Das schmutzige Geschäft mit der grünen Energiewende
Ob für E-Autos, Windkraft oder dein Smartphone: ohne Seltene Erden schaffen wir weder Energiewende noch Digitalisierung. Momentan kontrolliert China den Markt, doch das soll sich ändern. Mit welchen Folgen?
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Egal wie du ihn konsumierst, dein Lese- bzw. Hörerlebnis hast du ganz besonderen Metallen zu verdanken: den Metallen der Seltenen Erden, umgangssprachlich oft »Seltene Erden« genannt. Sie sind für die leuchtenden Farben auf deinem Bildschirm verantwortlich, lassen deine Lautsprecher vibrieren und ermöglichen so, dass du Musik, deinen Lieblingspodcasts oder
Darüber hinaus sind die Metalle in LED-Lampen, Kameras, Elektromotoren, Windturbinen, Glasfaserkabeln, Röntgentechnik, Lasergeräten und in fast allen Technologien verbaut, die unseren modernen Alltag bestimmen. Auch die Energiewende hängt maßgeblich von ihnen ab. Ohne Seltene Erden bleibt die Umstellung auf Wind- und Sonnenenergie oder Elektrofahrzeuge ein Wunschtraum – ebenso wie das Entkommen aus der fossilen Abhängigkeit.
Die
Das zumindest ist die Sorge der Samen, eines der letzten indigenen Völker Europas, das in Skandinavien lebt – und sie haben guten Grund dazu.
Bedroht und verdrängt: Eine betroffene Sámi erzählt
Karin Niia ist Teil der Sámi-Gemeinschaft Gabna Sameby und lebt in Giron, der nördlichsten Stadt Schwedens, die auch als Kiruna bekannt ist. Dort betreibt das Bergbauunternehmen der schwedischen Regierung LKAB seit dem 19. Jahrhundert Europas größte Eisenerzmine. Durch den kontinuierlichen Abbau droht die Heimat von Niia wortwörtlich im Boden zu versinken.
Damit das nicht passiert, lässt der Staat die Stadt und ihre 22.000 Einwohnenden umziehen. Gebäude für Gebäude wird das Stadtzentrum seit Jahren auf neues Land verlagert. Bezahlt wird das Projekt vom Staat mit Mitteln der LKAB.
Wie funktioniert es, Tausende Leben umzusiedeln? Im Jahr 2020 war unsere Gastautorin Ekaterina Venkina in Kiruna vor Ort und hat für uns berichtet:
Kiruna ist auf dem Land von samischen Ureinwohnenden gebaut. Mit jedem neuen Bergbauprojekt, jeder neuen Zufahrtsstraße und jedem umgesiedelten Haus wird die Fläche ihres Zuhauses kleiner. Auch Niias Großeltern mussten ihr früheres Zuhause wegen der Umsiedlung aufgeben. Als LKAB und die schwedische Regierung ankündigten, eine weitere Mine für die Seltenen Erden öffnen zu wollen, haben die dort lebenden Samen Veto eingelegt.
Wir haben in Giron seit etwa 135 Jahren mit der Bergbauindustrie zu kämpfen. Meine Vorfahren haben dieses Land genutzt, lange bevor Schweden zu Schweden wurde. Wir haben besondere indigene Rechte für dieses Land, wir dürfen hier leben, ernten und unsere Rentiere halten. Das interessiert die Regierung jedoch nicht. Wir haben Seen verloren, in denen wir gefischt haben, Wald und Weidegründe für unsere Rentiere. Und jedes Jahr wird das Land kleiner.
Die Rechte, von denen Niia spricht, hat jedes Sameby (übersetzt: Dorf der Samen). Dabei handelt es sich um Verwaltungsbezirke. In ganz Schweden haben sich Gruppen von Samen aus einer Region zu diesen zusammengeschlossen, so auch die Gabna Sameby in Kiruna. Insgesamt gibt es 51 Bezirke. Mitglieder haben unter anderem das Recht, in ihrem Gebiet Rentierzucht zu betreiben und Einrichtungen zu bauen, die sie benötigen.
Als Besitzer:innen ihres Wohn-, Jagd- und Weidelandes erkennt die schwedische Regierung die Samen jedoch nicht an. Das führt immer wieder zu hitzigen Diskussionen –
Doch selbst offizielle Besitzer:innen ihres Landes zu sein, würde den Samen ohne weitere Sonderrechte nicht helfen, sich gegen staatlich unterstützte Bergbauprojekte zu wehren. Das schwedische Bergbaugesetz setzt voraus, dass Samen – wie alle anderen Anwohnenden oder Landesbesitzenden auch – über solche Vorhaben informiert werden müssen und ein Recht auf Einspruch, Diskussion und Kompensation haben. Kann jedoch keine Einigung erzielt werden,
Damit fördert der Staat die Erforschung und später den Abbau von Rohstoffen und hebelt möglichen Widerstand von Landbesitzenden und Anwohnenden aus. Das schlussfolgert ein schwedisch-australisches Forscherduo, das die Gesetze rund um den Bergbau und indigene Rechte in Schweden analysiert hat.
Im Jahr 2020 warf der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung dem schwedischen Gesetz vor, die Sámi zu diskriminieren, weil ein Bergbauprojekt südlich von Kiruna auf einem für die Rentierzucht reservierten Sámi-Grundstück genehmigt wurde.
Von den neuen Abbauplänen für die Seltenen Erden in Kiruna ist laut Niia besonders ein schmaler Grünstreifen hinter der Skipiste betroffen. Er sei der einzige Weg, um die Rentiere von Weidegründen von der einen Stadtseite auf die andere zu bringen. Eine neue Mine würde diese Verbindung zerstören.
Nach außen kommuniziert Schweden den Fund Seltener Erdelemente. Uns haben sie jedoch etwas anderes erzählt. Hier vor Ort verschweigt niemand, dass die neue Mine mehr Eisenerz fördern soll. Wir haben bereits 5 Minen, unsere Länder sind von Schnellstraßen und Gleisen durchschnitten. Wo sollen wir leben? Wo sollen
Was die schwedische Regierung dazu sagt
Selbst nach einem Monat Wartezeit und mehrmaliger Nachfrage hat das schwedische Ministerium für Energie, Wirtschaft und Industrie unter der Christdemokratin Ebba Busch keine Stellung zu den Vorwürfen der Gabna Sameby bezogen. Sie ist für die Aufsicht der Bergbauprojekte und des staatlichen
LKAB hat eine Reaktion auf die Sorgen der Samen veröffentlicht.
»Wir standen in den letzten Jahren in engem Dialog mit Gabna, da LKAB die Lagerstätte sowohl aus der Luft als auch durch umfangreiche Bohrungen vom Boden aus erkundet hat. Unser Ziel war es, die Auswirkungen auf die Rentierherden so gering wie möglich zu halten. Wir verstehen, dass Gabna nun über die Nachricht von der Größe der REE-Lagerstätte [REE = Seltene Erdelemente] besorgt ist. Da wir jedoch noch nicht über die Abbaumethode entschieden haben, ist nicht klar, wie groß die Auswirkungen sein könnten.«
Außerdem solle eine Analyse der Auswirkungen durchgeführt werden, die auch mögliche Abmilderungs- und Ausgleichsmaßnahmen enthalte. Das Bergbauunternehmen erkennt an:
Wir haben seit 1890 Bergbau betrieben, und auch wenn in der Vergangenheit wenig oder gar keine Rücksicht auf die Interessen der Samen genommen wurde, sind wir uns heute mehr und mehr der Notwendigkeit von Ausgleichsmaßnahmen für die Auswirkungen unserer Tätigkeit bewusst.
Es sei kein einfaches Problem und nicht leicht zu lösen, schreibt LKAB. Doch sie würden sich um eine Lösung bemühen, da die Rohstoffe für die Energiewende gebraucht werden würden – also für den Wandel weg von einem System, das auf fossilen Rohstoffen beruht, die die Erderhitzung weiter anheizen, hin zu klimafreundlichen erneuerbaren Energien.
Das Bergbauunternehmen weist darauf hin, dass der Klimawandel eine viel größere Bedrohung für die samischen Rentierzüchter sei und ihr Land negativ beeinflusst werde, wenn sie nicht angegangen werde. Damit deutet LKAB wahrscheinlich auf die wärmer werdenden und nasseren Winter hin, welche die
Grüner Kolonialismus? Kiruna ist kein Einzelfall
Karin Niia bezeichnet das, was gerade in Kiruna passiert, als »grünen Kolonialismus«. Der Begriff wird in der Forschung und von Aktivist:innen verwendet. Was damit gemeint ist: Der Globale Norden beutet Ressourcen oder Arbeitskraft im Globalen Süden aus, um die grüne Transformation in den eigenen Industrieländern voranzutreiben. Das kann auch innerhalb eines Landes passieren, jedoch immer auf Kosten marginalisierter Gruppen. Ein weiterer verwandter Begriff ist »Green Grabbing«, der Landraub für vermeintliche Umweltzwecke.
»Dieselben gierigen und autoritären Machtstrukturen, die zum Klimawandel beigetragen haben, prägen nun die Reaktion darauf«, so beschreiben es Hamza Hamouchene und Katie Sandwell. Die beiden forschen dazu, wie ein gerechter Strukturwandel hin zu einer klimaneutralen, resilienten und sozial gerechten Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung gelingen kann. Sie haben dieses Jahr
Marokko habe etwa hohe Schulden aufgenommen und
Die kanadische Journalistin
Indigene Bewohner:innen, die auf dem Land gelebt oder es genutzt haben, werden oft gewaltsam vertrieben. Grund dafür ist ein brasilianisches Gesetz, wonach Eigentümer:innen je nach Region 20–80% ihres Landes für die Erhaltung des Baumbestands reservieren müssen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Indem sie sich die oft konfusen Landrechte zunutze machen, erwerben sie (illegal) Regenwald, den sie sich als Naturschutzgebiet anrechnen lassen,
Das sind nur 2 von vielen Beispielen – in
Ein Wissenschaftler erklärt, was der Fund in Schweden für Europa bedeutet
Schaue jetzt noch einmal bewusst auf den Bildschirm deines Handys, Laptops oder Tablets – was auch immer du gerade bei dir hast …
Die Metalle sind übrigens nicht selten, wie ihre Bezeichnung vermuten lässt und einst angenommen wurde. Es gibt sie fast überall in der Erdkruste, jedoch nicht in konzentrierter Form. In einer Tonne Gestein stecken nur wenige Gramm davon. Die Metalle sind in einem Mineralgemisch gebunden, in Kiruna sind es Eisenoxid-Apatite. Sie daraus zu befreien, erfordert viele, teilweise aufwendige und teure Arbeitsschritte, wofür in Europa noch das nötige Wissen fehlt.
Wie die Förderung der Seltenen Erden wird auch ihre Weiterverarbeitung derzeit überwiegend von China kontrolliert.
»Per Geijer, so heißt die besagte Eisenerz-Lagerstätte mit dem Vorkommen an Seltenen Erdelementen,
Kalvig arbeitete für den Geologischen Dienst von Dänemark und Grönland, ein Forschungsinstitut, das dem dänischen Energieministerium unterstellt ist. Offiziell im Ruhestand, veröffentlicht er weiterhin in seinem Forschungsgebiet Vorkommen und Lieferketten von kritischen Rohstoffen.
Es ist grüner, wenn man behauptet, dass man Elemente abbauen will, die für den grünen Wandel entscheidend sind, als einfach nur ein Eisenerzförderer zu sein.
Doch es gebe noch einen zweiten Grund, weshalb die Meldung für LKAB gelegen käme: Das staatliche Bergbauunternehmen hat kurz vorher die Mehrheit der Anteile eines norwegischen Unternehmens namens REEtec gekauft, welches eine
Was bedeutet aber der Fund für Europa?
Erst mal nicht viel, findet Per Kalvig. Rund 1 Million Tonnen Seltener Erdoxide sollen in Per Geijer schlummern, jedoch in geringen Konzentrationen –
Die EU will den Bergbau in Europa für »kritische Metalle« wiederbeleben, doch auf wessen Kosten?
Neben Kriuna soll es auch einige größere Vorkommen in Mittel- und Südschweden, Grönland und Finnland geben. Diese werden jedoch nicht abgebaut. Niemand möchte Bagger vor der Haustür haben, die tonnenweise Landschaft abtragen und ein Hunderte Meter großes Loch buddeln. Außerdem fehlt es an einem europäischen Markt für die gesamte Wertschöpfungskette und es ist nicht einfach, tragfähige Geschäftsmodelle für den Abbau und die Verarbeitung von Seltenen Erden zu entwickeln. In den nächsten 5–10 Jahren erwartet Per Kalvig daher keine wirklichen Veränderungen auf dem europäischen Markt.
So will Europa den Abbau Seltener Erder vorantreiben
Die Europäische Union hat allerdings große Pläne. Sie will den Bergbau und vor allem die Verarbeitung von sogenannten kritischen und strategischen Rohstoffen in Europa vorantreiben. Momentan hat die EU 34 solcher kritischen Rohstoffe definiert, welche sie für ihre grünen und digitalen Ambitionen, das Militär und die Raumfahrt benötigt. Die Metalle der Seltenen Erden gehören dazu, genauso wie Nickel, Kupfer und Bauxit. Sogar der Brennstoff Kokskohle hat es auf die Liste der für die grüne Transformation unerlässlichen Rohstoffe geschafft – laut einer
Generell folgt
Der
- 10% des Jahresverbrauchs aller kritischen Rohstoffe aus den Böden der EU gewonnen werden sollen.
- 40% des europäischen Jahresverbrauchs auch dort weiterverarbeitet werden.
- 25% des jährlichen Bedarfs aus dem Recycling stammen soll.
- nicht mehr als 65% des Jahresverbrauchs an jedem Rohstoff in jeder relevanten Verarbeitungsstufe aus einem einzigen Drittland kommen.
Das neue Gesetz muss vom EU-Parlament und Rat noch offiziell angenommen werden und wird voraussichtlich 2024 in Kraft treten.
Es gibt eine Lösung, doch auch sie kommt nicht ohne Bergbau und ein Umdenken aus
Will
Im neuen Gesetzentwurf werden Umweltfragen adressiert und betont, dass die EU-Länder entlang der neuen Lieferketten einen besonderen Fokus auf Menschenrechte und die Belange indigener Bevölkerungsgruppen legen sollen. Wie genau, bleibt offen. Der Versuch, die Nachfrage nach Mineralien zu verringern und neuen Bergbau ganz zu vermeiden, steht nicht oben auf der EU-Agenda. Sie schließt es aber auch nicht aus. So erwähnt der Gesetzentwurf, dass auch nach alternativen Produkten wie Batterien für E-Autos geforscht werden soll, die mit weniger oder anderen Mineralien auskommen.
Die konkreteste Lösung, welche die EU jedoch in den Fokus rückt und die sowohl Per Kalvig als auch Karin Niia sinnvoll finden: die Wiederaufbereitung alter Bergbauabfälle.
In Kiruna allein liegen »Gesteinsabfälle« von 130 Jahren Bergbau, als noch niemand daran dachte, nach Seltenen Erden oder anderen Mineralien zu schauen. LKAB ist dabei, diese als mögliche Ressource zu analysieren. Sie werden neue Minenprojekte kaum überflüssig machen, doch können sie kleiner ausfallen lassen. Denn die Gewinnung aus Altbeständen ist nur wirtschaftlich interessant, wenn sie mit dem Primärbergbau kombiniert werden kann, schlussfolgert eine Untersuchung der schwedischen Umweltschutzbehörde zusammen mit dem
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily