Aufwachen! 9 Lektionen für ein Land, das im Umgang mit der AfD versagt
Vor einer Woche profitierte vor allem eine Partei bei den Landtagswahlen: die AfD. Wir müssen dringend aufarbeiten, was da passiert ist – und was es jetzt zu tun gilt.
2 Landtagswahlen sind vorbei. 2 Zahlen erschüttern mich seit einer Woche: 18,4% (Hessen) und 14,6% (Bayern). So viele Stimmanteile erhielt die AfD jeweils in den Bundesländern. Die Partei des deutschen Rechtsradikalismus ist im Westen angekommen. Eigentlich war sie immer schon da.
Ich verfolge den Werdegang der AfD schon länger,
Eine Woche lang hatte Deutschland nun Zeit, die Wahlen aufzuarbeiten, Lehren zu ziehen, gegenzuhalten. Stattdessen an vielen Stellen: Ohnmacht und Weitermachen, so als wäre nichts gewesen – bis zur nächsten Wahl, den nächsten Zahlen.
Mir reicht’s!
9 konstruktive Ansätze für eine echte Aufarbeitung.
Vielleicht auch ein Brandbrief.
Liebe Kolleg:innen im Journalismus, aufwachen!
1. Journalismus muss glasklar benennen, was die AfD ist!
»AfD feiert Erfolg« ist eine Formulierung, die in der vergangenen Woche häufiger zu lesen war in deutschen Medien. Das klingt nüchtern und
Geht’s noch?!
Journalismus hat klar zu benennen, was Sache ist: Die AfD insgesamt und viele Landesverbände im Speziellen haben seit der Gründung mehrere Phasen der Radikalisierung hinter sich – allen voran der thüringische ehemalige Flügel um den
Wörter und Bilder haben Macht, Erzählungen auch – gerade mein Berufsstand sollte das begreifen. Wer dies als Journalist:in ausblendet, die Partei wie jede andere behandelt oder mit weichen Begriffen verharmlost, hat den Job verfehlt.
2. Den Zustand nicht als normal akzeptieren
In Deutschland, auf dessen Boden das NS-Regime herrschte, auf dessen Plätzen Adolf Hitler sprach, steigt eine rechtsradikale Partei mit antidemokratischen Tendenzen auf, auch im Westen. Warum gibt es dazu keine Sondersendungen? Stattdessen wird in der Elefantenrunde im ÖR-Fernsehen nach den Landtagswahlen die Kanzlerfrage diskutiert. Die Bundestagswahl ist im September 2025, also noch 2 Jahre hin.
Die Aufarbeitung der Landtagswahlen in der vergangenen Woche ist kaum weniger als eine Medienkrise, die keinen guten Umgang damit findet und lieber Normalprogramm abspult. Manche verstehen das schon, wie Monitor-Moderator Georg Restle. Der schreibt auf Bluesky treffend über die Nachwahlberichterstattung:
Noch viel mehr Journalist:innen müssen begreifen, dass sie mit solchen Programmen die AfD normalisieren und ihr helfen. In den USA mussten Journalist:innen nach der Trump-Wahl bitter lernen, wie man mit medienfeindlichen, Demokratie-aushöhlenden, Desinformation-streuenden, übergriffigen Rechtsradikalen umgeht. Von diesen Erfahrungen können wir lernen, vor allem einen wichtigen Merksatz:
3. Aufhören, der AfD nach dem Mund zu reden!
Nein, Migration ist nicht die einzige oder auch nur größte Sorge der Menschen hierzulande, auch wenn das viele Schlagzeilen gerade suggerieren. Die repräsentative Langzeitstudie
Sorge Nummer 2? Angst vor unbezahlbarem Wohnraum. Platz 3?
Liebe Politiker:innen, aufwachen!
4. Die Gefahr für die Demokratie endlich ernst nehmen!
CDU-Bundestagsabgeordneter
Ploß scheint die Lehren anderer extrem rechter Parteien vergessen zu haben.
Es ist nicht schwer zu sehen: Radikalisierung, politische Krisen und Wirtschaftseinbrüche ebnen Demokratiefeind:innen den Weg, bis sie zum Entsetzen der konservativen Mitlaufenden die Masken fallen lassen. Das kennen wir in Deutschland schon lange, und wir sollten klüger sein. Auch 1933 war Hetze gegen »das System« normal. Auch normal war, dass Politiker:innen der damaligen katholischen Zentrumspartei die NSDAP-Akteure als ganz normale Politiker:innen ansahen und glaubten, die extreme Rechte mit dem Pochen auf politische Standards, Traditionen und Institutionen demokratisch integrieren und »zähmen« zu können.
5. An einer besseren Gegenerzählung arbeiten!
Wie können Politiker:innen gegen den Rechtsruck arbeiten? Indem sie verflixt noch mal konstruktive politische Arbeit machen!
Eine Politik des »Weiter so«, verkauft als »alternativlos«, ist kraftlos gegen die AfD. Das sagt etwa auch der bekannte Autor, Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje:
6. In politische Bildung investieren, nicht ausgerechnet dort sparen!
Ausgerechnet ein Projekt zur Demokratieförderung soll laut Haushaltsentwurf 2024 zu Sparzwecken gestrichen werden. Im Haushalt ist vorgesehen, die Mittel für die
Wenn Politiker:innen gerade irgendwo anfangen wollen mit einem leicht umzusetzenden, konkreten Ziel, dann hier.
Liebe Zivilgesellschaft, aufwachen!
7. Versteht endlich die Zusammenhänge!
Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Desinformation, rechte Kampagnen auf sozialen Medien, Verrohung des öffentlichen Diskurses – das sind keine Einzelphänomene! Das alles ist Teil einer größeren Strategie, die gesellschaftliches Chaos und Spaltung sät und davon profitiert. Es geht um eine Verschiebung des Diskurses, dessen, was wir öffentlich sagen und was politisch akzeptabel ist. Klingt nach Verschwörungstheorie, ist es aber nicht.
Die Puzzlestücke gehören zusammen, genauso wie Identitäre Bewegung, AfD und die Querdenken-Bewegung und Hashtags wie
Wer 2023 einen Blick in soziale Medien wie Twitter/X geworfen hat, merkt, dass das hervorragend funktioniert. Und wenn der wiedergewählte bayerische Ministerpräsident die Verfassung angeht und
8. Dagegenhalten!
Ja, die Instrumente, die unsere Demokratie zur Verteidigung
Dazu gehört auch, im Alltag nicht wegzusehen oder sich wegzuducken, wenn die üblichen Parolen gedroschen werden. »Grenzen dicht!«, »Die da oben!«, gefolgt meist von offener Wut und Hass. Ich meine damit natürlich nicht auf sozialen Medien Stellung zu halten und mit Pöbler:innen, Trollen und Demokratiefeind:innen zu diskutieren –
9. Haltet ein paar Rückkehrwege offen!
»Einmal Fascho, immer Fascho!« heißt eine bekannte Parole unter linken Aktivist:innen. Das ist natürlich absurd. Denn erstens werden unter den Begriff »Fascho« schnell nicht nur echte Faschist:innen und Demokratiefeinde gerechnet, sondern alle, die irgendwas jenseits von linksliberal wählen oder sich bewusst oder unbewusst irgendwie nützlich für die AfD verhalten.
Die politischen Analysen zeigen, dass die AfD-Wähler:innen vor allem durch einen rechten Kulturkampf zusammengehalten werden, ein Gebäude aus Verschwörungsdenken und ein
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily