelle geschnitten wird, die etwa für eine Krankheit verantwortlich ist – und dass sie sich so verändert, dass es dem Patienten nicht schadet.
»Gentechnik« weckt in der Bevölkerung trotzdem immer noch sehr viele Ängste. Laut einer Umfrage von Forsa im Auftrag des Umweltinstituts München im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 . Umweltorganisationen kämpfen seit Jahren dagegen an, viele Lebensmittel tragen »Ohne Gentechnik«-Label. Was sind nach Ihrer Erfahrung die häufigsten Bedenken?
Robert Hoffie:
Früher gab es vor allem die Sorge, dass das Essen von gentechnisch veränderten Pflanzen gesundheitlich bedenklich wäre. Nachdem wir mit klassischer Gentechnik mehrere Jahrzehnte Erfahrung haben – zwar nicht in Deutschland, aber weltweit gesehen –, ist das eher in den Hintergrund getreten.
Es gibt keinen Fall, in dem jemand auch nur leichte gesundheitliche Einschränkungen hatte, weil er eine gentechnisch veränderte Pflanze gegessen hat.
Jetzt drehen sich die Bedenken eher um die Umweltauswirkungen: Können sich die Pflanzen invasiv ausbreiten? Welche Folgen haben sie für Ökosysteme? Auch sozioökonomische Auswirkungen sind ein häufiges Argument gegen Gentechnik: Wer produziert das Saatgut und wer profitiert davon? Wer hält Patente und hat Zugang zu den Techniken?
Sie meinten gerade, dass es nach mehreren Jahren mit klassischer Gentechnik keinerlei gesundheitliche Schäden gab. Ganz am Anfang haben wir aber darüber gesprochen, dass noch keine Pflanzen – bis auf die Tomaten – auf dem Markt sind, die mit CRISPR editiert wurden. Wie kann man da schon etwas über die Langzeitwirkungen sagen?
Robert Hoffie:
Ja, da kommt die Diskussion manchmal durcheinander. Das ist mir an dieser Stelle auch passiert: Ich habe mich bei der Erfahrung auf die konventionelle Gentechnik bezogen, bei der Gene von einem Organismus in einen anderen übertragen werden.
Die prominentesten Beispiele in der kommerziellen Anwendung sind die Bt-Pflanzen. Bei diesen hat man ein bakterielles Gen des Bacillus thuringiensis (daher die Abkürzung Bt) auf Mais, Baumwolle und Auberginen übertragen, um sie resistent gegen Insekten zu machen. Dann gibt es außerdem ein bakterielles Gen, das die Pflanzen resistent gegen Glyphosat macht. Mit diesen Sorten haben wir langjährige Erfahrung.
Das klingt wie eine Art Henne-Ei-Problem. Sorten, die mit der neuen Technik entwickelt wurden, dürfen nicht aufs Feld, weil sie angeblich gefährlich sein könnten. Deswegen lässt sich nicht unter realen Bedingungen beweisen, dass sie ungefährlich sind. Lassen sich die Risiken dennoch abschätzen?
Robert Hoffie:
Es gibt im Moment keinerlei Anhaltspunkte dafür, weshalb das Risikopotenzial dieser Pflanzen erhöht sein sollte. Aus wissenschaftlicher Sicht finde ich es unschlüssig, dass einzelne gezielte Mutationen ein höheres Risiko haben sollten als zufällig entstehende oder zufällig induzierte Mutationen.
Genau deswegen können wir meiner Ansicht nach auch die langjährigen Erfahrungen mit der »ganz alten« Gentechnik, nämlich der Mutagenese, als Vergleich heranziehen.
Es ist also nicht alles, was mit Gentechnik zu tun hat, rechtlich eingeschränkt?
Robert Hoffie:
Nein, die Mutagenese fällt zwar unter die Gentechnikdefinition, wurde aus der Regulierung des Gentechnikrechts aber rausgenommen, weil man dieses Verfahren als sicher angesehen hat. Mutagenese meint das, was ich vorhin schon erwähnt habe, nämlich dass Pflanzen etwa mit Chemikalien behandelt oder bestrahlt werden, damit Mutationen entstehen. Wenn es sicher ist, Tausende Mutationen zu induzieren, dann ist es auch sicher, eine Mutation zu induzieren.
Aber irgendwie müssen neu entwickelte Pflanzen doch trotzdem untersucht werden, oder?
Robert Hoffie:
Alle neuen Pflanzensorten in Europa brauchen eine amtliche Sortenzulassung. Die bekommen sie, wenn sie die 3-jährige Sortenprüfung bestehen. Das ist im Sortenrecht geregelt. Es kommt also kein Samenkorn in Europa unreguliert in die Erde. In der Sortenprüfung wird aber vor allem auf landwirtschaftliche Kriterien geprüft. Also zum Beispiel, dass die Pflanzen gleichmäßig reifen oder wie krankheitsanfällig sie sind.
Es macht aber durchaus Sinn, für spezifische Merkmale weitere Eigenschaften zu untersuchen. Wenn ich Inhaltsstoffe verändere, kann es sinnvoll sein zu prüfen, ob dadurch andere Stoffe stärker produziert werden, die beispielsweise ein allergenes Potenzial haben.
Wenn ich ein Allergen reduzieren möchte, muss geschaut werden, ob die Reduktion ausreicht, um allergische Menschen wirklich zu schützen. Nehmen wir das Beispiel glutenfreier Weizen, an dem derzeit gearbeitet wird: Hier muss sicher sein, dass jemand mit Zöliakie diesen Weizen essen kann, ohne Symptome zu entwickeln.
Oder Stichwort Schädlingsresistenz: Hier ist die Resistenz die Eigenschaft, die einen potenziellen Einfluss auf die Umgebung haben kann – und nicht die Technik, mit der sie gezüchtet wurde.
Ihrer Ansicht nach wäre es also sinnvoller, das Produkt zu regulieren und es nicht aufgrund der Technik, mit der es erzeugt wurde, einzuschränken. Würden Sie sich wünschen, dass die EU ihr Gentechnikrecht dahingehend ändert?
Robert Hoffie:
Ja, das halte ich für sinnvoll. Das habe aber nicht ich mir ausgedacht, sondern das ist zum Beispiel auch seit Langem der Vorschlag der Aus wissenschaftlicher Sicht wäre eine Produktzulassung die sinnvollste Lösung. Politisch ist sie sicher die komplizierteste. Denn das würde bedeuten, dass klassische Züchtung etwas stärker reguliert wäre als bisher.
Inwiefern?
Robert Hoffie:
Man könnte dann zum Beispiel schauen: Gegen welche Herbizide ist die Pflanze tolerant? Diese Toleranzen werden in der klassischen Züchtung genauso erzeugt. Man würde fragen: Was für Stoffe werden dadurch ausgebracht, wenn wir diese Pflanze zulassen? Was bedeutet das für die Umwelt? Egal, ob sie konventionell oder mithilfe von Genomeditierung gezüchtet wurde.
Was bedeutet die aktuell starke Regulierung von Gentechnik in der Praxis?
Robert Hoffie:
In den wenigen Fällen, bei denen gentechnisch veränderte Pflanzen zum Anbau in Europa zugelassen wurden, haben die Verfahren in der Regel mehr als 10 Jahre gedauert. Dabei macht die Sicherheitsbewertung nur einen kleinen Teil aus – mit Fütterungsstudien an Ratten und Anbauversuchen.
Die meiste Zeit frisst das politische Tauziehen danach. Selbst dann, wenn die wissenschaftliche Bewertung zu dem Urteil gekommen ist, dass die Pflanzen genauso sicher sind wie ihre nicht gentechnisch veränderte Ausgangslinie. Und das war bisher immer der Fall.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Ich habe keinen Zweifel daran, dass genomeditierte Pflanzen wie alle anderen Sorten erfolgreich bestehen. Aber 10 Jahre sind eine zu lange und vor allem teure Zeit – das frisst die ganzen Vorteile der neuen Technik gegenüber konventioneller Züchtung wieder auf.
, dass die Klimakrise real und menschengemacht ist. Gibt es bei Gentechnik einen ähnlichen wissenschaftlichen Konsens, dass sie unbedenklich ist?
Robert Hoffie:
Mir sind keine seriösen Umfragen in der Richtung bekannt, die solche plakativen Zahlen erfasst haben. Die Gentechnikforschung ist eine sehr viel kleinere Community als die Klimawissenschaft. Aber wenn man auf die Positionen der Leopoldina und vergleichbarer Wissenschaftsorganisationen weltweit schaut, besteht Einigkeit, dass die Technologien nicht gefährlicher sind als die klassische Züchtung. Und dass die Eigenschaften einer Pflanze ausschlaggebend sind und nicht die Züchtungsmethode, mit der sie erzeugt wurden.
In der Politik ist man sich weniger einig. Während der Pandemie haben sich Politiker:innen sehr auf die Wissenschaft berufen und darauf vertraut, was Forschende und Wissenschaftsorganisationen sagen. Warum ist das bei Gentechnik so anders?
Robert Hoffie:
Eine sehr gute Frage. Eine mögliche Erklärung: Die Debatte über Gentechnik kam in den 90er-Jahren auf und es wurde vieles aus der Anti-Atomkraft-Bewegung übertragen. Viele haben damals große Konzerne und die Unkontrollierbarkeit von Technologie kritisiert. Wer politisch seine Karriere darauf aufgebaut hat, gegen Gentechnik zu sein, für den ist es schwierig, da jetzt irgendwie wieder rauszukommen.
Kommen wir noch einmal zu einem anderen Kritikpunkt, den Sie vorhin genannt haben: den Patentschutz. Kritiker:innen der Gentechnik sorgen sich, dass große Agrarkonzerne darauf aus sind, mit CRISPR entwickelte Pflanzensorten zu patentieren – und damit unter anderem Konkurrenz vom Markt zu drängen. Können Sie das nachvollziehen?
Robert Hoffie:
Ja, da gehe ich absolut mit, das besorgt mich auch. Es passt einfach nicht in die Pflanzenzüchtung, Sorten zu patentieren.
Es sind eigentlich nur 2 oder 3 große Konzerne, die von Patenten profitieren. Insofern ist das Problem wirklich ernst zu nehmen. Patente sind aber nicht im Gentechnikrecht geregelt. Das heißt: Das Patentproblem ist kein Argument gegen eine Reform des Gentechnikrechts – eher im Gegenteil.
Durch das aktuelle Recht sind gerade die kleineren Firmen wieder komplett abgeschnitten von dieser Entwicklung. Die großen melden trotzdem Patente an. Da wird ein unfairer Wettbewerb generiert, in dem man den Kleineren den Zugang zu der Technik nicht ermöglicht und die Großen trotzdem das Patentrecht ausnutzen.
Was müsste Ihrer Meinung nach in Deutschland passieren, damit es Genomeditierung aus dem Labor aufs Feld schafft?
Robert Hoffie:
Wir brauchen zum einen die Reform des Gentechnikrechts, damit sinnvolle Anwendungen von Genomeditierung ermöglicht werden, statt diese Zuchtmethoden pauschal zu behindern. Aber natürlich brauchen wir auch gesellschaftliche Akzeptanz. Wir Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen können dazu beitragen, indem wir sinnvolle Anwendungsbeispiele liefern. Ich hoffe einfach, dass das überzeugt. Angesichts all der Herausforderungen, vor denen wir unter anderem ökologisch stehen, ist mittlerweile großen Teilen der Gesellschaft klar, dass wir Sachen verändern müssen.
Im Vergleich zu anderen notwendigen Veränderungen etwa bei Konsum oder Mobilität erscheint mir eine zusätzliche Option in der Pflanzenzüchtung dabei eine relativ kleine Maßnahme, die keine großen Risiken hätte. Die meisten Menschen wissen gar nicht, was in der Pflanzenzüchtung schon jetzt stattfindet, wie stark unsere Pflanzen längst verändert sind. Die Diskussion fängt immer erst ganz, ganz am Ende dieses Zeitstrahls an, wenn es plötzlich um Gentechnik geht.
Mit Illustrationen von
Frauke Berger
für Perspective Daily
Das Netz ist voller Tipps und Ratschläge – und Menschen, die damit ihre Probleme lösen wollen. Doch meistens gibt es nicht »die« eine richtige Lösung. Aber was ist sinnvoll? Und was kann weg? Um so nah wie möglich an eine Antwort heranzukommen, hat Lara Wissenschaftsjournalismus mit Schwerpunkt Biowissenschaften und Medizin in Dortmund und Digital Journalism in Hamburg studiert.
von
Maria Stich
Die Klimakrise ist eine Ressourcenkrise. Wasser, fruchtbarer Boden, bewohnbarer Lebensraum – all das wird immer ungleicher auf der Welt verteilt sein, je stärker sich die Erde erhitzt. Maria fragt sich: Wie können wir Ressourcen künftig klüger und gerechter nutzen? Nicht nur materielle, sondern auch persönliche. Also: Wie können einzelne Menschen etwas in der Welt bewegen?