Die Bundesregierung tue nicht genug für den Klimaschutz, sagt der Expertenrat. Doch den Kanzler lässt das kalt
In ihrem neuen Klimaschutzprogramm plant die Ampel 130 Maßnahmen ein – und wird damit trotzdem die Klimaziele verfehlen.
Vergangene Woche musste die Bundesregierung eine
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1. Was ist der Unterschied zwischen Klimaschutzgesetz und Klimaschutzprogramm?
Das deutsche Klimaschutzgesetz gibt es seit 2019. Darin sind verbindliche Vorgaben festgehalten, wie viele Treibhausgasemissionen Deutschland einsparen muss. Bis 2030 sollen 65% weniger Emissionen ausgestoßen werden im Vergleich zu 1990; bis 2045 will Deutschland
Bislang regelte das Klimaschutzgesetz, wie viel CO2 in verschiedenen Sektoren pro Jahr eingespart werden muss (Sektorziele). Das galt für die Energieerzeugung, die Industrie, Gebäude, den Verkehr, die Landwirtschaft und die Abfallwirtschaft.
Im Juni hat die Bundesregierung eine Änderung dieses Klimaschutzgesetzes auf den Weg gebracht. An den übergeordneten Einsparungszielen ändert sich nichts, allerdings sollen die Sektorziele abgeschafft werden – stattdessen zählt nur noch die Gesamtbilanz. Die Argumentation dahinter: In manchen Bereichen ist es einfacher, Emissionen einzusparen, als in anderen. Wenn also beispielsweise im Verkehr zu viel ausgestoßen wird, kann das über größere Einsparungen in der Energieerzeugung ausgeglichen werden.
Das Klimaschutzgesetz gibt also den großen Rahmen, die Zielhaltestelle, vor. Das Klimaschutzprogramm ist hingegen der konkrete Fahrplan. Es enthält alle Einzelmaßnahmen, mit deren Hilfe die Ziele erreicht werden sollen. Bereits
2. Welche Aufgabe kommt dem Expertenrat für Klimafragen zu?
Der
- Er prüft und bewertet die Daten zu
- Wird die Menge der zulässigen Jahresemissionen überschritten, muss die Bunderegierung laut Klimaschutzgesetz möglichst schnell Sofortmaßnahmen beschließen – vor dem endgültigen Beschluss überprüft der ERK diese Maßnahmen.
- Auch vor anderen Maßnahmen muss die Bundesregierung die Meinung des ERK einholen: bei Änderungen der Jahresemissionsmengen, bei Fortschreiben des Klimaschutzplans und beim Beschluss von Klimaschutzprogrammen.
- Seit 2022 legt er dem Bundestag und der Bundesregierung alle 2 Jahre ein Gutachten zur bisherigen Entwicklung der Emissionen, zu Trends und Wirksamkeit von Klimaschutzmaßnahmen vor.
- Außerdem können Bundestag und Bundesregierung Sondergutachten beim Expertenrat in Auftrag geben.
Die 5 Mitglieder des
3. Wie bewertet der Expertenrat das Klimaschutzprogramm?
In ihrem
Vieles bewertet der ERK zwar grundsätzlich positiv: Mit über 130 Maßnahmen sei das Programm sehr umfangreich. Wenn sie konsequent umgesetzt werden, sinken Deutschlands Treibhausgasemissionen bis 2030 schneller und stärker als in den vergangenen Jahrzehnten. Brigitte Knopf, Stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, lobt wichtige Innovationen; beispielsweise das Deutschlandticket, Klimaschutzverträge mit der Industrie und die kommunale Wärmeplanung. »Sie erweitern das bisherige Klimaschutz-Instrumentarium und haben auch die
Doch wie viele Emissionen diese Maßnahmen tatsächlich einsparen können – wenn sie denn überhaupt alle in Gesetze gegossen werden –, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Wir erinnern uns: Der ERK stellt keine eigenen Berechnungen an, sondern prüft die Maßnahmen im Klimaschutzprogramm nur auf Plausibilität. Dafür wurden ihm Unterlagen mit Daten zum Einsparpotenzial der Maßnahmen bereitgestellt. Zum einen aus dem sogenannten
Die Regierung hat uns ein Puzzle mit tausend Puzzleteilen übergeben. Wir haben dann aber festgestellt, dass es aus drei verschiedenen Puzzles besteht.
So sagt das UBA für den Zeitraum bis 2030 für Deutschland eine »CO2-Lücke« von 194–331 Millionen Tonnen voraus – je nachdem, welche Maßnahmen wann und wie umgesetzt werden. Der Expertenrat orientiert sich in seiner Stellungnahme dabei eher am unteren Ende und rechnet damit, dass Deutschland seine Klimaziele um rund 200 Millionen Tonnen verfehlt.
Ins Detail geht der Expertenrat insbesondere bei den Maßnahmen im Verkehrssektor. Denn dieser schneidet besonders schlecht ab. Können Energie- und Landwirtschaft ihre Ziele mit den geplanten Maßnahmen voraussichtlich sogar übererfüllen, schneidet der Verkehr hingegen katastrophal ab – und das egal, ob man die Daten des UBA, des Wirtschafts- oder des Verkehrsministeriums zugrunde legt. Auch im Gebäudesektor ergibt sich bis 2030 eine Lücke von etwa 35 Millionen Tonnen
Weiterhin bemängelt Brigitte Knopf, dass viele Maßnahmen auf Handlungsfelder abzielten, für die es bereits reichlich Ideen gebe – andere blieben hingegen weiterhin unbearbeitet. Sie hält beispielsweise den »Abbau klimaschädlicher Subventionen« für erforderlich, der »bisher nur vage formuliert wird«. Geht es dabei zum Beispiel um das Dieselprivileg? Das Dienstwagenprivileg?
Alles in allem fehle dem Expertenrat ein »zusammenhängendes, in sich schlüssiges und konsistentes Gesamtkonzept«. Dazu schlagen die Fachleute vor, möglichst bald für den nationalen
4. Was sagt die Bundesregierung zu dieser Bewertung?
Ob und wie die Bundesregierung auf die Kritik des Expertenrats reagieren wird, ist unklar. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) räumt immerhin ein, dass
Doch wenn es nach Bundeskanzler Olaf Scholz geht – an den die Stellungnahme genauso wie an den Rest der Ampel gerichtet ist –, bestehe überhaupt kein Handlungsbedarf. Bei einem Besuch einer Windkraftanlage am selben Tag, an dem auch die Stellungnahme des ERK veröffentlicht wurde, antwortete er auf die Frage von Journalist:innen:
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit den Maßnahmen und Entscheidungen, die wir getroffen haben, genau das tun, was man braucht, damit Deutschland 2045 CO2-neutral wird und damit wir auch die Klimaziele 2030 erreichen können.
Damit ignoriert er bewusst die Einschätzung des ERK – und belügt unverfroren die Bevölkerung.
Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr ausreichen, hilft vielleicht nur noch der Weg über die Gerichte.
Wie sich Konzerne und Regierungen vor Gericht zum Klimaschutz zwingen lassen, haben Felix Austen und Maren Urner bereits 2018 mit Hermann Ott besprochen. Lies hier das Interview mit dem Juristen und ehemaligen Bundestagsabgeordneten:
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