Warum immer mehr Frauen psychedelische Drogen nehmen
Nicht etwa zum Feiern, sondern um ihre Regelschmerzen zu ertragen, ihr PMS zu mildern oder besser durch die Wechseljahre zu kommen.
Maaike Boeres Verwandlung begann immer 3 Tage vor ihrer Periode. Sie schlief plötzlich schlecht, fühlte sich unruhig, wurde unerklärlich wütend und von Angstzuständen gepackt. »Es war jeden Monat dasselbe Drama«, erzählt sie. »Ich fühlte mich in diesen Tagen nicht mehr wie ich selbst.«
Maaike litt jahrelang unter einer starken Form von
Maaike ist zunächst skeptisch. »Ich wusste zwar, dass Leute das nehmen, und dass es zum Beispiel gegen Depression eingesetzt wird. Aber was hatte das mit meiner Regel zu tun?«
In den letzten Jahren häufen sich in psychedelischen Kreisen und Onlineforen Stimmen von Frauen, die erzählen,
Kann es sein, dass besonders Frauen von Psychedelika profitieren können? Und wenn ja: Wie hängen weibliche Hormone und Halluzinogene zusammen?
Darüber habe ich mit einer Ärztin und Forscherin gesprochen. Und mit Frauen, die auf eigene Faust kleine Mengen an psychedelischen Drogen nehmen, um ihre Regelbeschwerden zu lindern.
Von Hormonen, Halluzinogenen und Hoffnung
Eine Wissenschaftlerin zu finden, die mir etwas über die Schnittstelle zwischen Psychedelika und Frauengesundheit sagen kann, war nicht leicht. Forschende untersuchen zwar seit 15 Jahren vermehrt, wie Halluzinogene bei Depressionen helfen können, aber nicht, ob sie gegen Menstruationsschmerzen wirken. Therapeut:innen behandeln Traumata-Patient:innen mit LSD, psychedelische Therapien gegen hormonelle Verstimmungen gibt es jedoch noch nicht. Auch Studien zur Wirkung von Halluzinogenen auf frauenspezifische Leiden existieren kaum.
Damit du dir besser vorstellen kannst, wie Psychedelika allgemein auf uns wirken und wie sie heilen können, führt dich die Kognitionswissenschaftlerin Iris Proff in ihrem Text durch ein Gehirn auf LSD:
Dann endlich meldet sich Andrea Jungaberle, Ärztin für Anästhesie und Notfallmedizin – und Psychedelika-Forscherin. Sie leitet die Ovid Clinic in Berlin, die ketaminunterstützte Therapien anbietet.
Sie schreibt mir, dass unter ihren Patientinnen immer wieder Frauen seien, deren Symptome mit dem weiblichen Zyklus zusammenhängen, und dass Ketamin hier spannende Optionen biete. Ich bin neugierig und verabrede mich mit ihr in der Ovid Clinic.
Das Gebäude liegt an einer lauten, viel befahrenen Straße im Berliner Osten. Sobald die Eingangstür hinter mir zufällt, bin ich von den Geräuschen abgeschirmt, stehe in einem hellen, ruhigen Empfangsraum. Frau Jungaberle bittet mich in ihr Büro.
Sie ist vorsichtig, wenn sie über psychedelische Drogen und Frauengesundheit spricht: »Die Daten, die wir zu Psychedelika haben, beziehen sich primär auf schwere Depressionen. Wir müssen daher aufpassen, nicht zu verallgemeinern.«
Doch die antidepressiven Wirkungen, die sich laut Annahmen von Forschenden bei Psychedelika zeigen, hätten auch Potenzial bei Verstimmungen, die mit frauenspezifischen Hormonschwankungen zu tun haben.
Unter anderem macht Ketamin – ähnlich wie andere Psychedelika auch – Serotonin-Rezeptoren frei, die bei Menschen mit Depression verstopft sind. Jungaberle erklärt es so: »Stellen Sie sich eine Tür mit Schlüssellöchern vor, die aufgeschlossen werden müssen. Wenn überall abgebrochene Schlüssel drinstecken, kriegen Sie sie nicht auf. Das Ketamin schiebt die Schlüssel aus den Löchern, sodass die Tür wieder besser funktioniert.«
Weil Serotonin bei der Ausschüttung anderer Hormone eine essenzielle Rolle spielt, geht die Psychedelika-Forschung davon aus,
Laut Jungaberle habe sich an Zellkulturen außerdem gezeigt, dass Ketamin die Östrogen-Empfindlichkeit von Rezeptoren hochfährt: »Das heißt, dass bereits weniger Östrogen stärker spürbar ist.«
Denn genau das ist das Problem bei Frauen, die wegen der Wechseljahre oder des PMS leiden: Das weibliche Hormon Östrogen sinkt ab, und damit auch die Stimmung.
Wie Ketamin-Therapien helfen können, nicht zu Mrs. Hyde zu werden
Einige Frauen spüren diese Hormonschwankung mehr als andere. Jungaberle berichtet aus ihrer Praxis: »Manche Frauen erzählen mir, sie werden zu einer komplett anderen Person, wenn ihr PMS einsetzt. Es gibt also Dr. Jekyll und Mrs. Hyde.«
Man nennt diese starke Form auch PMDS – prämenstruale dysphorische Störung.
Die Ärzt:innen der Ovid Clinic haben begonnen, die Ketamin-Sitzungen mit betroffenen Frauen gezielt in der Woche vor ihrer Menstruation abzuhalten, also dann, wenn das PMDS normalerweise einsetzt.
Das Resultat? »Wir haben festgestellt, dass so ihre Stimmung vor der Regel nicht abfällt«, erzählt Jungaberle. »Das ist natürlich eine tolle Erfahrung für die Frauen.«
Wie läuft so eine Sitzung allgemein ab?
Patient:innen erhalten das Ketamin intravenös verabreicht. Die bewusstseinsverändernde Reise dauert ca. 1 Stunde. In dieser Zeit können Patient:innen Musik hören, liegen oder sitzen, der Raum ist gemütlich dafür eingerichtet. Mit den Therapeut:innen sprechen sie über Gefühle und Erkenntnisse, die währenddessen aufkommen.
Das Ganze wird bis zu 5-mal über mehrere Wochen wiederholt.
Die antidepressive Wirkung sollte bei ketaminbegleiteten Therapien langfristiger wirken, weil Ketamin die Verbindung von Nervenzellen und damit die Lernfähigkeit steigere, erklärt Jungaberle. Wenn jemand mit positiven Erfahrungen aus einer Therapie kommt, merkt sich das Gehirn diese Erfahrung – so zumindest die Hoffnung. Denn im Moment habe man eher »fundierte Vermutungen« als handfeste Studienergebnisse.
Herkömmliche Therapien können in schweren Fällen von Depression mehrere Jahre dauern. Patient:innen werden dabei meist mit Antidepressiva behandelt. Während diese für manche Patient:innen gut wirken, schrecken andere davor zurück. Für sie könnte Ketamin eine hilfreiche Alternative sein.
Allerdings werden ketaminbegleitete Sitzungen noch nicht von der Krankenkasse bezahlt. Patient:innen müssen dafür also tief in die eigene Tasche greifen.
Und Nebenwirkungen?
Dass Psychedelika Psychosen auslösen, sei in einem kontrollierten Setting wie der Therapie nicht zu erwarten, sagt Jungaberle. Zwar könnten Patient:innen während der Reise angstvolle Erfahrungen erleben, jedoch sei dies häufig ein wichtiger und lehrreicher Teil der Therapie. Weitere potenzielle Nebenwirkungen seien Übelkeit, Schwindel, Blutdruckerhöhung oder Augeninnendruckerhöhung. Menschen mit Grünem Star oder sehr hohem Blutdruck könnten Ketamin daher nicht bekommen. Toxikologisch gesehen gäbe es keine Bedenken, denn das Ketamin schädige keine Organe.
Generell gibt es, wenn es um PMS und PMDS geht, noch einige Wissenslücken. Hormonelle Ursachen von
Aus diesem Grund wenden sich auch nicht alle Betroffenen mit ihren Beschwerden an Mediziner:innen. Stattdessen versuchen manche Frauen, ihre Regelbeschwerden selbst in den Griff zu kriegen, indem sie sehr kleine Dosen an halluzinogenen Pilzen oder LSD regelmäßig zu sich nehmen. »Microdosing« nennt sich dieser Trend.
Maaike macht das mittlerweile seit 2 Jahren.
»Ich führe zwar keine Freudentänze auf, wenn meine Periode kommt. Aber es ist ein großer Unterschied«
Als Maaike zum ersten Mal eine Mikrodosis
Zum ersten Mal erfährt Maaike von »Microdosing« auf der Website, die ihr Ex-Freund ihr schickte. Sie liest sich in das Thema ein, hört Podcasts darüber und beschließt, es gegen ihr starkes PMS zu testen.
Seitdem nimmt Maaike jeden zweiten Tag 0,5 Gramm magischer Trüffel. Immer 4–6 Wochen lang, dazwischen macht sie 2 Wochen Pause.
Sie lebe jetzt entspannter, nehme ihre Umgebung bewusster wahr und mache regelmäßig Sport und Meditationsübungen. »Früher hätte ich das nicht gepackt. Wenn sich jetzt Widerstand in mir regt, denke ich: Fuck you, ich ziehe das durch.«
Und ihr starkes PMS?
»Ich bin während meiner Tage innerlich ruhiger, entspannter. Und in der Woche vor meiner Periode fühle ich mich glücklicher als früher. Es ist noch nicht so, dass ich Freudentänze aufführe, wenn meine Periode kommt. Aber es ist schon ein großer Unterschied.«
Nicht nur Maaike hat ihre Symptome mit dem Microdosing besser in den Griff bekommen. Im Onlineforum Reddit zum Beispiel hat sich ein Netzwerk von Frauen gebildet, die ihre hormonellen Beschwerden mit Psychedelika behandeln und sich dort darüber austauschen:
Ich bin 46 Jahre alt und habe vor 3 Jahren zum ersten Mal psychedelische Pilze probiert, um die Symptome meiner Perimenopause [Übergangsphase vor Einsetzen der Wechseljahre] zu erleichtern. Und es hat geklappt!
Ich habe PMDS. 2 Wochen vor meiner Periode fühle ich eine Mischung aus Angst, Depression, Selbstmordgedanken und blinder Wut. Vor 5 Monaten habe ich mit Microdosing begonnen. Es hat mir enorm geholfen. Die Gefühle sind zwar weiter da, aber ich identifiziere mich nicht mehr mit ihnen. Ich beobachte sie, und lasse sie vorbeiziehen. Manchmal kann ich sogar Freude verspüren. Früher wäre das unmöglich gewesen.
Manche Frauen wenden sich aber auch an das Netzwerk, wenn Nebenwirkungen auftauchen, zum Beispiel schreibt eine Frau, dass ihre Monatsblutung nach dem Microdosing
Weil groß angelegte klinische Studien und fundiertes Wissen zu Microdosing fehlen, können Frauen im Moment nur selbst experimentieren – und ihre Erfahrungen miteinander austauschen.
Forscherinnen beginnen, Studien zu Psychedelika und Frauengesundheit aufzusetzen
Das ist auch der Grund, warum Ärztin Jungaberle dem Microdosing eher skeptisch gegenübersteht.
Laut ihr gebe es zu diesem Thema zu viel Naivität und zu wenig wissenschaftliche Erkenntnisse. Außerdem hätten Tierexperimente gezeigt, dass die dauerhafte Einnahme von Psychedelika, wenn auch in geringen Mengen, schädlich für das
Um das Phänomen auf ein breiteres wissenschaftliches Fundament zu stellen, beginnen einzelne Forscherinnen, die Geschichten der Frauen in Onlineforen systematischer zu sammeln.
Alana Cookman etwa promoviert zu PMDS an der Lancaster University in Großbritannien. Sie will verstehen, wie sich Psilocybin auf Frauen mit PMDS auswirkt, und hat auf Reddit die Nutzerinnen aufgerufen, an
Erste Forschungsteams scheinen ebenso auf die Berichte der Frauen im Netz aufmerksam geworden zu sein. So hat das renommierte King’s College in London
Laut Berichten scheint sich zumindest anzudeuten, dass Psychedelika weitaus mehr können, als mentale Verstimmungen abzumildern.
»Nach dem Psilocybin-Trip hat sich der Schmerz massiv verringert«
Auch Jennifer Chesak interessiert sich für die Wirkung von Psychedelika auf die Gesundheit von Frauen. Sie ist Wissenschaftsjournalistin und plant, über das Thema ein Buch zu schreiben. Dafür möchte sie selbst einen Pilz-Trip erleben. Um »authentischer davon zu erzählen«, sagt sie.
Jetzt liegt sie auf einer Matte, mitten in der Natur. Eine Augenbinde schirmt sie von äußeren Reizen ab. Sie hat gerade 3,5 Gramm Psilocybin zu sich genommen. Neben ihr sitzt ein erfahrener
Die Erfahrung, die sie während des Pilz-Trips gemacht hat, beschreibt sie anschließend so: »Ich habe mich so verbunden zu den Menschen gefühlt, die ich liebe und die mich lieben. Das war eine wichtige Erfahrung. Vor allem, weil ich gerade bedeutende Menschen in meinem Leben verloren hatte.«
Die Einblicke, die sie gewinnt, wird sie später in ihrem Buch
Der Pilz-Trip verbessert auch Jennifers eigene Menstruationsbeschwerden: Die unerträglichen Kopfschmerzen, die sie in den Tagen vor Beginn ihrer Periode heimsuchten, sind plötzlich fast weg. Der Effekt habe ungefähr 6 Monate lang angehalten, allmählich beginnen ihre Schmerzen wieder stärker zu werden, fügt sie hinzu.
Sie könne wissenschaftlich zwar nicht nachweisen, dass das Ausbleiben ihrer Periodenschmerzen auf das Psilocybin zurückzuführen sei. Doch anders könne sie es sich nicht erklären. »Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass Psilocybin Entzündungen hemmt und damit chronische Schmerzen verringern könnte«, erklärt Jennifer. »Das ist im Grunde das, was auch mit Ibuprofen
Was Frauen heute wiederentdecken, wussten Indigene schon lange
Neu ist das Wissen um die Vorteile von Psychedelika nicht. Indigene Völker nutzen halluzinogene Pflanzen schon immer – gegen Stress, bei spirituellen Zeremonien und für bessere Beziehungen mit ihren Mitmenschen.
Jennifer Chesak hofft, dass dieses Wissen bald von der Forschung aufgegriffen und systematischer untersucht wird. Denn gerade Frauen litten oft unnötig unter Schmerzen, die von der Medizin unfairerweise ignoriert würden.
Auch Maaike hofft darauf, dass sich die Forschung zur Schnittstelle zwischen Psychedelika und Frauengesundheit etabliert, damit mehr Frauen davon profitieren können. Bis dahin setzt sie auf Frauennetzwerke, in denen sie sich darüber austauschen kann – und die verstehen, wie es ist, wenn man plötzlich wieder man selbst ist.
Titelbild: OVID-Klinik - copyright