Alles »woke«? Was du über den Kampfbegriff und die Kritik daran wissen musst
South Park nimmt sich die Woke-Culture vor – mit bissiger Satire. Was die Serie zu kritisieren hat und wie sie versucht, versöhnliche Töne im Kulturkampf anzuschlagen.
Für manche ist das Wort
Dabei war das Wort zur Zeit der
In konservativen Kreisen wird das Wort »woke« gerade aber zu einem Kampfbegriff. So bezeichnete etwa CSU-Geschäftsführer Stefan Müller im Gespräch mit der Zeitung
Was haben die eigentlich für ein Problem?
Sind die alle etwa gegen mehr soziale Gerechtigkeit?
Oder meinen sie etwas völlig anderes?
Antworten liefert ausgerechnet eine freche Animationsserie für Erwachsene: »South Park«. Sie widmet dem Thema die neueste Folge. Das Ergebnis: Plötzlich fühlen sich alle Seiten verstanden – und im Recht.
Auch denen, die mit South Park nicht viel anfangen können, sei dieser Text ans Herz gelegt. Denn er spürt nach, ob es wirklich ein Problem mit »Wokeness« gibt und was wir vielleicht dagegen tun können.
Was South Park für ein Problem mit Wokeness hat
Der Viertklässler Eric Cartman wird zu Beginn der 326. South-Park-Folge »Joining the Panderverse« in ein Paralleluniversum geworfen. Dort sind alle seine Freunde und andere Personen aus seiner Heimatstadt durch nicht weiße Frauen ersetzt worden, die gegen das Patriarchat wettern. Er versteht die Welt nicht mehr und wird wütend.
Die Handlung spielt hier auf einen echten Trend in Hollywood an, der
Jemand wie Cartman sieht das aber ganz anders. Er wittert darin eine »woke Ideologie«, die ihm per Film oder Serie »verabreicht« werden soll.
Apropos Verantwortliche des Filmgeschäfts: Ebenfalls im Paralleluniversum der South-Park-Folge landet Kathleen Kennedy, eine animierte Persiflage der legendären US-amerikanischen Filmproduzentin (»E.T. – Der Außerirdische«), Präsidentin von Lucasfilm (»Star Wars«) und einflussreiche Stimme im Disney-Konzern. Sie ist eine »woke« Symbolfigur, weil sie im echten Leben nicht nur Ungerechtigkeiten im Filmgeschäft kritisiert, sondern sich aktiv für die
Nach einigen Wirrungen treffen Kennedy und Cartman in einem amerikanischen Diner aufeinander. Im anschließenden Gespräch gibt Kennedy zu, mit ihrer Arbeit als Filmemacherin gegen die Bigotterie in der Gesellschaft vorgehen zu wollen. Dazu nutzt sie
Die scheinbare Aussage der Folge: Verantwortliche der Medienbranche wollen sich einem progressiven Zeitgeist anbiedern und treffen schlechte, symbolische Entscheidungen aus ideologischen Gründen, die viele Menschen nerven.
Kein Wunder, dass die South-Park-Folge Begeisterungsstürme bei einer ganz bestimmten Klientel ausgelöst hat – frei nach dem Motto »Endlich sagt’s mal einer!«. Elon Musk etwa, superreicher Besitzer des Netzwerks X (ehemals Twitter), der öfter
Dumm nur, dass weder Musk noch Carano – die hier symbolisch für die Reaktion vieler Anti-Woke-Aktivist:innen und -Kanäle stehen – genau hingesehen haben.
Denn Eric Cartman ist ein schlechter Mensch. Die Serienmacher zeichnen ihn seit Folge 1 als unmoralischen, unsozialen, bigotten Unsympathen, der am liebsten über Juden wettert und hinter allem eine Verschwörung wittert. Er gibt im Diner-Gespräch mit Kennedy zu, dass er allein alle (!) Hassmails an Kennedy nebst Todesdrohungen verfasst habe. Damit wird er zur Karikatur des Anti-Woke-Wüterichs. Statt recht zu bekommen, entschuldigt er sich bei Kennedy in der Folge sogar.
Ganz im Geiste von South Park werden hier satirisch alle Parteien aufs Korn genommen.
BiasedSkeptic, was können wir daraus über Wokeness lernen?
Um die Argumentation der South-Park-Folge und die hitzige Diskussion um Wokeness besser zu verstehen, habe ich mir jemanden zu Hilfe geholt, der Argumente aufschlüsseln als Beruf gewählt hat. Matthias A. Narr ist
Da fand eine Bedeutungsverschiebung statt. Weg vom ursprünglichen Einsetzen für soziale Gerechtigkeit, was ›woke‹ ja eigentlich bedeutet. Das heißt aber nicht gleich, dass alle, die Wokeness kritisieren, dann toll finden, dass soziale Ungleichheit besteht. Es gibt dabei viele Ausprägungen der Wokeness, von denen einige halbherzig sind oder über das Ziel hinausschießen und man kritisieren kann – so wie South Park es tut.
Narr kritisiert in seinen Videos auf dem Youtube-Kanal »BiasedSkeptic« selbstkritisch einige Spielweisen der Woke-Kultur. Etwa Hollywoods Diversity-Anstrengungen als halbherzige
Aber wieso sollte man überhaupt einem milliardenschweren Medienunternehmen wie dem Disney-Konzern abkaufen, ernsthaft an mehr sozialer Gerechtigkeit und nicht nur an Profit interessiert zu sein? Immerhin hat der Konzern lange Zeit mit moralisch höchst fragwürdigen Praktiken ein Quasi-Monopol errichtet. Auch indem er vorurteilsbehaftete Klischees (Dschungelbuch, Pocahontas), romantisierte traditionelle Geschlechterrollen (Arielle, Aladdin) oder elitäres Klassendenken (König der Löwen) teuer verkauft hat.
Die South-Park-Folge sieht Matthias A. Narr als guten Anknüpfungspunkt, um über die aufgeheizte Wokeness-Debatte an sich zu sprechen. Er schickt aber eine wichtige Einordnung voraus:
Wir müssen aufpassen, nicht einer kognitiven Verzerrung zu verfallen, dem Myside-Bias. Die Leute sehen durchaus die Argumente, gewichten diese aber kognitiv anders und für die eigene Seite. Das erklärt, warum sich beide Seiten plötzlich verstanden und bestätigt fühlen, obwohl die Witze auf Kosten aller gehen. Interessanterweise spielt hier Intelligenz oder Bildung keine Rolle – der Myside-Bias trifft jeden von uns.
Dieser Bias, so Narr, ist in Diskussionen um das Wort »woke« allgegenwärtig. Anstatt sich um Objektivität und Selbstreflexion zu bemühen und sich mit Argumenten auseinanderzusetzen, wird die Gegenseite lieber abgewertet. »Im Grunde steckt darin, dass beide Seiten mit dem Status quo unzufrieden sind und auch damit, wohin sich die Gegenseite bewegt. Diese gegenläufigen Entwicklungen werden immer stärker und stören dadurch immer mehr«, sagt Narr. Und was stört, versuchen die meisten nicht zu verstehen, sondern ideologisch zu bekämpfen.
Das Ergebnis ist eine polarisierte und festgefahrene Debatte, in der um die Deutung einzelner Wörter – wie woke – heftig gestritten wird und Zugehörigkeit zu einem Lager wichtiger ist als Argumente. So befeuern sich beide Seiten gegenseitig und haben immer wieder Anlass, sich über die anderen aufzuregen.
Das ist die eigentliche Aussage der South-Park-Folge.
Darin liegt auch eine Lösung, die die Macher von South Park offenbar aufzeigen: Direkt miteinander reden und versuchen, die Gegenseite zu verstehen – so wie Cartman und Kennedy im Diner.
Ein ehrlicher Versuch, die Woke-Kritiker:innen zu verstehen
Kommen wir zurück zur Ex-CDUlerin Sophia Thomalla. Nach ihrem Austritt erklärte sie auf Instagram,
Ist man nicht derselben Meinung mit den intellektuellen Kritikern, wird man als dümmlich, niveaulos und nicht aufgeklärt genug abgestempelt, anstatt sich mit den Leuten auseinanderzusetzen.
Menschen würden zu schnell in Ecken gestellt und diffamiert, so die Moderatorin, ungerechterweise als »misogyn«, »Aluhutträger« oder »Rassist« bezeichnet. »Diese Arroganz von oben geht mir […] gehörig und zu Recht auf den Zeiger.«
Thomalla, die ich hier
Thomallas Äußerungen sind bezeichnend, weil sie ein Machtverhältnis benennt. Denn viele woke Praktiken werden in intellektuellen Kreisen, Thinktanks und in Universitäten definiert, aber alle Bürger:innen werden daran gemessen und bewertet. Dahinter steht die gut gemeinte, sehr woke Überzeugung, dass dringend etwas gegen soziale Probleme wie Unterdrückung und Rassismus getan werden muss und diese Konzepte irgendwie helfen. 2 Beispiele:
- Kulturelle Aneignung: Vor allem gern zur gerade beginnenden Karnevalszeit werden Symbole, Kleidungsstücke oder Haartrachten pauschal als diskriminierend bloßgestellt, weil diese einer anderen Kultur »gehören« würden. Beispiel: Trachten indigener Völker Amerikas.
- Canceln von Toten: Immer wieder wird nachträglich bekannt, dass berühmte Menschen Vorurteile hatten und nach diesen handelten, sie etwa bestimmte Menschengruppen diskriminierten. Schnell werden die Menschen und ihre Errungenschaften als »nicht mehr tragbar« abgewertet und es werden Rufe laut, deren Werke nicht mehr zu lesen, nicht mehr auszustellen und Statuen niederzureißen. Beispiel:
Beide beispielhaft skizzierten Praktiken sind aber mindestens streitbar.
- Ist die Ablehnung von kultureller Aneignung wirklich Respekt gegenüber Minderheiten oder werden hier
- Sollte man wirklich historische Personen an modernen Moralvorstellungen bewerten und müsste dann nicht ein Großteil unserer Kultur »bereinigt« werden?
Es ist dieses Gefühl der moralischen Belehrung von oben – ob durch symbolisch divers besetzte Kinofilme, woke
Doch das könnte ein Kommunikationsproblem sein: »Beim Streit um Wokeness geht es gar nicht so sehr darum, was kommuniziert wird, sondern wie«, attestiert auch Kommunikationsexperte Matthias A. Narr.
Die Macher von South Park versuchen uns allen beizubringen, dass es bei manchen woken Äußerungen und Entscheidungen gar nicht nur um Überzeugungsarbeit für mehr Gerechtigkeit geht, sondern auch um Selbstdarstellung, Deutungshoheit und den schnellen Applaus.
Und dass die Kommunikation von oben herab und mit moralisch erhobenem Zeigefinger manche Menschen abschreckt und zurücklässt. Im schlimmsten Fall treibt es sie in die Arme derer, die mit einer diffusen Wut auf woke Personen Politik betreiben und den Begriff dann beliebig
6 Tipps, wie ein Gespräch mit Menschen funktionieren kann, die scheinbar komplett anderer Meinung sind als du
Eine Lösung wäre, auf Augenhöhe miteinander zu reden und Menschen dort abzuholen, wo sie gerade sind. Das sieht auch Kommunikationsexperte Narr als Chance.
Wer jetzt denkt, »das klappt doch eh nicht«, dem gibt Narr teilweise recht und schränkt ein: Radikale politische Ränder unserer Gesellschaft, die den Kulturkampf lautstark führen, dürften sich kaum auf etwas einigen können. Auch gibt es jene, die nur provozieren wollen und alle Gespräche bloß als Chance sehen, die eigene festgefahrene Ideologie zu verbreiten. Hier hat Kommunikation keinen Erfolg.
Es ist jedoch auch ein kognitiver Trugschluss, davon auszugehen, dass Kommunikation nie funktionieren kann. Echte Personen sind keine Karikaturen wie Eric Cartman:
Ich bin überzeugt davon, dass die meisten Menschen in der Realität nicht so extrem sind. Wenn man dann an die Gegenseite denkt, sieht man diese Überzeichnungen vor sich, obwohl das nur auf einen marginalen Anteil dieser Gruppe zutrifft. Das macht Kommunikation und Verständnis von vornherein zunichte.
Wer sich in ein Gespräch mit scheinbar gegensätzlichen Meinungen traut, dürfte oft überrascht werden. Narr schlägt folgende Eckpunkte für eine Kommunikationsstrategie vor, die Gräben wirklich überwinden kann:
- Gesprächspartner:innen wohlwollend und mit
- Nicht davon ausgehen, dass das Gegenüber ein »Vollidiot« ist und man Grundsätzliches erklären muss (wie etwa: Minderheiten verdienen Respekt).
- Überschneidungen finden und auf unterschiedliche Gewichtungen hinweisen.
- Kognitive Verzerrungen mitdenken und darauf aufmerksam machen (zum Beispiel Myside-Bias). Und sich auch eingestehen, dass man selbst unter solchen Verzerrungen leidet.
- Nicht ein Gespräch »gewinnen« wollen. Menschen werden nicht durch Argumente überzeugt, Gespräche können aber Selbstreflexion anstoßen.
- Auch mal über einen Witz auf Kosten der eigenen Seite lachen. Das erdet – ganz im Sinne von South Park.
Titelbild: Nachbau Filmstill | Southpark Digital Studios, LLC - copyright