Das ist die erste grüne Versicherung, die es ernst meint
Was sie verspricht, wie sie sich finanziert und ob sie scheitern könnte.
Die Grundidee hinter einer Versicherung ist genial: Viele Menschen schließen sich zusammen, um sich gegenseitig solidarisch vor den Risiken des Lebens zu schützen. Alle schmeißen einen Teil ihres Geldes in einen gemeinsamen Topf, aus dem dann Einzelne entschädigt werden, wenn das Schicksal zuschlägt.
Diese Idee ist so stark, dass sie die Menschheit seit den Anfängen der Zivilisation mit sich trägt und stets weiterentwickelt hat.
Wie genau, erfährst du im ersten Teil der Serie zum Thema Versicherung:
Doch hat sich das Prinzip Versicherung immer nur zum Guten weiterentwickelt? Heute ist viel Geld und Macht bei einigen wenigen Multimilliarden-Konzernen konzentriert, die nicht mehr allein ihre Mitglieder schützen wollen, sondern auch die Renditeerwartungen von Investor:innen befriedigen müssen.
Dafür müssen sie das Geld der Versicherten möglichst gewinnbringend anlegen – was bis heute dazu führt, dass Milliarden in profitversprechende Projekte fließen, die Mensch und Natur ausbeuten.
Ein kleines Unternehmen aus München will es anders machen und hat sich zum Ziel gesetzt, die erste wirklich nachhaltige Versicherung zu werden. Das Start-up ist genossenschaftlich organisiert und entscheidet anhand von Klimakriterien, wo das Geld der Kund:innen investiert wird. Und das kann dann auch mal ein Kartoffelacker sein.
Ob das funktioniert?
Die Versicherungsbranche wird grüner – doch dieser Frau nicht grün genug
Ein kurzes Schmunzeln kann ich mir nicht ganz verkneifen, als mir Elena Sulzbeck von ver.de im Interview erzählt, dass sie das Geld ihrer Kund:innen unter anderem in das
ver.de will das Thema Versicherung von Grund auf neu aufziehen. Bisher steuert der gigantische Kahn der Multimilliarden-Branche nur sehr langsam auf einen nachhaltigeren Kurs zu. Die Versicherungswirtschaft will gerade mal bis 2050 klimaneutral werden – und das nur im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Viel zu langsam, viel zu inkonsequent, fand die Biologin und Ökonomin Marie-Luise Meinhold und gründete ver.de.
Meinhold war selbst viele Jahre als Führungskraft beim global agierenden Versicherungskonzern Allianz tätig, wollte dort Wandel von innen heraus vorantreiben – ohne Erfolg.
»Marie hat damals erkannt, dass viele drängende Themen ins Haus stehen, für die es einen enormen Investitionsbedarf gibt«, erinnert sich Elena Sulzbeck, die heute neben Meinhold zum Vorstand bei ver.de gehört und für die Kommunikation zuständig ist.
»Die Heizwende ist ein ganz aktuelles Beispiel dafür, Klimaschutz aber generell. Aber auch in den Bereichen soziale Gerechtigkeit und Ungleichheit müsste sich viel tun. Viele fragen dann, woher das Geld für Veränderung kommen soll – dabei ist das Geld grundsätzlich vorhanden. Das wird schnell klar, wenn man weiß, welche Summen allein im Versicherungssektor bewegt werden.«
Im Versicherungssektor fehlen echte Alternativen
Da sich aber die Platzhirsche in Sachen Nachhaltigkeit und zum Beispiel auch Transparenz oder Digitalisierung so langsam bewegen, braucht es Elena Sulzbecks Meinung nach dringend Start-ups in dem Bereich, um den Wandel zu beschleunigen.
So beschränken sich einige etablierte Versicherungen zurzeit darauf, sich einen gewissen grünen Anstrich zu verleihen, indem sie bestimmte Ausschlusskriterien für ihre Investitionen formulieren, um sich dann als sozial und ökologisch verantwortungsvoll darzustellen.
Sulzbeck erklärt, warum das ihrer Meinung nach nicht ausreiche:
Wir sind der Meinung, dass es neue Versicherungen braucht, die beweisen, dass Nachhaltigkeit in der Branche mehr bedeutet, als nur 1–2 Ausschlusskriterien für Waffen oder Kinderarbeit festzulegen. Auch hier ist es möglich, ganzheitlich vorzugehen und genau hinzusehen, was das angelegte Geld bewirken soll.
Der Bankenbereich ist da wesentlich weiter. Hier gibt es bereits seit einiger Zeit Unternehmen, die sehr genau darauf achten, wie das Geld ihrer Kund:innen »arbeitet«.
Das zeigt der jährlich erscheinende
Er zeigt, dass es inzwischen mehrere Banken gibt, die in den Bereichen Nachhaltigkeit und Fairness sehr gut abschneiden. Jede einzelne von ihnen wurde explizit mit dem Ziel gegründet, Geld nachhaltiger anzulegen.
Im Versicherungsbereich zeigt sich ein anderes Bild. Zuerst fällt auf, dass Versicherungen im Fair Finance Guide bisher eine untergeordnete Rolle spielen. Hier wurden lediglich 6 Unternehmen untersucht und einzig deren Lebensversicherungen verglichen.
Doch die Ergebnisse sind im Vergleich zu den Banken ernüchternd. Sie zeigen: Versicherungen schneiden noch wesentlich schlechter ab als Banken, Neugründungen als nachhaltige Alternative fehlen.
ver.de: Nachhaltiges Eigengewächs statt grüner Fassade?
Die ver.de-Gründerin Marie-Luise Meinhold hat in ihrer Zeit bei der Allianz in den 2000er-Jahren aus erster Hand erfahren, wie schwierig es ist, die bestehenden Strukturen bei den etablierten Versicherungen grundlegend zu verändern. Daher stieg sie 2011 aus.
»Zuerst ging es vor allem darum, Menschen zusammenzubringen, die nachhaltige Geschäftsmodelle unterstützen möchten. In den folgenden Jahren haben wir dann viel mit bestehenden Versicherungen und Investor:innen gesprochen. Von diesen wollte jedoch niemand unsere Ideen zu 100% mittragen«, erzählt Elena Sulzbeck.
Daher entschied sich Marie-Luise Meinhold schließlich dafür, die Sache selbst anzugehen, und gründete so als erste Frau in Deutschland eine Versicherung:
Wir halten es für notwendig, eine völlig neue Versicherung zu schaffen, die von Anfang an nicht nur auf Nachhaltigkeit setzt, sondern auch auf genossenschaftliche Prinzipien und Transparenz.
Konkret heißt das: ver.de investiert das Geld, das von seinen Kund:innen in Form von Beiträgen oder Genossenschaftsanteilen eingebracht wird, ausschließlich in ökologisch-soziale Projekte. Welche das sind, können die Genossenschaftsmitglieder mitentscheiden.
So kam es zu Investments wie dem in das Münchner Kartoffelkombinat, das nach den Prinzipien der
Die Auswahl der Projekte orientiert sich dabei nicht an vollmundigen Versprechungen, sondern an genau festgelegten Kriterien: »In den Berichten zu unseren Investitionen wird genau aufgezeigt, wie CO2-Einsparungen und energieeffiziente Maßnahmen wirken«, sagt Sulzbeck. Ziel sei es, eine Mischung aus kleinen lokalen Projekten wie dem Kartoffelkombinat, mittelgroßen Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien und größeren Anleihen zu erreichen.
»Diese Diversifizierung ist wichtig, um sowohl in größeren als auch in kleineren Maßstäben sinnvoll zu investieren. Es ist unkonventionell für die Versicherungswirtschaft, in solche Projekte zu investieren, aber es ist eine Richtung, die wir bewusst verfolgen möchten.«
So weit, so ungewöhnlich. Doch es gibt einen Haken.
Das Problem: ver.de fehlt es noch an Kapital
ver.de ist Stand jetzt noch keine »echte« Versicherung. Wer auf der Website nach Hausrat, Haftpflicht und Co. sucht, schaut in die Röhre.
Das liegt daran, dass sich das Projekt noch immer im Aufbau befindet – und dieses Unterfangen ist für eine Versicherung wesentlich schwieriger als für normale Unternehmen. Denn es braucht ein Startkapital von mindestens 4 Millionen Euro, um in Deutschland als Versicherung zugelassen zu werden und sich dann auch so nennen zu dürfen. Und die hat ver.de aktuell noch nicht.
Die Kapitalstock-Hürde erschwert es neuen Versicherungs-Start-ups ungemein, Fuß zu fassen und den Branchenriesen Konkurrenz zu machen. Sie hat allerdings auch einen Sinn: Wer Kund:innen vor Schäden schützen will, muss im Schadensfall liquide sein.
Ein Beispiel: Möchte ein Versicherungsunternehmen Wohnhäuser gegen Unwetter versichern, muss es über ein gewisses Polster verfügen, falls kurz nach der Gründung ein großer Sturm zuschlägt und alle Dächer neu gedeckt werden müssen.
Bis dahin hat ver.de noch ein gutes Stück Arbeit vor sich: Bisher gehören der Genossenschaft etwa 280 Mitglieder an, die rund 1,7 Millionen Euro aufgebracht haben. Dieses Geld floss als Investition in die ersten Projekte.
Mit dem Fahrrad auf dem Weg zur ersten grünen Versicherung Deutschlands
Parallel zum Aufbau der Genossenschaft bietet ver.de erste Produkte für Kund:innen an, darunter einen Fahrrad-Schutz, der wie eine Versicherung funktioniert, aus den oben genannten Gründen aber noch nicht so genannt werden darf.
Sobald der Kapitalstock durch neue Genossenschaftsmitglieder ausreichend gestiegen ist, soll die Zertifizierung als Versicherung bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beantragt werden.
Weitere Versicherungsprodukte sollen dann folgen. Geplant sind Sachversicherungen, Hausrat und Haftpflicht, am Ende auch Gebäudeversicherungen – diese sind risikoreicher und benötigen daher mehr Kapital.
»Deshalb ist der Aufbau von ver.de mühsam. Für gewöhnlich startet ein Unternehmen klein, erarbeitet sich dann einen guten Ruf und erhält im Idealfall weitere Mittel, um den Weg fortzusetzen und zu expandieren«, berichtet Elena Sulzbeck. »Das funktioniert für uns aus 2 Gründen nicht. Erstens legen wir großen Wert auf unsere genossenschaftlichen Prinzipien der Mitbestimmung, was uns für große Investor:innen unattraktiv macht. Zweitens können wir als Versicherung aber nicht wirklich an den Start gehen und uns einen guten Ruf erarbeiten, solange wir nicht das nötige Kapital angesammelt haben. Das ist zuweilen frustrierend.«
Doch davon lässt sich das Team von ver.de nicht entmutigen. Im Gegenteil: Man ist zuversichtlich, dass die Versicherungslizenz bald beantragt werden kann.
Dafür fehlen aber noch rund 4 Millionen Euro, die gemeinschaftlich von neuen Genossenschaftsmitgliedern aufgebracht werden sollen. Das könnte im Rahmen einer groß angelegten Kampagne im kommenden Herbst gelingen.
»Im ersten Schritt ist man damit an ver.de beteiligt. Der Gedanke ist, dass von zukünftigen Überschüssen alle wirtschaftlich profitieren und nicht nur einige wenige. Wer möchte, kann auch im Sinne der Genossenschaft mitarbeiten und etwa mitbestimmen, wo unser Geld hinfließt, aber das ist rein optional«, erklärt Elena Sulzbeck.
Auf diese Weise kann jede:r selbst mitentscheiden, ob das eigene Geld in Waffen, fossile Brennstoffe oder Produkte aus Kinderarbeit fließt – oder in den nachhaltigen Kartoffelacker vor den Toren der Stadt.
Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily