»Es hat mich befreit, die Hoffnung aufzugeben«
PD-Mitglied Frauke war lange in der Klimabewegung aktiv. Heute glaubt sie nicht mehr daran, dass wir das Ruder noch herumreißen. Hier erzählt sie, warum sie trotzdem nicht resigniert.
»Ich habe die Hoffnung auf eine – materiell – bessere Welt aufgegeben. Und das hat mich befreit.« Immer wieder musste ich über diesen Satz nachdenken, irgendetwas hat er in mir angestoßen. Er fiel vergangenes Jahr in einer unserer wöchentlichen Blattkritiken, bei denen wir jeweils ein Mitglied um Feedback zu unseren Artikeln bitten.
Frauke sprach unter anderem über die Berichterstattung zum Klimawandel in Medien im Allgemeinen und bei Perspective Daily im Speziellen. Ihr Urteil: Die Geschichten und Lösungen, die wir aufzeigen, seien wichtig und inhaltlich an sich richtig. Aber sie wünsche sich mehr Realismus. Öfter einen Blick auf das große Ganze. Sind die Klimaschutzziele überhaupt noch erreichbar? Sollten wir nicht vermehrt auch darüber sprechen, welche gesellschaftlichen Konsequenzen eine 2 oder 3 Grad wärmere Welt hätte? Wie wir uns darin einrichten, ohne die Mitmenschlichkeit zu verlieren?
Und dann eben der Satz: »Ich habe die Hoffnung aufgegeben.«
In Ansätzen kann ich dieses Gefühl gut nachempfinden. Als Autorin für Klima- und Umweltfragen begegnen mir schließlich längst nicht nur Erfolgsgeschichten, sondern auch Hochwasserkatastrophen, fruchtlose Klimakonferenzen, über den Haufen geworfene Gesetze. Das ist oft frustrierend und
Gleichzeitig ist Perspective Daily gerade mit dem Anspruch angetreten, nicht bei Gefühlen von Wut, Angst oder Traurigkeit stehen zu bleiben, sondern nach vorne zu schauen und zu fragen, wie es weitergehen kann. Statt
In meinem Artikel zu
Mit Frauke saß uns bei der Blattkritik nun virtuell eine Person gegenüber, bei der diese Schlussfolgerung nicht so recht passen wollte. Die sich nicht ins Private zurückgezogen hat, sondern sich weiter einbringen will. Und die alles andere als resigniert wirkt. Das machte mich neugierig.
Wir schrieben ein paar E-Mails hin und her, verabredeten uns Anfang Dezember zu einem Videogespräch. Rund 2 Stunden sprachen wir über ihre Gefühle zur Klimakrise, warum sie einen Kollaps unserer Gesellschaft, wie wir sie heute kennen, für wahrscheinlich hält und warum das letztlich eine befreiende Erkenntnis für sie ist.
Ich merkte mehr und mehr: Frauke ist kein hoffnungsloser Mensch. Auch sie stellt sich die Frage »Wie kann es weitergehen?«. Aber sie blickt mit einer anderen Dringlichkeit auf Klima und andere Krisen. Diese Perspektive haben wir bei Perspective Daily bislang kaum abgebildet. Aus dem Gespräch entstand deshalb das folgende Protokoll.
»In meinem Masterstudium der Umwelt- und Ressourcentechnologie lerne ich einerseits, wie es um den Zustand der Welt steht (Spoiler: schlecht). Oft verlasse ich mit meinen Kommiliton:innen den Hörsaal und denke: Wir sind am Arsch. Andererseits lerne ich, welche (technischen) Möglichkeiten wir haben, um die Verschmutzung der Umwelt zu reduzieren und Emissionen zu sparen – und wie begrenzt diese zunächst vielversprechend klingenden Techniken in der Realität sind. Wasserstoff wird uns nicht retten. Die Kreislaufwirtschaft ist ein tolles Konzept, wird uns aber ebenfalls nicht rechtzeitig retten.
Gleichzeitig gibt es das institutionalisierte Mantra von ›Wir müssen das schaffen! Wir müssen Hoffnung verbreiten!‹. Dieses Mantra gibt es in NGOs, Ministerien, aber auch in Medien. Wenn ich Artikel mit Klimawissenschaftler:innen lese, finde ich es bemerkenswert, fast komisch, dass am Ende immer eine Frage in die Richtung kommt: ›Gibt es noch Hoffnung?‹ und sich die Befragten Mühe geben, etwas Positives zu sagen; verbunden mit der eindrücklichen Warnung, wir müssen jetzt aber wirklich handeln.
Von dem gängigen Narrativ ›Du darfst dich nicht mit dem Schlimmsten konfrontieren, sonst wirst du apathisch und lebensmüde‹, fühle ich mich nicht abgeholt. Und dem stimme ich auch nicht zu.
Ich finde es falsch zu sagen, wir können in die Kristallkugel schauen und sagen, so und so wird es sicher kommen. Aber es gibt verschiedene Szenarien und der Kollaps der industrialisierten Gesellschaft erscheint mir als ein realistisches und wahrscheinliches Szenario.
Denn: Wenn wir einfach aufhören zu wachsen – was für die Umwelt wohl das Beste wäre –, wird es zu einer Wirtschaftskrise kommen. Dann können wir vielleicht die Ökosphäre retten, aber die sozialen Verwerfungen wären enorm. Gleichzeitig haben wir keine Alternative in Sicht, die uns in wenigen Jahren ein anderes Wirtschaften ermöglicht. Das zu realisieren ist hart: Entweder kollabiert die Gesellschaft zuerst und die Umwelt kollabiert nicht.
Natürlich habe ich keinen Bock, dass es so kommt. Wenn ein Wunder geschieht und zum Beispiel ein Vulkan ausbricht, der uns 10 Jahre Abkühlung der Atmosphäre verschafft, und wir mit einer Kraftanstrengung das Ruder rumreißen – darüber würde ich mich natürlich freuen. Gleichzeitig wäre ich sicherlich traurig, denn so ein Vulkanausbruch würde für viele Menschen Tod und Leid bedeuten.«
Anders als in Deutschland ist der Begriff »Kollaps« im französischen Diskurs weitaus geläufiger. Grund dafür dürfte nicht zuletzt die Arbeit des Biologen und Agraringenieurs Pablo Servigne sein. Gemeinsam mit dem Öko-Berater Raphaël Stevens veröffentlichte er 2015 ein Buch,
In diesem Buch sammelten sie über 4.000 Artikel und 600 Bücher über die Katastrophen unserer Epoche. Abgeleitet davon diagnostizieren sie den Zusammenbruch der von Ölkonzernen und Finanzmärkten abhängigen Gesellschaft.
Sie beziehen sich dabei nicht nur auf den Klimawandel und seine Folgen, sondern auch auf politische und gesellschaftliche Verwerfungen. Wann solche unumkehrbaren Systemschocks eintreten, ließe sich nicht bestimmen. Aber es könnte in diesem Jahr, in 25 oder 100 Jahren so weit sein. Auch Frauke erwähnt im Gespräch nicht nur den Klimawandel, sondern auch
Zwar prägten Servgine und Stevens maßgeblich den Begriff der
Die Schlüsse, die Servigne und Stevens ziehen, ernten aber durchaus Kritik. Unter anderem, weil ihr Buch einen wissenschaftlichen Anschein erweckt, den die aufgestellte Prognose eines Kollapses nicht erfüllen kann. Zum anderen, weil sie mit ihrer Argumentation den
»Früher hatte ich mehr Kraft, Dinge scheiße zu finden und etwas dagegen zu tun, als jetzt mit Ende 20. Früher dachte ich, wenn wir nur mit genug Menschen auf die Straße gehen und mit guten Argumenten überzeugen, können wir etwas ändern. Ich war in einem Verein für Klimaschutz und demokratische Werte aktiv, habe Reden auf Demos gehalten und habe mich auf der reformistischen Seite der Klimabewegung gesehen. Vor allem für die Leute von Ende Gelände hatte und habe ich immer noch sehr viel Respekt.
Doch irgendwann habe ich gemerkt: Wir machen kleine Gewinne, aber sie sind winzig im Vergleich zu dem, wohin wir eigentlich kommen müssten. Es ist zu wenig, zu spät.
Wenn man sich anschaut, wie Kollaps in Filmen oder der Literatur dargestellt wird, sind das meist Doomsday-Szenarien. Man wacht auf und über Nacht ist alles anders geworden. So ist es aber nicht. Kollaps ist ein Prozess. Es wird in sehr vielen Bereichen langsam, aber kontinuierlich immer weiter bergab gehen. Der ›Point of no Return‹ lässt sich nicht vorhersagen, wir werden ihn nicht bemerken.
Wir sind es gewohnt, dass wir zu jeder Jahreszeit Äpfel kaufen können, dass wir jegliches Obst und Gemüse importieren können. Wir sind es gewohnt, dass unsere Flüsse zu jeder Jahreszeit schiffbar sind. Wir sind es gewohnt, dass wir nach einer Operation das Krankenhaus gesund wieder verlassen. Schon jetzt gibt es das Risiko, sich im Krankenhaus eine Infektion, zum Beispiel mit MRSA oder Covid, zu holen. Auch in anderen Lebensbereichen wird sich die Situation Stück für Stück verschlechtern.«
Nicht immer sind Gedanken, die der Kollapsologie ähneln, als solche benannt. Der US-amerikanische Autor Jonathan Franzen empörte 2020 mit seinem Essay »Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?«,
Wirtschaftsminister
Deutliche Worte fand auch
Was man dabei nicht vergessen darf: Das 1,5-Grad-Limit ist zwar eine von der Weltgemeinschaft sehr bewusst gesetzte Temperaturgrenze,
»Es gab nicht ›den einen‹ Moment, in dem ich realisiert habe, dass es Stück für Stück schlechter wird. Es waren viele kleine. Es ist ja ganz normal, dass man sich mit der Klimakrise beschäftigt, aber dann ruft die Arbeit oder die Familie oder sonstige Verpflichtungen und man ist wieder im Alltag gefangen.
Ich weiß nicht, wann es anfing, dass meine Zuversicht Risse bekam. Vielleicht, als ich davon las, dass der Permafrostboden in Sibirien auftaut, eines der zentralen Kippelemente im Klimasystem. Vielleicht, als ich das erste Mal in einem englischsprachigen Medium las, dass wir
Dann kam Corona. In der Pandemie dachte ich zunächst, dass sich endlich etwas ändert. Schließlich war auf einmal alles möglich. Ich weiß noch, dass ich dachte: ›Geil, innerhalb weniger Monate können wir uns komplett umkrempeln!‹ Ziemlich schnell folgte dann aber die Erkenntnis: Wir könnten auch in anderen Bereichen alles umkrempeln – Corona hat gezeigt, dass es nicht am Geld scheitert, sondern am Willen.
Unter anderem dadurch bin ich in eine richtig schlimme Phase gerutscht; in der ich mich gefragt habe, was überhaupt noch der Sinn des Lebens ist, wenn eh alles den Bach runtergeht. Ein:e Bekannte:r hat mich dann auf das Kollaps-Café aufmerksam gemacht.«
Das
»Es hat echt gutgetan, dort emotional aufgefangen zu werden und zu merken: ›Hey, da gibt es Menschen, die können sich super über den Zustand der Welt aufregen und haben gefühlt tausend Mal mehr Bücher zur Klimakrise und anderen Krisen gelesen als ich – und sie machen trotzdem noch Späßchen.‹
Anfangs fand ich das ganz schön hart. Ich habe mich gefragt, wie man bei der Prognose und den schweren Themen lachen und Faxen machen kann. Aber letztlich hat genau das mir geholfen.
Heute weiß ich: Das Leben verliert nicht seinen Sinn. Man richtet sich neu aus. Ich plane mein Leben nur noch 2, 3 Jahre im Voraus – maximal. Aber es gibt Dinge, die – frei von irgendwelchen Emissionen – ein Selbstzweck sind. Zu lernen ist einfach schön und hat einen Selbstzweck. Künstlerisch zu sein ist ein Sinn, den man im Leben haben kann. Mit Leuten in Kontakt zu kommen oder für andere da zu sein ebenfalls.
Mir ist klar, dass ich hier im Globalen Norden und mit einigermaßen gesicherten Finanzen ein enormes Privileg an Sicherheit genieße. Oft macht mich das traurig und hin und wieder habe ich Sorgen. Es ist nicht so, dass man für immer vor allen unangenehmen Gefühlen gefeit ist, wenn man einmal das Tal durchschritten hat. Aber ich weiß, dass diese Phasen vorübergehen, und ich habe gelernt, sie in den Hintergrund zu drängen, ohne die Ursachen komplett aus den Augen zu verlieren.
Die Hoffnung auf eine materiell bessere Zukunft aufzugeben, hat mich davon befreit, das ›Höher, schneller, weiter‹ mitmachen zu müssen. Es hat mir eine gewisse Ruhe gegeben und ich habe neu priorisiert: An erster Stelle stehen für mich zwischenmenschliche Beziehungen, keine Karriere oder Besitztümer.
Ich möchte nicht verharmlosen, dass es durch den Zusammenbruch auch zu Leid kommen wird. Ich bin mir sicher, dass Leute sterben werden, durch Naturgewalt oder menschliche Gewalt. Vielleicht trifft es mich auch schneller als gedacht. Aber ich empfinde keine lähmende Sorge mehr. Ich möchte nur so viel wie möglich dafür tun, dass es nicht so kommt.
Durch die Treffen mit dem Kollaps-Café bin ich friedlicher geworden, nicht mehr so aufgewühlt. Denn ich traf Leute, denen es so ging wie mir, ich war nicht allein. Es waren junge und alte Menschen, alle Geschlechter, Deutsche und Nichtdeutsche. Und keiner von ihnen war apathisch oder zynisch, wenn auch hier und da zornig oder manchmal sehr traurig.
Wie ich es geschafft habe, nicht zu resignieren? ›Geschafft‹ klingt nach einer aktiven Rolle, aber es war einfach so. Ich glaube, der Schlüssel liegt in der Gemeinschaft. In der Gemeinschaft zu erleben, wie sich Menschen proaktiv ihren Emotionen stellen. Wenn sie merken, dass ihre Emotionen da sein dürfen, und sie sich deshalb nicht zurückziehen.
Das ist das, was das Kollaps-Café so besonders und wertvoll macht: Es gibt keine Beschwichtigung. Wenn jemand über seine Gefühle spricht, gibt es kein ›Jetzt ist es doch noch nicht so schlecht. Freu dich an dem, was du hast‹, ›Du siehst das zu schwarz‹ oder ›Es gibt doch noch eine Chance‹.
Die äußeren Umstände sind, wie sie sind. Da kann man wenig dran schrauben. Aber was wir in der Hand haben, ist, wie wir persönlich und als Menschheit auf Krisen reagieren. Im Kollaps-Café wünschen wir uns, dass mit Mitmenschlichkeit reagiert wird, mit gesamtgesellschaftlichem Zusammenhalt und mit Solidarität. Dass wir aufeinander aufpassen und füreinander da sind.
Haben wir uns dem Kollapsgedanken gestellt und uns auf den Grundwert der Mitmenschlichkeit geeinigt, können wir weiterüberlegen. Wie wir den Katastrophenschutz und die Versorgung breiter aufstellen, zum Beispiel. Man könnte organisieren, dass 1/3 der Bevölkerung zum Technischen Hilfswerk geht und da eine Ausbildung macht. 1/3 pflanzt Bäume und auf Grünstreifen am Straßenrand Gemüse. Und 1/3 macht auch noch irgendetwas. Das aber nur als beispielhafte Vorschläge meinerseits. Ich möchte die Diskussion – sowohl die gesellschaftliche als auch die individuelle – nicht vorweggreifen.
Ich habe die Hoffnung auf eine materiell bessere Zukunft aufgegeben. Das heißt aber nicht, dass ich hoffnungslos bin. Mir wird es in Zukunft sehr wahrscheinlich materiell schlechter gehen als heute, ja. Es wird auch Leid und Tod geben und nicht immer einfach sein. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass es mir zwangsläufig ideell schlechter gehen muss.«
Nach dem 2-stündigen Gespräch mit Frauke lege ich erleichtert, fast gut gelaunt auf. Denn trotz des schweren Themas habe ich mich an vielen Stellen, an denen sie ihre Gefühle geschildert hat, wiedergefunden. Zu wissen, dass man nicht allein ist mit den eigenen Gefühlen, ist erleichternd.
Was ich daraus mitnehme: Ob und wann Bereiche unserer Gesellschaft oder die Gesellschaft als Ganzes kollabieren, lässt sich nicht vorhersagen. Wie die Zukunft tatsächlich aussehen wird, ist völlig offen. Aber es ist nichtsdestotrotz nützlich, sich damit zu beschäftigen, dass nichts selbstverständlich ist; dass sich durch die Klimakrise Dinge überall auf der Welt bereits verändert haben und weiter verändern werden; ob und wie wir uns anpassen können. Sich damit zu beschäftigen, wirft viele wichtige Fragen auf, die durch die Attitüde von »Es wird schon alles gut gehen« versperrt bleiben.
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