20% AfD und nun? »Ich habe Jahre meines Lebens in der Partei verschwendet«
Clemens Torno machte für die AfD Politik in Berlin-Mitte. Heute ist er ausgestiegen, Buddhist und macht sich Gedanken, wie man die Demokratie vor dem Faschismus schützen kann.
1. Juli 2023
– 20 Minuten
Clemens Torno | grafische Bearbeitung: Claudia Wieczorek
»Wissen es die Menschen denn nicht besser?« ist die unausgesprochene Frage in politischen Talkrunden dieser Tage. Es ist die aufgeschreckte Reaktion auf das Umfragehoch der AfD: Sie steht laut mehreren repräsentativen bei knapp 20%, gleichauf mit der SPD. Im thüringischen Landkreis Sonneberg gewann die Partei ihre erste Landratswahl – . Die AfD-Spitze träumt schon öffentlich von der Kanzlerkandidatur.
Politiker:innen und Journalist:innen suchen nun nach den Schuldigen für den offensichtlichen Rechtsruck. Hatte nicht erst kürzlich das Deutsche Institut für Menschenrechte in einer Analyse vor einer extremistischen Ausrichtung der AfD und ? Könne man 20% der Wähler:innen ausgrenzen, fragen manche Journalist:innen. All diese Perspektiven eint, dass sie von außen auf die Partei schauen, als politische und ideologische Gegner:innen und Konkurrent:innen. Und sie alle haben keine konkreten Lösungen parat.
Einer, der einen anderen Blick hat, ist Clemens Torno. Er weiß, wie die AfD groß wurde, war von Anfang an mittendrin, vertrat rechtsextreme Werte und machte Politik von Rechtsaußen als Kommunalpolitiker in Berlin. Dann stieg er nach 6 Jahren aus.
Seitdem verfolgt Torno die Entwicklungen in Deutschland mit Besorgnis. Er ahnt, was die potenziellen 20% der Wähler:innen umtreibt, wie Parteien und Medien ihnen gerade in die Hände spielen und was vielleicht helfen könnte.
Ich treffe ihn online per Videocall. Clemens Torno sitzt in einer Anwaltskanzlei, für die er heute arbeitet, umgeben von gut sortierten Aktenordnern. Er spricht schnell und hat alle Namen parat. Man merkt ihm sofort an, dass er viel zu sagen hat – unser Gespräch dauert am Ende fast 3 Stunden und ist voller »Aha«-Momente.
Lies das Interview ganz, um Clemens Tornos Werdegang und den Reiz der AfD für ihre Wähler:innen zu verstehen, oder springe direkt zu den Teilen, die dich brennend interessieren.
Herr Torno, Sie sind kurz nach der Gründung der AfD eingetreten. Wie ticken Menschen, die sich für die AfD begeistern?
Clemens Torno:
Jede Partei oder jede Bewegung, der Menschen beitreten, spiegelt vor allem das eigene Lebensbild wider. Ich rede da mal über mich: Meine Eltern lebten in der DDR, ich habe Familie im Osten, wuchs konservativ auf. Und für mich gab es damals ein großes Problem in Deutschland: . Ich habe in einem Vorort von Bremen gewohnt, einem sozialen Brennpunkt, und zu dem Zeitpunkt so etwas gedacht wie »Wer in ein anderes Land kommt, hat erst einmal eine Bringschuld, ohne irgendwelche Ansprüche zu stellen«. Ich war wütend über »Sozialtourismus«, hatte Angst vor Banden und Ausländergewalt … Wenn ich heute über die Zeit rede, muss ich klar dazusagen: Das, was ich damals gedacht, gesagt und auf sozialen Medien geteilt habe, grenzte Menschen aus und setzte sie herab. Heute würde ich sagen, ich war schon sehr radikal. Da war viel Unzufriedenheit und Frust, die ich projiziert habe.
Jung, idealistisch, rechtsradikal – eine Innenansicht
Das war 2014. Angela Merkel hatte kurz zuvor bei der Bundestagswahl ein Rekordergebnis der CDU eingefahren (41,5%). Die große Koalition regierte zum dritten Mal, das politische Schlagwort »alternativlos« hallte noch nach …
Clemens Torno:
Da war ich auch noch in der CDU. In der Jungen Union gab es damals viele, die gesagt haben: »Mensch Clemens, wir denken alle so. Aber wir sagen das nicht offen.« Ich hatte sowieso das Gefühl, dass die CDU nicht mehr ihre alten Kernpositionen vertritt. Ich war schon immer sehr politisch, habe Adenauer verehrt und mit 15 schon Flyer auf Marktplätzen verteilt. Doch ich spürte deutlich diesen politischen »Stillstand« in Deutschland, dass in der Partei einiges schieflief und in der Großen Koalition vor allem viel gemauschelt wird. Ich habe mich dann gefragt, wie demokratisch das alles überhaupt noch ist. Aus heutiger Sicht gab es bei mir dieses gedankliche Abrutschen nach rechts bis zu dem Moment, als ich sagte: »Jetzt reicht’s!« Ich habe mich damals aber nicht als rechts betrachtet, sondern als konservativ. Ich wollte, dass die CDU wieder zu einer markigen Partei mit Wiedererkennungswert wird. Da dies unmöglich blieb mir dann nur der Austritt.
Bedauerten Sie damals den Austritt?
Clemens Torno:
Auf der einen Seite ja. Ich wusste damals schon, dass es nie mehr so sein wird wie früher. In meinen sicheren Hafen namens CDU werde ich wahrscheinlich nie mehr zurückkehren können.
Und dann kam die AfD?
Clemens Torno:
Nicht ganz. Ich bin dann im Jahr 2014 ausgetreten und erst einmal ein halbes Jahr zu den Piraten. Doch dann habe ich Bernd Lucke von der AfD im Fernsehen gesehen in einer Gesprächsrunde. Wie er da geredet hat, von der D-Mark und für das »Altbewährte«, das hat mir imponiert. Ich dachte dann: Das ist doch die alte CDU! Also bin ich eingetreten.
Jetzt wird es spannend, denn so eine reflektierte Inneneinsicht ist selten. Was haben Sie in der AfD erlebt?
Clemens Torno:
Meine Ausbildung hatte ich eh gegen die Wand gefahren. Ich hatte den Eindruck, dass ich beruflich nichts mehr erreichen konnte, politisch wurde ich von Karrieristen innerhalb der CDU Niedersachsen kaltgestellt. Ich war dann nach Berlin gezogen, hatte eine Ausbildung als Rechtsanwaltsfachangestellter absolviert. Als ich in die AfD eingetreten bin, war ich zunächst weil mir politische Identifikationsfiguren fehlten. Doch das war erst einmal egal, mir ging es wie vielen AfDlern darum, dass Politik wiederbelebt wird. Ich habe mich als Teil einer Rebellenallianz gesehen – gegen die schwarze Macht der CDU.
Also gegen das »Establishment«. Dieses »Wir hier unten gegen die da oben« ist ja bis heute ein sehr wirkmächtiges Narrativ der AfD.
Clemens Torno:
Was mich persönlich begeistert hat, war auch das Gefühl, Teil von etwas Historischem zu sein. 2015 veranstaltete die AfD dann den »größten Parteitag der Nachkriegszeit«, an dem so viele . Ich bin dann schnell in die Junge Meiner Familie habe ich das stolz erzählt. Meine Oma hatte mir ja immer aufgetragen: »Sorge für meine Rente.« Ich habe dann gesagt: »Oma, ich kämpfe hier politisch auch für dich.« Es war die Idee, Teil einer neuen politischen Kraft zu sein, um endlich etwas zu verändern, das Land wieder mehr zu demokratisieren. Ich habe damals oft gesagt, dass ich »Deutschland retten muss«. Dabei musste Deutschland ja eigentlich eher vor Leuten wie mir gerettet werden. Das wurde mir aber erst viel später bewusst.
Das ist die Seele der AfD – aus Sicht eines Ex-AfDlers
Sie hatten damals den russischen Präsidenten als Profilbild auf sozialen Medien. War die AfD bereits zu diesem Zeitpunkt Putin-freundlich?
Clemens Torno:
Ich selbst war in der AfD vor allem sehr USA-feindlich. Dann ist man eben auch eher Russland-freundlich. Ich sah Putin damals als Politiker, der in seinem Staat durchgreift und sich kompromisslos für russische Interessen einsetzt – ganz im Gegenteil zu den ständigen Kompromissen in der deutschen Politik, wenn es um Deutschlands Interessen ging. Heute sehe ich, dass in der AfD vor allem Egoisten versammelt sind, die diese Einstellung dann auf das ganze Land projizieren. Aus »ich zuerst« wird dann »Deutschland zuerst«. Daher kommt auch der oft geäußerte Satz: Die Politiker »machen nichts mehr für das eigene Volk«.
Könnten Sie das näher erklären?
Clemens Torno:
Der Satz ergibt aus der Ego-Perspektive Sinn. Möglicherweise arbeitslos, überschuldet, mit dem Gefühl, abgehängt zu sein und den Anschluss verloren zu haben zu dem Teil der Gesellschaft, dem es besser geht; und voller Zweifel und auch Neid vereinnahmt man dann das ganze Volk.
Vor AfD-Parteitagen gab es ja bereits damals viel Gegenwind. Demonstrierende riefen »Nazis raus!« oder »Faschisten raus!«. Wie haben Sie das empfunden?
Clemens Torno:
Ich fand das eher lustig. Ich habe mich ja selbst als »rechts« betitelt. Ich dachte dann bei mir: Daran ist ja nichts Schlimmes, solange man nicht extrem radikal ist. Wenn mich dann vermeintliche Linke als Nazi bezeichnet haben, habe ich nur gesagt: »Ja, Nazi steht für: nicht an Zuwanderung interessiert.« Das war völlig normal als Antwort. Man hat dann gesagt:
Wie haben Sie die fortschreitende Radikalisierung der AfD erlebt?
Clemens Torno:
Interne Machtkämpfe haben mich erst einmal wenig interessiert. »Jetzt zerfleischen sich die Idioten selbst«, dachte ich Anfang 2015. Dann kam der Essener Parteitag. Da gab es dann schon Telegram-Gruppen im Vorfeld, man sollte Farbe bekennen – Flügel oder Weckruf.
Also Höckes rechtsextremer Flügel, , gegen Bernd Luckes europakritische und gemäßigte Fraktion, die 2015 einen Brandbrief als Weckruf veröffentlicht hatten …
Clemens Torno:
Genau. Ich wollte damals zwar keinen Rechtsruck sehen. Allerdings wirkte Lucke auf mich in seinen Reden so, als wolle er die AfD zum Steigbügelhalter der CDU machen. Das wollten viele nicht. Wir waren doch eingetreten, um eine eigene Politik voranzubringen. Auf dem Parteitag sind dann viele Leute direkt ausgetreten, als Lucke nicht gewählt wurde. Ich habe das als undemokratisch empfunden. Man tritt ja nicht einfach aus – man muss für seine Interessen kämpfen. Politik ist ein Marathon, »standfest bleiben«.
10 Jahre Identitätskrise: Wie der Ausstieg aus der Partei gelang
Gab es da keine Zweifel am Kurs der AfD?
Clemens Torno:
Da gab es Situationen. Ich sollte etwa ein Foto einiger AfD-Politiker machen. Ich sagte dann »In die Kamera, Spaghetti!« und ein thüringischer Spitzenpolitiker sprach stattdessen »Entartung! Entartung! Entartung!«. Diese Sprache war befremdlich für mich.
Ein zentraler Ausdruck der NS-Zeit.
Clemens Torno:
Vielleicht hat mich das dazu gebracht, mich von anderen in der AfD abzugrenzen, . Ich war zwar in meinem Denken »Nationalist«, aber die Sprache von Hitler, Verherrlichung des Nationalsozialismus … nein, danke. Das ging mir nicht aus dem Kopf.
Dennoch wollten Sie damals einen Bezirksverband der Jungen Alternative in Berlin-Mitte aufmachen.
Clemens Torno:
Ja, aber ich wollte mein eigenes Ding mit einer eigenen Mannschaft machen. Doch das haben die natürlich alle mitbekommen. Bei einem Parteiabend der Jungen Alternative hat man mir dann gesagt, ich hätte gegen das »Führerprinzip« verstoßen. Man würde mich »wegficken«.
Was war damit gemeint?
Clemens Torno:
Ich wusste sehr genau, was gemeint war. Das war eine massive Drohung. Ich hatte dann zum ersten Mal richtig Angst. Man hat Gerüchte über mich gestreut, Vorwürfe erfunden. Ich war aber im September 2016 zum Bezirksverordneten für die AfD in Berlin-Mitte gewählt worden.
Warum dann in einer Partei bleiben, bei der man mulmige Gefühle hat?
Clemens Torno:
Ich habe damals die Situationen innerhalb der Partei, die ich als bedenklich empfunden habe, einfach beiseite gewischt. Ich habe meine Aktivitäten innerhalb und außerhalb der Partei als einen höheren Kampf für Deutschland gesehen.
Sie waren also erst einmal mittendrin und überzeugt?
Clemens Torno:
Bis zum Jahr 2019 war ich sehr überzeugt von der Sache, und dass ich in jedem Fall das Richtige tue. Ich dachte: Diejenigen, die sich gegen die AfD stellen, kämpfen gegen ein »geeintes starkes Deutschland«. »Diese Gegner muss man im Zweifel auch mit dem Knüppel beseitigen«, sagte man sich, wenn man sich in der AfD zum Stammtisch getroffen hat und die Medien nicht zugegen waren. »Antifaschismus« habe ich als Und ich hatte teilweise eigene Ausraster, bei denen ich mich rassistisch geäußert habe.
Wie passierte dann das Umdenken?
Clemens Torno:
Zunächst habe ich Anfang 2019 die Fortbildung zum Staatlich Geprüften Rechtsfachwirt absolviert und lernen müssen, dass Arbeitnehmer viel durch die EU profitiert haben – im totalen Gegensatz zu dem, was in der AfD geredet
Ein Austritt aus der Europäischen Union hingegen, wie in der AfD propagiert, würde alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen negativ betreffen.
Ende 2019 bin ich dann auch zum Buddhismus konvertiert. Ich habe gelernt, in jedem Menschen einen Bruder oder eine Schwester zu sehen – auch in jenen, die ich vorher rassistisch als minderwertig betrachtet und ausgegrenzt
Das hat mein Selbstbild verändert, aber auch wie ich anderen Menschen begegnen möchte. Will ich ehrlich, dass andere Menschen Angst vor mir haben, wenn sie mich sehen? Ab diesen Momenten war es sehr schwer für mich, bis zu meinem Austritt in der AfD zu verbleiben.
Einen weiteren Aha-Effekt erlebte ich durch einen schweren Unfall. Ich habe 6 Wochen im Krankenhaus gelegen. Da hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Dann lernte ich einen männlichen Muslim kennen, der nahezu täglich mein Zimmer reinigte. Nach dem Krankenhaus bekam ich eine Haushaltshilfe, eine Frau, die hochschwanger aus Afghanistan geflohen war. Diese zwischenmenschlichen Erfahrungen haben sehr auf mich eingewirkt.
Zu der Zeit sind mir auch einige Beiträge auf sozialen Medien negativ aufgefallen. Da hieß es dann von einigen Parteifunktionären:
Der Blick auf die Partei veränderte sich also?
Clemens Torno:
Anfänglich, als ich noch frisch in der AfD war, waren meine eigenen Gedanken von so manchem menschenverachtenden Kommentar nicht weit entfernt gewesen. Ich glaubte dann eine Weile, man müsse die Partei nur sauber halten von so etwas. Irgendwann habe ich dann verstanden:
Und dann?
Clemens Torno:
Dann kamen die Ausschreitungen 2018 in Chemnitz, wo ich mich zum ersten Mal zutiefst für meine Mitgliedschaft in der AfD geschämt habe. Das, was da rumlief, da gab es keinen Wertungsspielraum: Das waren Nazis. Und die AfD spielte das runter und instrumentalisierte es für sich. Da war dann für mich die Grenze.
Sie sind 2020 ausgetreten.
Clemens Torno:
Dass ich in den späteren Jahren nicht hingeworfen habe, hat ehrlicherweise auch etwas damit zu tun, dass ich davon abhängig war, finanziell gesehen. Mir war aber ein Schlussstrich wichtig, und dass ich austrete und nicht etwa ausgeschlossen werde. Als ich dann raus war, habe ich geweint und nur gedacht: »Endlich ist es vorbei.« Ich habe quasi eine 10-jährige Identitätskrise durchlebt.
20% AfD – wer hat Schuld?
Sie verfolgen die AfD bis heute sehr genau. Nun erleben wir gerade eine beispiellose Beliebtheit. Wer hat Schuld?
Clemens Torno:
Wir haben gerade eine schwierige Situation in Deutschland, nach Corona und mit Rekordinflation. Wenn dann der Eindruck entsteht, dass sich Politiker vor allem selbst versorgen und keine Antworten haben, dann erzeugt das erst einmal Wut.
Sie meinen die Graichen-Affäre?
Clemens Torno:
Nun, Vetternwirtschaft gibt es bei allen Parteien, . Ich meine eher das Gefühl, dass viele Menschen gerade spüren, dass es Gewinner und Verlierer der letzten Jahre gibt. Die AfD macht daraus dann: »Die machen nichts für das eigene Volk.« Das ist natürlich ein Narrativ, das so nicht stimmt. Außerdem kann man am Graichen-Fall gut sehen, wie deppert sich die Ampelregierung derzeit anstellt – Streit auf offener Bühne! Und das ist auch bei anderen politischen Themen aktuell zu beobachten. Das wirkt schnell so, als wisse die Regierung nicht, wo sie hinwill.
Politische Führungsschwäche der Regierung kann aber nicht alles sein.
Clemens Torno:
Die AfD bekommt derzeit viel Hilfe von Regierung und Opposition, die ihre Narrative stärken; vor allem der zentrale Gedanke: »In diesem Land läuft etwas schief.«
Die AfD ist also vor allem gut darin, Dinge zu ihren Gunsten zu drehen und sich zu vermarkten? Das würde zur Stärke der AfD auf sozialen Medien passen. Derzeit ist auf Twitter ja die »Stolzmonat«-Kampagne erfolgreich, eine Art Hashtag-Gegenprojekt zum Pride Month. Gehört das dazu?
Clemens Torno:
Ich fand die Idee vom Stolzmonat eher lächerlich. Allerdings wirkt es auch. Viele Menschen hinterlegen ihr Profil mit Deutschlandflagge. Da weiß man direkt, aus welcher Ecke die kommen. Sie teilen lustige Memes, provozieren und haben Spaß. Das fand ich auch an der AfD damals lustig – doch es ist vor allem eine Art der Selbstverharmlosung. Das beherrscht die AfD perfekt.
Überspitzt zusammengefasst: Während demokratische Parteien ob der schwierigen Lage ernste Politik mit ernsten Mienen machen, gibt sich die rechtsextreme AfD nach außen provokativ und unterhaltsam? Und das bekommt dann 20%?
Clemens Torno:
Es ist komplex. Es gibt halt mehrere Antworten, die man liefern kann, sollte und muss, um das Phänomen AfD zu verstehen. Zumindest hat die AfD bei manchen Menschen Erfolg mit der Strategie, Politik lächerlich zu machen und Politikvertrauen zu zerstören – und sich dann als einzige Alternative zu präsentieren. Vor allem, wenn sie den Finger auf die tatsächlichen Versäumnisse der Politik legt.
Haben Sie ein Beispiel?
Clemens Torno:
Ich habe mal für die AfD den Antrag in Berlin gestellt: »Obst umsonst für alle Schulen in Berlin-Mitte!« Der wurde dann einstimmig von allen Parteien außer der AfD abgelehnt. Eine Steilvorlage für Spott. Anträge wie diese zielen nämlich gar nicht darauf ab, konstruktiv zu sein. Die AfD nutzt den Parlamentarismus vor allem dazu, am Ende aus Reden Videos zu schneiden und aus dem Kontext zu reißen. Die werden dann über soziale Medien mit lustigen Emojis für die eigenen Anhänger gestreut, um die demokratischen Parteien ins Lächerliche zu ziehen.
Gekonnte Marketingaktionen – und die anderen Parteien springen über die Stöckchen?
Clemens Torno:
Genau. Es geht darum, zu zeigen: »Wir sind doch gar nicht so schlimm, wie das immer von außen dargestellt wird. Wir sind lustig, die anderen dumm und außerdem ignorieren sie euch.« Die anderen Parteien lassen der AfD hier unglaublich viel Raum zur Selbstgestaltung. Ich war in Berlin etwa Teil des Verkehrsausschusses, da ging es um Lärmschutz verursacht durch eine Straßenbahn. Die anderen Parteien haben das komplett ignoriert, nur ich habe das aufgegriffen und vorgetragen. Am Ende wurde mir dann gedankt von einigen Bürger:innen: »Das war super, Herr Torno!«
Die AfD ist also gut im Marketing und in Social Media. Sie lenkt mit Klamauk und Bürgernähe von rechtsextremen Zielen ab und führt den Rest der Parteienlandschaft kleinteilig an der Nase herum. Die lassen das irgendwie mit sich machen, während die Politik immer mehr Menschen nicht mehr erreicht. Deshalb stehen sie bei 20% und die Brandmauer nach rechts bröckelt …
Clemens Torno:
Zumindest im Osten ist die AfD darüber schon hinweg und offen rechtsextrem – und wird auch dafür gewählt.
Und es gibt einige konservative Politiker:innen, die nicht viel anders klingen. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat angesichts der hohen Umfragewerte der AfD nun die Grünen verantwortlich gemacht. Und nun?
Was wir gegen eine erstarkende AfD tun können
Clemens Torno:
Zunächst hat man die AfD ignoriert – das hat nicht geklappt. Dann hat man die Nazikeule benutzt – auch das funktioniert nicht mehr. Als ob 20% der Deutschen Nazis sind – das ist ja absurd. Die AfD hat vielleicht einen Stammwählerkern von 6–8% – und sehr viele Menschen, die mitlaufen. Das sind ganz normale Menschen, die jetzt als »rechtsextrem« stigmatisiert und in die Ecke der AfD getrieben werden.
Was kann man diesen Menschen denn noch als Warnung vor der Partei sagen? Da scheint ja nichts zu funktionieren.
Clemens Torno:
Es ist die Selbstradikalisierung, vor der man diejenigen warnen muss, die man noch erreichen kann. Ich war selbst in der Partei und habe damals jeden Tag mit jeder Körperzelle gegen den Scheiß angekämpft, den Leute wie Höcke erzählt haben! Aber auch ich war damals keiner von »den Guten«, sondern schon sehr extrem. Man sollte das Narrativ einer »gemäßigten AfD« aufbrechen. Es gibt nur die eine AfD!
Was können wir denn tun, um diejenigen besser zu erreichen, bei denen noch Hoffnung ist?
Clemens Torno:
Zum Beispiel nicht pauschal alle nur »Nazi« nennen, sondern die Phrasen der AfD auseinandernehmen und über die Ideologie aufklären. Die sagen nämlich: »Die anderen sind alle Verbotsparteien, wir kennen keine Verbote.« Von wegen. Man muss nur mal etwas anderes sagen – für Geflüchtete, für Gender, für eine pluralistische Demokratie eintreten – und kann sofort zeigen, wie das mit Verboten in der AfD wirklich ist. Dann zeigt sich das wahre Gesicht der AfD: Der Egoismus des Neides und des Hasses, der versucht, zu spalten und Feindbilder aufzubauen.
Das wäre die Aufgabe des Journalismus,
Clemens Torno:
Politik muss sich einfach besser erklären, wieder und wieder. Etwa dass es für Deutschland viel mehr Sinn ergibt, Mitglied der Europäischen Union zu sein, als da auszutreten – und auch das Warum! Die Politik sollte den Menschen Mut machen, sich für die Belange anderer Menschen einzusetzen: Ehrenamtliches Engagement kann auch eine Lösung sein.
Wenn die Menschen verstehen, warum Politik gemacht wird und was sie ihnen persönlich bringt, zeigen sich Risse in den AfD-Narrativen?
Clemens Torno:
Bei mir war es so. Dann muss die Politik der AfD den Gestaltungsspielraum nehmen; das geht natürlich nur, wenn man ehrliche, überzeugende Politik macht und den Bürgern nah ist. Wäre ich die Bundesregierung, würde ich alle Abgeordneten in Busse setzen und durch Deutschland fahren lassen, von Kiel bis nach Saarbrücken – damit sie einfach zuhören und mit den Leuten reden.
Und wenn man weder in Journalismus noch Politik arbeitet?
Clemens Torno:
Womit AfD-Anhänger und -Sympathisanten gar nicht zurechtkommen, ist: Widerspruch. Sich trauen, rechtspopulistische und rechtsextreme Narrative in der Familie, im Draußenbereich, im Lieblingsrestaurant aufzubrechen. Es braucht eine breite gesellschaftliche Tiefe und den Mut zur Veränderung im Sinne der Menschen und der Demokratie. Dann hat die AfD keine Chance. Denn wenn Menschen zufrieden sind, würde niemand auf die Idee kommen, die AfD zu wählen.
Titelbild:
Clemens Torno | grafische Bearbeitung: Claudia Wieczorek
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Dirk ist ein Internetbewohner der ersten Generation. Ihn faszinieren die Möglichkeiten und die noch junge Kultur der digitalen Welt, mit all ihren Fallstricken. Als Germanist ist er sich sicher: Was wir heute posten und chatten, formt das, was wir morgen sein werden. Die Schnittstellen zu unserer Zukunft sind online.