Ehe für niemanden!
Der Bundestag hat die Ehe für alle beschlossen. Warum hat er sie nicht gleich abgeschafft?
So sieht es also aus, wenn gesellschaftlicher Fortschritt gemacht wird: Plenum und Zuschauertribüne
Eine Abgeordnete tritt ans Rednerpult: »Der Staat hat nicht das Recht, ein Lebensmodell gegenüber dem anderen zu bevorzugen. Ich freue mich, heute hier zu sein. Heute schaffen wir die Ehe ab! Ein historischer Moment!« Sie wartet einen Moment, bis der Applaus aus dem Plenum abgeebbt ist. »Ab jetzt werden wir alles dafür tun, um denjenigen mehr Anerkennung und Unterstützung zukommen zu lassen, die diese am dringendsten benötigen: Familien mit Kindern, alleinerziehende Mütter und Väter. Ein Ring am Finger sollte im 21. Jahrhundert kein Garant für bevorzugte Behandlung mehr sein!«
Das Aus für die Ehe in Deutschland? Zugegeben, ein solches Szenario ist in den nächsten Jahrzehnten kaum vorstellbar. Die Ehe ist nach wie vor unantastbar.
Obwohl die Deutschen bereits in einer Vielfalt von Lebensentwürfen und Beziehungskonstellationen leben, ist die Ehe immer noch die in der Gesellschaft am meisten akzeptierte Form des Zusammenlebens. Sie verspricht Sicherheit auf vielen Ebenen. Nun ist die Ehe für alle beschlossene Sache. Am 30. Juni 2017 stimmte der Bundestag für ein Gesetz, das es auch Schwulen und Lesben erlaubt zu heiraten. Aber ist das wirklich der richtige Weg?
Wie Merkel die Mauer zu Fall brachte
Die eingetragene Lebenspartnerschaft für Schwule und Lesben gibt es nicht mehr, stattdessen gibt es die Ehe für alle.
Die Abstimmung kam unerwartet plötzlich. Hier ist eine kurze Chronologie der Ereignisse:
- Nachdem Grüne, FDP und insbesondere die SPD auf ihren Parteitagen erklärt hatten, dass es keine Koalition ohne die Ehe für alle geben würde, stand Merkel unter Zugzwang. Das, was dann passierte, nannte der SPD-Abgeordnete Kahrs ziemlich treffend ihren »Schabowski-Moment«. Günter Schabowski war der DDR-Sekretär für Informationswesen, der versehentlich den Fall der Mauer am 9. November 1989 verkündete.
- Bei einer Veranstaltung der Zeitschrift Brigitte sagte die Bundeskanzlerin, sie wünsche sich eine Diskussion, die »in Richtung einer Gewissensentscheidung« gehe. Bisher standen Angela Merkel und ihre Fraktion für ein klares Nein zu einer Ehe für alle.
- Die SPD und ihr Kanzlerkandidat Schulz reagierten schnell und beantragten die Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe im Bundestag. Ein entsprechender Gesetzentwurf aus dem Bundesrat lag bereits seit dem Jahr 2015 vor.
- Mit den Stimmen der Grünen und der Linken ging der Antrag im Rechtsausschuss des Bundestags durch – der Weg für die Abstimmung war frei.
- Dadurch, dass Merkel die Ehe für alle zu einer Gewissensfrage erklärt hatte, war der Fraktionszwang für die Abgeordneten der Union aufgehoben. Insgesamt 75 von ihnen stimmten für die Gesetzesänderung und waren damit Teil der Mehrheit: 393 stimmten insgesamt dafür, 226 dagegen. Angela Merkel stimmte mit Nein.
Mit der Ehe für alle ist der SPD
Ehe oder Partnerschaft?
»Wenn wir heute die Öffnung der Ehe beschließen, dann setzen wir damit ein Stück bürgerliche und konservative Politik um.« – Jan-Marco Luczak (CDU)
Aber: Wäre eine Gleichstellung unterschiedlicher Lebensentwürfe nicht auch anders möglich? Es ist bezeichnend, mit welchen Worten der CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak vor der Abstimmung an seine Partei appellierte: »Wenn wir heute die Öffnung der Ehe beschließen, dann setzen wir damit ein Stück bürgerliche und konservative Politik um.«
Statt konservative Werte zu reproduzieren – wie wäre es mit Mut zum Fortschritt? Vielleicht brauchen wir keine Ehe für alle, sondern echte Akzeptanz für andere Lebensentwürfe, Entscheidungsfreiheit und Solidarität. Ehe für niemanden, gleichberechtigte Partnerschaft für alle.
Und vor allem: Keine Privilegien für die, die keine brauchen. Unsinn ist es nämlich auch, verheiratete Paare – egal welchen Geschlechts – gegenüber Alleinstehenden und Unverheirateten zu bevorzugen. Familien zu fördern ist sinnvoll. Mütter, Väter und Kinder sind aber nicht nur dann eine Familie, wenn auch ein Ehering am Finger der Erwachsenen steckt.
Um zu verstehen, worum sich die Debatte in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich gedreht hat, lohnt es sich, die Unterschiede zu beleuchten, die zuletzt noch zwischen der
- Schon vor der Ehe für alle konnten lesbische Frauen die Nachnamen ihrer Partnerinnen annehmen
- Richtig viel ändert sich eigentlich nur für diejenigen, die
Wenn zwischen Ehe und der eingetragenen Partnerschaft kaum noch ein Unterschied bestand – was macht die Ehe dann so besonders und erstrebenswert?
Für Schwule, Lesben, aber auch Transpersonen und alle anderen aus der LGBTQ-Community geht es vor allem um Anerkennung – vor dem Gesetz, aber auch in der Gesellschaft. Darauf haben sie ein Recht.
Die folgenden 3 Punkte sind eine kurze Bestandsaufnahme der Ehe in der deutschen Gesellschaft: Was sagt eigentlich das Grundgesetz zu Ehe und Familie? Welche Rolle spielt die Kirche? Und wie zementierte die Ehe jahrhundertelang die Unterdrückung der Frau?
1. Gesetze müssen sich der Gesellschaft anpassen – nicht umgekehrt
Bevor die Abgeordneten am 30. Juni ihre Stimme abgaben, wurde viel darüber diskutiert, ob die Ehe für alle überhaupt in Einklang mit der Verfassung stehen kann.
Werfen wir einen Blick ins Grundgesetz, das in
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Nach den hitzigen Debatten der letzten Tage und Jahrzehnte eine überraschende Lektüre – dass die Ehe Mann und Frau vorbehalten oder eine Familie nur mit Ehe möglich ist, steht dort nicht. Ist die Verfassung etwa weiter als die Gesellschaft?
Leider nein. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit die folgende Meinung vertreten:
Die Ehe als allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut erfährt durch Artikel 6 Absatz 1 GG einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Schutz. Um diesem Schutzauftrag Genüge zu tun, ist es insbesondere Aufgabe des Staates, alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt, und sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern.
So
Der Staat müsste sich also eigentlich gar nicht mehr so viel bewegen, um den unterschiedlichsten Lebensrealitäten, auch über die Ehe hinaus, Rechnung zu tragen und ihren Schutz in der Verfassung zu garantieren. Dass er sich bewegen muss, ist in seiner DNA festgeschrieben – Gesetze sind schließlich kein Selbstzweck, sondern müssen sich am Wohle der Gesellschaft orientieren. Und die ist im Wandel:
2. Die Scheinheiligkeit der Ehe
Besonders heilig ist die Ehe natürlich der Kirche – die Katholische Kirche wehrt sich resolut gegen gleichgeschlechtliche Hochzeiten, die Evangelische zeigt sich ein bisschen flexibler.
Darauf berief sich auch der CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak kurz vor der Abstimmung im Bundestag:
Ich bin für die Ehe für alle, weil es christliche, konservative Werte sind. Die Evangelische Kirche sieht das auch so. Durch die Ehe für alle wird die Bedeutung der Ehe unterstrichen!
Auch wenn die Kirche sich dagegen sträubt: Säkulare Gesellschaften brauchen säkulare Lösungen, die Würde und Freiheit des oder der Einzelnen in den Mittelpunkt stellen und kein Beziehungsmodell gegenüber einem anderen bevorzugen – natürlich nur, solange das jeweilige Beziehungsmodell Würde und Freiheit ebenso schätzt und berücksichtigt.
3. Das historische Päckchen der Ehe
Die Ehe trägt ein ganz schön schweres historisches Päckchen als ökonomische Gemeinschaft auf Gedeih und Verderb, die vor allem nach einem Grundprinzip funktionierte: Die Frau hat weniger Rechte als der Mann.
Wusstest du, dass
- der
- der Ehemann bis
- Lehrerinnen in Baden-Württemberg bis zum Jahr 1956 aus dem Staatsdienst ausscheiden mussten,
Würde man die Ehe abschaffen, man wäre diese historische Last auf einen Schlag los – und könnte Partnerschaft ganz neu denken. Das Wort »Ehe« bedeutete auf Althochdeutsch übrigens Ewigkeit, Recht, Gesetz. Partnerschaft ist doch schon rein begrifflich ein schöneres Konzept, oder?
Klar, die monogame 2er-Beziehung zwischen Mann und Frau macht auch heute noch viele Menschen sehr zufrieden. Und abgesehen von Schmetterlingen im Bauch und dem Glück eines gemeinsamen Alltags, bietet verbindliches Zusammenleben eine Reihe von Vorteilen.
Wer profitiert von der Ehe?
Ökonomisch sind wir nicht mehr unbedingt auf die 2er-Beziehung angewiesen. Singles können sich selbst versorgen – auch die Frauen. Im Sozialstaat gibt es Hilfe im Alter, bei Krankheit oder wenn man seinen Job verliert. Aber natürlich ist es schöner, wenn sich ein geliebter Partner um einen kümmert. Damit entlastet er dann auch den Staat, der aus diesem Grund durchaus ein Argument dafür in der Tasche hat, Verheiratete in manchen Bereichen zu bevorzugen. Schließlich zeigen sie mit dem Ringtausch, dass sie es ernst meinen. Oder?
Verheiratete Paare bekommen vom Staat Privilegien eingeräumt. Finanzielle Vorteile gegenüber Unverheirateten haben sie mitunter beim Ehegattensplitting, bei der
Wenn die Ehe an sich keinen besonderen Schutz braucht – wer oder was dann?
Kirche, Konventionen und Ökonomie – alle 3 Faktoren greifen heute in Deutschland nicht mehr als Begründung dafür, einen Lebensentwurf gegenüber anderen zu bevorzugen. Die Konsequenz sollte heißen: Weg mit der Ehe! Weg mit dem historischen Ballast und den alten Rollenbildern.
Vor allem aber weg mit staatlich gesponsorten Privilegien für die, die sie nicht brauchen, egal in welcher Geschlechterkombination. Eine tolle Hochzeitsfeier ist zwar schön für Freunde und Familie, aber erst mal nichts, was die Gesellschaft voranbringt. Das tun zum Beispiel diejenigen, egal mit welchem Beziehungsstatus, die sich dafür entscheiden, Kinder großzuziehen. Oft sind es gerade sie, die in finanzielle Notlagen abrutschen:
Die Ehe für alle ist ein Symbol. Freuen wir uns mit denen, die dafür gekämpft haben, dass ihre konservative Kruste einen Riss bekommen hat. Jetzt muss es weitergehen – damit es bald wieder Konfettikanonen im Bundestag gibt.