Dieser Text hilft dir, deine Persönlichkeit besser zu verstehen
Können wir uns ändern, wenn wir wollen? Welche Ereignisse prägen uns? 4 überraschende Erkenntnisse der Persönlichkeitsforschung
Ich starre auf den schwarzen Strich. Er blinkt und blinkt und blinkt und will, dass ich endlich etwas tippe. Warum fällt es mir so schwer, eine einfache E-Mail zu schreiben? Ich bin genervt von mir selbst und wäre gerne anders: spontaner, gelassener. Wenn ich meine Persönlichkeit nur ein bisschen verändern könnte, wäre mein Leben so viel einfacher, denke ich.
Gleichzeitig weiß ich, dass ich mich schon verändert habe. Die Frau, die heute vor dem Computer sitzt, ist eine andere als die, die vor 10 Jahren davorsaß. Aber wie bin ich diese Frau geworden? Was hat mich verändert? Die 2 Kinder, die ich in dieser Zeit bekommen habe? Die vielen beruflichen Wechsel? Oder war es die Pandemie? Und wie viel mehr Veränderung kann ich im Laufe meines Lebens erwarten? Kann ich noch spontaner oder gelassener werden?
Dass ich überhaupt Antworten auf diese Fragen finden kann, ist erst seit ein paar Jahren möglich. Persönlichkeitsforscher:innen brauchten nicht
Dank dieser Untersuchungen wissen wir, dass die Transformation des Ichs erst mit dem Tod endet.
Und wir wissen noch viel mehr: Wir wissen, wie wir uns verändern, was uns verändert und ob wir uns bewusst ändern können. Falls du dich auch fragst, auf wie viel Wandel du bei dir selbst hoffen kannst, habe ich dir hier die Antworten der Wissenschaft auf die 4 brennendsten Fragen zur Persönlichkeitsentwicklung zusammengestellt.
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1. Jugend, Erwachsenwerden, Alter – Wie verändern wir uns?
Die Daten aus den Langzeitstudien zeichneten für jede:n der Befragten ein Persönlichkeitsprofil, das sich über Jahrzehnte erstreckte. Als die Forschenden alle Profile zusammenführten, wurde deutlich, dass ihr Verlauf einem Schema folgte: Die Wesenszüge variierten nicht zufällig. Sie passten sich den Anforderungen an, die jede Lebensphase mit sich bringt. Die Persönlichkeit verändert sich also nicht irgendwie, sie reift. Diese Anpassungsleistung wird deshalb auch Reifungsprinzip genannt.
Junge Erwachsene etwa suchen ihren Platz im Leben und der Gesellschaft. Dabei müssen sie viele Menschen von sich überzeugen, seien es Lehrer:innen, Arbeitgeber:innen, Partner:innen oder Freund:innen. Damit ihnen das gelingt, bilden sich die sozialen Facetten ihres Charakters aus: Sie werden geselliger, zuverlässiger und offener für neue Erfahrungen. Irgendwann zwischen dem 20. und 25. Geburtstag erreicht diese Entwicklung ihren Höhepunkt.
Zum 30. Geburtstag hin ist diese Phase des Sich-Beweisens abgeschlossen und die Ausrichtung nach außen nimmt langsam ab. Einen eindrucksvollen Nachweis für diesen Trend bietet eine
Je älter wir werden, desto weiter sinkt der Stellenwert dieser sozialen Wesenszüge. Wer hochbetagt ist, muss sich in seinem Umfeld nicht mehr bewähren und kann es sich erlauben, weniger sorgfältig, unternehmungslustig und gesellig zu sein. Dafür werden viele Senior:innen verträglicher und genießen eine ausgeglichenere Sicht aufs Leben. Diese beneidenswerte Einstellung wird deshalb auch
2. Arbeit, Beziehungen, Reisen, Kinder – Was verändert uns?
Die Antwort, die die Forschung auf diese Frage liefert, ist eindeutig, aber unerwartet. Erzählt sie doch eine andere Geschichte als die, die wir aus Märchenbüchern und Netflix-Serien kennen: Es sind nicht die Liebe oder die Geburt eines Kindes, die zur größten Verwandlung unseres Wesens führen und uns erwachsen werden lassen. Es ist die Arbeit. Mit dem ersten Gehalt setzt ein Reifungsschub ein und wir werden gewissenhaftere, verträglichere und emotional stabilere Menschen.
Dass es der Berufseinstieg und nicht das Alter ist, wodurch diese Veränderung in Gang gesetzt wird, zeigt eine
Was im Privatleben passiert, hat dagegen kaum einen Einfluss auf unsere Persönlichkeit. Eine neue Beziehung oder Freundschaft, eine Trennung, ein Kind – alles Ereignisse, die mächtig genug sind, um unser Leben auf den Kopf zu stellen. Uns selbst scheinen sie aber nicht zu verwandeln. Gerade die Geburt eines Kindes sorgt dafür, dass alles anders wird. Müssten dann nicht auch die Mutter oder der Vater andere Menschen werden? Das hat sich die
Wie kann es sein, dass uns ein Jahr im Büro mehr prägt als ein Jahr Elternzeit? Was unterscheidet die Erfahrungen im Arbeitsleben von denen im Privatleben? Die Persönlichkeitspsychologin Jule Specht gibt in ihrem
Wie ich mich gut in meiner Eltern-, Partner:innen- oder Freund:innen-Rolle schlage, ist nicht so direkt vorgegeben wie im Beruf. Zwar gibt es gesellschaftlich geprägte Vorstellungen und Erwartungen, die an diese Rollen geknüpft sind, trotzdem ist der Spielraum größer. Das erlaubt es mir, sie eher so auszufüllen, wie ich es möchte, statt meine Persönlichkeit daran anzupassen.
3. Krisen und Schicksalsschläge – Macht uns das, was uns nicht umbringt, wirklich stärker?
An Krisen wachsen wir. Diese Annahme ist so fest verankert in den Geschichten, die wir uns selbst und anderen erzählen, dass wir sie zur Wahrheit erhoben haben. Aber stimmt das? Machen Krankheit, Tod, Unfälle oder Trennungen tatsächlich einen reiferen Menschen aus uns? In der Psychologie hat diese Annahme einen Fachbegriff: posttraumatisches Wachstum.
Viele Menschen, die einen Schicksalsschlag durchlebt haben, fühlen sich danach stärker und haben das Gefühl, daran gewachsen zu sein. Während das ein wichtiger Schritt in der Verarbeitung eines
Im Gegenteil:
4. Coaching, Training, Selbstoptimierung – Können wir uns ändern?
Bleibt noch eine große Frage: Können wir unsere Persönlichkeit gezielt verändern?
Ja, können wir! Bis zu einem gewissen Grad zumindest. Aus einer schüchternen, zurückgezogenen Person wird kein Jan Böhmermann werden, aus einem verträumten Messie keine Marie Kondo. Aber wir können einzelne Charakterzüge so formen, wie wir es möchten. Das ist das Fazit erster Studien, die Menschen bei dieser Art von
Der US-amerikanische Psychologe Nathan Hudson nahm die Beobachtung, dass die größten Persönlichkeitsveränderungen im Berufsleben stattfinden, zum Ausgangspunkt für seine Forschung. Seine Idee: Bei der Arbeit werden wir wieder und wieder dazu ausgefordert, uns so zu verhalten, wie es für eine gewissenhafte, freundliche Person typisch ist. Wenn wir diese Verhaltensweisen lange genug ausführen, werden wir selbst gewissenhafter und freundlicher. Nach dem Motto »Fake it till you make it« gab er seinen Proband:innen
- Wer extravertierter sein wollte, sollte ein kurzes Gespräch mit den Kassierer:innen im Supermarkt anfangen.
- Wer gelassener werden wollte, sollte die Dinge, die ihm oder ihr Sorgen bereiten, aufschreiben.
- Wer gewissenhafter werden wollte, sollte eine Aufgabe eine Woche früher erledigen als erwartet.
- Wer offener für neue Erfahrungen werden wollte, sollte ein Museum oder eine Kunstausstellung besuchen.
- Wer verträglicher werden wollte, sollte etwas Nettes, aber Aufrichtiges zu einer fremden Person sagen.
Die Übungen zeigten Wirkung. Über 16 Wochen veränderten sich die Teilnehmenden so, wie sie es sich zu Beginn des Programms gewünscht hatten. Riesige Umschwünge erreichten sie zwar nicht: Auf einer Skala von 1 bis 5 war für einen Wert von 3 ein Anstieg auf eine 3,25 oder 3,5 zu erwarten. Die Bemühungen reichten aber, um eine Person, die eher introvertiert oder unterdurchschnittlich emotional stabil war, in die Mitte des Spektrums zu schubsen.
Wie effektiv Persönlichkeitstrainings wie das von Nathan Hudson tatsächlich sind, muss sich noch zeigen. Seine Untersuchungen waren alle recht klein und gaben nur wieder, wie die Proband:innen selbst ihre Entwicklung wahrgenommen haben. Eine größere
Wenn du jetzt motiviert bist, an dir selbst zu arbeiten, brauchst du dafür kein teures Coaching und keinen selbsternannten Guru. Du kannst selbst loslegen, indem du dir überlegst, wie sich die Person verhält, die du werden möchtest, und dir möglichst detailliert ausmalst, wie du das in deinem Alltag umsetzt. Die Persönlichkeitsforscherin Jule Specht weist in ihrem Buch darauf hin, dass es nichts bringt, neue Situationen aufzusuchen, ohne einen konkreten Plan zu haben. In der Unsicherheit der ungewohnten Situation werden wir eher auf gut eingeübte Verhaltensweisen zurückgreifen, die unserem alten Ich entsprechen, als neue Strategien auszuprobieren. Wenn du etwa geselliger werden willst und beschließt, auf eine Party zu gehen, läufst du Gefahr, dass du dadurch deine zurückgezogene Seite verfestigst. Kommst du unvorbereitet auf die Feier, ist es wahrscheinlich, dass du dich aus dem Trubel schnell in eine ruhige Ecke zurückziehst, statt auf die anderen Gäste zuzugehen. So wirst du nicht viel mehr von der Erfahrung mitnehmen als die Bestätigung, dass große Feste nichts für dich sind.
Legst du aber vor der Party fest, wie du dich verhalten möchtest, machst du es dir leicht, deine extravertierte Seite zu entdecken und zu fördern. Hier hilft es, wenn du deine Vorsätze als
Meine E-Mail ist mittlerweile fertig. Der Gedanke, dass sich meine Persönlichkeit ganz ohne Coachings und
Redaktionelle Bearbeitung: Katharina Wiegmann
Titelbild: Dcoetzee - public domain