Unsere Zukunft entscheidet sich in den Städten
Das wissen auch die Bürgermeister – und spannen ein weltweites Netzwerk, um ihre neue Macht richtig einzusetzen.
Was haben Miami, Malmö und Mumbai gemein? Warum tauschen sich die Bürgermeister von Berlin, Antalya und Warschau plötzlich darüber aus, wie sie ihre Städte umgestalten können? Und was schweißt neuerdings Paris und Pittsburgh zusammen?
Die Antworten: Miami, Malmö und Mumbai laufen Gefahr, in den nächsten Jahrzehnten in steigenden Meeren zu versinken. Berlin, Antalya und Warschau sind Mitglieder eines weltweiten Bundes, der Tausende Städte fit für die Zukunft machen soll. Und Pittsburgh hat im Juni Präsident Trump und seiner Entscheidung, aus dem Pariser Klimaabkommen auszutreten, den symbolischen Stinkefinger gezeigt und klargemacht:
Kurz gesagt: Die Städte bekommen es mit dem Klimawandel zu tun. Doch anstatt in Panik oder Lethargie zu verfallen, sind sie sich des Risikos bewusst – und nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand. Sie wissen: Sie sind es, die über unsere Zukunft entscheiden. Und dafür schmieden sie neue Bündnisse.
3 Gründe, warum die Städte über unsere Zukunft entscheiden
Doch was bringt die Städte gerade jetzt dazu, sich plötzlich um ihre Zukunft zu sorgen? In erster Linie zeigen diese 3 Anzeichen, dass der Kampf gegen den Klimawandel dort ausgetragen wird, wo Millionen Menschen aufeinandertreffen – in den Metropolen:
- Der Druck, sich dem Wandel zu stellen, ist enorm: Denn in den Städten sind die Folgen des Klimawandels oft früher und stärker zu spüren als auf dem Land. Allen voran das Wasser:
Beispiel Miami: Hier fließt schon heute fast jedes Jahr salziges Atlantikwasser durch die Straßen.
Hinzu kommen Hitzewellen, die die Metropolen in wärmeren Gebieten lahmlegen. Der sogenannte heat island effect, also der
Auch schlechte Luft durch ein hohes Verkehrsaufkommen und Berge von Abfall, die nicht mehr abtransportiert werden können, erhöhen den Druck, die innerstädtische Wirtschaft zu überdenken. Wer möchte schon in einer Stadt leben, in der abwechselnd die Hitze über den Bordsteinen flimmert und eine Müllsuppe durch die Straßen fließt? - Das Potenzial, den Klimawandel zu lindern und sich an die Folgen anzupassen, ist ebenso groß: Über 70% der Treibhausgasemissionen, die wir bei der Gewinnung von Energie ausstoßen, stammt aus urbanen Gebieten. Wo viel ausgestoßen wird, lässt sich auch viel einsparen. Zum Beispiel beim Wohnraum oder in der
Ein Landbewohner schlendert morgens etwa durch sein geräumiges Badezimmer und isst sein Frühstück in der großen Küche, alle Zimmer sind schön beheizt. Anschließend fährt er die Kinder mit dem Auto in die Schule. (Zuweilen gibt es natürlich auch einen Schulbus.) Der durchschnittliche Städter hingegen erledigt dieselbe Prozedur auf der Hälfte der Fläche in einer Mietswohnung mit effizienter Zentralheizung, die Kinder können selbst zur Schule gehen oder mit dem Fahrrad fahren.
Neben kleinerem Wohnraum und neuen Mobilitätskonzepten sind die Wege in der Stadt im Schnitt ohnehin kürzer und die Auswahl an - All das wird umso bedeutender durch einen einfachen Fakt: Städte wachsen unaufhaltsam. Seit etwa 10 Jahren leben das erste Mal in der Geschichte mehr Menschen in Städten als auf dem Land; bis zum Jahr 2050 werden es
Die Lage vieler Städte und ihr schieres Ausmaß zwingt sie also dazu, sich zu verändern. Glücklicherweise liegt es in der Natur der Städte, genau das zu tun.
Die Stadt als Ort der Extreme
Denn in den Städten prallen die Extreme aufeinander: Vor Luxusboutiquen lungern Bettler, Professoren sitzen neben ungelernten Arbeitern in der U-Bahn und Punks stehen gemeinsam mit beige uniformierten Senioren in der Schlange vor der Currywurstbude. Es sei dieser Kontakt mit dem Fremden und Andersartigen,
So lernen wir voneinander, schauen uns Geschäftsideen ab und kommen auf diese Weise weiter. Stuttgart hat sich etwa zu einem Automobilzentrum entwickelt, weil Ferdinand Porsche, Carl Benz und Robert Bosch gleichzeitig ihre Firmen aufbauten und voneinander lernten. Im Silicon Valley bei San Francisco spornen sich Facebook, Apple und Google zu neuen Ideen an, und auch die Finanzbranche in London oder New York hätte sich wohl kaum in kleinen Dörfern angesiedelt und sich zu Höchstleistungen gebracht.
Der größte Pluspunkt der menschlichen Spezies ist es, voneinander lernen zu können. Unsere Fähigkeit, Informationen, die auf uns einströmen, sortieren zu können. Städte nutzen das: Städte ermöglichen es uns, schlauer zu werden, indem wir uns mit anderen schlauen Leuten umgeben, indem uns ihre Erfolge und Misserfolge lehren, wie wir selbst weitermachen.
Darin liege das Erfolgsrezept der Städte, so Glaeser.
- Länder, in denen der Großteil der Bevölkerung in Städten wohnt, verdienen im Schnitt 5-mal so viel wie überwiegend ländlich geprägte Länder.
- In Städten, in denen der Anteil der Bevölkerung mit Hochschulabschluss um 10% zunimmt, steigen die Löhne im Schnitt um 8% – und zwar auch für all jene, deren Qualifikation unverändert bleibt.
Gerade deshalb müsse es das Ziel vieler Städte sein, gut gebildete Menschen in den eigenen Reihen zu haben. Das kann durch Bildung gelingen, aber auch mithilfe eines guten Images und einer attraktiven Stadt, die mobile Bildungselite anzieht, weil sie viel zu bieten hat.
Auch den Kontrast zwischen Arm und Reich in Städten sieht Edward Glaeser zunächst positiv (er macht deutlich, dass das natürlich nicht für die Armut an und für sich gilt): Die Städte machten die Menschen nicht arm, vielmehr kämen arme Menschen in die Städte, weil sie auf ein besseres Leben und die Möglichkeiten zum Aufstieg hofften. Die Alternative sei Armut auf dem Land, die wesentlich schwerer zu ertragen sei als in der
Das Zeitfenster für die richtige Weichenstellung schließt sich
Die Extreme der Stadt liegen nicht nur in den Lebensumständen, sondern auch in den Richtungen, die ihre Entwicklung nehmen kann: Zwischen pendelintensivem Vorortdasein und dem Leben in der dicht besiedelten Innenstadt klaffen Welten. Weil Brücken, Häuser und Staudämme oft viele Jahrzehnte alt werden, hat Infrastruktur eine hohe Halbwertszeit. Mit ihren Entscheidungen legen Städte heute fest, wie wir für lange Zeit leben werden. So schätzen das der
Über die nächsten 3 Jahrzehnte schlagen wir entweder einen Kurs der nachhaltigen Urbanisierung ein oder führen die Menschheit mit einer Reihe falscher Entscheidungen in eine Zivilisationskrise.
Einfach gesagt: Was wir jetzt tun, zählt!
Das liegt vor allem daran, dass der Großteil der Verstädterung, die in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommt, in Schwellenländern stattfinden wird. Von den voraussichtlichen 20 größten Metropolen werden im Jahr 2050 noch 5 außerhalb Asiens und Afrikas liegen, schätzen Wissenschaftler der Universität von Ontario,
Wenn die kommende Expansion der Infrastruktur einen ähnlichen CO2-Fußabdruck hat wie heutige Infrastruktur aus Zement, Stahl und Aluminium, dann können allein durch den Bau neuer Infrastruktur in den Schwellenländern 350 Gigatonnen CO2 freigesetzt werden. Das sind 2/3 des Budgets, um das 2-Grad-Ziel nicht zu überschreiten.
Gewöhnen sie sich mit steigendem Wachstum und Wohlstand allerdings einen nachhaltigen und verhältnismäßig bescheidenen Lebensstil an, so stehen die Chancen nicht schlecht, dass auch 10 Milliarden Menschen einigermaßen komfortabel unterkommen können auf der Erde.
Bei der Zukunft geht es also nicht nur darum, wie wir unsere Städte im Westen auf einen nachhaltigeren Kurs bringen. Vor allem gilt es, Struktur in das bisher oft chaotische Wachstum in vielen Entwicklungsländern zu bringen.
Wie können Städte nun dafür sorgen, dass es in die richtige Richtung geht?
Um diese Frage zu beantworten, müssen Stadtplaner und Bürgermeister eine einfache Regel beachten: Wie sich Menschen verhalten, hängt davon ab, welche
Viele amerikanische Städte hingegen können als Negativbeispiele dienen: Drängt man die Menschen dazu, in einzelnen Parzellen zu wohnen, und verbindet sie einzig über Highways mit den kilometerweit entfernten Stadtzentren, dann pendeln sie natürlich mit dem Auto. Welche Alternativen haben sie auch?
Die Städte verbünden sich
Viele Bürgermeister auf der Welt haben all das längst erkannt. Sie wollen handeln, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden – und ihre eigene Existenz zu sichern. Das geht besser gemeinsam als allein: In den letzten Jahrzehnten sind zahllose Städtebünde aus dem Boden geschossen. Eine kurze Übersicht ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- Der
- C40 ist ein Forum, in dem sich ursprünglich 40 Metropolen weltweit über Energieeffizienz und Klimaschutzmaßnahmen austauschen können. Der Fokus liegt darauf, eine enge persönliche Zusammenarbeit und Begegnungen unter Mitarbeitern von Städten zu ermöglichen.
- Das
David Donnerer koordiniert im EU-Büro des Globalen Konvents der Bürgermeister die Kommunikation zwischen den europäischen Städten und nach außen. Dafür, dass Klimaschutz auf städtischer Ebene besonders gut funktioniert, sieht er ganz praktische Gründe: »In Städten sind Entscheidungsprozesse kürzer und weniger zäh als auf nationaler oder internationaler Ebene. Außerdem bekommen Bürgermeister den Druck ihrer Bürger sehr direkt zu spüren, wenn die unter Problemen leiden.« Auf höheren Ebenen ist Klimaschutz oft sehr theoretisch, es geht um CO2-Abgaben oder Hilfsgelder, während es auf städtischer Ebene um handfeste Fragen geht: Wie hoch ist meine Stromrechnung? Wie lange stehe ich täglich im Stau? Warum ist mein Keller schon im dritten Jahr in Folge überflutet?
Vom Klimalaien zum Spitzenreiter
»Wenn Politiker auf lokaler Ebene Druck haben, auf solche Fragen zu reagieren, bieten wir einen Rahmen und Hilfestellung an, wie sie das am besten machen können«, sagt David Donnerer. Und das läuft in der Regel so ab:
- Die Stadt muss mit dem Büro des Konvents der Bürgermeister in Kontakt treten.
- Die Stadt hat 2 Jahre Zeit, um einen konkreten Plan zu erstellen, wie sie Energie und Emissionen einsparen und die Stadt nachhaltiger gestalten will. »Das geht am besten mit einem Energie- oder Klimamanager, der federführend für die Erstellung und Umsetzung des Planes verantwortlich ist«, so David Donnerer. Für EU-Städte orientieren sich die Pläne an den
- Das zuständige demokratisch gewählte Organ, zum Beispiel ein Stadtparlament, muss über den Plan abstimmen. Erst wenn er demokratisch legitimiert ist, erkennt der Konvent der Bürgermeister ihn an.
- Sobald der Plan in Kraft ist, macht sich die Stadt an die Umsetzung. Der Konvent der Bürgermeister berät weiterhin und stellt bei Bedarf Kontakte zu anderen teilnehmenden Städten her, die ebenfalls mit Rat und Tat helfen.
- Gemeinsam mit dem Konvent der Bürgermeister bewerten die Städte ihre Fortschritte.
Konkret fangen Städte meist damit an, die niedrig hängenden Früchte zu pflücken, erklärt Donnerer: »Zuerst geht es meistens darum, die städtischen Gebäude energetisch zu sanieren, den Wasserverbrauch zu senken und die öffentliche Beleuchtung zu erneuern. Dann geht es an die Sanierung von Wohngebäuden, den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, autofreie Innenstädte, Umweltzonen und Grünflächen.«
Da die Stadtverwaltung selbst im Schnitt nur 2–3% der städtischen Emissionen verursache, sei es für wirklichen Fortschritt ganz wichtig,
Grundsätzlich seien Städte aller Größen, Kulturen und Nationen willkommen, sagt Donnerer. Aber natürlich muss jede Stadt ihr eigenes Konzept entwickeln, das zu ihr passt. Um weiterhin möglichst viele Städte in den Prozess aufzunehmen, »will der Konvent der Bürgermeister so offen wie möglich bleiben. Wir sind gleichermaßen für kleine und Megastädte da, für Spitzenreiter und Anfänger. Und wir wollen das globale Wachstum des Konvents der Bürgermeister auch weiter beschleunigen, damit Städte ihren Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung des Abkommens von Paris und einer fairen Energiewende für alle beitragen können. Inzwischen haben wir Regionalbüros in der EU, in der
Die Städte haben es in der Hand, wie es weitergeht für die Menschheit. Noch ist das Fenster geöffnet, in dem sie die Weichen richtig stellen können. Zum Glück wissen die meisten das.
Titelbild: Rikki Chan