Was Hitze mit unserem Gehirn macht – und was hilft
Der Sommer hat gerade erst angefangen, trotzdem war es streckenweise schon sehr heiß. Wie wir trotz extremer Temperaturen bei Verstand bleiben und was im Ernstfall zu tun ist, erklärt ein Hirnforscher.
Mit dem Juni geht der Sommer in Deutschland gerade erst richtig los. Doch schon im ersten warmen Monat stiegen die Temperaturen in vielen Orten Deutschlands über 30 Grad Celsius. Dass es draußen wieder heißer wird, merken wir auch bei Perspective Daily. Und zwar nicht nur anhand der Schweißperlen, die sich auf der Stirn des Teams im nichtklimatisierten Büro bilden.
Denn bei der Hitze sinkt nicht nur die Leistungsfähigkeit in der Redaktion, sondern auch die Zahl der Leser:innen, die auf unsere Artikel klicken. Klar, ein Besuch im Freibad, am See oder an anderen kühlen Zufluchtsorten erscheint attraktiver, als Texte zu lesen.
Aber sorgt die Hitze tatsächlich dafür, dass wir geistig träge werden?
Um der Sache mit dem Hirn und der Hitze auf den Grund zu gehen, spreche ich mit Frank Erbguth. Der Neurologe, Psychiater und Psychologe ist Präsident der Deutschen Hirnstiftung und
Dieses Mal erklärt er mir, wie unsere Gehirne auf Hitze reagieren, warum wir sie besonders davor schützen müssen – und was in brenzligen Situationen hilft.
Was passiert bei Hitze im Körper?
Unser Körper funktioniert bei 37 Grad Celsius Körpertemperatur am besten. Deshalb bemüht er sich, diese Temperatur zu halten: Ist es draußen heiß, schwitzen wir zur Abkühlung, unser Herz pumpt schneller, die Blutgefäße weiten sich, in der Folge sinkt der Blutdruck.
»Das Kühlsystem des Körpers aktiviert 2 Maßnahmen: Einmal das Schwitzen, weil dem Körper durch die Verdunstung des Schweißes Wärme entzogen wird. Und es aktiviert die Durchblutung. Der Körper leitet möglichst viel Blut in die Peripherie, also in die Hautschichten, damit die Wärme von außen möglichst schnell abtransportiert wird«, erklärt Frank Erbguth.
Dadurch, dass unser Körper mehr Blut an die Hautoberfläche leitet, wird auch unseren grauen Zellen Blut entzogen. »Das ist nicht kritisch, aber es trägt dazu bei, dass im Hirn eine gewisse Trägheit entsteht«, erklärt Frank Erbguth. »Das Gehirn macht zwar nur ungefähr 2% des menschlichen Gewichts aus, aber es benötigt ungefähr 20% des Blutvolumens, damit es richtig funktioniert.« Während draußen die Temperaturen steigen, nimmt dieses Blutvolumen also in unserem Gehirn ab.
»Wer bei Hitze dann noch zu wenig trinkt, sorgt für Verschiebungen der Salz- und Flüssigkeitsmengen im Blut. Salopp gesagt, das Blut wird dicker«, erklärt mir Frank Erbguth. »Das ist schlecht für die Hirndurchblutung und stört den Stoffwechsel.«
»Das Hirn ist halt ein Sensibelchen.« – Frank Erbguth
»Das Hirn reagiert extremer auf Abweichungen als die meisten anderen Organe. Eine Hirnzelle stirbt beispielsweise nach 3–4 Minuten Sauerstoffmangel ab. Eine Niere hingegen könnte man sogar kurz in den Kühlschrank stellen und nach ein paar Stunden wieder hochfahren«, sagt der Neurologe. Da ist es also nur logisch, dass sich Hitze auch im Oberstübchen besonders bemerkbar macht. Heiße Temperaturen machen uns dabei nicht nur lethargisch, sondern potenziell auch leichter reizbar.
Das ist ein Kollateralproblem. Eigentlich wäre es besser für den Körper, ruhig zu bleiben. Aber wenn er in eine Konfliktsituation geschubst wird, macht ihn das unzufrieden – und eine rationale Reaktion wird schwieriger. Der Körper ist aus dem Lot und kann dadurch durchaus anfälliger für Aggressivität werden.
Auch wenn sie nerven können: Lethargie und Reizbarkeit sind 2 Folgen von Hitze, die noch recht gut verkraftbar sind – und mit denen es sich etwas besser leben lässt, wenn man weiß, woher sie kommen. Schließlich sind es logische Reaktionen unseres Körpers auf die höheren Temperaturen. Sich trotz Hitze zu geistigen Höchstleistungen zu treiben, macht deshalb wenig Sinn. Zumindest dann nicht, wenn die Unterstützung von Ventilator und Klimaanlage fehlt.
Wann wird es gefährlich?
Während das Denken bei Hitze zwar schwierig, aber harmlos ist, kann körperliche Anstrengung an heißen Tagen unseren Organismus völlig aus dem Lot bringen. Ein ernsthaftes Problem entsteht, wenn sich der Körper nicht mehr selbst herunterkühlen kann. Das kann dann passieren, wenn sich eine Person in heißer Umgebung körperlich zu sehr anstrengt – je nach körperlicher Verfassung kann das schon für einen Spaziergang in praller Sonne gelten. Bei anderen wird erst der Marathonlauf in der Mittagszeit zum Problem. Noch schneller überhitzt ein Mensch, wenn die Luftfeuchtigkeit hoch ist und das Abkühlen durch Schwitzen nicht mehr so gut funktioniert. Schweiß verdunstet eher, wenn die Luft trocken ist, so will es die Physik.
So erkennst du einen Sonnenstich oder Hitzschlag – und kannst erste Hilfe leisten
Insgesamt gibt es 2 Stufen von Hitzereaktionen:
- Sonnenstich: Er macht sich durch Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel bemerkbar. Nackenschmerzen können ein Hinweis auf die Reizung der Hirnhäute bei Hitze sein. Auch innere Unruhe, kognitive Beeinträchtigungen mit Verwirrtheit, Konzentrationsprobleme oder Müdigkeit können auf einen Sonnenstich hinweisen. Häufig kommt es dann auch zu erhöhtem Puls und Schüttelfrost.
Was tun? Frank Erbguth rät, die Sonne sofort zu verlassen, kühle Innenräume aufzusuchen und ausreichend zu trinken. - Hitzschlag: Er ist die Steigerung des Sonnenstichs und lebensbedrohlich. Beim Hitzschlag steigt die Körpertemperatur über 40 Grad Celsius: Muskelkrämpfe, Dehydrierung, Kreislaufzusammenbruch, Multiorganversagen und sogar der Tod können eine Folge sein. Wer einen Hitzschlag überlebt, trägt meistens schwere Folgen davon, beispielsweise Störungen der Bewegungskoordination, kognitive Einschränkungen, Sprech- oder Sprachstörungen –
Was tun? Sofort den Notarzt rufen und während der Wartezeit versuchen, schnellstmöglich die Körpertemperatur zu senken. Dafür Betroffene in einer kühlen Umgebung ablegen, die Kleidung inklusive Socken und Schuhen ausziehen und kalte mineralhaltige Getränke verabreichen. Auch Kühlpacks auf dem Körper können helfen. Medikamente sind dagegen tabu: Schmerzmittel wie Paracetamol oder Aspirin gegen die Kopfschmerzen könnten die Situation sogar verschlimmern.
Besonders für ältere Menschen kann die Hitze gefährlich werden. »Alte Menschen haben durch altersbedingte Veränderungen des Gehirns zum Beispiel oft weniger Durst und trinken deshalb weniger. Dadurch wird im Körper, im Blut und damit auch im Gehirn die Flüssigkeitsmenge noch geringer«, erklärt Frank Erbguth. Altersbedingt kann der Körper solche Ausnahmesituationen nicht mehr so gut ausgleichen.
Auch Kinder können mit der Hitze größere Probleme bekommen. »Der Kopf von Kindern ist im Vergleich zum Körper noch recht groß. Dadurch, dass der Körper so klein ist, heizt er schneller auf und hat weniger Fläche zum Abkühlen«, sagt der Neurologe. Wenn Kinder in der Sonne spielen, sind Kopfbedeckungen deshalb unentbehrlich.
Man kann es sich am Beispiel eines Schwimmbeckens gut vorstellen: Ein kleines Becken ist in der Sonne schnell heiß, bei einem großen dauert es deutlich länger. Bei den Kleinsten ist das Gesamtsystem viel schneller aus der Balance.
Kinder, aber auch ältere Menschen sind bei Hitze besonders auf die Fürsorge von Mitmenschen angewiesen – und darauf, dass wir die heißen Temperaturen ernst genug nehmen. Nach unserem Gespräch schickt mir Frank Erbguth eine Nachrichten-Meldung aus Slowenien: Eltern hatten ein Kleinkind bei Sonne im Auto zurückgelassen. Der kleine Junge starb vor wenigen Tagen an den Folgen,
Das sind Extreme, die heute zum Glück eher selten vorkommen. Sie machen aber deutlich, wie wichtig Aufklärung nach wie vor ist. Hitze zu unterschätzen, kann tödlich enden. Das gilt im Übrigen auch für im Auto zurückgelassene Haustiere.
Was noch weniger bekannt ist als die Gefahr von aufgeheizten Autos: An heißen Tagen kann auch das gut gemeinte Tuch über dem Kinderwagen kritisch werden, besonders dann, wenn der Wagen unten geschlossen ist. »Das Tuch ist gut gemeint gegen UV-Strahlen, aber es behindert die Luftzirkulation und ein Hitzestau kann entstehen. Das ist die kleine Variante des im Auto verbliebenen Kleinkindes«, sagt Frank Erbguth. Wenn Kinder schreien oder rot anlaufen, sind das womöglich Zeichen für eine Überhitzung.
Sonnenstiche und Hitzschlag vermeiden: Ein Hitzeschutzplan soll helfen
Solche Extremsituationen zu verhindern ist natürlich viel besser, als Erste-Hilfe-Maßnahmen einleiten zu müssen. Aktuell wird in der Bundesregierung deshalb über einen
In sozialen Medien sorgen die geplanten »Maßnahmen« bei manchen Menschen schon jetzt für einen Flashback in die Coronazeit – und Karl Lauterbach erntete neben Zuspruch auch wütende Reaktionen. Von Panikmache ist da die Rede und einer neuen Verbotskultur.
Dabei könne es nicht schaden, gerade sportliche Aktivitäten im Sommer zurückzufahren oder auf die Abendstunden zu verlegen. »Jedes Jahr sterben im Hochsommer etwa Marathonläufer an den Folgen von extremer Hitze«, sagt Frank Erbguth. »Wir wollen keine Panik verbreiten und niemandem den Sommer vermiesen. Es geht lediglich darum, ein paar Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.« Zu lernen, was bei Hitze hilft, kann in Anbetracht der Klimakrise nicht schaden. »Die Menschen können in den nächsten Jahren lernen, sich anzupassen. Besonders gesunde Menschen im mittleren Alter werden das hinkriegen. Für die Alten und Jungen ist die Herausforderung größer«, sagt Frank Erbguth.
Mehr Aufmerksamkeit für sich und andere wird deshalb mit jedem heißen Tag im Sommer wichtiger – und kann Leben retten. Und dass uns das gelingt, ist bedeutsamer, als bei Hitze kognitive Höchstleistungen zu vollbringen.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily