Nebel im Kopf: Was hinter dem Phänomen »Brain Fog« steckt
Seit der Pandemie klagen immer mehr Menschen über ein »vernebeltes Gehirn«. Das Phänomen ist schon länger bekannt. Was Mediziner:innen darüber wissen – und was helfen könnte.
Als wären sinkende Temperaturen und Regen als Herbstboten nicht schon genug, nimmt aktuell auch die Erkältungssaison an Fahrt auf: Laut Robert Koch-Institut hängen schätzungsweise gerade 8,5% der Bevölkerung mit
Doch auch wenn der Infekt endlich vorübergezogen ist, bleibt manchmal ein dumpfes Gefühl im Kopf, das wohl die meisten schon einmal erlebt haben und das – besonders seit der Covid-19-Pandemie – als »Brain Fog« (also »Gehirnnebel«) bekannt ist.
In diesem Text möchte ich nachspüren, was es mit Gehirnnebel wirklich auf sich hat, was die Wissenschaft darüber weiß und was du dagegen tun kannst.
Wie sich Brain Fog anfühlen kann
»Es fühlt sich an wie eine nicht weggehende Müdigkeit, wie kurz vor dem Einschlafen. Als wäre mein Verstand in Watte gepackt. Ich brauche für alles länger, verwechsele teilweise Wörter beim schnellen Sprechen und komme einfach nicht auf manche Begriffe. Oder nur auf das englische Wort«, sagt etwa mein Kollege Dirk Walbrühl. Er hat kürzlich eine Covid-19-Infektion durchgemacht und spürt die Nachwirkungen auch einige Wochen später noch. Nur langsam wird es besser. Meine Kollegin Julia Tappeiner erlebt Ähnliches, aber in einem ganz anderen Kontext.
Sie spürt den »Brain Fog« am ersten oder zweiten Tag ihrer Periode: »Ich fühle mich müde, es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Die Gedanken kommen langsam, träge. Es fühlt sich ein bisschen so an, als hätte ich einen Kater«, erzählt sie.
Als wir im Team darüber sprechen, melden sich schnell weitere Menschen, die den Nebel im Gehirn schon einmal erlebt haben. Einige kennen das dumpfe Gefühl aus der Zeit nach Infektionen, andere haben es bereits in stressigen Phasen oder als Nachwirkung von Migräne erlebt.
PD-Mitarbeiter Marc Tiemann hat eine chronische Krankheit, zu deren Hauptsymptomen ein stark ausgeprägter »Brain Fog« zählt:
»Brain Fog« scheint also in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen aufzutreten – und in sehr verschiedenen Ausprägungen. Ich frage mich daher: Ist der Gehirnnebel etwas, was sich messen lässt, ein feststehender Begriff in der Medizin – oder eher ein diffuses Symptom?
Das weiß die Medizin
Antworten erhoffe ich mir vom Neurologen und Generalsekretär der
Während sich der Nebel im Kopf bei den meisten Betroffenen nach einiger Zeit wieder lichtet, gibt es andere, bei denen die Symptome das ganze Leben bestimmen. »Spätestens wenn der Leidensdruck so ausgeprägt ist, dass er mit dem täglichen Leben kollidiert, besteht Handlungsbedarf. Das muss nicht nur das berufliche Leben betreffen, sondern auch Beeinträchtigungen, die die Alltagsgestaltung schwierig machen«, sagt Berlit. Dann sei es wichtig, sich an einen Arzt oder eine Ärztin zu wenden, der oder die sich auf die Suche nach dem Ursprung des Nebels begebe. Dafür werde üblicherweise in verschiedenen Tests untersucht, ob Informationsverarbeitung, Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeitsleistung oder Merkfähigkeit messbar eingeschränkt seien.
»Es wird auch miterfasst, wie die emotionale Verarbeitung des Brain Fog funktioniert«, sagt der Neurologe. So könne etwa auch eine Depression der Auslöser für das anhaltend
Je nachdem, was diese ersten Tests zeigten, erfolge die weitere Diagnostik. »Dann kann es auch erforderlich sein, eine Bildgebung vom Gehirn zu machen, beispielsweise eine Kernspintomographie, um zu gucken, ob es tatsächlich Veränderungen im Hirn gibt«, erklärt Berlit. Sehen könne man so beispielsweise, ob ein Schlaganfall oder eine Entzündung im Hirn die Ursache für das Gefühl seien.
Oft ist der Auslöser für den Nebel im Kopf aber einfacher zu finden. »Die meisten Personen bringen ihren Brain Fog mit irgendeinem Ereignis in Verbindung. Entweder haben sie schon ein neurologisches oder allgemeinmedizinisches Problem oder sie haben kürzlich einen Infekt durchgemacht, auf den sie es zurückführen. Auch andere Ereignisse, wie eine Kopfverletzung oder Ängste, können ein Auslöser sein«, sagt der Neurologe. Welche Erklärungen infrage kommen, klärt im Zweifel ein Gespräch mit einem Arzt oder einer Ärztin. Schwieriger ist es festzustellen, was genau im Gehirn passiert.
Brain Fog nach Infekten: Woran liegt das?
Insbesondere seit der Pandemie steht eine Ursache für das vernebelte Gehirn besonders im Fokus: eine Infektion mit Covid-19. »Post-virale Erschöpfungszustände gab es schon immer. Durch diese massive Häufung von schweren Infektionen durch SARS-CoV-2 sind sie jedoch mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt«, sagt Berlit. Doch wie lässt sich Brain Fog, speziell nach Infekten, erklären?
»Fieber, Husten, Schnupfen, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, das alles belastet den Organismus. Und je nachdem, wie ausgeprägt ein Infekt ist, führt das im Nachgang zu einem Erschöpfungssyndrom«, erklärt der Neurologe. Dieses Erschöpfungssyndrom zeige sich zum einen körperlich: Man sei einfach nicht mehr so fit wie vorher. Mit dem Gehirn sei es nicht anders:
Auch das Gehirn braucht seine Erholungszeit und ist nicht mehr so leistungsfähig, wie es vor dem Infekt war. Das bildet sich – und das ist das Positive – in aller Regel innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen nach dem Infekt wieder zurück.
Wenn der Nebel sich nicht mehr lichtet
Doch nicht immer lichtet sich der Nebel von allein – und bei manchen ist er dichter als bei anderen. Das zeigen auch die Beispiele vom Anfang dieses Textes. Während sich Julias Nebel stets nach einigen Tagen verzieht und auch Dirk langsam Besserung verspürt, schränkt er Marc, in Kombination mit einer Reihe von weiteren Symptomen, seit Jahren ein. Auch bei einem Teil der Menschen, die einen Infekt mit Covid-19 durchgemacht haben, bleibt der Nebel im Gehirn.
Mittlerweile gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die darauf hinweisen, dass das Coronavirus die Hirnstruktur verändern kann – ein möglicher Auslöser für
Neben diesen gesicherten Erkenntnissen kommen beständig neue Hypothesen hinzu: In einer
Dieser Botenstoff übernimmt wichtige Aufgaben im Körper, reguliert unsere Stimmung, unseren Appetit und den Schlaf. Ein Mangel kann körperliche und psychische Folgen haben – und könnte auch die Brain-Fog-Symptome auslösen.
Auch für den Brain Fog bei ME/CFS gibt es mittlerweile Erklärungsansätze: Ein Auslöser könnte eine verminderte Durchblutung des Gehirns sein, in dessen Folge
Symptome wie Brain Fog beeinträchtigen die Betroffenen oft viel mehr als die Grunderkrankung. Gerade deshalb muss man es absolut ernst nehmen. Das ist für die Lebensqualität der Betroffenen ganz entscheidend.
Das gelte auch, wenn Menschen derartige Symptome nach einer Impfung bemerkten. »Wie bei einem Infekt kann Brain Fog nach einer Impfung eine ganz übliche Nebenwirkung sein, die nach ein paar Tagen wieder verschwindet. Ist das nicht der Fall, gilt es, weiter zu forschen«, sagt der Neurologe.
Mittlerweile gibt es
Ein Vorschlag der Neurologen: Nach einer ersten Untersuchung durch den Hausarzt oder die Hausärztin könnten Fachärzt:innen für die weitere Diagnostik per Video hinzugezogen werden. Gemeinsam mit dem Hausarzt oder der Hausärztin könnten sie dann die bisherigen Befunde auswerten und besprechen, wie es weitergeht. »Besonders in ländlichen Gebieten, wo Spezialpraxen fehlen, könnte das helfen«, sagt Berlit. Bisher handele es sich dabei jedoch nur um Vorschläge – ob und wie sie umgesetzt würden, sei noch unklar.
Die Aufmerksamkeit für Brain Fog hat Folgen: Mehr Forschung
Doch es gibt auch gute Nachrichten: Durch die Pandemie hat der Gehirnnebel in seinen verschiedenen Ausprägungen neue Aufmerksamkeit erlangt – auch in der Forschung. Mittlerweile gibt es viele neue Studien, die dem Ursprung des Brain Fogs auf den Grund gehen und neue Wege suchen, Betroffenen zu helfen. Davon profitiert auch die ME/CFS-Forschung, denn diese Erkrankung tritt in den meisten Fällen nach schweren Infekten auf.
Ein Medikament, das die Beschwerden nach einem Infekt heilen könnte, gibt es bislang jedoch nicht. »Es laufen zwar verschiedene Behandlungsstudien, aber die sind nicht abgeschlossen«, sagt Berlit. Umso wichtiger sei es, die Defizite, die die Betroffenen hätten, genau zu analysieren und gezielt zu behandeln. Etwa mithilfe von neuropsychologischen Therapieansätzen, aber auch mithilfe kognitiver Verhaltenstherapie.
Auch Marc hat mit der Zeit gelernt, wie er mit seinen Symptomen bestmöglich umgehen kann. »Besonders wichtig ist dabei das sogenannte Pacing, bei dem es darum geht, Überlastungen, die die Symptome verstärken, frühzeitig zu erkennen und immer wieder rechtzeitig Ruhepausen zu machen«, erklärt er mir.
Ich meditiere mehrmals am Tag und nutze diverse Regulationswerkzeuge wie Atemübungen, um die Funktion des Nervensystems zu verbessern, das bei meiner Erkrankung stark beeinträchtigt ist. Daneben probiere ich mit meinen Ärzt:innen immer neue Therapiemöglichkeiten aus.
Was du selbst tun kannst, um den Nebel im Hirn zu vertreiben
Auch wer nur an einem leichten Brain Fog leidet und den Weg zum Neurologen oder zur Neurologin nicht für nötig hält, sollte die Signale seines Körpers ernst nehmen. Denn es ist durchaus möglich, seinem Gehirn dabei zu helfen, sich zu erholen:
- Auf den Körper hören: »Komischerweise fällt es den meisten Menschen leichter, auf ihren Körper zu hören, wenn die physische Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist«, sagt Berlit. Die meisten hätten wenig Probleme, sich beim Sport zurückzunehmen. »Das Gehirn zu schonen, ist dagegen für die meisten Menschen schwer. Doch wenn der Kopf eine Pause verlangt, dann sollte man die auch einlegen«, so Berlit.
- Ein gesundes Mittelmaß finden: Den Kopf gar nicht mehr zu beanspruchen, sei dabei jedoch nicht die Lösung. Das Gehirn solle durchaus weiter gefordert werden. »Wichtig ist es, zwischendurch Pausen zu machen und abzuschalten«, sagt der Neurologe.
- Was der Gesundheit guttut, tut dem Kopf gut: Ein geregelter Schlaf-Wach-Rhythmus, eine ausgewogene, nicht zu schwere Ernährung, möglichst kein Alkohol und kein Nikotin – das alles seien laut Berlit wichtige Maßnahmen, die dem Kopf helfen könnten, den Nebel zu lichten.
- Weniger Bildschirmzeit, mehr frische Luft: Laut Berlit könne die Arbeit und das Lesen am Bildschirm das Hirn weiter anstrengen. Regelmäßig einen Spaziergang zu machen, könne helfen. »Dosiertes physisches Training tut auch dem Gehirn gut«, weiß der Neurologe.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily