Burn-out in der Wissenschaft: Meine Initiative kämpft für bessere Arbeitsbedingungen
Die Wirklichkeit von Wissenschaftler:innen sieht in Deutschland im Jahr 2023 düster aus. Eine Initiative hält dagegen und zeigt auf, wie es besser geht. Ich habe sie mit ins Leben gerufen.
Es ist der Nachmittag des 24. November 2021. Ich sitze vorm Fernseher, es läuft die Pressekonferenz der neuen Bundesregierung. Wenige Minuten zuvor haben wir den Koalitionsvertrag der Ampelregierung erhalten. Darin: 2 Absätze zu unserem Thema – mit all unseren Kernforderungen!
Ich freue mich irrsinnig, und zugleich fühlt sich das alles ein wenig surreal an. Es ist nicht der erste Moment dieser Art in einem Prozess, in dessen Mittelpunkt ein fragwürdiges Gesetz steht, das auf die deutsche Wissenschaft und ihre Beschäftigten desaströse Auswirkungen hat. Und es soll auch nicht der letzte derartige Moment bleiben, den die Auseinandersetzung mit dem sogenannten – Achtung Wortbaustelle – »Wissenschaftszeitvertragsgesetz« (kurz: WissZeitVG) mit sich bringt.
Dieses Gesetz bestimmt das Leben der meisten Wissenschaftler:innen in Deutschland maßgeblich: Wie wir arbeiten, wo wir wohnen, wie viel Zukunftssorgen und Existenzängste wir haben – aktuell sind die riesig. »Die Wissenschaft macht ihren Nachwuchs kaputt«, so hieß vor Jahren ein Zeitungsartikel – und es stimmt. Ich bekomme zahlreiche Zuschriften von Menschen, die eigentlich von
Aber langsam und von vorn: Wie bekommt man das eigene Anliegen in den Koalitionsvertrag einer Bundesregierung?
So sieht eine »Karriere« in der Forschung heute wirklich aus
Für mich beginnt diese ganze Geschichte mit meiner Begeisterung für die Wissenschaft, genauer: die Philosophie. Du willst wissen, warum Wissenschaft in Deutschland bis heute alles andere als ein Traumberuf ist? Was nun folgt, kann dir einen Einblick in die Realität von Wissenschaft als Beruf geben – warum der Traum in der Wirklichkeit schnell zum Albtraum wird und sich für die meisten vorzeitig ausgeträumt hat.
Nach dem Bachelorstudium entscheide ich mich für eine Fast-Track-Promotion (ich überspringe also den Master, um Zeit zu sparen) und habe fortan eine 50%-Stelle. So kann ich parallel an meiner Doktorarbeit schreiben, denn dazu habe ich überhaupt diese Stelle. Doch darauf konzentrieren kann ich mich nicht. Denn ich gebe Seminare, schreibe die ersten Aufsätze, halte Vorträge auf Tagungen, werbe Gelder ein, organisiere einen Workshop usw. Die 19 Stunden, für die ich bezahlt werde, überschreite ich ständig. Mein Pensum ist das einer Vollzeitstelle, oft auch mehr. Das ist heutzutage typisch für Personen, die an Universitäten arbeiten. Arbeit am Wochenende, nachts und im Urlaub kenne ich bereits aus meiner Zeit als studentische Hilfskraft – damals dachte ich noch, das gehöre einfach dazu.
Tatsache ist, dass das System auf Selbstausbeutung setzt. Wer nicht »freiwillig« mehr macht als vorgeschrieben, ist schnell weg vom Fenster.
Während Bekannte aus Schultagen mit knapp 30 in der freien Wirtschaft Karriere machen, kämpfe ich an der Universität mit einem System der prekären Verhältnisse. Und ich habe noch Glück, das andere nicht haben. Nach 3,5 Jahren erhalte ich ein Stipendium über 10 Monate, das mich zumindest über Wasser hält. Nur zahle ich in dieser Zeit nicht in die Sozialversicherungskassen ein, erwerbe keine Rentenansprüche; die Krankenversicherung zahle ich selbst. Durch die kurze Dauer des Stipendiums kann ich wenigstens meinen Arbeitslosengeldanspruch aus dem Anstellungsverhältnis davor retten. Am Ende der 10 Monate bewahrt mich das davor, Hartz IV zu empfangen.
Es war eine Zeit voller Sorgen und Verzweiflung. Die Angst davor, in der Wissenschaft vielleicht nicht weitermachen zu können, schnürte mir jedes Mal, wenn sie wieder durch meinen Kopf spukte, sofort die Kehle zu. So ging es vielen, die ich damals kennenlernte.
Ein IchbinHanna-Post gibt der Not in der Wissenschaft ein Gesicht und eine Geschichte. Im Hintergrund: Ein Plakat für Professor:innen, die sich solidarisch zeigen.
Heute weiß ich: Eine Promotion in meinem Fach
Was ich eine Zeit lang für mein ganz persönliches Versagen hielt (Hätte ich nicht einfach schneller sein müssen und habe das nicht hinbekommen?), ist also ein strukturelles Problem. Das gilt auch für Befristungen generell: 92% der Wissenschaftler:innen unter 45 Jahren ohne

In genau dieser Phase stecke ich wie so viele Wissenschaftler:innen noch immer fest: In 5 Jahren als Postdoc – die Doktorarbeit habe ich trotz allem fertiggestellt – hatte ich 8 Arbeitsverträge an ein und derselben Uni. Die Chance, eine der begehrten Professuren zu ergattern, die eine dauerhafte Beschäftigung garantieren, ist sehr niedrig. Für diese Chance nehmen Wissenschaftler:innen wie ich zahlreiche Entbehrungen auf sich. Wir pendeln oft über Jahre in dem Versuch, Familie und soziales Umfeld mit den zahlreichen Arbeitsortwechseln unter einen Hut zu bringen, wir arbeiten deutlich mehr, als der Arbeitsvertrag vorsieht (Promovierende machen pro Woche durchschnittlich 13 unbezahlte Überstunden, bei Postdocs sind es 10), sind immer erreichbar, gehen über unsere Grenzen bis an den Burn-out – und an Familiengründung ist in dieser Unsicherheit ohne verlässliche Perspektiven auch kaum zu denken.
Wer zu den vielen gehört, die keine der wenigen unbefristeten Stellen ergattern, muss sich beruflich umorientieren in einer freien Wirtschaft, die akademische Lebenswege eher abschätzig bewertet. So gehen zig exzellent aus- und weitergebildete Expert:innen, die jahrzehntelang fantastische Arbeit in der Forschung und in der Ausbildung von Studierenden geleistet haben, der deutschen Wissenschaft Jahr um Jahr verloren.
Lediglich 31% der Postdocs im Wissenschaftsbetrieb haben eine
Lassen sich so die Besten für die Wissenschaft gewinnen und fördern? Wohl kaum. Die Not sieht auch der Gesetzgeber – irgendwie. Schließlich will man den »Wissenschaftsstandort Deutschland« attraktiv gestalten. Dem steht aber vor allem ein Gesetz im Weg, das all diese Missstände erst auslöst.
Wie ich zu »Hanna« wurde, um endlich etwas zu ändern
Es erlaubt für die Promotion eine maximale Befristungsdauer von 6 Jahren, nach der Promotion hat man noch mal 6. Genau diese Regelung erzeugt für das Gros der Wissenschaftler:innen in Deutschland die beschriebenen prekären Arbeitsbedingungen. Und das nicht zuletzt, weil aufgrund des Gesetzes nach den 12 Jahren in der Regel keine weitere Befristung mehr möglich ist. Die Idee dahinter: So sollte eigentlich dafür gesorgt werden, dass die Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Wissenschaftler:innen in dauerhafte Arbeitsverhältnisse übernehmen – ein Totalversagen in der Praxis. Denn wissenschaftliche Arbeitgeber setzen Wissenschaftler:innen nach den 12 Jahren lieber auf die Straße und stellen einfach die nächste Generation ein, die erneut mit allem von vorn beginnt.
Diese Verhältnisse habe ich auf Twitter lautstark kritisiert. Zunächst haben vor allem die zugehört, denen es ähnlich geht. Dann aber startete ich am 10. Juni 2021 die Initiative #IchBinHanna, zusammen mit Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon.
Warum #IchBinHanna? Weil das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das damals unter CDU-Führung stand und für das WissZeitVG zuständig ist, in einem Erklärvideo mit einer fiktiven Biologin namens Hanna das Gesetz
Mit uns haben Tausende Wissenschaftler:innen auf unsere Anregung hin auf Twitter davon berichtet, wie es wirklich ist, so eine Hanna zu sein – eine Person also, die aufgrund des Gesetzes ständig Existenzängste und Zukunftssorgen hat. Bis dahin hatten sie über die Missstände meist geschwiegen, auch weil viele Angst davor hatten, ihre Berufschancen noch weiter zu verschlechtern.
Ein typischer IchbinHanna-Post. Die Autorin, Professorin für Philosophie, kritisiert unerträgliche Arbeits- und Lebensverhältnisse für Wissenschaftler:innen an der Grenze zum Burn-out. Ein Wissenschaftsstandort Deutschland muss auch anders gehen.
Dass die deutsche Wissenschaft Menschen mit Privilegien bevorzugt behandelt und andere das Nachsehen haben, dokumentieren die wichtigen Beiträge unter dem von Reyhan Şahin ins Leben gerufenen Hashtag »IchBinReyhan«.
Inzwischen sind es 2 Jahre, in denen wir immer wieder das Wort ergreifen. Wir sind viele. Wir sind laut. So laut, dass die Politik dies nicht überhören konnte. Und so wird aus der traurigen Geschichte der Missstände in der deutschen Wissenschaft die Erfolgsgeschichte einer Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, an die Stelle dieser Missstände gerechte Arbeitsbedingungen für eine zukunftsfähige Wissenschaft zu setzen.
Und das ist auch die Antwort auf die Frage, wie man das eigene Anliegen in den Koalitionsvertrag einer Bundesregierung hineinbekommt. Die Ampelkoalition versprach, das WissZeitVG zu reformieren und dabei unter anderem die Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Postdoc-Phase deutlich zu erhöhen – sprich, es soll mehr unbefristete Stellen geben.
Also alles gut?
Nein, denn bei der Umsetzung hapert es bisher. Und das neuerdings FDP-geführte Bundesministerium für Bildung und Forschung plant sogar eine unzumutbare Verschlimmbesserung.
Wie man Politik verändert, wenn man laut ist und starke Verbündete hat
Seit dem Nachmittag im November 2021 ist viel passiert. Im März 2023 hat die Bundesregierung ein Eckpunktepapier mit Änderungen des WissZeitVG vorgelegt – und #IchbinHanna wurde auf Twitter auch dagegen laut.
Denn die Pläne ließen mich und viele andere daran zweifeln, ob die verantwortliche Ministerin, Bettina Stark-Watzinger, nicht etwas ganz anderes vorhatte. Die Postdoc-Phase sollte gemäß diesen Plänen von 6 auf maximal 3 befristete Jahre gekürzt werden. Ohne
Dieses Mal bekamen wir starke Unterstützung aus der
Das ist ein Erfolg, keine Frage.
Doch noch ist der Kampf nicht zu Ende. Seit dem 6. Juni 2023 kennen wir nämlich den neuen Ansatz des FDP-geführten BMBF zur Gesetzesreform. Darin eine neue Verschlimmbesserung des Ministeriums – sie steckt im Detail: Für Postdocs wird zwar eine Anschlusszusage-Option auf eine unbefristete Stelle vorgesehen. Der sind aber 4 Jahre Befristung ohne jede Perspektive vorgeschaltet, sodass die Anschlusszusage in der Praxis aller Voraussicht nach gar nicht erst umgesetzt werden wird.
So wird das wieder nichts mit
Zumindest haben wir nun neuen Mut, unserem strapazierten Durchhaltevermögen zum Trotz. Denn die Erfolgsgeschichte von #IchBinHanna zeigt mir jeden Tag aufs Neue, dass Menschen, die gemeinsam das Wort ergreifen, einen Unterschied machen können – wenn andere Menschen zuhören und ihre Nöte ernst nehmen.
In diesem Sinne: Danke fürs Zuhören, liebe:r Leser:in!
Fortsetzung folgt.
Redaktion: Dirk Walbrühl
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily