Wenn du am Tag der Deutschen Einheit einen Text über die DDR lesen willst, dann diesen
Wie war die DDR wirklich? Am Tag der Deutschen Einheit erzählt ein früherer DDR-Gefangener seine Geschichte. Er rebellierte, saß ein, überstand das Arbeitslager. Heute hat er seinen Frieden mit dieser Zeit gemacht.
In den frühen 90er-Jahren, als der Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik noch keine 2 Jahre zurückliegt, macht sich Uwe Kaspereit auf den Weg nach Schwerin. Im Hamburger Abendblatt hat er von einer Wanderausstellung über das politische System der DDR gelesen, die im historischen Justizkomplex am Demmlerplatz gezeigt werden soll. Er selbst hatte Anfang der 80er-Jahre die DDR verlassen und sich in Hamburg ein neues Leben aufgebaut. Für die Ausstellung macht er sich auf den Weg zurück in den Osten.
Als Kaspereit Schwerin erreicht, ist die Ausstellung jedoch schon wieder abgebaut. Weil er nun aber hier ist, will er die Gelegenheit nutzen und sich mit dem Inneren des Gerichtsgebäudes vertraut machen. Ein freundlicher Mitarbeiter ermuntert ihn, sich den Zellentrakt anzusehen, der an der Rückseite des Gebäudes anschließt.
Als Uwe Kaspereit den Zellentrakt betritt, trifft ihn ein Schlag: Ohne es zu ahnen, hat er soeben die Tür zu seiner eigenen Vergangenheit geöffnet. Vor über 10 Jahren war er schon einmal an diesem Ort – als politischer Gefangener der DDR. Genau hier hatte er eine 3-monatige Untersuchungshaft verbracht. Jetzt endlich weiß er, wo genau er damals festgehalten wurde.
Heute, 30 Jahre später
Seit dieser unerwarteten Begegnung mit der eigenen Vergangenheit sind 30 Jahre vergangen. Heute treffe ich Uwe Kaspereit in einem Café im belebten Hamburger Stadtteil Harvestehude. Gleich um die Ecke befindet sich der traditionsreiche Eisenwarenladen, dessen Inhaber er seit 35 Jahren ist. Uwe Kaspereit ist schlicht gekleidet. Er trägt eine Jeans und ein einfarbiges T-Shirt. Ein sportlicher, fast drahtiger Mann. Seine Augen sind wach und aufmerksam.
Es ist unser zweites Treffen, denn die Geschichte des 65-Jährigen ist lang und reich an Details. Ich lasse sie mir ausführlich erzählen, schreibe alles mit, wissend, dass meine Aufzeichnungen jeden Artikel sprengen werden. Aber in dieser Geschichte bedingt ein Ereignis das nächste und alles verspinnt sich zu einem Lebensweg, über den man sich als Zuhörer fragt, ob man ihn nun tragisch oder glücklich nennen soll.
Uwe Kaspereits Geschichte beginnt mit einem Ausreiseantrag
Uwe Kaspereit war politischer Gefangener in der DDR. Nach mehreren Inhaftierungen und knapp 2 Jahren Gefängnis wurde er schließlich von der Bundesrepublik freigekauft. Seine erste Erfahrung als politischer Gefangener macht er im Jahr 1978 – in eben jener
Wie oft hat Uwe Kaspereit seine Geschichte in den vergangenen Jahrzehnten wohl erzählt? Wenn er es tut, spricht er ruhig und unaufgeregt mit norddeutschem Einschlag. Er schildert präzise, weiß, dass er nicht um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer:innen buhlen muss, dass es reicht, wenn er die Fakten wiedergibt. Sie allein genügen, um die Besucher:innen mit seiner Lebensgeschichte in seinen Bann zu ziehen.
Diese beginnt mit dem Ausreiseantrag aus der DDR, den er damals als 19-Jähriger im Jahr 1977 stellt. Kaspereit wohnt in jener Zeit im mecklenburgischen Bützow, einer 14.000-Einwohner-Stadt zwischen Rostock und Schwerin. Dort, wo jeder jeden kennt, ist der junge Mann mit seinen langen Haaren, der zerschlissenen Jeans und dem Parker nicht zu übersehen. »Ich war immer schon ein Gegner von Normen«, sagt er heute.
Eng befreundet ist er damals mit dem 1 1/2 Jahre älteren Jens Sonnenberg, einem »großen Befürworter der westlichen Lebensart«, einem, der immer das Glück herausgefordert hat – so beschreibt ihn Kaspereit. Abende und Nächte diskutieren beide, wie und ob man es in der DDR aushalten könne und was das Leben in der Bundesrepublik stattdessen biete.
Kaspereit hat Zweifel, denkt an Arbeitslosigkeit, die Drogenprobleme in westdeutschen Städten und an Rechtsradikalismus. Am Ende aber wird die Aussicht auf ein freies, selbstbestimmtes Leben überwiegen, werden sich beide Freunde entscheiden, ihre Ausreise aus der Deutschen Demokratischen Republik zu beantragen. Es ist eine folgenschwere Entscheidung, denn von nun an kommt ein Zurück für sie nicht mehr infrage.
»Ich wollte die DDR nicht abschaffen«
»Wir sahen damals 3 Möglichkeiten, in den Westen zu gelangen«, erklärt mir Uwe Kaspereit. »Das Risiko der Republikflucht wollten wir nicht eingehen und mit einer politischen Aktion eine Ausweisung zu provozieren, etwa sich mit einem Protestschild auf den Berliner Alexanderplatz zu stellen, erschien uns wenig aussichtsreich. Also blieb nur der Ausreiseantrag als legitimes und gewaltfreies Mittel.«
Friedlich und auf dem Grund des Gesetzes, das sei sein Ansatz gewesen, betont Kaspereit im Gespräch immer wieder. »Ich will die DDR nicht abschaffen. Wer da leben will, soll das tun«, so habe er damals gedacht. Aber er wollte die Welt fern des sozialistischen Kosmos kennenlernen und Konzerte seiner Helden wie den Rolling Stones oder Led Zeppelin besuchen. Der junge Mann fühlte sich eingesperrt, spätestens seitdem er von den Minen, Selbstschussanlagen und von dem Schießbefehl an der Grenze erfahren hatte, mit dem DDR-Bürger:innen von der Flucht abgeschreckt werden sollten.
Mit diesem System will er nichts zu tun haben. Kaspereit, der damals bei seinen Eltern wohnt, teilt deren Erfahrungen und Ansichten nicht. Sein Vater, ein Schweißer bei der Reichsbahn der DDR, war nach dem Krieg aus Ostpreußen vertrieben worden. Und auch seine Mutter, die in der Schulkantine arbeitet, war durch die Entbehrungen der Nachkriegszeit gegangen. »›Wir haben eine Wohnung, eine Arbeit und wir hungern nicht‹, haben sie gesagt. Sie waren genügsam und sparsam, pflegeleichte Bürger der DDR«, berichtet Kaspereit von seinen Eltern. »Eck nicht an«, habe ihm der Vater mit auf den Weg gegeben.
Aber Uwe Kaspereit eckt an. Am 1. September 1977, dem Weltfriedenstag, reicht der 19-Jährige persönlich im Rat der Stadt, Abteilung Inneres, seinen Ausreiseantrag samt einer ausführlichen Erklärung seiner Motivation ein. Der 3-seitige Antrag ist erhalten und wird im Berliner Stasi-Unterlagen-Archiv verwahrt. Uwe Kaspereit reicht mir eine Kopie mit dem Stempel der
Im weltweiten Kampf um die Verwirklichung der Garantie aller Menschenrechte gibt die DDR den anderen Ländern der Erde ein beschämendes Beispiel ab.
So hat es Kaspereit damals handschriftlich formuliert. Der junge Mann nahm kein Blatt vor den Mund, klagte die SED für die Opfer an, die beim Versuch, die innerdeutsche Grenze zu überwinden, ihr Leben ließen. Mit seiner ganzen Kraft wolle er sich deshalb dafür einsetzen, selbst in der BRD und damit in Freiheit zu leben, lese ich.
3 inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit überwachen jeden Schritt
Wie Kaspereit später seiner Stasi-Akte entnehmen wird, war sein Antrag sofort an die Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit, kurz MfS, weitergeleitet und eine »operative Personenkontrolle« eingeleitet worden. Von nun an wird jeder Schritt des jungen Mannes überwacht. 3 inoffizielle Mitarbeiter des MfS observieren Uwe Kaspereit Tag und Nacht. Damals ahnt er davon nichts.
Der 19-Jährige macht zu dieser Zeit seine Ausbildung zum Kfz-Elektromechaniker. 3 Wochen nach der Antragseinreichung wird er von seinem Meister in den Kulturraum des Betriebs gebeten, der sonst für Veranstaltungen oder Betriebsfeiern genutzt wird. Dort sieht er sich einem Dutzend fremder Männer gegenüber, die an dem langen Tisch Platz genommen haben. Sie geben sich als Gewerkschaftsleiter,
Auf dem Tisch zeichnet ein Tonbandgerät das nun folgende Gespräch auf. Das »Pamphlet« – an diese Betitelung seines Antrags erinnert sich Uwe Kaspereit genau – bringe die Argumente des Klassenfeindes vor und diese führten in den Dritten Weltkrieg. Der Antrag sei rechtswidrig und werde auf strafrechtliche Relevanz untersucht, so das Urteil der Abordnung. Danach werde man seinen Antrag vernichten.
Kaspereits Versuch, die DDR mithilfe rechtsstaatlicher Mittel zu verlassen, war gescheitert. Aber einfach aufgeben wollte er nicht. Gemeinsam mit seinem Freund Jens Sonnenberg – auch er hatte den Antrag eingereicht, auch er war auf der Arbeit von der Abordnung aufgesucht worden – entscheidet sich Kaspereit für einen zweiten Versuch: »Wir wollten einfordern, was uns zustand, und hofften, dass die Funktionäre lieber ihre Ruhe haben, als sich mit uns zu befassen. Wir waren sehr naiv.« Erneut reichen sie ihren Ausreiseantrag ein und bekräftigen, dass sich ihr Ansinnen nicht geändert habe.
Ein zweites Mal werden sie von 2 Mitarbeitern der Staatssicherheit aufgesucht. Es ist die letzte Warnung, die Männer drohen mit Gefängnis. Die Freunde sehen ein, dass sie auf diesem Weg nicht weiterkommen werden und planen nun etwas anderes: Eine öffentlichkeitswirksame Aktion am 1. Mai, dem »Internationalen Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus«.
Die Aktion am 1. Mai und ihre Folgen
In den Tagen vor dem 1. Mai schreiben Kaspereit und Sonnenberg Losungen auf rotes Papier. »Kämpft für den Frieden« steht auf einem, »Gegen Massenverdummung« und »Für Menschenrechte« auf anderen. Die roten Zettel befestigen sie in der Nacht vor dem Feiertag mit Heftzwecken rund um den Bützower Marktplatz. Sie wissen, dass man die Aktion als klares Zeichen ihres Protestes werten wird. Aber sie sind auch überzeugt, dass kein Gericht der Welt sie für die politisch unverfänglichen Losungen verurteilen kann. Für alle Fälle legen sie sich dennoch eine Argumentation bereit: Die Blätter sollen ihr Beitrag zum Friedensfest sein, so wollen sie sich verteidigen, wenn es darauf ankommt.
Der 1. Mai geht vorüber. Auch der 2. Mai bleibt folgenlos. Dann, am 3. Mai 1978, suchen Mitarbeiter der Staatssicherheit Uwe Kaspereit am Arbeitsplatz auf und nehmen ihn mit auf die Kreisdienststelle. Den ganzen Tag wird er vernommen. Am Abend legt ein junger Mann den Arm um seine Schultern. Er scheint der erste zu sein, der ihm zuhört. Zugewandt fragt er ihn, ob die 1.-Mai-Aktion etwas mit seinem Ausreiseantrag zu tun habe. Uwe Kaspereit bejaht. Damit haben die Stasi-Mitarbeiter ihre Aussage, auf die sie den Tag lang hingearbeitet hatten. Laut Paragraf 214 des Strafgesetzbuches der DDR stellt die »Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit«
Das Urteil: 9 Monate Haft
Keine 10 Minuten vergehen, dann stürmen 3 bewaffnete Männer auf Kaspereit zu, legen ihm Handschellen an und verfrachten ihn in einen abgedunkelten Gefangenentransporter. Es ist der Tag, an dem der junge Mann in den Gefängnistrakt des Schweriner Justizgebäudes überführt wird. 3 Monate wird er dort in Untersuchungshaft verbringen, darunter 8 Wochen in Einzelhaft. Wo er sich befindet, wie lange er hierbleiben wird, sagt man ihm nicht. Nur einmal stellt ihm ein Vernehmer süffisant 8–10 Jahre Haft in Aussicht. 2 Wochen bleibt Kaspereit stark. Schließlich bricht er weinend zusammen.
Sein Urteil wird sich auf 9 Monate Haft belaufen. Da er bereits 3 Monate in Schwerin abgesessen hat, verbleiben noch 6 Monate, die er im Zuchthaus Cottbus gemeinsam mit anderen politischen Häftlingen verbringen muss. »Wir politischen Gefangenen, die wir die DDR verlassen wollten, nannten uns damals Übersiedler. Wir wussten, dass die BRD politische Gefangene freikauft und hofften alle darauf. Leider gehörte ich damals nicht dazu«, sagt Kaspereit. Sein Freund Jens Sonnenberg, der ein ähnliches Urteil erhielt, hat damals mehr Glück und wird freigekauft.
Wieder Haft, diesmal Arbeitslager
Als Kaspereit nach einem 3/4-Jahr das Gefängnis verlässt, gehören Kontaktverbote und Aufenthaltsbeschränkungen zu den Auflagen: er darf weder die Stadt verlassen noch sich mit Freunden treffen. Einmal in der Woche muss er bei der Polizei vorstellig werden. Die Auflagen sind zeitlich unbeschränkt und auf Dauer unmöglich einzuhalten.
Für ihn ist klar: Die Auflagen sind ein Instrument, ihn jederzeit wieder in Haft nehmen zu können. Das geschieht noch im selben Jahr. Weil er sich unerlaubt auf das Stadtfest in Bützow schleicht, um dort ein Konzert anzusehen. Diesmal verurteilt ihn das Kreisgericht zu 4 Wochen Haft. Abzusitzen in der Strafanstalt Bützow. Seiner Stasi-Akte wird Kaspereit später entnehmen, dass sein Urteil schon vor Prozessbeginn feststand.
Nach seiner zweiten Entlassung verhält sich der mittlerweile 21-Jährige zunächst unauffällig, möchte sich nichts vorwerfen lassen können. Aber ein Fußballspiel vom F.C. Hansa Rostock, seinem heiß geliebten Verein, lässt ihn den Selbstanspruch aufgeben. Er fährt zu mehreren Spielen und verstößt bewusst gegen die für ihn unerträglichen Auflagen. »Ich hielt das nicht mehr aus. Ich wollte mir auch meinen Stolz nicht nehmen lassen.«
Wieder Haft. Diesmal 15 Monate im Arbeitslager Berndshof in der Ostseestadt Ueckermünde. Die Haftbedingungen sind so hart wie nie. Kaspereit arbeitet mit primitiven Werkzeugen in einer Eisengießerei, die Arbeit ist schwer, das Essen schlecht. Dann endlich, 3 Wochen vor Ende der Haftstrafe, erhält Uwe Kaspereit die erlösende Nachricht. Er ist einer von 1.443 politischen Gefangenen,
Es ist der 21. Mai 1981, Uwe Kaspereit ist mittlerweile 23 Jahre alt. Ein Bus bringt ihn und weitere Männer und Frauen über die Grenze nach Hessen. Auf dem ersten Rastplatz hält der Bus. Die DDR-Bürger:innen treten aus dem Fahrzeug und auf bundesdeutschen Boden. Unvorstellbar. Uwe Kaspereit ist außer sich vor Glück. »Ich habe nie so intensiv geheult wie damals. Es war ein Wahnsinnsgefühl.« Seine Euphorie trübt sich auch nicht, als ein Vertreter der hessischen Landesregierung die Freigekauften auf eine schwierige Zeit vorbereiten möchte. Viel mehr klingt es wie die Einlösung eines Versprechens: von nun an seien sie selbst für ihr Schicksal in der Bundesrepublik verantwortlich.
Eines bleibt noch zu tun
Mit diesem Tag im Mai hat Uwe Kaspereit sein bisheriges Leben hinter sich gelassen, aber damit auch seine Eltern, seine Freunde, seine beiden Geschwister. Von nun an wird er ihnen nur noch Briefe schreiben können. Kaspereit hat 150 Deutsche Mark in der Tasche, »Begrüßungsgabe« heißt das in der BRD. Außerdem erhält er eine Freifahrt an den Ort seiner Wahl. Er muss nicht überlegen. Ihm und seinem Freund Jens Sonnenberg war immer klar, dass sie nach Hamburg wollen.
Und tatsächlich trifft Kaspereit in der Hafenstadt seinen alten Freund aus Bützow wieder. Er findet gleich Arbeit in seinem Beruf als Autoelektriker. Später ermuntert ihn der Freund, in einem Eisenwarenladen anzufangen, den Kaspereit Jahre später selbst übernehmen wird. Sein Leben ist von nun an das Musterbeispiel einer gelungenen Integration. 1988 wird er heiraten und mit seiner Frau die Hochzeitsreise in Kenia verbringen. 3 Söhne wird das Ehepaar großziehen.
Uwe Kaspereit könnte seine Vergangenheit nun hinter sich lassen. Aber da gibt es noch etwas zu erledigen. Denn als er Gelegenheit erhält, seine Stasi-Akte einzusehen, erfährt er, dass insgesamt 12 informelle Mitarbeiter auf ihn angesetzt waren. Mit der ihm eigenen Beharrlichkeit wird er jeden einzelnen in den kommenden Jahren mit seiner Tätigkeit für die Staatssicherheit der DDR konfrontieren.
Auch dabei bleibt er sachlich. »Würdest du mit mir über die Vergangenheit reden?«, fragt er jedes Mal einleitend. Er will verstehen, was sein Gegenüber zu der Spitzel-Tätigkeit gebracht hat, wie das System funktionierte. Und vor allem will er wissen, wie die ehemaligen Freunde, Bekannten, Nachbarn heute dazu stehen. »Manche haben dann geheult oder wollten sich stundenlang aussprechen, nur einer hat sich komplett verweigert.«
Die Heimat bleibt Mecklenburg
Wenn man heute mit Uwe Kaspereit durch Hamburg läuft, dort, wo sich sein Laden befindet, grüßen ihn die Menschen freundschaftlich. So, als hätte er immer hier gelebt, als sei Hamburg auch nur eine Kleinstadt wie Bützow. Er sei mit Leib und Seele Hamburger, sagt er, aber seine Heimat bleibe Mecklenburg. Daran hätten auch die Drangsalierungen, die Vernehmungen und die Überwachung durch die Staatssicherheit nichts geändert. Ebenso wenig die insgesamt 2 Jahre Haft. Überhaupt möchte Kaspereit die Zeit im Gefängnis nicht als verloren ansehen. »Ich erinnere mich an intensive Gespräche. Unter den Mitgefangenen wurde Klartext über die Zustände in der DDR gesprochen, das hat mir gutgetan.«
5 oder 6 Ausreiseanträge habe er insgesamt gestellt, die letzten aus der Haft heraus. So konnte er sich selbst treu bleiben und sich und allen anderen deutlich machen, dass er nicht aufgeben werde. Kraft gab ihm dabei sein unerschütterlicher Glaube an die Legitimität seiner Forderung.
Mir war immer bewusst, dass ich das Recht habe, Freiheit zu verlangen.
Friedlich und auf dem Grund des Gesetzes – an diesem Wahlspruch hielt er sich wohl auch in der Gefängniszelle fest.
Der Lauf der Geschichte sollte dem Eigensinn von Uwe Kaspereit und dessen Beharrlichkeit recht geben. Seine eigene Lebensgeschichte hingegen steht nicht repräsentativ für das Leben von 17 Millionen DDR-Bürger:innen. Aber sie kann einen Einblick in den Lebensweg jener Menschen geben, die sich für ein Leben außerhalb der militärisch gesicherten Staatsgrenzen der DDR entschieden haben.
Wut, gar Verbitterung auf den Staat, der sein Bleiben erzwingen wollte, spüre er nicht, erzählt mir Uwe Kaspereit. Ebenso wenig auf die ehemaligen Spitzel aus seinem Umfeld. Auch die schönen Erinnerungen an sein Leben in der DDR möchte er nicht missen. Nur über seine Erfahrungen reden, das wolle er. Ruhig und unaufgeregt, weil er weiß, dass es genügt, wenn er sich an die Fakten hält.
Redaktionelle Bearbeitung: Chris Vielhaus
Titelbild: Fabian Lehmann - copyright