Alles, was du über die Bauernproteste wissen musst
An den Bauernprotesten diese Woche scheiden sich die Geister. Weil es schon genug Meinungen zum Thema gibt, gibt es hier die Tatsachen.
Es ist halb 6 Uhr in der Früh, als der erste Traktor laut hupend durch ein noch schlafendes Dorf in der Nähe von Münster
Ähnliches spielte sich in vielen Orten Deutschlands Anfang dieser Woche ab. Aufgerufen dazu hatte der Deutsche Bauernverband (DBV) als Reaktion auf die Streichung von Subventionen für Agrardiesel im Rahmen der Sparpläne der Ampelregierung. Diese nahm ihre Pläne teilweise wieder zurück – die Proteste gehen dennoch weiter. Ein Höhepunkt wird am kommenden Montag bei einer Massenkundgebung in Berlin erwartet. Aktuell wird intensiv über die »Treckerdemos« in Medien und auf der Straße diskutiert:
- Aber geht es den Bauern wirklich so schlecht, dass sie so massiv für mehr Geld von oben protestieren müssen?
- Warum stellen sich vor allem CDU, CSU und AfD an die Seite der Bauern?
- Und warum eskalierte es an einigen Stellen so sehr, dass sogar Sicherheitskräfte Vizekanzler Habeck mit Pfefferspray schützen mussten?
Wenn du dir selbst ein unaufgeregtes Bild von der Situation und den Beteiligten machen willst, ist dieser Text genau richtig. Wir beantworten die drängendsten Fragen zu den Protesten für dich:
1. Basics: Wie groß ist die Landwirtschaft in Deutschland?
Wer schon einmal mit dem Flugzeug in den Urlaub geflogen ist und dabei die Vogelperspektive eingenommen hat, ahnt es: Die Landwirt:innen bewirtschaften riesige Gebiete der Bundesrepublik. Etwa die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. 70,3% davon sind Ackerland und 28,5% sogenanntes
Laut dem
2. Was steckt hinter dem »Höfesterben«?
Die Landwirtschaft ist eine Branche, die von einem starken Strukturwandel betroffen ist. In den letzten 25 Jahren hat sich die Zahl der Betriebe von über 500.000 auf heute noch rund 255.000 in etwa halbiert. Im vergangenen Jahrzehnt mussten jeden Tag im Schnitt 10 Betriebe dichtmachen. Betroffen sind vor allem kleinere Höfe, die von größeren Betrieben aufgekauft werden.
Ein wichtiger Grund für diese Entwicklung ist die Agrarpolitik der EU, die vereinfacht gesagt primär auf Wachstum abzielt: Je größer der Betrieb, desto produktiver ist er. So werden Lebensmittel günstiger, auf
Um dieses Ziel zu erreichen, werden aus Brüssel großzügig Fördermittel verteilt, die vor allem Großbetrieben zugutekommen. So machen Zuwendungen an die Landwirtschaft fast 1/3 des EU-Etats aus – in den letzten 7 Jahren insgesamt 387 Milliarden Euro. Auflagen gibt es kaum, die Mittel werden allein nach Größe verteilt. Großbetriebe, die meist finanziell
Mit diesem Trend geht ein enormer Konzentrationsprozess einher: Fast 1/4 der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland wird inzwischen von 10.000 Betrieben (das sind gerade einmal 4% aller Betriebe) bewirtschaftet,
Diese Rahmenbedingungen tragen neben anderen Faktoren dazu bei, dass die Landwirtschaft ein erhebliches Nachwuchsproblem hat. Laut der
3. Wie knapp ist die Kasse bei Landwirt:innen wirklich?
Die eben genannten Zahlen machen schnell klar: Wie bei der Betriebsgröße unterscheidet sich das Einkommen von einzelnen Landwirt:innen oder abhängig Beschäftigten stark. Zwar können Durchschnittswerte zur Annäherung errechnet werden, diese haben aber nur begrenzt Aussagekraft, da die Strukturen von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein können.
Allgemein ist die wirtschaftliche Lage der deutschen Landwirt:innen aktuell sehr gut: Der Krieg in der Ukraine hat die Nahrungsmittelpreise in die Höhe getrieben, was sich auch auf die Gewinne auswirkt. Diese sind allein zwischen 2022 und 2023 um 45% gestiegen und betrugen pro Betrieb und Jahr laut Bauernverband zuletzt im Schnitt 115.000 Euro.
Was auf den ersten Blick nach viel Geld aussieht, relativiert sich bei genauerem Hinsehen jedoch schnell. Denn in einem klassischen Familienbetrieb müssen häufig gleich mehrere Personen von diesem Einkommen leben. Das
Hier zeigt sich ein übliches Problem von Durchschnittswerten: Erhebliche Ausreißer sowohl nach oben als auch nach unten finden keine Berücksichtigung, Ungleichheit wird verwischt. Zudem fließen nicht unbedingt alle Einnahmen der Betriebe in die Statistik ein. So erzielen viele Landwirt:innen außerlandwirtschaftliche Einkommen, etwa über Windkraft oder Solaranalagen, die nicht in die Statistik einfließen.
Eine genaue Erhebung der Gesamteinkommen eines Betriebes finde bis heute nicht statt, kritisiert Bernhard Brümmer, Professor für Landwirtschaftliche Marktlehre an der Georg-August-Universität Göttingen. Aufgrund der lückenhaften Datenlage sei eine zielorientierte
4. Wofür oder wogegen wird genau protestiert?
Der Auslöser für die bundesweiten Proteste sind Kürzungen von Agrarsubventionen. Diese hatte die Ampel im Dezember recht kurzfristig für 2024 angekündigt.
Konkret waren in der Landwirtschaft 2 Änderungen geplant, um so rund 920 Millionen Euro einzusparen:
- Agrardiesel: Die meisten Maschinen, die auf Äckern, Höfen und in Wäldern eingesetzt werden, sind derzeit dieselbetrieben. Bislang können sich forst- und landwirtschaftliche Betriebe die Energiesteuer für diesen Diesel teilweise erstatten lassen (21,48 Cent/Liter). Ursprünglich sollte die 1951 eingeführte Hilfe komplett entfallen – und zwar noch 2024. Nach heftiger Kritik von Landwirt:innen in den vergangenen Wochen hat die Regierung nachgesteuert:
- Kfz-Steuerbefreiung: Trecker und andere land- sowie fortwirtschaftliche Fahrzeuge führen in der Regel ein grünes Kennzeichnen. Dieses zeigt an, dass für die Fahrzeuge keine Kraftfahrzeugsteuer fällig ist. Ursprünglich sollte die Steuerbefreiung gestrichen werden –
Wie stark sich die endgültigen Kürzungen auf die landwirtschaftlichen Betriebe auswirken, lässt sich nicht pauschal beantworten. Dafür ist die wirtschaftliche Ausgangslage zu unterschiedlich. Es kommt auf die Größe des Betriebs an, die Art der Landwirtschaft – Ackerbau oder Viehhaltung? Forstwirtschaft oder Gartenbau? – und auf die eingesetzten Maschinen.
Dass der Bauernverband trotz der Kompromisse auch in den nächsten Tagen zum Protest aufruft, hat mehrere Gründe. Einer davon ist sicher, dass Landwirt:innen generell mit der Politik unzufrieden sind – nicht erst, seit die Koalition aus SPD, FDP und Grünen regiert. Viele fühlen sich von neuen Gesetzen gegängelt und beim Umbau hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft unter Druck gesetzt oder alleingelassen.
Dass sich angesichts der Klimakrise und der Ernährungssicherheit etwas an der Landwirtschaft ändern muss, ist klar. Wie dieser Umbau für alle Beteiligten möglichst fair ablaufen kann, wurde auch längst politisch in einem Fahrplan mit Empfehlungen erarbeitet.
5. Wie sinnvoll wären die Reformen im Kampf gegen die Klimakrise?
Kurzfristig gibt es durch die Abschaffung des Agrardiesels keine oder nur geringe klimaschonende Effekte – da es bis auf ein paar Nischen schlicht an alternativen Antriebssystemen fehlt. Langfristig könnten aber Maschinen mit Elektroantrieb und deren Entwicklung dadurch attraktiver werden. »Von dieser Streichung geht das Signal aus, dass mineralischer Kraftstoff – unter Berücksichtigung seiner negativen Umweltfolgen – ein teurer Input ist«,
Außerdem würde eine Streichung den Anreiz erhöhen, stärker auf den Dieselverbrauch zu achten, ergänzt Alfons Balmann vom IAMO:
6. Warum hält die Bundesregierung an den Kürzungen fest und welche Alternativen gäbe es?
Auch wenn Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel nicht müde wurde, es zu wiederholen: Nichts ist alternativlos. Um das zu erkennen, reicht es, sich einige Wochen zurückzuerinnern: Wie sind wir noch mal in die aktuelle Situation geraten?
Ende November 2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht den Haushaltsplan der Ampel für nichtig, da sie 60 Milliarden Euro, die eigentlich als Coronahilfen veranschlagt waren, ohne ausreichende Begründung in einen anderen Topf umgeschichtet hatte.
Statt die Schuldenbremse zu reformieren oder die Einnahmeseite
Generell sollten aus Klimaschutzgründen klimaschädliche Subventionen abgebaut werden, ein Ziel, das auch im Koalitionsvertrag vereinbart ist (siehe Frage 5). Deshalb hält die Regierung auch weiterhin an der schrittweisen Abschaffung die Dieselsubvention für Landwirt:innen fest. Fraglich ist, warum vor diesem Hintergrund andere Privilegien (zum Beispiel das Dienstwagenprivileg) unberührt bleibt. Zumindest vor diesem Hintergrund ist der Unmut der Landwirt:innen nachvollziehbar.
7. Wo gehen die Proteste zu weit?
Die Bauernproteste sind in vielen Regionen in Deutschland gut dokumentiert. Was dabei auffällt, sind teils sehr fragwürdige Protestbekundungen. So zeigen Fotos der Proteste am Montag aus Berlin etwa verunglimpfende Bilder der Ampelregierung, Slogans wie
Das finden nicht nur viele Menschen in den sozialen Medien geschmacklos.
Doch im Zuge der Bauernproteste kommt es auch immer wieder zu Anzeigen. Etwa bei einem Schild in Wiesbaden mit der Aufschrift »Tötet Özdemir«. Darunter und schwer lesbar stand »die Landwirtschaft?« – aus der Distanz nicht zu erkennen. Hier könnte §111 StGB erfüllt sein (öffentliche Aufforderung zu Straftaten) und es droht eine Haftstrafe.
Doch selbst einzelne strafbare Aktionen und Banner machen eine Demonstration im Ganzen damit nicht illegal oder delegitimieren sie. Hier sind Demonstrationsordner in der Verantwortung; notfalls muss die Polizei eingreifen.
Für manche Beobachtende der Proteste ist es aber vor allem deren Heftigkeit, die bezogen auf den Anlass nicht mehr im Verhältnis steht. Der stellvertretende Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, Bernd Ulrich,
8. Warum versuchen Rechtsextreme den Protest zu unterwandern – und gelingt es ihnen?
Schon im Vorfeld der Protestwoche gab es Warnungen: Rechtsextreme Gruppierungen versuchen, die Proteste zu unterwandern. Extremismus-Expertin und Autorin Pia Lamberty ordnet im Interview mit der Tagesschau ein:
Kommunikationsexperte Johannes Hillje weist darauf hin, worum es dabei vor allem geht: Es ist ein Kampf um Bilder. Denn Bilder erzeugen, so Hillje, ideologische Einfallstore für rechtsextreme Ideologien. Dazu begleiten etwa rechtsextreme Medienmachende des »Filmkunstkollektiv«
Ein solches strategisches Bild dürfte die wütende Gruppe sein, die vergangene Woche in Schlüttsiel (Schleswig-Holstein) versucht hatte, eine
Habeck war aus Sicherheitsgründen auf der Fähre geblieben und hatte Vertreter der Gruppe zu Gesprächen eingeladen. Das hatten diese ausgeschlagen und stattdessen versucht, an den Ordnungskräften vorbeizukommen. Es wurde Pfefferspray eingesetzt. Organisiert wurde die Aktion
Neu ist das alles nicht – bereits 2022 unterwanderten Rechtsextreme die Agrarproteste gegen neue
Das alles delegitimiert die Bauernproteste nicht per se. Der Bauernverband distanziert sich regelmäßig von den radikalen Gruppen und Aktionen wie in Schlüttsiel. »Rechte und andere radikale Gruppierungen mit Umsturzgelüsten wollen wir auf unseren Demos nicht haben. […] Wir sind Demokraten«, sagte etwa der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV),
Die meisten Organisationsteams von Kundgebungen und Demos erteilten Auftrittsanfragen von Vertretern der AfD, der Jungen Alternative (JA) oder Querdenken klare Absagen.
9. Wer profitiert politisch von den Protesten?
Die Ampelregierung hat bereits angekündigt,
Doch die Proteste sind längst über die Subventionskürzungen hinaus zu allgemeinen Unmutsprotesten über politische Entscheidungen der letzten Jahre geworden, was sich auch in den zahlreichen Bannern (»Die Ampel muss weg«, »Neuwahlen«) zeigt. Befeuert wird diese diffuse politische Wut dabei von Oppositionsparteien, die gerade versuchen, die Proteste für sich zu vereinnahmen – und die von diesen wohl am meisten profitieren. Schauen wir uns die einzelnen Interessen genauer an:
- Die CSU will ihr Profil als »Partei der Bauern« festigen und sich populistisch als Opposition profilieren. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stellt die Proteste gegenüber der BILD in eine Generalkritik mit
- Das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht schlägt in eine ähnliche Kerbe und
- Die AfD solidarisiert sich von Anfang an mit den Protestierenden, vor allem in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, wo 2024 neue Landtage gewählt werden.
Vor allem aber dürften CDU, CSU und AfD davon ablenken wollen, dass sie politisch generell dafür sind und auch im Rechnungsprüfungsausschuss erst vor Kurzem genau das forderten, wogegen die Bauern nun protestieren:
Redaktion: Dirk Walbrühl, Chris Vielhaus, Maria Stich
Titelbild: Bernd Dittrich - CC0 1.0