Warum dieser Arzt für das bedingungslose Grundeinkommen kämpft
Als Amtsarzt schrieb Martin Sonnabend Gutachten für Jobcenter und die Arbeitsagentur. Heute ist er Vorsitzender der Ein-Themen-Partei Bündnis Grundeinkommen. Was kann er damit erreichen?
Wer zu Martin Sonnabend fährt, noch dazu an einem trüben Wintertag, spürt noch nicht viel vom Geist der
Und doch wohnt hier, in einer Spielstraße am Rand des ostwestfälischen Ortes Rödinghausen, ein Mann, der das Leben in ganz Deutschland nachhaltig verbessern möchte. Sein Ziel: die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Dafür engagiert er sich im Bündnis Grundeinkommen, einer Ein-Themen-Partei, die politischen Druck und Aufmerksamkeit für die Idee generieren will. In Rödinghausen möchte er mir erzählen, was ihn antreibt und wie seine Vision Wirklichkeit werden soll.
Deren Ursprünge reichen über 500 Jahre zurück. Es ist
In den kommenden Jahrhunderten diskutieren Philosophen immer wieder über ähnliche Konzepte, eine breite Debatte entwickelt sich daraus erst im 20. Jahrhundert. In Deutschland gehören Soziologen wie Ralf Dahrendorf und Ulrich Beck sowie der Künstler Joseph Beuys zu den ersten Fürsprechern eines
Niemand dieser Vordenker hat dabei vermutlich an Menschen wie Martin Sonnabend gedacht. Denn Sonnabend geht es gut, er wäre selbst nicht auf ein Grundeinkommen angewiesen. Er ist Arzt und Psychotherapeut, lebt in einem schönen Einfamilienhaus in der Provinz. Im Flur hängt ein Familienporträt. Darauf sind alle barfuß und Sonnabends Haare noch dunkler als jetzt. Er sitzt an seinem Esszimmertisch mit Blick auf die gepflegten Hecken seines Gartens. 3 Tage die Woche arbeitet er noch immer halbtags in einer Klinik. »Mir macht es Spaß«, sagt er. Mindestens bis April 2025 wolle er noch weiterarbeiten. Er wäre dann 71 Jahre alt.
Die Säulen des Grundeinkommens
Sonnabend weiß nicht mehr genau, wann er zum ersten Mal von der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens gehört hat. Nur dass sie ihm gleich gefiel. Er arbeitete damals als Amtsarzt und schrieb viele Gutachten für die Arbeitsagentur und das Jobcenter. »Mir haben die Leute sehr leidgetan, die
Er fand schlimm, wie sich manche Mitarbeiter in den Arbeitsagenturen ihren »Klienten« gegenüber aufspielten. Und das, obwohl die Allermeisten, die er untersuchte, keine Arbeitsverweigerer waren. Es waren Menschen, die sich für ihre Situation schämten und nun immer weiter unter Druck gesetzt wurden. »Würdelos« sei das gewesen. Also suchte Sonnabend Alternativen. »Da bin ich dann irgendwann beim bedingungslosen Grundeinkommen gelandet.«
»Ich hätte das bedingungslose Grundeinkommen gerne als sechste Sozialversicherung. Als Recht für jeden, der hier in Deutschland lebt.« – Martin Sonnabend, Bundesvorsitzender der Partei Bündnis Grundeinkommen
Er ist sich sicher: Mit der Einführung eines Grundeinkommens könnten alle Menschen ihre Würde bewahren. Kinderarmut in Deutschland könnte überwunden, die prekäre Situation der heutigen Bürgergeld-Empfänger gelöst werden. Auch ihm würde das helfen. »Für mich würde das Leben besser werden, weil ich mich dann nicht mehr so schämen muss.«
So gehe es ihm nämlich heute, wenn er an die Situation der Schwächsten in der Gesellschaft denke. Sonnabend hofft, dass das Grundeinkommen irgendwann eine Selbstverständlichkeit wird, die
Doch was genau haben Sonnabend und seine Mitstreiter im Kopf, wenn sie von einem Grundeinkommen sprechen?
Das bedingungslose Grundeinkommen fußt auf 4 Säulen, so steht es zumindest in der Definition des
- das existenzsichernd ist und soziale Teilhabe ermöglicht,
- auf das ein individueller Rechtsanspruch bestehen soll,
- das ohne Bedürftigkeitsprüfung und
- ohne Zwang zu Arbeit und anderen Gegenleistungen garantiert wird.
Das ist die Grundlage, mit der alle gängigen Konzepte arbeiten. Der Rest ist Verhandlungs- und Rechensache. In der deutschen Debatte wurde in den vergangenen Jahren vor allem ein Grundeinkommen in Höhe von 1.200 Euro diskutiert. Diesen Betrag schlägt beispielsweise die Initiative
Am umstrittensten ist das Wort »bedingungslos«
In den vergangenen Jahren hat sich jede große deutsche Partei an irgendeiner Stelle mit dem bedingungslosen Grundeinkommen auseinandergesetzt – überwiegend kritisch. Bundeskanzler
Im Sommer 2023 nahm die Debatte durch eine
In der Praxis wurde ein Grundeinkommen in einigen Ländern mit unterschiedlichen
»Das ist ein tolles und spannendes Projekt«, sagt Martin Sonnabend. Er wartet gespannt auf das Ergebnis der Studie und vor allem auf das, was daraus folgt. »Ich hoffe sehr, dass das Experiment einen positiven Ausgang hat und dass es dann auch entsprechend vermarktet wird.« Sonnabend schwebt eine Expertenkommission im Deutschen Bundestag vor, die auf Grundlage der Erkenntnisse Vorschläge ausarbeitet, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen am besten und sichersten eingeführt werden kann.
Der umstrittenste Teil des Konzepts ist das Wort »bedingungslos«. Das weiß Sonnabend spätestens seit seinem ersten Bundestagswahlkampf im Jahr 2021. Damals war er beim »Bündnis Grundeinkommen« gerade zum Vorsitzenden aufgestiegen. Sein Vorgänger war wegen seiner Nähe zur Querdenken-Bewegung nicht mehr erwünscht gewesen. Wenn Sonnabend im Wahlkampf mit Menschen ins Gespräch kam, hätten sie oft zu ihm gesagt: »Das bedingungslose Grundeinkommen ist ganz wichtig, aber …« Und zählten dann auf, für wen es nicht gelten sollte.
»Da habe ich gemerkt, die haben das gar nicht kapiert.« Am Ende erhält Sonnabend 0,7% der Erststimmen im Wahlkreis Herford Minden-Lübbecke II. In seinem Wahlbezirk seien es immerhin 4,5% gewesen, sagt er nicht ohne Stolz.
Das Bündnis Grundeinkommen: Ein Vorbild für andere Kleinstparteien?
Das Bündnis Grundeinkommen ist eine Kleinstpartei ohne Hoffnung, die 5%-Hürde bei einer Bundestagswahl jemals zu überschreiten. Doch darum geht es auch nicht. Es geht darum, das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens bekannter zu machen.
Dafür wurde die Partei 2016 in München gegründet, dafür trat sie 2017 bei der Bundestagswahl in allen 16 Bundesländern an und erhielt immerhin knapp 100.000 Stimmen (0,2%). Allein an den formalen
Sonnabend hat sich immer politisch engagiert, besonders für den Umweltschutz und gegen die Atomkraft. Das Bündnis Grundeinkommen ist die erste Partei, bei der er Mitglied wird. Er hatte das Konzept gerade für sich entdeckt, da erfuhr er von einer Veranstaltung der damals noch jungen Partei. Ihm gefällt die Idee, die Stimmung, auch die Streitkultur unter den Mitgliedern. Und er kann sich gleich einbringen. Der Beisitzerposten im Vorstand für das direkt an Rödinghausen grenzende Niedersachsen ist zu diesem Zeitpunkt vakant, Sonnabend übernimmt.
Der Kampf um das »tote Pferd«
Nach dem schnellen Aufstieg beginnt beim Bündnis Grundeinkommen eine Phase der Ernüchterung. Die einen hatten nur einmal zu einer Bundestagswahl antreten wollen – ihr Ziel war erreicht. Andere – darunter Martin Sonnabend – wollten den Parteienstatus unbedingt weiter für ihre
»Als Internist habe ich viele Menschen wiederbelebt. In dem toten Pferd unserer Partei spüre ich noch einen Pulsschlag und spüre ich noch ein Herz. Auch dieses Pferd möchte ich gerne wiederbeleben.
Es ist Mitte Januar, als sich der Bundesvorstand der Partei zum digitalen Neujahrsempfang zusammenschaltet. Die Resonanz ist mäßig. 3 Männer und eine Frau blicken in ihre Kameras. Sie alle dürften die 60 bereits überschritten haben. Martin Sonnabend erhebt sein Glas und wünscht allen ein frohes neues Jahr. Er spricht über Wagenknecht und Maaßen, die Vorteile parteipolitischer Arbeit sowie die Planungen für den nächsten Bundesparteitag, der wieder in Rödinghausen stattfinden solle. Einer der anderen Männer schüttelt während seines Vortrags immer wieder mit dem Kopf. Am Ende hält er eine Sanduhr in die Kamera. Er will Sonnabend auf die überschrittene Redezeit hinweisen.
Warum die Debatte um das Grundeinkommen an Fahrt verloren hat, weiß Sonnabend nicht so genau. Auch nicht warum es seiner Partei schwerfalle, jüngere Menschen anzusprechen. Vielleicht liege es daran, dass einige der ehemaligen Mitglieder irgendwann ausgetreten seien, um sich bei den Grünen oder Linken für das bedingungslose Grundeinkommen einzusetzen.
Dort gebe es mittlerweile zwar die entsprechenden Beschlüsse, die seien aber zu vage und niemals ernsthaft angegangen worden, sagt Sonnabend. Während den Linken dafür schlicht die Gestaltungsmöglichkeiten fehlten, kämpften die Grünen in der aktuellen Bundesregierung allenfalls noch gegen Bürgergeld-Streichungen. Wahrscheinlich glaubten viele Aktivisten selbst nicht mehr, dass ihre Utopie irgendwann Wirklichkeit werde.
Doch Sonnabend hat Hoffnung. Er sieht eine mögliche
Beim digitalen Treffen des Bundesvorstands geht es irgendwann um den Antrag, den 2 der anwesenden Mitglieder formuliert haben. Sie wollen einen Juristen beauftragen, der die Partei bei einer möglichen Auflösung berät. Doch Martin Sonnabend will weitermachen. Da die Runde an diesem Abend ohnehin nicht beschlussfähig ist, schlägt er Änderungen am Antrag vor, damit er beim nächsten Mal zustimmen könne. Der Mann mit der Sanduhr sagt, dass er das zur Kenntnis nehme, aber den Antrag wieder genauso stellen werde. Er klingt dabei zunehmend sarkastisch.
Kämpfer für die Schwachen
In seinen anderen Ehrenämtern sind Martin Sonnabends Erfolge sichtbarer. Er hat eine
Am Ende des Gesprächs fährt Sonnabend mich noch mit seinem E-Auto durch Rödinghausen. Vorbei an den prachtvollen Häusern des Häcker-Chefs und seines Sohnes, vorbei am Schulzentrum mit »seiner« Bürgersolaranlage auf dem Dach der Turnhalle. Es geht auch zu einer kleineren Solaranlage am Bahnhof, die für das Laden der Pendler-E-Autos gedacht war.
»Da hat mich aber niemand verstanden. Das geht mir häufig so«, sagt er. Als er fast wieder sein Haus erreicht hat, erwähnt er noch, wie gut sein Name zu all dem passe. Die Kombination aus Mars, dem Kriegsgott, und dem heiligen Martin. Kämpferisch für die Schwachen einzustehen. Das sei sein Auftrag.
Die Zeichen stehen nicht gut für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Bundesregierung ist froh, wenn sie sich vor lauter Krisen überhaupt auf einen legalen Haushalt einigen kann. Die innenpolitischen Debatten werden vom Aufstieg der AfD überlagert, da bleibt wenig Raum für Utopien. Doch Zeiten ändern sich: Vielleicht sind Sonnabend und seine Mitstreiter dann noch da, um die Debatte neu zu entfachen.
Redaktionelle Bearbeitung: Katharina Wiegmann
Titelbild: Marc Latsch - copyright