Wie CDU und FDP gerade die Verkehrswende rückgängig machen
Die Verkehrswende über Jahre zu blockieren, wie es Verkehrsminister von CSU und FDP tun, ist das eine. Doch die CDU geht in Berlin jetzt noch einen Schritt weiter: Sie baut Radwege zurück und macht so mühsam erkämpfte Fortschritte rückgängig. Zum Glück weisen London, Paris und Co. den Weg in die Zukunft.
Wer in den kalten, grauen Tagen im Februar 2023 durch die Straßen Berlins fuhr, sah sich konfrontiert mit einem bunten Wald aus Plakaten. An allen Ecken der Stadt konkurrierten die Schilder um die Aufmerksamkeit der 2,4 Millionen Wahlberechtigten.
Neben altbekannten Wahlkampf-Plattitüden buhlten die Parteien vor allem um die Gunst einer Gruppe: der Autofahrer:innen. »Berlin, lass dir das Auto nicht verbieten«, hieß es bei der CDU, oder »Berlin ist für alle da – auch für Autofahrer«. Die FDP proklamierte »Verkehrspolitik ohne toten Winkel« oder auch »Verkehrspolitik für Berlin, nicht gegen Autos«.
Keine Debatte wurde im Vorfeld des zweiten Anlaufs zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses so emotional geführt wie die ums Blech. Als stünde die Berliner Innenstadt kurz davor, komplett zur Fußgänger- und Radlerzone zu werden, wurden den bedrohten Autofahrer:innen Angebote gemacht, ihnen geschmeichelt und Schutz vor der angeblichen Diskriminierung zugesprochen. Alles werde so bleiben, wie es sei: kein Parkplatz, keine Fahrspur werde wegfallen, keine erhöhten Kosten den gebeutelten Autofahrer noch mehr belasten, so das Versprechen der Auto-Fraktion. Als seien sie eine unterdrückte Minderheit, die vor der Tyrannei der radelnden Mehrheit geschützt werden müsse.
Was ist da los in Berlin?
Wenn Fakten nicht helfen, tut es der Ideologie-Vorwurf
Am Abend des Wahltags wurde klar, wem der aufs Auto zugeschnittene Wahlkampf genutzt hatte. Der FDP jedenfalls wenig, sie flog hochkant aus dem Abgeordnetenhaus. Für die CDU schien der Plan hingegen aufzugehen. Sie gewann mit 28% – für Berliner Verhältnisse haushoch – und kürte ihren Spitzenkandidaten Kai Wegner zum regierenden Bürgermeister Berlins. So ist das Rote Rathaus nun nach 22 Jahren wieder schwarz.
Die autozentrierte Rhetorik im Wettbewerb um das höchste Amt in Berlin ist der bisherige Höhepunkt einer Auseinandersetzung, die in der Hauptstadt mit immer härteren Bandagen geführt wird. Ein »Kulturkampf ums Auto«, wie es der Spiegel 2 Wochen nach der Berlin-Wahl titelte, wird von konservativen Kreisen beklagt.

Ein geschickter Zug, um den Befürworter:innen der Verkehrswende zu unterstellen, ihnen ginge es nicht um die Sache, sondern bloß um Ideologie. So ist man nicht genötigt, sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen. Zum Beispiel, dass in Berlin 78% der Verkehrsflächen von Autos besetzt sind, obwohl sie nur für 25% der Wege genutzt werden. Dass die Fläche der parkenden Autos knapp doppelt so groß ist wie die gesamte Fläche der Berliner Radinfrastruktur. Oder dass fast jeden Monat in Berlin Radfahrer:innen im Verkehr getötet werden. Argumente, denen man nur schwer widersprechen kann – außer man stellt sie unter Ideologie-Verdacht.
Für Profiteure des Systems fühlt sich die Forderung nach Gleichberechtigung der Verkehrsmittel an wie Diskriminierung. Sobald gleiches Recht für alle eingefordert wird, wittern Privilegierte einen »Kulturkampf« und »Autohass«. Sie selbst betonen versöhnlich das »Miteinander« und dass man doch alle Menschen mitnehmen müsse. Doch diejenigen, denen die Perspektive jenseits der Windschutzscheibe vergönnt ist, wissen: Dieses Miteinander wird im täglichen Verkehrschaos mit Füßen getreten. Das jetzige Verkehrssystem nimmt längst nicht alle Menschen mit.
All jene, die versuchen, auch ohne Auto mobil zu sein, bleiben häufig auf der Strecke. In Deutschland herrsche Wahlfreiheit, betonte unlängst FDP-Finanzminister Christian Lindner, um im selben Atemzug zu betonen, dass diese Wahlfreiheit fürs Auto gefährdet sei. Jede:r solle doch so mobil sein, wie er oder sie möchte. Radfahrer:innen können über solche Sätze nur müde lächeln, während sie zu Hause die sicherste Radroute planen.
Lindners Parteikollege und Verkehrsminister Volker Wissing sorgt sich ebenfalls um die Freiheit – vor allem um die Freiheit, mit Tempo 50 durch Ortschaften zu fahren. Dafür wird dann leider die Freiheit der Kommunen eingeschränkt, eigenständig darüber zu bestimmen. Über 800 Gemeinden, die 33 Millionen Menschen vereinen,
Wo neue Radwege wieder abgebaut werden
Während FDP-Minister Wissing vor allem mit Passivität und Blockade glänzt, kann im neuerdings CDU-regierten Land Berlin von Passivität nicht die Rede sein. Die frisch gebackene Verkehrssenatorin Manja Schreiner, die im Vorfeld der Wahl bereits mit der Aussage aufgefallen war, dass die Menschen ja andere Probleme hätten als Vorfahrt für Fahrräder, zeigte schnell, was sie von der Verkehrswende hält. Kurz nach Amtsantritt sickerte eine behördliche Anweisung an die Presse durch und die hatte es in sich:

Zwar versuchte die Senatorin, die Wogen in den aufgebrachten Bezirken zu glätten, die Jahre an Planung und Millionen an Geldern in Radverkehrsprojekte investiert hatten. Doch im Grundsatz änderte sich nichts. Der Ausbau der Radinfrastruktur und deren Förderung liegen in der größten Stadt Deutschlands auf Eis – zumindest bis sich Manja Schreiner nach eigenen Angaben »einen Überblick« verschafft hat.
Seitdem folgt eine Hiobsbotschaft auf die nächste. Ein
Nach einem erfolgreichen Volksbegehren für mehr Fahrradwege im Jahr 2016 wurde es 2018 als erstes Mobilitätsgesetz Deutschlands vom rot-rot-grünen Senat verabschiedet. Der Königsparagraf: Artikel 43. Bis 2030 sollen an allen Hauptstraßen sichere Radwege gebaut werden. Zudem wurde dem Umweltverbund aus ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr gesetzlich Vorrang eingeräumt und erstmals eine Reduzierung des Autoverkehrs als politisches Ziel formuliert. All das wurde von den Christdemokraten jetzt erst mal in den Ruhemodus versetzt oder gänzlich rückgängig gemacht.
Berlin: Allein auf weiter europäischer Flur
In Anbetracht der Entwicklungen in unseren Nachbarländern kann man über das verkehrspolitische Irrlichtern Deutschlands nur fassungslos den Kopf schütteln. In zahlreichen europäischen Metropolen werden die Zeichen der Zeit längst erkannt und wird die Verkehrswende eingeläutet. Paris hat unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo nahezu flächendeckend Tempo 30 eingeführt und innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Autospuren zu Radwegen umgestaltet. Die Videos von radelnden Pariser:innen gehen seitdem um die Welt.
Auch in der englischen Hauptstadt findet ein Umdenken statt. Seit Jahren baut London neue Radwege, auch auf Kosten des Autoverkehrs. Dieser wird durch die Ausweitung der City-Maut aufs gesamte Stadtgebiet jetzt noch mehr in die Verantwortung gezogen. Londons
Die Beispiele europäischer Städte, die sich der fossilen Fesseln entledigt haben, lassen sich beliebig fortsetzen. Barcelona macht international Schlagzeilen mit seinen autofreien Superblocks, Amsterdam mit der Eröffnung des weltweit ersten Unterwasser-Fahrradparkhauses. Mailand will bis 2035 ein 750 Kilometer langes sicheres Radwegenetz aufbauen. Der Anwohnerparkausweis kostet in Stockholm jährlich 829 Euro (in Berlin nur 10,2 Euro), und Finnlands Hauptstadt Helsinki hat nach Einführung von Tempo 30 im Jahr 2019 erstmalig die »Vision Zero« erreicht, also null Verkehrstote.
Apropos Finnland: Kürzlich musste ein finnischer Millionär für zu schnelles Fahren
Berlin macht bei der Verkehrswende eine Rolle rückwärts
Vermutlich vieles, wenn wir den aktuellen Zustand der Verkehrsdebatte betrachten. Wir machen Schlagzeilen mit einer 500 Meter langen Fußgängerzone, die in einer Stadt mit 5.500 Kilometern Straße wieder abgebaut wird.

Im deutschen Fernsehen wundern sich dänische Journalisten darüber, wie hysterisch hierzulande die Debatte um die Wärmepumpe geführt wird. Was in Deutschland als »grüne Ideologie« bezeichnet wird, hat sich in anderen Ländern längst bewährt. Oder wie es der Twitter-User »Laserbrille« kürzlich formulierte. »Wärmepumpe ist wie Tempolimit. Funktioniert überall auf der Welt, außer in Deutschland.«
Wie manövrieren wir uns jetzt aus der Sackgasse, wie gelingt der U-Turn im Geisterfahrerland Deutschland? Auch wenn es manchmal schwerfallen mag: Positiv bleiben und auf die Menschen hoffen. Hoffen, dass sie die Widersprüche, das falsche Spiel und die Ideologie der Autoparteien durchschauen und diese aus der Verantwortung wählen. Hoffen, dass der stete Tropfen der besseren Zukunft die Phrasen der Vergangenheit aushöhlt. Das Momentum liegt auf der Seite all derer, die sich für eine lebenswerte, schöne und gerechte Stadt für alle einsetzen.
Vor 16 Jahren wurde das Rauchen in öffentlichen Innenräumen gesetzlich verboten. Der Aufschrei war groß und das Ende der Freiheit wurde besungen. Heute wollen selbst Raucher:innen den alten Zustand nicht wieder zurück. Ich bin überzeugt: Mit lebenswerten Städten wird es in naher Zukunft ganz genauso sein.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily