So wird deine Stadt zum Paradies
Zu viele Autos machen die Stadt kaputt. Was wir brauchen, um das zu ändern, steht in fast jedem Keller.
In unseren Städten herrscht Krieg. Fahrradfahrer stellen sich frech vor die Autos, die wiederum drängen die Radler rücksichtlos ab und blockieren den Weg. Jeder hat recht: Die einen sind grün, sauber sowie gesund und haben nichts für ignorante SUV-Schnösel übrig. Die anderen fordern ihre Rechte als Autofahrer ein und sind genervt von den selbstgerechten Ökos, die glauben, die Straßenverkehrsordnung gelte nur für die anderen. Die Lager sind im wahrsten Sinne festgefahren.
Doch es braucht keine hochkomplexen Langzeitstudien von cleveren Wissenschaftlern, um festzustellen: Sowohl Rad- als auch Autofahrer sind Menschen, die eigentlich dasselbe wollen: Friedlich und zufrieden in ihrer Stadt leben.
Statt also Grabenkämpfe zu führen, könnten wir einfach fragen: Können wir unsere Städte so gestalten, dass sie alle Bewohner zufrieden machen? Ein urbanes Paradies für jeden.
Diese 3 Etappen müssen wir bewältigen, um unsere Städte in Paradiese zu verwandeln:
Etappe 1: Das Problem erkennen
Ins Paradies gehören volle Apfelbäume, üppige Wiesen, friedliebende Tiere und zufriedene Frauen und Männer, die darin umherwandeln. Um das Ganze tauglich fürs Jahr 2017 zu machen, denk dir einfach ein paar Cafés, Parks und Springbrunnen hinzu, die zum Plaudern, Dösen und Schlendern einladen.
Was es im Paradies sicher nicht gibt: Brüllenden Lärm, giftige Nebelschwaden und die Gefahr, mit jedem unachtsamen Schritt in die falsche Richtung den eigenen Tod zu besiegeln.
Der erste Schritt auf dem Weg zu einer lebenswerten und menschenfreundlichen Stadt ist deshalb das Eingeständnis, dass paradiesisches Stadtleben und Massen von Autos nicht kompatibel sind. Das ist gar nicht so einfach.
Die linken Parteien führen in Kopenhagen einen ideologischen Feldzug gegen den Kfz-Verkehr. […] Warum lässt man die Autos nicht dort und verlegt den Fahrradverkehr auf die kleineren Nachbarstraßen? Das ist doch alles demonstrative Symbolpolitik.
Um eine solche Position einzunehmen, muss man allerdings ziemlich uninformiert sein, denn die Beweislage gegen das Auto in der Stadt ist erdrückend. Die 5 wichtigsten Dinge, die das Auto den Menschen in der Stadt nimmt:
- Miteinander:
- Luft: Wer sich einmal mit dem Rad durch den Berufsverkehr geschlängelt hat, weiß aus nächster Nähe, dass Autos für Ruß, Stickoxide und Gestank sorgen. Eine
- Bewegung: Ein junger Mann aus einem Vorort Atlantas, der nur mit dem Auto zu erreichen ist, wiegt sehr wahrscheinlich einige Kilogramm mehr als sein Zwillingsbruder, der in einem Appartement in der Innenstadt lebt.
- Laune: Setzt man
- Ruhe: Auch der Lärm, den Autos verursachen, raubt nicht nur den Fahrern, sondern auch den Anwohnern die Ruhe. Je größer der Lärm, desto kürzer sind nachweislich die Unterhaltungen, die Nachbarn auf der Straße miteinander führen – und desto eher reagieren Menschen aggressiv und gestresst im Miteinander.
Wieviel Platz wollen wir einer Technik einräumen, die uns Städter auf so viele Arten fertig macht?
Etappe 2: Platz machen fürs Fahrrad
Vergessen wir für einen kurzen Moment alles, was wir über Städte wissen. Was sehen wir dann? Häuser, und zwischen den Häusern Flächen. Diese Fläche nutzen wir für 2 Dinge: Um uns
- aufzuhalten und
- fortzubewegen.
Welchem Zweck wir wieviel Raum einräumen, entscheiden
Ein Blick auf die Raumnutzung verdeutlicht die »Arroganz des Autos«: Obwohl Autos so verschwenderisch mit Flächen umgehen wie kein anderes Transportmittel, ist der mit weitem Abstand größte Teil des öffentlichen Raumes für sie reserviert. Wie ungleich
Das war nicht immer so. Aber eine ebenso einfache wie falsche Logik hat dafür gesorgt, dass das Auto
»In unseren Städten brauchen wir nicht mehr fahrerlose Autos, sondern mehr autolose Fahrer« – Der Cycling Professor (@fietsprofessor) auf Twitter
Den gigantischen Hunger nach mehr Raum für Autos bezahlen alle. In Kopenhagen sind das nicht nur die 9%, die ihn nutzen. Die Macher des Copenhagenize-Index haben berechnet: Während ein Quadratmeter Wohnraum im Schnitt 6.219 US-Dollar kostet, schlägt
Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Räumen wir dem Fahrrad und Fußgängern so viel Platz ein, wie sie für Verkehr und Menschen leisten, gehören Staus bald der Vergangenheit an. Denn wenn 7% der Verkehrsfläche 62% des Verkehrs bewältigen, würden 20–30% der Flächen problemlos fast den gesamten Verkehr einer Stadt bewältigen. Und um das Paradies mit Parks, Promenaden oder Wohnraum zu vervollständigen, wäre auch noch Platz übrig.
Etappe 3: Die kleinen Unterschiede
Das vielleicht gängigste Argument, keine weiteren Straßenflächen in Fahrradwege umzuwandeln:
Die Menschen wollen eben lieber Auto fahren! Würden sie Fahrräder bevorzugen, würden sie in die Pedale treten – dann könnten wir über den Ausbau der Infrastruktur sprechen.
Das ist ein wenig, als würde ein Vermieter seiner Mieterin, die gern öfters zu Hause ein Bad nehmen möchte, sagen, sie solle zunächst mal
Warum also fahren die Menschen in Deutschland mit dem Auto? Weil unsere Städte wahre Paradiese für Autos sind: »Wenn du eine Stadt für Autos designst, versagt sie für alle.« – Brent Toderian, Stadtplaner aus Vancouver
Weil viele Städte für Radfahrer die Hölle sind: zugeparkte Radwege, gefährliche Kreuzungen und rote Ampeln.
Die Überlegung der Dänen und Holländer: Drehen wir den Spieß um! Wenn wir wollen, dass die Leute mit dem Fahrrad fahren,
In nur rund 10 Jahren ist die dänische Hauptstadt Kopenhagen zum Spitzenreiter der weltweiten Fahrradparadiese aufgestiegen. Über 60% der Menschen radeln zur Arbeit. Es fahren gerade mal 9% mit dem Auto zur Arbeit.
Im
- Klare Radwege: Weil der Punkt so wichtig ist, hier noch mal: Fahrradfahrer und Fußgänger brauchen ihren eigenen Platz. Platz, der einzig und allein zum Radeln und Gehen da ist. Kopenhagen und Amsterdam machen es vor. Der Platz ist am besten durch einen Bordstein oder eine kleine Mauer so von der Autospur abgetrennt, dass kein Auto in die Quere kommen oder »mal eben« anhalten kann. Das macht den Radweg sicherer und gibt den Radlern ein gutes Gefühl.
- Kreuzungen: Radwege brauchen an Kreuzungen eigene Abbiegespuren und Ampeln, damit sie sicher und genauso schnell über die Kreuzung kommen, wie alle anderen.
- Fahrbahnbelag: Gute Radwege haben einen speziellen Belag, der den Radweg einerseits farblich abhebt, aber auch bei Regen guten Halt gibt. Schlaglöcher und Wurzelwellen haben auf dem Radweg nichts zu suchen.
- Grüne Welle: Dass das Radfahren auch trainiert, ist gut. Wenn ein flotter Radler mit 20 Kilometer pro Stunde allerdings alle 200 Meter anhalten muss, weil er an einer roten Ampel steht, ist das unnötig kräftezehrend. Deshalb brauchen Radfahrer eine grüne Welle. In Kopenhagen ist das der Fall. Auf manchen Straßen zeigt dort sogar eine LED-Schiene am Fahrbahnrand an, ob man gerade auf dieser grünen Welle fährt oder ob man ein wenig mehr in die Pedale treten muss, um es noch über die nächste Ampel zu schaffen.
- Parkmöglichkeiten: Für Fahrräder müssen überall in der Stadt ausreichend Möglichkeiten bereitstehen, ihre Räder sicher abstellen zu können. Dazu gehört auch eine Stadtverwaltung, die die Parkplätze regelmäßig von
- Kleinigkeiten: Ein Trittbrett an der Ampel, um nicht absteigen zu müssen, und spezielle Mülleimer mit großen Öffnungen, die sich auch aus der Fahrt treffen lassen: Mit kleinen Aufmerksamkeiten macht die Stadt Kopenhagen ihre Zuneigung den Radlern gegenüber deutlich.
- Bezahlung: Wenn es schnell gehen muss mit dem Fahrradparadies, kann die Stadt ihren Radfahrern auch einfach einen Bonus für jeden geradelten Kilometer bezahlen.
Den Fokuswechsel in der Gestaltung seiner Stadt, der klare Prioritäten setzte, beschrieb der kanadische Stadtplaner Brent Toderian aus Vancouver so:
Der Vancouver-Verkehrsplan von 1997 vermied das Wort »Ausgewogenheit«. Er setzte Prioritäten. Gehen zuerst, dann Fahrradfahren, dann Nahverkehr, dann Lieferverkehr, dann Pkws und Carsharing. In Vancouver verbannen wir das Auto nicht aus der Stadt. Wir sprechen nicht von Auto-light oder irgendetwas in der Art. Wir geben Autos nur die letzte Priorität. Und indem wir das tun, machen wir es für alle Verkehrsmittel leichter, unterwegs zu sein. Wenn du eine Stadt für mehrere Verkehrsmittel gestaltest und baust, funktioniert sie für alle besser, auch die Autofahrer.
Keine halben Sachen
Das Beispiel der britischen Hauptstadt zeigt: Die Umstellung geht nicht halbherzig. Londons amtierender Oberbürgermeister Sadiq Khan plant in den nächsten Jahren rund
Doch die Superhighways sind umstritten: Weil tunlichst vermieden wurde, die Verkehrswege der Autofahrer zu verändern oder zu verkleinern, sind die Radwege an vielen Stellen an den Straßenrand gequetscht oder folgen unpraktischen Markierungen. »Das Ziel ist, dass sich Autofahrer wie Gäste fühlen, und nicht, als gehöre ihnen die Straße.« – Lan Marie Nguyen Berg, Grünenpolitikerin in Oslo
Viele Radfahrer haben Angst und fühlen sich unwohl. Von Radfahrerquoten wie in Kopenhagen oder Amsterdam ist die Stadt trotz der riesigen Investitionen noch weit entfernt – und das, obwohl die
Natürlich ist auch im Paradies Platz für Autos: Lieferverkehr, Notärzte, Polizei und Feuerwehr, aber auch körperlich eingeschränkte Menschen sind aufs Auto angewiesen und sollen in einer Stadt immer die Möglichkeit haben, sich frei bewegen zu können. Sie machen 5–15% des Autoverkehrs aus. Doch auch die, die nicht ohne Auto können oder wollen, profitieren vom Fahrradparadies: Denn sie haben freie Fahrt. Und mit freier Fahrt in der 30er Zone geht es wesentlich schneller voran als im Schritttempo auf der besten Autobahn.
Die Erfahrung zeigt: Die meisten Menschen entscheiden sich für das Verkehrsmittel, das komfortabel, schnell, sicher und günstig ist. Warum also sorgen wir nicht dafür, dass das auf das Transportmittel zutrifft, das keine gewaltigen Kollateralschäden für die Gesellschaft bedeutet?
Titelbild: Daniel Wehner - CC BY-SA 3.0