Wie viel Bildschirmzeit dir guttut – und wann du die Bremse ziehen solltest
Der Mensch heute hängt ständig am Smartphone, Laptop oder Fernseher. Was die Forschung darüber weiß, was das mit uns macht und wo wir die Notbremse ziehen sollten.
An Neujahr tauschten sich einige Bekannte über ihre guten Vorsätze aus. Das Übliche war dabei: etwas abnehmen, mehr Sport, dieses Jahr aber wirklich pünktlich die Steuererklärung abgeben. Und »Weniger am Bildschirm hängen wäre auch schön!«, sagte eine Bekannte etwas peinlich berührt (mit dem Smartphone in der Hand).
Damit ist sie nicht
Tatsächlich hängen Menschen in Deutschland nämlich reichlich lange »am Bildschirm«. 10 Stunden pro Tag starren wir im Durchschnitt auf einen LED-Screen –
Ziehen wir die durchschnittliche
Du kannst dich ja selbst einmal fragen:
- Hast du schon mal etwas Wichtiges in einem Gespräch nicht mitbekommen, weil du auf einen Bildschirm geschaut hat?
- Fühlst du dich schlecht, wenn du dein Smartphone nicht dabei hast?
- Nimmst du dein Smartphone mit ins oder ans Bett?
Wir hängen fast ständig an einem oder in der Nähe eines Bildschirms. Seit Jahren sind Krankheiten rund um unsere Nutzungsgewohnheiten auf dem Vormarsch: von Haltungsschäden über Cyberkrankheit bis Onlinesucht. Nicht wenige Menschen, so auch meine Bekannten an Neujahr, sehnen sich nach einer besseren Bildschirm-Life-Balance.
Wie lässt sich das erreichen?
In diesem Text will ich darauf einige Antworten geben.
Menschen, die auf Bildschirme starren: Risiken und Nebenwirkungen
Wer nach negativen Effekten unserer hohen Bildschirmnutzung sucht, wird schnell fündig. Krankenkassen mahnen seit Jahren, es nicht zu übertreiben. Was genau sind die Risiken?
- Digitaler Sehstress: Wer länger auf Bildschirme blickt, etwa für die Arbeit, intensives Streaming oder Gaming, belastet die Augen. Die Lidschläge pro Minute nehmen von rund 15 auf 4 ab. Dadurch verdunstet mehr Tränenflüssigkeit und die Augen werden trocken. Die Folgen:
- Rückenschmerzen: Wer stundenlang vor einem Bildschirm sitzt, krümmt die Wirbelsäule und ermüdet Muskeln im
- Schlafprobleme: Wir wissen mittlerweile einiges über hochenergetisches blaues Licht (HEV), das Bildschirme abgeben.
Das alles sind ernst zu nehmende Risiken, die vor allem Menschen betreffen, die beruflich am Bildschirm im Büro arbeiten –
Dagegen lässt sich aber leicht vorgehen: durch ergonomisches Sitzen, regelmäßige Pausen, Rückengymnastik sowie das Einschalten des Blaufilters an den Geräten, sobald es dunkel wird.
Doch mir dämmert, dass meine Bekannte an Neujahr das nicht meinte, als sie ihre Bildschirmzeit beklagte. Immerhin arbeitet sie an der frischen Luft und hat keinen Bürojob. Trotzdem hat sie dauernd ihr Handy in der Hand und hängt in sozialen Medien herum. Diese werden in den vergangenen Jahren oft erwähnt, wenn es um die psychischen Auswirkungen unserer Gerätenutzung geht.
Menschen, die »nur ganz kurz« auf das Smartphone tippen
Während wir den Computermonitoren im Büro nach Feierabend entkommen können, verfolgen uns Smartphones bis ins eigene Schlafzimmer. Immerhin sind sie Hauptinformationsquelle (Wikipedia, Google, Newsticker), persönlicher Assistent (ChatGPT, Maps), Shoppingportal und Unterhaltungsplattform (Games, Apps) in einem. Wer kann einem solchen Taschenbildschirm schon widerstehen?
Was der ständige Reiz mit uns macht, hat Adrian Ward von der McCombs School of Business an der University of Texas in
Als Begriff für den Effekt und den Titel der Studie prägte er den Ausdruck »Brain Drain«. Die Implikationen dieser Studie wurden seitdem viel diskutiert. Klar ist erst mal nur, dass Smartphones uns und unser Denken beeinflussen können – ohne dass wir es merken.
Kein Wunder, dass das Smartphone von vielen Autor:innen als Sündenbock herhalten muss,
- »Social Media schwächt unsere Erinnerung«: Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt, dass Menschen sich schlechter an Ereignisse erinnern,
- »Social Media macht depressiv«: Eine Studie aus dem Jahr 2022 stellte eine Korrelation zwischen der Nutzung von Social Media und der erhöhten Wahrscheinlichkeit, an Depressionen zu
- »Social Media führt zu Selbstüberschätzung«: Eine Studie aus dem Jahr 2022 legt nahe, dass Menschen durch das Überfliegen
Werden wir alle durch Taschenbildschirme und Social Media zu dummen, selbstüberschätzen und depressiven
Wohl eher nicht. Denn die Studien klingen zwar bedrohlich, ihre Interpretation ist aber alles andere als eindeutig. So kann es bei der Depressionsstudie auch sein, dass Menschen mit beginnender Depression verstärkt Social Media als Versuch der Ablenkung nutzen.
Das ist ja auch logisch, sonst würden nicht so viele Menschen Social Media nutzen, den Bildschirm anschalten und damit »leere Momente« zwischendurch füllen. Dennoch kann eine unkontrollierte Vielnutzung schädlich sein. Weil so viele Menschen teilnehmen, ist der Druck, präsent zu sein und »nichts zu verpassen« hoch (»Fear of missing out«, kurz FOMO). In den schlimmsten Fällen kommt es dabei zur Cyberkrankheit oder zu einer Abhängigkeit.
Cyberkrankheit wird eine Reihe von Symptomen
Eine Abhängigkeit hingegen ist ein Kontrollverlust im Umgang
Auf das Smartphone schauen, obwohl man damit andere nervt oder es sozial unpassend ist, hat einen Namen: »Phubbing«.
Vielleicht ist es das, was meine Bekannte mit »weniger am Bildschirm hängen« meint. Denn das eigene Gefühl, dass da etwas nicht stimmt und es zu viel wird, ist ein psychologisches Warnsignal.
Die Lösung: Checke deine Gewohnheiten
Kommen wir kurz zurück zum Brain-Drain-Experiment und einer möglichen Interpretation. Die Teilnehmenden, die sich in Anwesenheit des Smartphones schlechter konzentrieren konnten, sind einem gewohnten Reiz – der schnellen Ablenkung – ausgesetzt. Der lenkt sie vom Konzentrationsziel – der eigentlichen Aufgabe – ab.
Anders gesagt: Wer gewohnt ist, ständig aufs Smartphone zu schauen, der FOMO nachzugeben und »leere Momente« zu füllen, den verlockt diese Möglichkeit auch dann, wenn es unangebracht ist, und es kostet Gehirnpower, das zu unterdrücken.
Noch schwerer wird es, wenn wir daran gewöhnt sind, uns per Bildschirm nur kurz abzulenken oder – noch schlimmer – Medien gleichzeitig zu nutzen (etwa zu streamen, während man ein Handyspiel spielt oder im Messenger chattet).
Denkpause mit Quizfrage.
Mit einer schlechten Nutzung von Bildschirmen gewöhnen wir uns an eine falsche Körperhaltung, an einen gestörten Schlafrhythmus, an ständige Ablenkung, oberflächliches Auseinandersetzen mit Informationen, Druck und Angst, online präsent zu sein, und geringere Aufmerksamkeitsspannen. Und wir spüren psychologisch, dass uns das alles nicht guttut. Wie meine Bekannte, die weniger von alldem will.
Aber was ist jetzt die Lösung?
Die klingt zunächst überraschend: Es geht nicht zwingend um eine drastische Reduktion oder strikte Kontrolle der Bildschirmzeit, was für Büromenschen
Anstatt künftig eine Sanduhr neben das Smartphone zu stellen – oder dafür noch eine App herunterzuladen –, könnte es viel eher eine Lösung sein, schlechte Gewohnheiten im Umgang mit Smartphones zu brechen. Dabei musst du gegen 2 Umstände ankämpfen, die das schwerer machen:
- Pandemie-Nachwirkungen: Während der Pandemie nutzten wir Bildschirme sehr viel intensiver, für Meetings, Shopping, Unterhaltung. All das hat neue Gewohnheiten etabliert.
- Anbieter-Tricks: Anbieter von Onlineinhalten, allen voran soziale Medien und Games,
Um schlechte Gewohnheiten zu brechen, musst du dein eigenes Onlineverhalten kritisch betrachten. Welche Anwendungen dürfen dir Push-Nachrichten schicken und dich dadurch ablenken? Welche Websites empfindest du als produktiv? Ein Onlinetagebuch kann hier helfen. Doch ständig einzutragen, was genau du gemacht und wie du dich dabei gefühlt hast, ist umständlich und Fleißarbeit. Ein kleines Selbstexperiment kannst du sofort durchführen, indem du das nächste Mal, wenn du aus dem Haus gehst, dein Smartphone bewusst »vergisst« und darauf achtest, wie du dich fühlst und was du wirklich vermisst.
Für Mutige mit guten Vorsätzen ist ein »Digital Detox« oder »Digitalfasten« der bessere Ansatz – also das radikale Abstellen aller nicht für die Arbeit notwendigen Bildschirmzeit für eine bestimmte Dauer. Mein Kollege Felix Austen hat es ausprobiert und berichtet dir hier über seine persönlichen Erfahrungen:
Hast du dann herausgefunden, was du gar nicht vermisst und loswerden willst, hilft dir dieser PD-Classic. Denn wie man Gewohnheiten wirklich bricht, also das eigene Gehirn »umprogrammiert«, ist ein ganz eigenes Thema:
Und wenn du jetzt denkst: »Es geht heutzutage doch gar nicht grundlegend anders« – geht es doch! Es gibt ihn, den digitalen Minimalismus, geprägt von Informatikprofessor Cal Newport. Hier kannst du mehr darüber lernen:
Oder du ignorierst diese Vorschläge, speicherst sie in der Leseliste und gehst erst mal eine Runde spazieren. Das ist nämlich auch eine gute Bildschirm-Gewohnheit: Informationen sacken lassen.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily