»Wen als Mediziner Fragen nerven, ist im falschen Beruf«
Studien haben ergeben, dass sich Menschen oft nicht trauen, beim Arztbesuch ein zweites Mal nachzufragen. Denn Ärzt:innen zeigen nicht immer Verständnis für mündige Patient:innen. Isabelle Scholl untersucht, wie diese Beziehung besser werden kann.
12. Dezember 2023
– 7 Minuten
UKE Hamburg
Jan Rübel:
Frau Professorin Scholl, der Name Ihres Fachgebietes lautet »patientenzentrierte Medizin«. Was verbirgt sich hinter diesem sperrigen Begriff?
Isabelle Scholl:
Eigentlich ein einfacher Tatbestand. Er beruht darauf, dass jeder von uns im Laufe des Lebens zum Arzt geht. Und häufig, wenn wir es mit einem Arzt oder einer Ärztin zu tun haben, sind wir in einer vulnerablen Situation, weil etwas im Argen liegt. Umso hilfreicher ist es, wenn wir uns dabei gut aufgehoben fühlen. Patientenzentrierung meint zum Beispiel, dass Patient:innen entsprechend ihren Bedürfnissen informiert und in medizinische Entscheidungen eingebunden werden. Sie sollten dabei unterstützt werden, sich selbst für ihre Gesundheit einzusetzen. Wie ein optimales Miteinander von Ärzt:innen und Patient:innen aussehen soll, das ist eine Aufgabe, die mich beschäftigt.
Ist es denn nötig, dass man uns Mut zusprechen muss, wenn wir einen Arzt, eine Ärztin aufsuchen müssen?
Isabelle Scholl:
Aus Studien wissen wir, dass Menschen in solch einer Situation ziemlich befangen sind. Sie stehen dort auch anders für sich ein als in anderen Lebensbereichen.
Weniger sicher?
Isabelle Scholl:
Ja. Es gibt viele Menschen, die sich beim Arzt fürchten, ihn zu verärgern oder als schwierig zu gelten. Dies gilt auch für Menschen mit hohem Bildungsniveau oder guter sozioökonomischer Stellung. Deshalb können wir sie nur ermutigen, sich mehr ins Gespräch einzubringen und zu fragen, was ihnen auf dem Herzen liegt.
Isabelle Scholl ist Professorin für patientenzentrierte Medizin. In ihrer Spezialambulanz für Psychoonkologie am Uniklinikum Hamburg (UKE) erforscht sie, wie sich die Beziehung zwischen Arzt und Patient optimal gestalten lässt.
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Quelle:
UKE Hamburg
Aber im Grunde fühlt es sich doch gut an, von einem dieser Halbgötter in Weiß behandelt zu werden, oder?
Isabelle Scholl:
Mittlerweile wurden die Halbgötter von ihrem Thron gestoßen. Der Zugang zu medizinischem Wissen hat enorm zugenommen, heute leben wir in einem anderen Zeitalter. Viele Menschen . Das wirkt sich auf die Arzt-Patienten-Beziehung aus.
Bringt das Googeln nicht auch Irritationen mit sich, oder steigen unsere Chancen, wenn wir mehr wissen?
Isabelle Scholl:
Informationssuche im Internet kann natürlich verunsichernd sein. Wer mehr weiß, kann allerdings genauer fragen und damit besser eingebunden werden. Wir wissen, dass Ärzt:innen manchmal bestimmte Therapieoptionen bevorzugen – und wer sich eingelesen hat, kann besser in eigener Sache nachhaken. Wenn ich über meine Erkrankung etwas herausfinde, gewinne ich zumindest den Eindruck, dass ich zu meiner Therapie etwas beitragen kann. Das ist psychologisch gesehen wichtig.
Der mündige Patient ist die eine Seite. Aber welches Feedback kriegen Sie von Ärzten, wenn die von mündigen Patienten mit endlosen Fragen genervt werden?
Isabelle Scholl:
Ich finde nicht, dass mündige Patient:innen nerven. Für unsere Medizinstudierenden in Hamburg gehört Kommunikation vom ersten Semester an zum Unterricht. Da findet gerade ein Generationenwechsel statt. Wen als Mediziner Fragen nerven, ist im falschen Beruf.
Kommunikation kostet Zeit. Können sich Ärzte lange Beratungen leisten?
Isabelle Scholl:
Mangelnde Zeit ist eine Barriere für vieles. Wir wissen, dass deutsche Hausärzte weniger Zeit für ihre Patient:innen aufbringen als ihre Kollegen in einigen anderen europäischen Ländern. Man kann aber auch . »Ein Gesundheitssystem, das den Menschen weniger Zeit und Nerven raubt, wäre schon wünschenswert«
Wie sieht denn eine gute Kommunikation aus?
Isabelle Scholl:
Nehmen wir den Klinikalltag als Beispiel. Da herrscht zuweilen Stress und in solchen Momenten kommt es vor, dass ich als Ärztin sage: Jetzt habe ich nur fünf Minuten – aber in denen können wir das Wichtigste klären, zumindest so viel, dass der Patient eine Orientierung hat. Gleichzeitig sollte man überlegen, wann noch offene Fragen zu beantworten wären. Wir können auch Materialien nutzen, Broschüren oder Erklärvideos. Ratsam ist ohnehin, nicht allzu viel in einem einzigen Gespräch zu erklären, weil man komplexe Sachverhalte oft nicht auf einmal aufnehmen kann.
Aber mehr Zeit für Patientengespräche wäre schon gut, oder?
Isabelle Scholl:
Klar, deshalb sollten aus meiner Sicht Gespräche besser honoriert werden.
In Amerika nutzt man Aufzeichnungen von Arztvisiten zur Erklärung, teilweise auch Audiodokumente. Wäre das auch deutschen Ärzten zu empfehlen?
Isabelle Scholl:
Das ist eine von vielen Möglichkeiten, die es erleichtert, Informationen zu behalten. Man kann sie nach einem Gespräch noch mal abrufen. Gerade realisieren wir eine Studie, die klären soll, inwiefern sich solche »Gespräche zum Mitnehmen« in unserem Gesundheitssystem nutzen lassen und wie offen Patient:innen und ärztliche Kolleg:innen dem gegenüberstehen.
Wie könnte so etwas noch aussehen?
Isabelle Scholl:
Patient:innen brauchen Materialien, die ihnen helfen, Entscheidungen zu treffen. Schriftlich und grafisch aufbereitete Informationen kann man sich besser merken als nur Mündliches. Wir haben in den vergangenen Jahren Poster in Wartezimmern aufgehängt und Postkarten ausgelegt, die Menschen auffordern, mehr Fragen zu stellen. Mit dem Slogan »Stellen Sie drei Fragen« wollen wir Patient:innen legitimieren, sich aktiv einzubringen.
Bei schwierigen Prognosen kriegen sie vielleicht nicht alles mit, das ist ja purer Stress. Deshalb raten wir zum Beispiel auch, Angehörige mitzubringen. Vier Ohren hören mehr und auch vier Augen sehen mehr, als wenn man sich nur zu zweit gegenübersitzt.
An solch schwierigen und wahrscheinlich komplexen Diagnosen sind meist mehrere Ärzte beteiligt. Gibt es da ähnliche Vernetzungen, wie sie zum Beispiel in den USA praktiziert werden?
Isabelle Scholl:
Die Zusammenarbeit verschiedener Sektoren sollten wir in Deutschland in der Tat verbessern. Zum Beispiel zwischen ambulanter und stationärer Behandlung. Wenn ich also aus dem Krankenhaus entlassen werde, muss klar sein: Wann kommt der Arztbrief? Was soll als Nächstes passieren? Und von einer elektronischen Patientenakte, auf die wir als Patient:innen selbst Zugriff haben, sind wir meilenweit entfernt. Da ist Deutschland noch in der Steinzeit, auch im internationalen Vergleich.
Jan Rübel ist freier Journalist und lebt in Berlin. Er hat Islamwissenschaft und Nahostgeschichte in Hamburg, Beirut und Tel Aviv studiert. Seine Schwerpunkte sind Sozialreportagen und Porträts.