Nix mit rechts: Diese junge Landwirtin protestiert für eine gute Landwirtschaft
Deutschland diskutiert über die Bauernproteste. Statt nur über Landwirt:innen zu sprechen, reden wir mit einer von ihnen – und sie hat viel richtigzustellen.
19. Januar 2024
– 13 Minuten
Foto: Michael Burger / unsplash / Bearbeitung: Frauke Berger
Seit Wochen bestimmen sie die Schlagzeilen: Landwirt:innen, die ihrem Ärger über geplante Kürzungen in der Landwirtschaft freien Lauf lassen. Dabei kommen die unterschiedlichsten Stimmen zu Wort, die oft eines gemein haben: Sie sind nicht selbst betroffen. Stattdessen wird viel über die Landwirt:innen geredet, aber nicht mit ihnen.
Um das zu ändern, haben wir mit Marie Löhring gesprochen. Sie ist Landwirtin in der Uckermark in Brandenburg und Mitglied bei der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) – einer Interessengemeinschaft, die aufregende Wochen hinter sich hat.
Ingwar Perowanowitsch:
Die junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) hat sich in den letzten Wochen großes mediales Gehör verschafft. eines davon wurde über 4 Millionen Mal bei Instagram angesehen. Habt ihr mit einer solchen Resonanz gerechnet?
Marie Löhring:
Nein, nicht unbedingt. Wir wollten in dem Moment Content produzieren, um unsere Kolleg:innen zu unterstützen. Die extreme Rechte ist verdammt gut darin, Inhalte bereitzustellen, die von Leuten geteilt werden können; dem wollten wir etwas entgegensetzen. Gleichzeitig hat uns zu dem Zeitpunkt eine klare Abgrenzung seitens der Landwirtschaft gefehlt. Wir wollten klar machen: Wir protestieren mit, aber mit einer ganz klaren Abgrenzung zu rechtsextremem Gedankengut. Und wie man sieht, hat es das ja auch gebraucht.
Also war der Vorwurf, dass die Bäuer:innen sich nicht deutlich genug abgegrenzt haben, berechtigt?
Marie Löhring:
Hinter dieser Debatte gehen leider die wichtigen Inhalte verloren. Natürlich braucht es eine ganz klare Abgrenzung, und mittlerweile gibt es die auch seitens des Deutschen Bauernverbandes (DBV). Gleichzeitig muss der DBV jetzt noch entschiedener gegen Aussagen einzelner Funktionäre Stellung beziehen. Es geht nicht, dass zum Beispiel
Die inhaltliche Kritik an der Politik teilt ihr als AbL also?
Marie Löhring:
Ja, die ist absolut berechtigt. Die Kürzungen kamen für uns Bauern völlig aus heiterem Himmel. Plötzlich wird dir vor Weihnachten gesagt, dir fehlen nächstes Jahr je nach Betrieb zwischen 2.500 und 10.000 Euro Agrardieselbeihilfe. Und dazu kommt dann noch der Wegfall der Kfz-Steuerbefreiung, wo die Summen zu Anfang noch unklar waren. Das Geld war aber bereits eingeplant.
Als Bäuer:innen brauchen wir unbedingt Klimaschutz, aber das Argument, beides seien klimaschädliche Subventionen, zieht hier nicht. Der Diesel wird nur teurer, nicht weniger, weil eine Alternative im Moment noch fehlt. Und wie soll Lebensmittelproduktion ohne Trecker aussehen? Echter Klimaschutz muss Emissionen einsparen und sozialverträglich gestaltet werden.
Für uns ist klar, dass wir nicht für immer mit unserem Diesel herumfahren. Aber um davon wegzukommen, darf uns das Geld nicht einfach weggenommen werden, um irgendwelche Haushaltslöcher zu stopfen. Stattdessen müssen wir in den klimafreundlichen Umbau der Landwirtschaft investieren, zum Beispiel um neue Antriebe zu entwickeln und zu etablieren.
Vor diesem Hintergrund hat die AbL jetzt den Kompromissvorschlag ins Spiel gebracht, dass für kleinere Betriebe, die weniger als 10.000 Liter Diesel im Jahr verbrauchen, die Subvention erhalten bleiben soll. Wäre das ein Schritt hin zu fairerer Förderung?
Marie Löhring:
Ja, auf jeden Fall. Unser Hauptanliegen bei der AbL ist, dass bäuerliche Betriebe gestärkt werden. Deshalb wäre ein solcher Kompromiss auf lange Sicht sinnvoll.
In den letzten Wochen hieß es häufig, dass das Thema Agrardiesel aber nur der letzte Tropfen war, der das Fass für viele Landwirt:innen zum Überlaufen gebracht hat. Was war da denn zuvor schon alles drin?
Marie Löhring:
Der Inhalt des Fasses ist vielgestaltig und von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Zum einen ist da die Klimakrise, die in Folge von Starkregen und zu Ernteausfällen führt und eine generelle Unsicherheit mit sich bringt. Dann kommen die sowie überbordende Bürokratie dazu. Für mich und viele Kolleg:innen sind die Zukunftsperspektiven einfach unklar.
Letzteres ist ein Punkt, der in der öffentlichen Debatte häufig zu kurz kommt: das enorme Nachwuchsproblem der Branche. In 63% der Betriebe sind die Landwirt:innen über 55 Jahre alt und finden keine:n Nachfolger:in. Woran liegt das?
Marie Löhring:
Zum einen werden die ländlichen Räume durch den staatlichen Rückzug und Abbau von Sozialstrukturen wie Einkaufsläden, Arztpraxen und ÖPNV als Wohnort immer unattraktiver. Zum anderen reden wir in der Landwirtschaft von Wochenarbeitszeiten deutlich über 40 Stunden und einem Lohn auch für ausgebildete Fachkräfte und Betriebsleiter:innen knapp über dem Mindestlohn. Flexibilität und Homeoffice ist nicht drin.
Hinzu kommt: Wenn ich als Junglandwirtin einen Betrieb gründen möchte, muss ich dafür grob 690.000 Euro einplanen. Gehe ich zur Bank, sagen die mir, dass ich 20% Eigenkapital brauche, also über 100.000 Euro. Das ist keine Summe, die ich oder andere junge Menschen, die nicht erben, mal eben so aufbringen können. Was ich mir daher wünsche, wäre eine flächendeckende Existenzgründungsprämie in Deutschland.
Und so etwas gibt es bislang nicht?
Marie Löhring:
Zum Teil schon. Die neue EU-Agrarpolitik fördert Junglandwirt:innen mit 130 Euro pro Hektar. Die Förderung wird bis maximal 120 Hektar für 5 Jahre gewährt. Mal ganz abgesehen davon, dass die meisten so viel Land gar nicht haben, würden sie dann im besten Fall 16.000 Euro pro Jahr bekommen. Das hilft angesichts des hohen Kapitalbedarfs nicht viel.
In 6 Bundesländern gibt es zudem eine Existenzgründungsprämie zwischen 45.000 und 100.000 Euro. Es geht also stellenweise in die richtige Richtung, aber das Ziel muss sein, dass es die in allen Bundesländern gibt, damit es überall möglich wird, Existenzen zu gründen.
In einigen ostdeutschen Bundesländern werden gerade sogenannte Agrarstrukturgesetze geschrieben, die es Kleinbäuer:innen leichter machen sollen, an Boden zu kommen. Worum geht es da?
Marie Löhring:
Gerade hier im Osten wird es immer schwieriger und teurer, an Land zu kommen. Das liegt daran, dass außerlandwirtschaftliche Investoren in den letzten Jahren viel Land aufgekauft haben. Das Vorkaufsrecht von Landwirt:innen wird oft nicht ausreichend durchgesetzt. Die Agrarstrukturgesetze bieten die Möglichkeit, hier gegenzusteuern und zum Beispiel Junglandwirt:innen bei der Landvergabe zu bevorzugen. Gleichzeitig braucht es eine progressive Grunderwerbsteuer, damit die, die viel Land haben, mehr Grunderwerbsteuer bezahlen müssen und Existenzgründer:innen entlastet werden.
In vielen Bundesländern, in denen aktuell Agrarstrukturgesetze verhandelt werden, sind in diesem Jahr Wahlen. Deshalb ist jetzt der Zeitpunkt, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Thema zu lenken und auf eine Verabschiedung zu drängen.
Häufig wird kritisiert, dass der Bauernverband vor allem große Betriebe repräsentieren würde, aber nicht die kleinen. Was ist da dran?
Marie Löhring:
Man muss sich den Bauernverband genau anschauen. Für mich kann ich sagen, dass ich mich von der Spitze des Bauernverbands nicht vertreten fühle und die Nähe zur Agrarlobby kritisch sehe.
Ich würde aber nicht so weit gehen, den gesamten Verband pauschal zu verurteilen. Auf lokaler Ebene kommt es immer auf die einzelnen aktiven Personen an. Auch wir arbeiten mit dem Bauernverband zusammen – es gibt durchaus Ortsgruppen, die sich in ihrer Arbeit deutlich von der Spitze unterscheiden. Außerdem sind die Kreisbauernverbände und ihre Unterstützungs- und Beratungsangebote eine wichtige soziale Struktur in den ländlichen Räumen.
Du hast in den letzten 5 Jahren selbst für unterschiedlich große Betriebe gearbeitet. Kann man je nach Größe pauschal in Profiteur:innen oder Verlierer:innen des Systems einteilen?
Marie Löhring:
Das ist leider viel zu einfach gedacht. Ich verstehe den Wunsch, einfache Aussagen über die Landwirtschaft zu treffen, aber es ist ein superkomplexes Thema.
Auch ein kleiner Betrieb kann wirtschaftlich gut dastehen. Das gelingt, wenn dieser gut in der Region verankert ist und seine Produkte selbst veredelt oder durch Direktvermarktung die Preise für die Produkte selbst bestimmen kann.
Aber es gibt natürlich auch kleine Betriebe, denen es schlecht geht, weil sie nötige Investitionen verpasst haben oder räumlich zu weit von zahlungskräftiger Kundschaft entfernt sind.
Große Betriebe sind hingegen sehr abhängig von den Preisen am Weltmarkt, die sie nicht beeinflussen können. Je nachdem wie es gerade dort läuft, läuft es für sie besser oder schlechter. Daher ist die Einteilung in Gewinner:innen und Verlierer:innen je nach Größe zu pauschal.
Demnach sind auch die Zahlen über die zuletzt stattlichen Gewinne von durchschnittlich 115.000 Euro aus dem vergangenen Wirtschaftsjahr wenig aussagekräftig?
Marie Löhring:
Natürlich. Man betrachtet in der Landwirtschaft eigentlich immer einen Zeitraum von 5 Jahren. Und wir hatten in den letzten Jahren aufgrund des russischen Angriffskrieges selbst viel mit steigenden Preisen zu tun.
In der Bevölkerung muss klar sein: Wir reden bei den 115.000 Euro vom Unternehmensgewinn, nicht vom Einkommen. Von dieser Summe muss ich meine Investitionen tätigen, meine Familienarbeitskräfte bezahlen, meine Altersvorsorge und am Ende vielleicht noch mein eigenes Gehalt.
Klar gibt es auch reiche Bäuer:innen, aber Ausnahmen gibt es in jeder Branche. Das Durchschnittseinkommen pro Kopf liegt in der Landwirtschaft bei 33.000 Euro. Das ist das, was sich Bäuer:innen dann von ihrem Gewinn auszahlen. Generell sollten wir in der Öffentlichkeit nicht so viel über Durchschnittswerte reden, weil diese das Bild verzerren. Landwirtschaft ist superdivers.
Um beim Thema Geld zu bleiben: Kürzlich habe ich mit einem Kleinbauern einer solidarischen Landwirtschaft gesprochen, dessen Betrieb es sich zum Ziel gesetzt hat, klimaneutral zu wirtschaften – obwohl das sogar mit finanziellen Verlusten verbunden sei. Viele in Politik und Gesellschaft wollen aber, dass Landwirt:innen klimafreundlicher wirtschaften, aber bezahlen wollen es die wenigsten.
Marie Löhring:
Wir erleben leider immer wieder, dass gesellschaftliche Leistungen wie Tierwohl, Umwelt und Klimaschutz nicht ausreichend gefördert werden. Klimaschutz darf kein Verlustgeschäft sein. Daher muss es hierfür Förderung geben, die sich auch positiv auf unsere Einkommen auswirkt. Ein gutes Beispiel dafür ist das Thema
Wenn es genug Förderung für dieses Konzept geben würde, hätten wir großes Interesse, Agroforstwirtschaft zu betreiben. Doch mit unseren Böden generieren wir unser Einkommen. Wenn uns also wie bislang nur die Kosten erstattet werden und nicht der Ertragsausfall, bringt es für uns wenig, Bäume und Sträucher auf unsere Felder zu pflanzen, anstatt sie klassisch zu bewirtschaften.
Am Ende sind auch wir Unternehmer:innen, die selbstständig ihr Risiko tragen und die für ausfallende Erträge entschädigt werden wollen. Nur dann wird es attraktiv.
Ein weiteres Problem ist die zunehmende Liberalisierung des Agrarsektors. Die EU öffnet zum Beispiel gerade den Agrarmarkt mit Chile, um unter anderem einen leichteren Zugriff auf seltene Erden für unsere E-Autos zu haben. Gleichzeitig konkurriert dann der heimische Viehzüchter mit chilenischem Billigfleisch, das zu geringeren Umwelt- und Tierwohlstandards in die EU exportiert wird. Wie viel Weltmarkt verträgt die Landwirtschaft?
Marie Löhring:
Die Frage ist: Welche Landwirtschaft wollen wir als Gesellschaft? Wenn wir wollen, dass die Landwirtschaft gesellschaftliche Leistungen erbringt, sind solche Abkommen ein Schritt in die falsche Richtung. Schon jetzt sind wir nicht in der Lage, unsere Betriebskosten zu decken; wenn wir noch stärker mit dem Weltmarkt konkurrieren, wird sich diese Situation verschärfen.
Fakt ist, dass wir gerade in Deutschland aufgrund hoher Standards beim Tier- und Pflanzenschutz auch hohe Produktionskosten haben. Hinzu kommt ein Mindestlohn, den ich auf keinen Fall missen möchte, der aber nicht unbedingt unsere Wettbewerbsfähigkeit in der EU und in der Welt fördert. Um unsere hohen Standards beibehalten und ausbauen zu können, brauchen wir hier faire und geschützte Erzeugerpreise.
Und gerade bei der Tierhaltung besteht immer die Gefahr, dass sie aufgrund von hohen Produktionsstandards einfach in andere Länder ausgelagert wird. Ich möchte hier nicht missverstanden werden: Ich bin für einen Umbau in der Tierhaltung, aber wenn das Resultat am Ende ist, dass sie einfach ausgelagert wird, macht das wenig Sinn.
Es braucht also langfristige Rahmenbedingungen zum Umbau der Landwirtschaft sowie eine Veränderung der Konsumgewohnheiten in der Gesellschaft hin zu regionalen Lebensmitteln.
Gutes Stichwort: Müssen sich die deutschen Verbraucher am Ende auch ehrlich machen und uns eingestehen, dass Lebensmittel in Deutschland trotz Inflation in Wahrheit sind, damit die Bäuer:innen davon auskömmlich leben können?
Marie Löhring:
Ja, auf jeden Fall. Wir geben in der EU einen relativ geringen Anteil des Einkommens für Lebensmittel aus. Zwar heißt es oft durch alle Bevölkerungsschichten hinweg, dass man für nachhaltig produzierte gute Lebensmittel eigentlich tiefer in die Tasche greifen müsse – um am Ende dann doch zum Billigprodukt zu greifen.
Am Ende des Tages brauchen wir Landwirt:innen faire Erzeugerpreise, die bei uns landen und nicht bei den Supermärkten und Discountern hängen bleiben. Gleichzeitig will ich in Zeiten von Inflation und zunehmender Armut aber auch nicht nach unten treten. Es widert mich an, wenn Christian Lindner in seiner Rede vor den Bäuer:innen in Berlin von faulen Bürgergeldempfänger:innen spricht, denen man jetzt die Bezüge kürzen müsse. Wir dürfen uns gerade jetzt nicht gegeneinander ausspielen lassen!
Es braucht nicht nur Investitionen in die Landwirtschaft, sondern auch in den Sozialstaat und die gesamte Gesellschaft. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, über eine Reichensteuer, die Besteuerung von Flugzeugkerosin oder die Abschaffung der Schuldenbremse nachzudenken, statt einfach überall zu kürzen.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Warum bist du trotz all der Probleme der Branche Landwirtin geworden?
Marie Löhring:
Ursprünglich komme ich aus dem Ruhrpott und hatte gar nichts mit Landwirtschaft zu tun.
Ich arbeite sehr gerne draußen und schätze die Vielseitigkeit des Berufs sehr. Er verbindet Ökonomisches, Soziales und Ökologisches miteinander. Deshalb habe ich mich nach der Schule entschieden, die Ausbildung zur Landwirtin zu machen. Seitdem bin ich dabei und kann mir heute wirklich keinen anderen Beruf mehr vorstellen. Gleichzeitig setze ich mich in der jAbL dafür ein, die Rahmenbedingungen zu ändern.
Meine große Hoffnung ist es daher, dass der Protest jetzt ein Weckruf für die Gesellschaft ist und Menschen merken, dass das Fass für viele wirklich am Überlaufen ist und wir viele weitere Schritte brauchen, die weit über Dieselsubventionen hinausgehen. Wir jungen Landwirt:innen sind auf jeden Fall auch am 20. Januar bei der großen um gemeinsam mit der Zivilgesellschaft für eine gerechte Agrarwende einzustehen.
Ingwar Perowanowitsch fuhr erst in seiner Heimatstadt Freiburg, dann in seiner Studienstadt Groningen mit dem Rad. 3 Jahre in den Niederlanden haben sein Verständnis davon geprägt, welches Potenzial im Verkehrsmittel Fahrrad steckt. Seitdem er in Berlin wohnt, setzt er sich als aktivistischer, politischer und forschender Radler für die fahrradgerechte Stadt ein.