Wie kann Protest wirklich etwas ändern? 2 Bewegungen aus Polen und Ungarn haben Etappensiege errungen – und wollen jetzt ins Parlament.
27. Juni 2017
– 13 Minuten
Konrad Wiślicz
Eine solche Protestbewegung hat die Welt lange nicht gesehen. Millionen Menschen gingen am 21. Januar beim auf die Straße: für Frauenrechte, gegen Sexismus und Diskriminierung durch Prominente wie Madonna und Scarlett Johansson schlossen sich den Protesten ebenso an wie die berühmte Bürgerrechtlerin Angela Davis. Und die Kameras hielten natürlich drauf: Frauen, und Kinder in eroberten einen Tag lang nicht nur die Straßen von Los Angeles bis Kalkutta, sondern auch Titelseiten und soziale Netzwerke. Ihre Plakate und Banner signalisierten entschlossenen Kampfgeist: »Pussy grabs back!«
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
Ist die Welt seitdem ein besserer Ort für Frauen? Handfeste politische Ergebnisse kann der »Women’s March« nicht vorweisen. Zeit, sich zu fragen: Wie kann mein Protest nicht nur bewegende Bilder produzieren – sondern auch nachhaltig Wirkung zeigen?
Besonders viele Protestbilder kamen in den letzten 12 Monaten aus Polen und Ungarn. die erzkonservative Werte vertreten, predigen und viele Grenzen in und um Europa am liebsten wieder dichtmachen würden. Miklós Hajnal und Julia Zimmermann gehören zu denen, die bei Demonstrationen öffentlich dagegenhalten.
Beide meinen aber auch, dass in einer Demokratie kein Weg am Parlament vorbeiführt, wenn man wirklich etwas ändern will. Miklós Hajnal ist Mitgründer von in Ungarn, Julia Zimmermann engagiert sich im Vorstand der polnischen Razem (deutsch: »Zusammen«). Momentum und sind beides neue Parteien, die auf den ersten Blick viel gemeinsam haben: Ihre Mitglieder und Gründer sind überwiegend jung, gut ausgebildet, international vernetzt und pro-europäisch.
Von der Straße ins Parlament
Julia Zimmermann und Miklós Hajnal wollen mit ihren Parteien bei den nächsten Wahlen ins Parlament. Den Schritt in die Öffentlichkeit haben sie schon mal geschafft. Protestbewegungen spielten dabei für beide eine große Rolle:
Momentum konstituierte sich als Partei aus einer Bürgerbewegung, die Anfang 2017 erfolgreich verhinderte.
Razem-Vorstandsmitglieder standen im Jahr 2016 in der ersten Reihe bei Protesten gegen die in Polen.
Beide Proteste waren in ihren Ländern enorme Überraschungserfolge: Der Gesetzentwurf in Polen ging nicht durch, Budapest zog seine Olympiabewerbung zurück. Wie geht es nun weiter für Razem und Momentum?
Momentum wünscht sich ein westlich orientiertes Ungarn ohne russische Einflüsse, eine liberale Wirtschaftspolitik und ein Ende der allgegenwärtigen Korruption.
Razem möchte die progressive Linke werden, die den Mitgliedern im politischen Spektrum bislang fehlt. Razems Mitglieder setzen sich für Belange der Arbeiter und Angestellten ein und betreiben Lobbyarbeit für die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten.
Mit welcher Strategie sie ihre Forderungen durchsetzen wollen, davon haben Julia Zimmermann und Miklós Hajnal Vorstellungen, die sich in manchen Punkten ähneln, in anderen gegensätzlicher nicht sein könnten.
Wenn du daran glaubst, dass gute Organisation alles ist und moderne Politik kein Links-Rechts-Schema mehr braucht, lies hier, wie Miklós Hajnal und Momentum Orbáns Ungarn aufmischen wollen:
»Wenn du es mit der Regierungsmaschine aufnehmen willst, brauchst du effiziente Prozesse«
Wie ist Momentum entstanden?
Miklós Hajnal:
Momentum war am Anfang eine Gruppe von Studenten und jungen Absolventen Mitte 20, die in einem Sommercamp über Politik diskutierten. Unter den 30 Gründungsmitgliedern von Momentum sind Anwälte, Ökonomen und Buchhalter. Wir wollten eine Partei aufbauen, die professionell auftritt und agiert. Das hat uns bei den anderen gefehlt. Natürlich spielen Werte und Ideologie eine Rolle. Aber wenn du es mit der Regierungsmaschine aufnehmen willst, brauchst du effiziente Prozesse. Wir haben schnell realisiert, dass wir Hierarchien und einen Workflow etablieren müssen.
Wie habt ihr es geschafft, die Budapester Olympiabewerbung zu verhindern?
Miklós Hajnal:
Zum Erfolg hat wahrscheinlich beigetragen, dass wir Anfang 2017 noch nicht als Partei registriert waren. Wir hatten damals zwar schon politische Ambitionen, aber die Menschen haben uns mehr vertraut, weil wir nichts mit dem politischen System, wie sie es kennen, zu tun hatten.
Es war anfangs nicht sehr wahrscheinlich, dass wir die Unterschriften zusammenbekommen. Wir fanden trotzdem, dass es den Versuch wert war – es war eine gute Sache, mit der wir uns erstmals der Öffentlichkeit präsentieren konnten. Die Olympiabewerbung war etwas, wogegen es sich zu kämpfen lohnte und was alle Probleme der gegenwärtigen Regierung symbolisierte. Sie war ein Symptom, für das wir eine Diagnose anbieten wollten.
Ihr habt in einem Monat rund 250.000 Unterschriften für ein Referendum gesammelt – nötig gewesen wären lediglich 138.000. Welche Strategie steckte hinter der Kampagne?
Miklós Hajnal:
Was uns definitiv geholfen hat: Die Regierung hat massiv in Werbung investiert. Wir mussten das Thema also nicht selbst populär machen. Es begegnete den Menschen überall auf der Straße. Die Kampagne war schon da, wir mussten sie nur aus unserer Perspektive
Wir hatten unterschiedliche Botschaften für unterschiedliche Gruppen. Die 2 Gruppen, bei denen es unserer Recherche nach am wahrscheinlichsten war, dass sie ihre Unterschrift für ein Referendum geben, waren die extrem hochqualifizierten Arbeitnehmer auf der einen und Geringqualifizierte auf der anderen Seite. Für beide funktionierte unsere Kampagne, weil sie relativ materialistisch ausgerichtet war. Wir haben damit argumentiert, dass es Wahnsinn ist, wieviel Geld für diese eine Feier in 7 Jahren ausgegeben werden soll. Für den normalen Arbeiter ist es viel wichtiger, wie seine Lebensumstände jetzt sind. Wir waren aber auch in vielen Fernsehdebatten oder an Universitäten – dass wir so eine politische Debatte angestoßen haben, kam bei der gebildeten Schicht gut an. So etwas passiert in Ungarn nur sehr selten.
Mit eurer Kampagne habt ihr gegen etwas protestiert. Als politische Partei müsst ihr auch kommunizieren, für welche Themen und Ideen ihr eintreten wollt. Wird das schwieriger?
Miklós Hajnal:
Angst und Hoffnung sind die beiden wichtigsten Gefühle, mit denen du in Kampagnen und Wahlkämpfen arbeitest. Insofern gibt es nicht so einen großen Unterschied. Politik soll kein Schimpfwort mehr sein – wir wollen die Marke Politik aufwerten, indem wir uns engagieren.
Welche Themen und Werte sind für Momentum wichtig?
Miklós Hajnal:
Man kann uns nicht wirklich als links oder rechts definieren. Wir sind pro-europäisch und schätzen die innerhalb der Union. Wir glauben, dass die EU für alle von Vorteil ist, auch wenn manche Länder wohlhabender sind als andere. Es ist gut für alle, wenn wir Ideen austauschen.
Welche Lücke im politischen Spektrum wollt ihr besetzen?
Miklós Hajnal:
Für Ungarn wollen wir einen Generationenwechsel in der Politik. Sowohl in der Opposition als auch in der Regierung sitzen seit Jahrzehnten Die junge Generation ist apolitisch. Das wollen wir ändern. Politik soll kein Schimpfwort mehr sein – wir wollen die Marke Politik aufwerten, indem wir uns engagieren.
Außerdem wollen wir Macht und Amtszeit von Politikern beschränken und dafür sorgen, dass die Akten derjenigen veröffentlicht werden, die vor dem Jahr 1989 für den Geheimdienst tätig waren. Das wurde bislang in Ungarn noch gar nicht aufgearbeitet.
Wie wollt ihr eure Themen im Wahlkampf auf die Agenda bringen?
Miklós Hajnal:
Das lässt sich an einem Beispiel erklären: Ein Thema, das die anderen Parteien nicht genug angehen und kritisieren, ist Korruption. Niemand bestreitet, dass es sie gibt, aber die Dimensionen sind für die Menschen schwer verständlich. Es ist nicht wirklich greifbar, wenn Milliarden von Euro einfach verschwinden. Wenn – das verstehen viel mehr Leute. Es gibt institutionelle Lösungen, die verhindern können.
Institutionen sind aber kein spannendes Wahlkampfthema. Geschichten funktionieren viel besser. Das heißt aber nicht, dass du dir über die Institutionen keine Gedanken machen solltest – du musst beides im Blick haben und die Institutionen verändern, wenn du die Leute mit deiner Geschichte überzeugt hast.
Wir arbeiten viel mit sozialen Medien – dort siehst du schnell, was funktioniert und was nicht. Wir probieren viel aus und nehmen dann das mit in den Wahlkampf, was für diejenigen am interessantesten ist, die es zumindest in Erwägung ziehen, uns ihre Stimme zu geben.
Welche Unterschiede siehst du zwischen Protest und Parteipolitik?
Miklós Hajnal:
Demonstrationen waren in Ungarn selten erfolgreich. Sie brauchen außerdem die Medien, die ihnen erst eine Stimme verleihen. Für mich ist es wichtig, Menschen darüber zu informieren, was um sie herum passiert, oder Dienstleistungen dort verfügbar zu machen, wo der Staat dabei versagt. Das ist eines unserer Ziele für die nächsten Monate: Wir wollen herausfinden, wo der Staat seinen Aufgaben nicht nachkommt, und dann die Menschen und Ressourcen organisieren, um diese Lücken zu füllen. Wir arbeiten gerade an einer Online-Plattform, die uns dabei helfen wird, Probleme auf lokaler Ebene zu identifizieren. Systemische Probleme sind mit dieser Art von Aktivismus aber viel schwieriger zu beheben. Dafür brauchst du eine politische Partei.
Welche Hürden siehst du für Momentum auf dem Weg ins Parlament?
Miklós Hajnal: Das ist derzeit das Wichtigste in der ungarischen Politik: unberechenbar zu sein – und vor allem nicht langweilig. So kann dein Gegner, wer auch immer es ist, sich nicht auf dich vorbereiten. Ob wir es schon im Jahr 2018 ins Parlament schaffen, ist noch offen. Unmöglich erscheint es mir aber ganz und gar nicht.
»Viele Aktivisten wollen mit Parteipolitik nichts zu tun haben. Für echten Wandel ist das aber der einzige Weg«
Warum bist du bei Razem?
Julia Zimmermann:
Ich habe schon während des Studiums als Übersetzerin für Amnesty International gearbeitet und mich für feministische Organisationen engagiert. Bei Razem bin ich seit Januar 2016. Mich hat überzeugt, dass Razem sich dagegen entschieden hat, mit zu kooperieren, die vor allem für eine Rückkehr zum Status quo vor den letzten Wahlen eintreten. Für mich war das ein klares Zeichen, dass Razem eine linke Agenda hat, die nicht nur mit dem Strom der öffentlichen Meinung schwimmen will. Für mich war es natürlich wichtig, dass die Partei sagt: Die aktuelle Regierung ist zwar furchtbar und schlecht für das Land, sie zerstört die Demokratie – aber vorher war auch nicht alles toll.
Razem wird oft mit verglichen, einer Partei, die sich aus einer Protestbewegung heraus gebildet hat. Welche Ähnlichkeiten siehst du?
Julia Zimmermann:
Podemos ist auf jeden Fall eine Inspiration für Razem. Wie in Spanien hat die Linke in Polen ihre Arbeit nicht getan und sich einer neoliberalen Politik zugewendet. Wie Podemos ist Razem davon überzeugt, dass große gesellschaftliche Gruppen von den existierenden Parteien nicht politisch repräsentiert werden. Besonders die Stimmen der Ärmsten werden nicht gehört, weil sie für die liberalen Medien nicht attraktiv sind – sie sehen nicht so aus und sprechen nicht so, wie sie sollen. Es muss sich vieles ändern. Und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch wenn es darum geht, wie wir Dinge angehen. Wir haben keinen Parteiführer, sondern organisieren uns basisdemokratisch.
Welche Inhalte sind Razem wichtig?
Julia Zimmermann:
Am wichtigsten für Razem ist der Kampf für Arbeiterrechte, die in den letzten 30 Jahren zugunsten der Arbeitgeber immer weiter demontiert wurden.
Mir persönlich sind die Rechte der und von Frauen am wichtigsten. Es ist in Polen immer noch ein Problem, homosexuell zu sein. Auch Frauenrechte wurden seit dem Jahr 1989 systematisch aufgeweicht. Das aus dem Jahr 1993 ist eines der strengsten in Europa. Der starke Einfluss der katholischen Kirche kann auch dazu führen, dass dir ein Gynäkologe die Pille nicht verschreibt und dir sagt, hormonelle Verhütung sei unmoralisch. Legale Abtreibung ist heute in Polen fast unmöglich. Es gibt eine ganze Provinz, in der kein Arzt eines Krankenhauses eine Abtreibung durchführt – angeblich aus Gewissensgründen. Viele sind gar nicht so überzeugt, der gesellschaftliche Druck ist aber zu groß.
Im letzten Jahr wollte die polnische Regierung das Abtreibungsgesetz sogar noch weiter verschärfen. Nach massiven Protesten Welche Rolle spielte Razem bei den Demonstrationen, die es als »schwarze Proteste« in die Medien schafften?
Julia Zimmermann: allerdings oft ohne Parteisymbole. Ein Mitglied von Razem hat sich das Hashtag #czernyProtest (»schwarzer Protest«) ausgedacht. Das war enorm wichtig. Wir brachten junge Frauen dazu, auf Instagram ihr Gesicht in Verbindung mit einem sehr heißen politischen Thema zu zeigen und ihre Unterstützung zu signalisieren.
Außerdem haben wir den als Symbol der Proteste etabliert. Damit wollten wir die drastischen und extrem gefährlichen Methoden zeigen, die Frauen nutzen müssen, wenn man ihnen die Möglichkeit nimmt, über ihre Gesundheit selbst zu entscheiden.
Abgesehen von Demonstrationen – wie kommuniziert ihr eure Themen potenziellen Wählern?
Julia Zimmermann:
Uns ist es wichtig, Menschen direkt anzusprechen. Wir wollen nicht von Talkshow zu Talkshow tingeln, um abgehobene Themen mit anderen Politikern zu diskutieren. Wir treten lieber in Kontakt mit Arbeitern, die Proteste oder Streiks planen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Immer mehr Leute rufen uns an oder schreiben uns Mails und fragen nach unserer Unterstützung. Wir arbeiten auch mit den Gewerkschaften zusammen. Mit einer von ihnen haben wir ein Interventionsbüro eingerichtet, das als Mittler fungiert, wenn jemand die melden will.
Gibt es für euch überhaupt einen Unterschied zwischen Aktivismus und Parteipolitik?
Julia Zimmermann:
Wir sind stolz darauf, eine Partei zu sein. Bei Protesten, die andere Aktivisten organisieren, ist das manchmal ein Problem – viele wollen mit Parteipolitik nichts zu tun haben. Politik wird als schmutziges Geschäft betrachtet, und viele unserer Parteimitglieder sind für ihr altes Umfeld heute Verräter. Das tut weh. Sie haben sich vor 2 Jahren dafür entschieden, dass Parteipolitik der einzige Weg ist, echten Wandel in Polen zu bewirken. Nur so kann deine Stimme in einer Demokratie gehört werden. Diese Leute machen genau dasselbe wie vorher, sie konzentrieren sich nur mehr auf die Werkzeuge, die Politikern zur Verfügung stehen – indem sie beispielsweise die Aufmerksamkeit nutzen, die wir von den Medien bekommen. Es gibt dieses Sprichwort aus der feministischen Bewegung: Wenn du keine Politik machst, macht jemand Politik mit dir.
Razem positioniert sich offen links, während andere neue Parteien – wie Momentum in Ungarn – bewusst auf politische Labels dieser Art verzichten. Glaubt ihr nicht, ihr könntet mehr Wähler überzeugen, wenn ihr auf das Links-Rechts-Schema verzichten würdet?
Julia Zimmermann:
Für uns ist es wichtig zu zeigen, was linke Werte sind: dass dir die Gemeinschaft wichtig ist, du für die Rechte der Arbeiter und Angestellten eintrittst, dass Hilfsleistungen für alle gleichermaßen verfügbar sein sollten, dass Menschen gleiche Rechte haben – ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Nationalität.
Vielleicht ist das Label »links« für manche Wähler problematisch. Aber diese Label zu vermeiden, ist der Versuch, es allen recht zu machen, und das heißt, dass man sich bis zu einem gewissen Grad verbiegt. Das wollen wir nicht.
Julia Zimmermann und Miklós Hajnal wollen mit ihren Parteien das System verändern. Ihre Proteste sind für sie auch Mittel zum Zweck. Sie helfen dabei, Sympathiepunkte zu sammeln und Forderungen auf die Agenda zu bringen. Gleichzeitig sind sie ein Experimentierfeld: Wie kann ich meine potenziellen Wähler eigentlich erreichen und mobilisieren? Wie inszeniere ich ein Thema so, dass es eine breite Öffentlichkeit erreicht? Welche Symbolik, welches Framing kann mir dabei helfen?
Ob es die Beiden in den nächsten Jahren ins Parlament schaffen werden, lässt sich noch nicht sagen. Piotr Kocyba vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung ist in beiden Fällen eher skeptisch: »Ich glaube, dass es in Polen im Moment keinen Platz für neue Parteien gibt. Razem wird es schwer haben, sich als politischer Akteur zu etablieren.« Mit Blick auf Momentum hält er es zwar für eine strategisch kluge Entscheidung, sich in der gegenwärtigen Lage außerhalb des Links-Rechts-Spektrums zu positionieren, meint aber auch, dass diese Vermeidungsstrategie der Partei früher oder später auf die Füße fallen könnte.
Ungeachtet dessen setzen Razem und Momentum jetzt Impulse in ihren Ländern. »Gerade im Fall von Momentum sieht man, dass hier relativ professionell eine Strategie entwickelt und überlegt wurde, wie man mit dem Potenzial umgehen kann, das man im Protest gegen Olympia gesammelt hat«, sagt Kocyba.
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Miklós Hajnal und Julia Zimmermann haben sich beide dafür entschieden, Protest ins Parlament zu tragen, obwohl – oder gerade weil – Politik in beiden Ländern als »schmutziges Geschäft« betrachtet wird. Das ist nicht nur in Polen und Ungarn so. Auch die Wahlerfolge von Donald Trump oder Emmanuel Macron zeigen, dass politische Außenseiter gerade gute Chancen haben, egal aus welcher Richtung sie kommen. Auch neue Graswurzelbewegungen sind Ausdruck dessen, dass viele den Status quo nicht mehr akzeptieren – und selbst mitgestalten wollen. Die Zeiten der Alternativlosigkeit sind vorbei. Vielleicht gab es nie einen besseren Moment, das System zu verändern, als jetzt.
Als Politikwissenschaftlerin interessiert sich Katharina dafür, was Gesellschaften bewegt. Sie fragt sich: Wer bestimmt die Regeln? Welche Ideen stehen im Wettstreit miteinander? Wie werden aus Konflikten Kompromisse? Einer Sache ist sie sich allerdings sicher: Nichts muss bleiben, wie es ist.