Eine Woche auf dem neuen sozialen Netzwerk Bluesky. Ein ehrliches Fazit
Der neueste Social-Media-Hype heißt Bluesky. Es soll wie Twitter sein – bloß wie früher, ohne Elon Musk. Ich habe mich angemeldet.
Twitter war mal wichtig.
Es war eines der großen sozialen Netzwerke. Auch hierzulande vernetzten sich darauf Menschen des öffentlichen Lebens, Behörden und Politiker:innen kommunizierten direkt und wichtige Bürger:innen-Kampagnen wie MeToo (oder in Deutschland
- Die Plattform trat unter Musks Führung aus dem EU-Pakt gegen Desinformation aus. Seitdem wuchs Twitter/X zur
- Twitter/X ist nur noch 1/3 dessen wert, was Elon Musk noch 2022 für das Unternehmen gezahlt hat.
- Deutsche Unternehmen ziehen sich von Twitter/X zurück.
Kein Wunder, dass Menschen gerade händeringend nach einer Alternative suchen. Der Kurznachrichtendienst
Tag 1: Erste Euphorie und alte Bekannte
In den ersten Stunden finde ich alte Bekannte wieder und verbinde mich (»Du auch hier!«). Es gibt Accounts, die sich große Mühe geben, Follow-Empfehlungen zusammenzusuchen (»Bitte folgt unbedingt …«). Ein besonders lobenswertes Projekt
So sieht Bluesky (im augenfreundlichen dunklen Design) aus:
Erste Unternehmen sind auch schon da: Der Suhrkamp-Verlag etwa betreibt mit Buchtipps (»Nennt uns Euer letztes Literatur- oder Filmhighlight und wir empfehlen Euch die passende Lektüre!«) solides Marketing.
Was sofort auffällt: Das Diskussionsklima ist angenehmer, persönlicher. Man diskutiert auf Augenhöhe, räumt gar eigene Fehler ein, entschuldigt sich. Viele spenden einander Trost, als die Nachrichten des Angriffs auf Israel eintreffen – ganz ohne Störfeuer von Rechtsextremen, Verschwörungsgläubigen und Terror-Relativierer:innen, also genau das, was auf Elon Musks Plattform dieser Tage normal geworden
Bluesky fühlt sich tatsächlich an wie Twitter früher und lebt ein Stück weit vom Retro-Charme. Das schließt aber auch technische Mängel ein. Hashtags, also eine Übersicht über die Trends, sind noch in der Planungsphase. Auch das Teilen von Videos ist noch nicht möglich. Das muss man nicht unbedingt vermissen. Direktnachrichten und Personenkreise hingegen schon; die fehlen auch noch bisher, wenn man keine zusätzliche Website wie
Fazit nach einer Woche: Schwachpunkte und Ernüchterung
Ich nutze Bluesky eine Woche lang und meine Euphorie verklingt. Hier finden sich die, die sich schon auf Twitter gefunden haben – minus einiger wichtiger Stimmen, die (noch) lieber fernbleiben. Das macht es homogener, wie ein Klassentreffen von alten Vertrauten und meist Gleichgesinnten. Das ist zwar angenehm, birgt aber auch Risiken und hat Schwächen:
- Dieselben Großaccounts dominieren: Das Feld der bekannten Accounts sieht arg vertraut aus, wenn man das deutsche »Linkstwitter« kennt. Das hat einen Grund: Es werden meist nur Namen empfohlen, die sowieso kein Problem damit haben, Follower zu generieren, und bereits eingespielte Content-Lieferanten sind:
- Tendenz zur Einseitigkeit: Was auffällt, ist eine hohe Bereitschaft zum Blocken anderer Accounts. Wer andere politische Richtungen vertritt, landet schnell auf einer der zahllosen Blocklisten
- Typisch Aufmerksamkeitsökonomie: Die mir am meisten angezeigten Beiträge empören sich über etwas. Für 2 Tage sehe ich immer wieder ein Zitat von Friedrich Merz. Der hatte mit einer Aussage zum Klima danebengegriffen – mal wieder. (»Wie kommen solche Leute eigentlich an die Spitze von Parteien?«) »Preaching to the converted« nennt sich das oder einfach Aufreg-Content zum Abnicken – ganz wie auf Twitter. Nur dass diesmal das Echo der Friedrich-Merz-Fans und der Störfunk von Rechtsaußen ausbleibt. Es drängt sich die Erkenntnis auf: Auf Bluesky funktioniert das, was auch auf allen anderen sozialen Medien Reichweite bringt – Empörung.
Hätte es an dem Tag nichts anderes Beachtenswertes gegeben? Zum Beispiel die frischgebackene Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi und ihre Stimme gegen die Unterdrückung der iranischen Frauen?
Mein neues Fazit nach 7 Tagen: Wer mit Bluesky derzeit am meisten etwas anfangen kann, sind eingespielte Social-Media-Veteran:innen, die bekannt und gut vernetzt sind. Die beliebtesten Themen sind selbstreferenzielle Bluesky-Posts (»Wie im Himmel hier!«), Spekulationen über Twitters/X’ Untergang und Aufregung gegen rechts. Zynismus und Spott finden Zustimmung. Wirklich konstruktiv oder neu ist das nicht. Und genau das ist der Punkt. Denn Bluesky ist letztlich »nur« eine Twitter-Kopie – ohne Elon Musk. Für viele ist es genau das, was sie gesucht und endlich gefunden haben – mich eingeschlossen.
Bluesky: Wie es jetzt weitergeht
Ist Bluesky nur ein kurzlebiger Nostalgie-Trend oder endlich ein würdiger Twitter-Nachfolger? Das werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Es hängt davon ab, ob Politiker:innen, Journalist:innen und Personen des öffentlichen Lebens auch jenseits des Linksliberalen mitwechseln und bei der Plattform bleiben werden. Derzeit sieht es zumindest in Deutschland gut aus. Dabei geht allerdings auch etwas verloren – derzeit vor allem US-amerikanische Accounts, die von der deutschen Wechseldynamik kaum etwas mitkriegen. In den USA verlaufen auch die Schmerzgrenzen zu Elon Musk anders.
Entscheiden wird sich das Schicksal von Bluesky sowieso erst dann, wenn die Notwendigkeit eines exklusiven Einladungscodes wegfällt. Dann wird die Plattform schnell wachsen und eine noch breitere Wechseldynamik entstehen. 3 Szenarien und 3 Chancen, was so passieren könnte:
- Twitter 2.0: Aktuell fühlt sich Bluesky »anders« an, weil es noch kleiner als andere soziale Netzwerke ist und trotzdem namhafte Personen versammelt. Sobald die Nutzer:innenzahlen aber steigen, dürfte sich Bluesky immer mehr Twitter annähern: Trolle, Wutposts und Aufreger-Hashtags sind nur eine Frage der Zeit. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Early Adopter bei neuen sozialen Medien, bei denen man sich noch mehr als Einheit fühlt, wird nachlassen. Dazu steht Bluesky dann vor denselben Herausforderungen und wird sich beweisen müssen – etwa, wie es mit Desinformation umgeht, ob es das europäische Datenrecht (Digital Services Act) wirklich achtet und wie schnell es illegale Inhalte entfernt. Und erst wenn die ersten wissenschaftlichen Arbeiten zu Bluesky vorliegen, kann man sagen, welche Meinungen hier gefördert werden. Erst dann können wir wissen, ob Dorsey und Co. es wirklich besser machen als Elon Musk. Die Chance dazu ist da.
- Aufsplitterung von Social Media: Der kürzliche Erfolg von Bluesky zeigt vor allem eine Bruchlinie in sozialen Medien. Neu ist das nicht. Schon heute existieren unterschiedliche Social-Media-Netzwerke nebeneinander: Eltern schreiben auf Facebook, Influencer:innen auf Instagram, Teenager auf Tiktok, Manager:innen und Arbeitssuchende auf LinkedIn. Jede Plattform zieht ihre Zielgruppe an und Elon Musk kultiviert eine stramme Gefolgschaft konservativer und rechter Fans. Wenn diese nicht wechseln, hat Bluesky die Chance, kleiner und homogener zu bleiben, ein digitaler Hafen für progressive Debatten und Verbindungen, zumindest hier in Deutschland. Vielleicht müssen wir uns einfach von der Idee einer »großen, gesamtgesellschaftlichen Plattform« verabschieden. Wäre das so schlecht? Auch vor Social Media hat sich die Welt ohne eine solche Plattform weitergedreht.
- Das Social-Media-Erwachen: Dass viele noch zögern, Bluesky auszuprobieren, ist vor allem
Oder um es mit einem Bluesky-Post zu sagen:
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily