Lust auf ein Partner-Upgrade?
Parship, Tinder und Co. versprechen die Dating-Revolution im Netz. Die ist schon hier – und doch bleibt vieles beim Alten.
Es ist Sommer in Banff, Kanada. Auf die Bühne
Im Publikum ist noch eine andere Beziehungs-Expertin, die am Ende auf die Bühne gebeten wird. Die Paartherapeutin Esther Perel hat eine andere Perspektive: Die Emotionen mögen dieselben bleiben, doch die moderne Technologie und ihre neuen Optionen verändere die Art und Weise, wie sich Beziehungen bilden (und wieder auflösen) fundamental. Perel warnt sogar:
Wer von beiden hat recht? Auch in der Redaktion sind die Meinungen dazu gespalten. Wähle in diesem Artikel deine Ausgangsperspektive und lass dich vom Gegenteil überzeugen.
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Das Internet hat die Beziehungssuche fundamental verändert!
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Trotz des Internets ist die Beziehungssuche im Kern gleich geblieben!
Dating-Portale: Heute geht kennenlernen ganz ungezwungen
Wie viele andere Bereiche unseres Lebens funktioniert heute auch das Dating online: Chatten, flirten und kennenlernen geht bequem am Laptop oder Handy.
Um diese digitale Dating-Welt zu erkunden, habe ich mir Verstärkung bei Henning Wiechers geholt. Sein Unternehmen Metaflake wertet mittlerweile die Online-Angebote in 15 Ländern aus. Er erinnert sich gut an den Umbruch des Dating-Marktes durch das Internet:
Los ging das Ganze etwa im Jahr 2000. Vor dem Internet fand die Partnersuche in deutschen Zeitungen statt – in ca. 10.000 monatlichen Kontaktanzeigen. Heute nehmen jeden Monat etwa 8 Millionen deutsche Singles am Online-Dating teil.
Die Zahlen sprechen für sich. Aktuell werben allein in Deutschland über 2.500 Portale wie Lovescout24 oder Neu.de um Mitglieder.
Wer sich dort einloggt, erstellt ein Profil und kann die Profile anderer Singles einsehen. Anders als Kontaktanzeigen ist dies also ein beidseitiges »Beschnuppern« und gleichzeitig weniger anonym – ohne Profilbild hat man online kaum eine Chance. In der Hoffnung auf den Traumpartner geben Teilnehmer heute persönliche Daten auf öffentlichen Plattformen preis und riskieren dabei, von Freunden, Familie oder Arbeitskollegen entdeckt zu werden. Allerdings können Teilnehmer
Dating ist heute bunter und schöner und 24/7. Dazu hat sich das einfach gesellschaftlich durchgesetzt. Partnersuche ist nichts mehr, was heimlich passiert.
Neu ist vor allem der ungezwungene Kontakt beim Dating. Apps wie Lovoo und
Geschickt
Partnervermittlungen: Moderne Singles lassen Algorithmen suchen
Wer vom ungezwungenen Dating per Zufall die Nase voll hat und auf der ernsten Suche nach dem Lebenspartner ist, kann sich heute an Portale wie Parship oder Elitepartner wenden. Diese sind die logische Weiterentwicklung der traditionellen und diskreten Partnervermittlungen.
Auch vor dem Internet waren solche Vermittlungs-Angebote ein Milliardengeschäft. Das kann man jedenfalls anhand der Werbung abschätzen, welche sie damals in Zeitungen inseriert hatten.
Im Zeitalter der Digitalisierung setzen die modernen Kuppler auf Rechenpower
Solche digitalen Angebote bedienen vor allem den neuen ›Zweitmarkt‹, also etwa geschiedene Mittvierziger, die noch mal auf die Suche gehen. Es geht also um Personen, für die das klassische Dating in Discotheken, auf Partys und im Freundeskreis nicht mehr funktioniert.
Dating 2.0 braucht Schreib-Skills statt Ausstrahlung
Ob Kontaktbörse oder Partnerportal – wer heute online jemanden zum Kuscheln oder Pferdestehlen sucht, braucht ganz klar andere Fähigkeiten als früher. Und das führt zu Verschiebungen auf dem deutschen Single-Marktplatz:
- Zeig mir, wie du tippst! Der so wichtige Ersteindruck erfolgt zunehmend ohne körperliche Anwesenheit, stattdessen über Profile und anschließend im privaten Chat. Rechtschreibfehler ersetzen dabei den peinlichen Fleck auf dem Hemdkragen, niveauvolle und witzige Formulierungen übertrumpfen Spontaneität.
- Ich dachte, du wärst größer:
- Flirte mit mir wie an der
- Täglich grüßt das Blinddate: Die Digitalisierung macht vor allem eines möglich: Flirten immer und überall. Doch während der erste Online-Flirt noch aufregend wie ein Blinddate ist, führt das Nutzungsverhalten der Online-Angebote zu einer Normalisierung des Dating-Prozesses, zum Guten (mehr Routine) wie zum Schlechten (weniger Schmetterlinge im Bauch).
Online-Dating-Seiten und -Apps setzen sich also am Markt durch. Das liegt einerseits an der massiven Werbung, die gerade Partnervermittlungen wie Parship schalten, so Henning Wiechers. Andererseits senkt gerade die ungezwungene und spielerische Technologie die Hemmschwellen und bestärkt ungezwungene Flirts.
Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen
Noch nie war es so leicht, spontan zu flirten und sich zu verabreden, rund um die Uhr. Die Auswahl der möglichen Partner ist dabei größer denn je und scheinbar immer nur einen Klick weit entfernt.
Dass Menschen vermehrt online nach der Zweisamkeit suchen, ist aber nicht überraschend, sondern nur ein Teil der allgegenwärtigen Digitalisierung. Mit der kennt sich der österreichische Zukunftsforscher Reinhold Popp bestens aus – und warnt vor vorschnellen Schlüssen.
Natürlich haben gerade junge Leute eine hohe Affinität zu digitalen Medien. Doch gerade bei älteren Paaren spielt die Digitalisierung nach wie vor kaum eine Rolle.
Das passt zu widersprüchlichen Forschungsergebnissen, die untersuchen, wie sich die Online-Kontaktsuche auf langfristige Beziehungen auswirkt. So belegte
Beziehungen funktionieren nur Face-to-Face
Denken wir an Technologien und Beziehungen, landen wir schnell bei Cybersex per VR-Brille. Das
Wer von technischen Möglichkeiten für Dating schwärmt, vernachlässigt die unterbewussten Dynamiken des Menschen. Liebe auf den ersten Blick etwa kann man nicht rational beschreiben, die passiert einfach. Auch Beziehungen funktionieren im Wesentlichen nur im Face-to-Face-Kontakt.
Dass Beziehungen nicht online funktionieren, geben sogar die Macher von Dating-Portalen zu.
Eine vielbeachtete Überblicksstudie aus dem Jahr 2013 zweifelt sogar an der grundsätzlichen Funktionalität von Online-Partnervermittlungen.
Bei der freien Partnerwahl spielen Erfahrungen und Rollenbilder aus der eigenen Kinderzeit eine enorm große Rolle. Das kann ein Partnerinstitut gar nicht erfassen – auch nicht mit optimierten Algorithmen. Deshalb bleiben sie logischerweise bei oberflächlichen Checklisten.
Ob die »Chemie stimmt«,
Niemand muss online sein, um einen Partner zu finden
In den progressiven Teilen der USA, wo ein Großteil des weltweiten Umsatzes von Online-Dating-Portalen gemacht wird,
Geht man mit diesen neuen Möglichkeiten klug, verantwortungsvoll und auch ein wenig spielerisch um, dann kann dies eine Bereicherung des Lebens sein.
Eine weitere Quelle für Dating-Frust ist eine übersteigerte Erwartungshaltung. Aber auch das hat weniger mit Digitalisierung zu tun als mit einer romantisierten Idee von der idealen Beziehung, die in allen Medien und durch Hollywood transportiert wird. Auch Reinhold Popp sieht das Problem eher bei einem »allgegenwärtigen Gefühl der Perfektionierung« als beim Internet.
Interessanterweise gehen gerade Dating-Portale in Deutschland eher vorsichtig in ihren Werbebotschaften vor. Sie sprechen statt vom Traummann oder der Traumfrau lieber vom »großem Glück« (eDarling) oder von »Lebenspartnern« (ElitePartner). Lovescout24 führt sogar den Hashtag »#Loveyourimperfections« als Slogan an.
Das ist nicht verwunderlich, immerhin besitzen diese Portale die Daten ihrer Mitglieder und wissen als quasi historisch größte Datensammlung in diesem Bereich genau, was für erste Dates und erfolgreiche Beziehungen zählt – und das ist kaum etwas Neues:
- »Sag, wer du bist, und ich gehe mit dir aus!« Im Jahr 2015 untersuchte eine Metastudie, welche Kriterien von Onlinekontakten zu ersten Dates führten. Das Ergebnis:
- »Kommuniziere intensiv mit mir und ich sage ja!« Die Gründerin der Dating-App Coffee Meets Bagel analysierte die Daten ihrer App und
- »Wenn du mir auf den Keks gehst, such ich mir wen anders.« Dass immer mehr geschiedene Singles in Partnerbörsen auftauchen, hat mit einem generellen Umbruch zu tun, den Reinhold Popp skizziert, »von Überlebens-Partnerschaften zu Erlebnis-Gemeinschaften.« Anders formuliert: Wirtschaftliche Aspekte spielen bei der Beziehungssuche eine immer geringere Rolle, gemeinsame Interessen und eine stimmige »Chemie« auch unter der
Die Auswertungen von Daten der Dating-Dienste sind kaum überraschend und dürften sich so wohl auch in Ratgebern aus den 1990er-Jahren wiederfinden. Bereits damals veränderte sich dabei unser Beziehungsbild und wurde lockerer – auch das ist wohl kaum Schuld oder Verdienst des Internets. Wenn Singles im Netz auf Kontaktsuche gehen, sagt das mehr über unsere generelle Affinität zum Netz aus – für Auswirkungen auf längerfristige Beziehungen fehlen aber verlässliche Daten.
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2 Perspektiven auf ein Thema. Hat das Internet die Beziehungssuche fundamental verändert, oder ist sie im Kern gleich geblieben? Was hat dich überzeugt? Du entscheidest und wir sind gespannt auf das Ergebnis.
Das Ergebnis der Abstimmung veröffentlichen wir in der Woche ab dem 12. Juli.
Was aber passiert nach dem ersten Kuss und gemeinsamen Netflixabend? Wann entsteht aus Verliebtheit wirklich Liebe, wie sieht diese heutzutage aus und hilft das Internet eigentlich dabei, sie zu erhalten? Stelle deine weiterführenden Fragen im Diskussionsbereich und hilf mit, ein neues Thema bei Perspective Daily zu etablieren.
Titelbild: Maxis, The Sims Studio (verändert) - copyright