Dieses »Syndrom« hat uns fest im Griff
Teste, wie anfällig du bist. Und erfahre, welche 3 Wörter du jederzeit als Gegenmittel nutzen kannst.
Für eine erste Einschätzung beantworte zunächst folgende 4 Fragen:
- Du bestellst ein Bier und einen Schnaps und zahlst 1,10 Euro. Das Bier kostet einen Euro mehr als der Schnaps. Wie viel kostet der Schnaps?
- 5 Mainzelmännchen benötigen 5 Minuten, um 5 Tische abzuräumen. Wie lange brauchen 100 Mainzelmännchen, um 100 Tische abzuräumen?
- Alle Säugetiere können laufen. Ein Wal ist ein Säugetier. Also kann ein Wal laufen. Ist diese Aussage logisch korrekt?
- Wie viele der 3 Fragen glaubst du richtig beantwortet zu haben?
Die richtigen Antworten erfährst du
Und, wie hast du abgeschnitten? Hast du schnell aus dem Bauch heraus geantwortet und 10 Cent, 100 Minuten und »unlogisch« getippt? Wenn es dir schwerfiel, diese intuitiven Antworten zu unterdrücken, bist du anfälliger für das Syndrom. Du hattest alle 3 Fragen richtig? Prima, aber auch du bist nicht immun.
Jeder kennt das Syndrom von anderen, leidet aber gleichzeitig auch selbst darunter. Das Internet, die Dauerbeschallung durch Nachrichtensender und Talkshows rund um die Uhr bieten den perfekten Nährboden: Wer dort am lautesten schreit, zeigt vermutlich starke Symptome des Syndroms.
Wie schlimm es werden kann, wenn das Syndrom jahrzehntelang unbehandelt bleibt, demonstriert der zurzeit mächtigste Mann der Welt Tag für Tag aufs Neue.
Es erschien mir schlecht. Digital. Sie haben digital. Was ist digital? Und es ist sehr kompliziert, man muss Albert Einstein sein, um es zu kapieren.
Donald Trump zeigt kontinuierlich, dass er oftmals keine oder wenig Ahnung hat. Sein »Wissen« über die Technik von Flugzeugträgern ist da vermutlich keine Ausnahme.
Vielleicht hat er sich auf Wikipedia umgeschaut oder was bei Fox News gesehen und so erfahren, dass die zuvor gängige Technik tatsächlich Dampf war. Ein wenig vergleichbar mit deinem Verhalten, wenn du dich ein paar Tage oder Wochen mit einem Thema beschäftigst. Dazu im Internet oder der Bibliothek recherchierst, ein paar Sendungen und Videos schaust. Oder nach 3 Monaten Tennisunterricht
Das ist der Moment, an dem du auf dem
Die wichtigsten Symptome
Klar, wenn wir am Fuße des Gipfels stehen und gar nichts wissen, ist uns das meistens auch bewusst. Wer keinen Führerschein hat, glaubt nicht, der nächste Formel-1-Weltmeister zu werden. Wer Physik in der Schule abgewählt hat, denkt nicht, schwarze Löcher erklären zu können.
Das Symptom der Selbstüberschätzung schlägt zu, wenn wir uns vom Novizen zum Amateur entwickeln. Das geht meist schnell: Egal ob es um die ersten Akkorde auf der Gitarre, das Grundwissen zu einem bestimmten Thema oder darum geht, beim Singen einen Ton zu halten. Die steile Lernkurve sorgt dafür, dass wir den Fortschritt genießen und glauben, keiner könne uns was vormachen.
»Der größte Feind des Wissens ist nicht die Ignoranz, sondern die Illusion, Wissen zu haben.« – Daniel J. Boorstin (amerikanischer Historiker)
Die Herausforderung besteht dann darin, vom »Ignoranz-Berg« wieder hinabzusteigen, aus der Gefahrenzone hinaus. Das fällt schwer, vielleicht weil die Aussicht dort oben so schön ist, aber ganz bestimmt weil es anstrengend ist. Denn dann geht es plötzlich nicht mehr so leicht mit den Verbesserungen: Vom Beatles-Song auf der Gitarre bis zum komplizierten Flamencostück braucht es viel länger. Nur wer den Abstieg wagt, erkennt, wie wenig er noch immer weiß.
Das Konzept des »Ignoranz-Gipfels« liefert eine mögliche Erklärung für das beschriebene Syndrom und damit einen mittlerweile weltberühmten Effekt: den Dunning-Kruger-Effekt. Ende der 1990er-Jahre stellten die beiden amerikanischen Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger ihren Studenten nach einer Klausur eine einfache Frage: »Was glaubst du, wie gut du abgeschnitten hast?«
Die beiden wichtigsten
- Wir machen Fehler und treffen schlechte Entscheidungen, weil uns die Expertise fehlt.
- Wir sind nicht in der Lage, unsere und die Kompetenz anderer
Die grundlegende Ursache der Unruhen ist, dass in der modernen Welt die Dummen sich todsicher sind, während die Intelligenten voller Zweifel sind.
Die Verbreitung
Ein Beruf, in dem besonders laut und viel geschrien wird, ist der des Journalisten. Wir selbst, die Autoren dieses Textes, laufen also besonders große Gefahr, anschauliche Beispiele für den Dunning-Kruger-Effekt zu liefern. Vielleicht erklimmen wir bei der Recherche schnell den »Ignoranz-Gipfel«, ohne zu erkennen,
Einen optimalen Nährboden für das Syndrom bieten fehlende Zeit und mangelndes Fachwissen
Sich selbst besonders sicher zu fühlen, ist nicht zwangsläufig ein guter Indikator für Kompetenz. Im Gegenteil: In manchen Fällen signalisiert die Überzeugung, besonders fähig zu sein, die eigene Unfähigkeit.
»Ignoranz erzeugt häufiger hohes Vertrauen statt Wissen.« – Charles Darwin, englischer Biologe (1809–882)
Neben der Zugehörigkeit zu bestimmten Berufs- und Nutzergruppen
Liegt die Lösung also darin, sich einfach immer auf die besten Experten zu verlassen? Jein. Denn wie die kleine Übersicht der Verbreitung hier zeigt, hat das Syndrom verschiedene Einfallstore.
Egal wie du die Fragen zu Beginn beantwortet hast, dein Abstand zum »Ignoranz-Gipfel« lässt sich immer noch vergrößern. Dabei helfen ein paar Gegenmittel und die 3 versprochenen Worte.
Die Gegenmittel
- Frag andere nach ihrer Meinung: Generell sind wir nicht gut darin, uns selbst einzuschätzen. Der Austausch mit anderen kann uns auf 2 Wegen dabei helfen. Auch wenn es manchmal unangenehm ist, verbessert Feedback von außen unsere Selbsteinschätzung, und das Wissen des Gegenübers erleichtert das Lernen.
- Sei ehrlicher (und vergiss falsche Höflichkeiten): Die Einsichten anderer helfen nur, wenn sie ehrlich sind. Es ist schön, wenn Familie und Freunde dir sagen, wie toll du singen kannst. Wenn du dann aber einen
- Akzeptiere Fehler: Wenn du dich getäuscht hast, such den Fehler bei dir. Wenn es neue Erkenntnisse gibt, zum Beispiel aus der Wissenschaft, dann sträube dich nicht dagegen, sie zu akzeptieren. Sei bereit, Fehler und Irrtümer zuzugeben, statt an der eigenen
Wir haben häufig das Gefühl, uns selbst gut zu kennen, und überschätzen die eigene Kompetenz. Was dagegen vielleicht am besten hilft? Sich öfter mal trauen, zu sagen: »Ich weiß nicht!«
Mehr davon? Dieser Text ist Teil unserer Reihe zum Kritischen Denken!
Mit Illustrationen von Robin Schüttert für Perspective Daily