Waldbrände: Warum wir lernen müssen, wieder mit dem Feuer zu leben
Kein Sommer ohne Feuerkatastrophen – so scheint es. Aber stimmt es, dass es immer mehr Waldbrände gibt? Und liegt das wirklich an der Klimakrise?
Im Juni 2023 gehen Bilder aus New York um die ganze Welt: Wie ein Sepia-Filter liegt Smog über der Stadt, taucht alles in ein apokalyptisches Orange. Medien berichteten:
Auch in Griechenland gab es allein vergangene Woche 6 größere Brände. Während die Lage auf dem Festland schneller unter Kontrolle war, mussten am Wochenende
In Deutschland hat sich die Situation durch den Regen
Italien, Algerien, Türkei, USA, Spanien,
Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte des Feuers
Die Erde ist nicht nur der einzige uns bekannte Planet, auf dem Leben möglich ist. Sie ist auch der einzige Planet, auf dem es Feuer gibt. Dass beides zusammen existiert, ist kein Zufall. Im Gegenteil wäre es ohne Leben gar nicht erst möglich, dass sich ein Brand entzündet. Denn damit ein Feuer entsteht, braucht es grundsätzlich 3 Dinge:
Erst als sich Leben in den Ozeanen entwickelte, reicherte sich die Atmosphäre der Erde nach und nach mit Sauerstoff an. Und erst als es Leben in Form von Pflanzen an Land schaffte, standen die nötigen Kohlenwasserstoffe für Verbrennungsprozesse zur Verfügung. Die Funken, die in dieser Zeit Brände in Gang brachten, stammten fast ausschließlich von Blitzen, seltener von Vulkanen.
Einige Regionen der Erde brannten und brennen bis heute durch ihre Vegetation und Wetterlagen häufiger als andere: Weil es beispielsweise im Sommer sehr wenig regnet, es regelmäßig zu
Gleichzeitig fußt ein Großteil der menschlichen Entwicklung und der heutigen Zivilisation auf Feuer in seinen diversen Spielarten. Noch vor Pflanzen und Tieren domestizierte der Mensch gewissermaßen das Feuer. Er nutzte es, um seine Nahrung besser verdaulich zu machen, um sich zu wärmen, und als Lichtquelle. Außerdem als Werkzeug, um andere Werkzeuge, Materialien und Waffen herzustellen – Glas, Metall, Ziegelsteine, gehärtete Stahlspitzen, Kanonenkugeln.
Wie uns fossile Brennstoffe in ein neues Zeitalter katapultier(t)en
Über die Jahrhunderte verschwand das (sichtbare) Feuer in vielen Ländern wieder aus den Städten und dem täglichen Leben. Kerzen wurden durch Glühbirnen ersetzt, Feuerstellen durch elektrische Öfen. Äcker werden nicht mehr in Brand gesetzt und brachgelegt, sondern durch Dünger mit Nährstoffen angereichert. Waldbrände werden heute meist unterdrückt oder man versucht, sie möglichst schnell zu löschen. Sie sind in unserer Wahrnehmung kein Alltag, sondern Ausnahmezustand. Wirklich verschwunden ist das Feuer aber nicht; seine Nutzung hat sich nur verlagert. Denn der Mensch begann, anstelle von Brennmaterial, das über der Erde wächst, fossile Rohstoffe zu nutzen.
»Wir entnehmen Brennstoffe aus der geologischen Vergangenheit, verbrennen sie in der Gegenwart und setzen ihre Nebenprodukte in einer geologischen Zukunft frei.« – Stephen Pyne, Historiker
Das Problem: Bei Wald- und Flächenbränden nimmt die Vegetation, die nachwächst, den durch die Brände frei gewordenen Kohlenstoff theoretisch wieder auf. Werden Kohle, Öl und Gas verfeuert, ist das nicht der Fall. Dadurch bringt der Mensch die Zusammensetzung der Atmosphäre aus dem Gleichgewicht, die Konzentration von CO2 steigt. Mehr CO2 in der Atmosphäre bedeutet wiederum höhere Durchschnittstemperaturen und die Häufung von Wetterextremen.
Dass der Mensch Feuer so exzessiv nutzt, hat also Auswirkungen auf das Klima und das gesamte Ökosystem der Erde. Manche Forschende rufen deshalb gar ein neues Erdzeitalter aus – das Pyrozän. Geprägt hat den Begriff der US-amerikanische
›Pyrozän‹ bietet eine feuerzentrierte Perspektive darauf, wie der Mensch die Erde formt. Es gibt dem Anthropozän einen neuen Namen, indem es die wesentliche ökologische Signatur der Menschheit in den Mittelpunkt der Definition rückt: nämlich unsere Fähigkeit, Feuer zu kontrollieren. Der Begriff transportiert auch eine Erzählung – die Erzählung vom langen Bündnis zwischen Feuer und Menschen.
Dabei entfaltet sich das Ausmaß des Pyrozäns laut Pyne gerade erst. Das Paradoxe: Je mehr der Mensch versucht, Feuer zu unterdrücken, desto heftiger bahnt es sich seinen Weg zurück.
Deutschland zählt künftig zu den »brandgefährdeten Ländern«
»Ich finde es wichtig, diesem Zeitalter einen Namen zu geben«, sagt auch Alexander Held. Der gelernte Forstwissenschaftler arbeitet seit 2012 am
Feuer wird heute zwar thematisiert, aber es wird meist als ein externer Unfall betrachtet. Doch das ist es nicht. Feuer ist nichts, was passiert, weil wir Pech haben; was wir bekämpfen können, um möglichst schnell zurück zur Normalität zu kommen. Feuer gehört zum System. Deshalb müssen wir jeden Tag an Feuer denken – auch wenn’s regnet.
Feuer mitdenken und als Normalität akzeptieren – für die zuständigen Behörden, Einsatzkräfte und auch die Bevölkerung in Deutschland ist das eine Umstellung. Zwar gibt es regelmäßig kleinere, zeitlich begrenzte Waldbrände; heftige Waldbrände waren hierzulande bislang eher die Ausnahme. Deutschland zähle als »neu brandgefährdetes Land«, erklärt Lindon Pronto. Durch die Klimakrise nimmt die Anzahl an Tagen pro Jahr zu, an denen »Feuerwetter«-Bedingungen herrschen – gemessen in Temperatur, relativer Luftfeuchtigkeit, Wind und Niederschlag. Diese Bedingungen begünstigen, dass sich Brände entzünden, ausbreiten und Ausmaße annehmen, die Feuerwehren schnell überfordern.
Aber: Die Klimakrise verursache nicht per se Brände, sondern erhöhe in vielen Fällen nur das Risiko dafür, sagt Lindon Pronto.
Die Klimakrise ist Brandbeschleuniger, aber (bislang) nicht Zündquelle
Neben erhöhter Trockenheit durch Dürreperioden gebe es weitere Faktoren, die das Waldbrandrisiko erhöhten, erklärt Lindon Pronto:
- Landnutzungsveränderungen: Durch Landflucht – zum Beispiel im Mittelmeerraum und in Osteuropa – hat sich in bestimmten Regionen mehr brennbare Vegetation angehäuft. Hunderte von Jahren wurde die Landschaft dort intensiv bewirtschaftet und beweidet. Das reduzierte die wildwachsende brennbare Vegetation. Jetzt sind diese Landschaften stärker überwuchert und entflammbar. Brände in diesen Gebieten sind schwieriger zu kontrollieren.
- Forstwirtschaftliche Praktiken: Monokulturen, keine kontrollierten Verbrennungen oder das Ansammeln von totem Brennmaterial können die Brandgefahr erhöhen.
Auch diese Faktoren sind jedoch nicht die direkte Brandursache, sondern eine weitere Voraussetzung dafür, dass sich Feuer heute mit mehr Intensität entflammen, verbreiten und neben Ökosystemen auch menschliche Siedlungen gefährden. Doch was ist der Grund für die Entzündung selbst?
Die Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen schätzt, dass
Durch die Klimakrise könne sich dieser Anteil erhöhen, sagt Lindon Pronto: »Erste Beobachtungen deuten darauf hin, dass Blitzschlagbrände im Zusammenhang mit trockenen Gewittern in Deutschland zunehmen, vor allem in den Alpen.«
Wie immer, wenn es um die Zukunft geht, sind genaue Vorhersagen schwierig. Denn die Zahl der Walbrände fällt je nach Wetterlage im Frühjahr und Sommer jedes Jahr sehr unterschiedlich aus. In Deutschland waren es im Jahr 2021 beispielsweise 548,
Hier eröffnet sich ein weiteres Paradox im Umgang mit Feuer: Es bräuchte mehr Brände – dafür kleinere mit geringerer Intensität –, um Feuerkatastrophen zu verhindern. »Die Idee ist, dass wir durch ›gutes‹ Feuer langfristig das ›schlechte‹ Feuer verhindern. Denn das ›schlechte‹ Feuer würde die gesamte Landschaft in Rauch auflösen, während das ›gute‹ Feuer nur einen gewissen Prozentsatz des brennbaren Materials entfernt und dadurch den Rest resilienter gegen Katastrophenfeuer macht«, erklärt Alexander Held.
Das Wissen darüber, wie Expert:innen solche »guten« Feuer gezielt und kontrolliert nutzen können, verbreiten Alexander Held und Lindon Pronto derzeit mit ihrem Projekt »Waldbrand Klima Resilienz«. Wie es weitergeht, nachdem das Projekt in diesem Jahr ausläuft, wissen die beiden nicht genau, doch hoffen sie, dass es irgendwann eine feste Institution in Deutschland gibt – damit das Thema Wald und Feuer die Aufmerksamkeit bekommt, die es braucht.
Denn fest steht: Menschen und ihre Politik haben das Pyrozän und mit ihm die Klimakrise erschaffen. Jetzt tragen wir die Verantwortung dafür, dass die Bilder der letzten Wochen nicht sinnbildlich für dieses Erdzeitalter werden.
Titelbild: Marek Szturc - CC0 1.0