7 Dinge, die ich 2023 endlich verstanden habe
Chaos bei der Bahn, zu hohe Strompreise oder stolzes Bio-Shopping: Diese Themen begleiten mich seit Jahren – und mit diesen Texten habe ich sie endlich verstanden.
In den Chefetagen der Ölkonzerne Shell, BP und Exxon
Nach einer so langen Zeit gibt es nicht mehr so wahnsinnig viele Felder und Wiesen in der großen Landschaft des Klimawandels, die man nicht schon mal beackert hätte. Komplett neue Gesichtspunkte sind zuweilen selten. »Kenn ich schon, weiß ich schon …«, denkt man beim Durchblättern der Magazine im Kiosk.
Darum freut es mich, dass sich meine Kolleg:innen in diesem Jahr die Mühe gemacht haben, viele Steine, über die man beim Klimawandel immer wieder stolpert und dann doch weitergeht, endlich einmal genauer anzusehen und umzudrehen. Sie haben Hammer und Meißel an die unscheinbaren Klumpen angelegt und losgeklopft. Manch einer hat sich als wahre Geode entpuppt: außen grau, innen mit überraschendem Inhalt.
Genug jetzt mit fragwürdigen Sprachbildern und Bühne frei für diese 7 hervorragenden Erklärtexte, die 2023 Licht in einige Dauerbrennerthemen bei Umwelt und Klima gebrach haben!
1. Die Superreichen sind an fast allem schuld!
Ok, die Zwischenüberschrift ist etwas zugespitzt. Und doch muss man sagen: Wenn man sich mit Umweltthemen und dem Verbrauch natürlicher Ressourcen auseinandersetzt, kann man zu keinem anderen Schluss kommen. Eine winzige Minderheit der Weltbevölkerung lebt so dermaßen über ihre Verhältnisse, dass sie den Planeten damit zugrunde richten. Nirgends ist das so anschaulich wie bei der Mobilität: Während wir in der U-Bahn sitzen, jetten die Milliardäre auch auf Kurzstrecken, um ein paar Minuten zu sparen. Gespickt mit vielen Zahlen und Grafiken zeigt Chris Vielhaus in diesem Artikel das Strickmuster des Problems.
Das Tragische daran: Viel zu wenigen Menschen ist klar, dass diese massive Ungleichheit der Kern so vieler Probleme ist. Nicht nur bei Umweltfragen, auch viele marode Sozialsysteme kranken vor allem daran, dass das dringend benötigte Geld vom obersten Prozent abgesaugt wird. Dann werden Sündenböcke für die Probleme gesucht: Geflüchtete, politisch Andersdenkende, ihr kennt das Spiel. In diesem Sinne ist Chris Vielhaus’ Artikel aufklärerisch und konstruktiv im besten Sinne!
2. Freie Fahrt für freie Bürger:innen?
Selbst wer eigentlich gern Bahn fährt, weicht in diesen Tagen gelegentlich auf das Auto und die Autobahn aus. Zu unzuverlässig ist der Schienenweg derzeit. Doch zum allseits beliebten Bahn-Bashing kommen wir gleich noch.
Die Autobahn hat ihre eigenen Tücken: Die heranrasenden, böse blickenden Scheinwerfer im Rückspiegel lösen in vielen normal tickenden Autofahrer:innen Stress und Ängste aus. Das ist nur eines von vielen Problemen, die ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen lösen würde.
Ich muss meine Haltung an dieser Stelle nicht verstecken; doch was ich am Beitrag meiner Kollegin Désiree Schneider besonders schätze, ist, dass sie sich darin auch mit allen Argumenten gegen ein generelles Tempolimit ernsthaft auseinandersetzt. Das Ergebnis sind gute Antworten auf die 10 wichtigsten Fragen zum Tempolimit:
3. Gute Gentechnik, schlechte Gentechnik?!
Bei der Zucht neuer Lebensmittel und Agrarpflanzen gibt es allerlei Fallstricke, die es zu beachten gilt. Ganz schnell schleichen sich ungewünschte Eigenschaften in eine neue Pflanzensorte. Warum das geschieht, erklärt der Biotechnologe Robert Hoffie in diesem aufschlussreichen Interview, das die Autorinnen Maria Stich und Lara Malberger mit allerlei interessanten Zusatzinfos ergänzt haben.
Das Überraschende: Viele dieser Fallstricke treten nicht nur bei gentechnischer Zucht oder bei der hochmodernen CRISPR-Methode auf; sie sind auch ein Problem bei der altbewährten Auswahlzucht, wie sie Gregor Mendel schon vor über 150 Jahren betrieb.
Ein absolut empfehlenswertes, unaufgeregtes Gespräch über eine der bedeutendsten Errungenschaften der Menschheit: die Fähigkeit, Gene zu verändern.
4. Die EEG-Umlage ist nicht (allein) verantwortlich für hohe Strompreise!
Die Strompreise in Deutschland sind sehr hoch, das ist bekannt. Dafür verantwortlich – das würden wohl die meisten Leute vermuten – ist auch die EEG-Umlage. Also ein gewisser Betrag, der bei jeder Stromrechnung mitbezahlt wird und an diejenigen fließt, die ihren klimafreundlichen Wind- oder Solarstrom ins Netz einspeisen.
Jetzt zur Preisfrage: Welchen Anteil am Strompreis macht diese EEG-Umlage derzeit aus? Vielleicht 5%, 10% oder gar 20%? Die Antwort: 0%. Denn seit Mitte 2022 gibt es die EEG-Umlage nicht mehr. Ok, das war ein bisschen gemein.
Aber versuchen wir es noch mal. Bevor die Umlage gestrichen wurde, also Anfang 2022: Für welchen Anteil am Strompreis war die Umlage damals, als sich noch viele darüber beschwerten, verantwortlich? Auch damals lag sie bei gerade mal 10%.
Warum die Strompreise seit Abschaffung der Umlage trotzdem stark gestiegen sind und welche anderen Faktoren – über die kaum gesprochen wird – unsere Stromrechnung heute und in Zukunft treiben werden, das hat Chris Vielhaus in diesem – bitte verzeiht! – elektrisierenden Erklärstück dargelegt:
5. Und jährlich grüßt der Klimabericht
Für viele von uns ist es inzwischen ein trauriges Ritual: 1–2-mal im Jahr veröffentlich der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) seine Berichte, die den verheerenden Zustand des Weltklimas beschreiben. Die Medien berichten alarmierend, die Konsument:innen klicken mit flauem Magen darüber hinweg und folgen ihrem Alltag. Es sind lähmende Hiobsbotschaften, denen gegenüber man sich klein und machtlos fühlt.
Doch die Informationen in den Berichten sind wichtig. Sie zu kennen, ist in dieser Welt – und das sage ich auf die Gefahr hin, wie mein eigener Großvater zu klingen – absolutes Grundwissen. Also, schaut rein in die echten Berichte – oder noch besser in diese knackige Zusammenfassung des diesjährigen Berichtes von Maria Stich:
6. Du bist, was du kaufst
Wir kaufen zu Hause überwiegend Biolebensmittel ein. Weil sie vielleicht ein bisschen gesünder sind, vor allem aber, weil ich glaube, dass sie besser fürs Land und die Tier- und Pflanzenwelt sind. Doch vielleicht gibt es noch einen dritten, viel stärkeren Grund, der mir selbst kaum bewusst war. Dass ich es inzwischen doch weiß, liegt an diesem Text von Désiree Schneider.
Wer wie ich Wert darauf legt, Biolebensmittel und faire Kleidung zu kaufen, kein Fleisch isst und mit dem Jutebeutel einkaufen geht, tut das auch, weil diese Dinge die Zugehörigkeit zu einer gewissen sozialen Gruppe signalisieren. Andere Leute sehen das und wissen: Er ist einer von uns. Wieder andere verstehen und sehen es überhaupt nicht, von ihnen grenze ich mich unterbewusst ab mit diesem Handeln. Kurz gesagt: Ich hege und pflege jede Menge grüner Statussymbole in meinem Leben. Welche das sind und wie sie funktionieren, zeigt dieser Text – und auch, dass das überhaupt nicht schlimm ist. In jedem Fall habe ich mich nach der Lektüre deutlich besser verstanden.
7. Warum die Bahn nicht ins Rollen kommt
Die Bahn. Was soll man da schreiben. So viele Menschen in Deutschland möchten dieses tolle Transportmittel gern nutzen und lieben, doch es wird uns schwer gemacht. Warum aber scheint es eine solche Sisyphusarbeit zu sein, ein sauber funktionierendes Bahnangebot bereitzustellen? Das hat viele, althergebrachte Gründe. Und ich habe sie alle etwas besser verstanden nach diesem Text. Meine Empfehlung: Extra mal eine schöne Bahnfahrt nutzen, um den Text in Ruhe durchzuschmökern!
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily