»Sie schonen die Gelenke, können Fehlbildungen sowie Muskelschmerzen vorbeugen und lehren uns einen natürlichen, gesunden Gang«: Barfußschuhe und -sandalen sind laut der enthusiastischen Schuhverkäuferin, die mich berät, das Nonplusultra in der Welt der Fußbekleidung. Stimmt das? Und falls sie so gut sind, warum laufen dann nicht längst alle Menschen mit diesen minimalistischen Latschen durch die Gegend?
Im Regal sehe ich Schlappen in allen Formen und Farben – von Zehenschuhen aus Gummi über Büro- und Straßenschuhe mit boxigem Zehenkasten aus Hanffasern oder Leder bis hin zu Trekkingsandalen mit Zehensteg oder Riemchen aus Kautschuk. Eines haben sie alle gemeinsam: Ihre Sohlen sind 1,5–4 Millimeter dünn; bei herkömmlichen Schuhen sind es üblicherweise 10–20 Millimeter.
Um herauszufinden, ob die »Wunderschuhe« ihrem hohen Anspruch gerecht werden können, spreche ich mit Stefan Heidl. Der Orthopäde und Unfallchirurg ist begeisterter und trägt seit nunmehr 8 Jahren fast ausschließlich Barfußschuhe und Barfußsandalen – im Alltag und auf seinen langen Läufen.
Am Telefon erklärt er mir, dass unsere Füße viel mehr Beachtung verdienen. Denn sie tragen uns im Laufe eines Lebens durchschnittlich 3–4-mal um die Erde und ein Fuß allein besteht aus 26 Knochen, 114 Bändern, 20 Muskeln und 33 Gelenken. Außerdem erklärt er, warum er das Geschäft mit gepolsterten Schuhen sowie Einlagen kritisch betrachtet.
Stefan Heidl:
Wenn man sie regelmäßig trägt, ja. Noch besser sind allerdings Barfußsandalen oder überhaupt öfters barfuß zu laufen. Dann hat der Fuß, der über den Tag hinweg anschwillt – was ganz normal ist –, mehr Platz. Die häufigsten Fehlstellungen wie oder entstehen neben genetischer Bedingung dadurch, dass Menschen von klein auf zu wenig barfuß laufen und die falschen Schuhe tragen – Die Muskulatur verfällt.
Also sind gepolsterte Schuhe mitverantwortlich für die Probleme?
Stefan Heidl:
Ja, und Einlagen auch. Der Großteil der Beschwerden entsteht durch eine Schwächung des Fußes. Denn nichts anderes macht man mit gepolsterten Schuhen und Einlagen. Sie unterstützen den Fuß und nehmen ihm dadurch die Arbeit ab. Dadurch wird er nicht gefordert, wie er eigentlich sollte, und schwächt ab.
Wenn Sie sich zum Beispiel einige Menschen aus Kenia anschauen, die laufen ganz anders. Sie federn mehr ab, laufen viel leichter und in kürzeren Schritten, doch vor allem: Sie landen auf dem Mittel- und Vorderfuß. Das kommt daher, dass ihre Schuhe viel leichter als unsere sind und keine dicken Sohlen haben. Außerdem gehen sie viel barfuß.
Und wir dagegen?
Stefan Heidl:
Wir stecken unsere Füße in gepolsterte Taschen, also Schuhe, und schirmen sie so von der Umwelt ab. Alle neumodischen Schuhe sind gedämpft. Das ist nicht optimal. Unsere Füße nehmen keine Informationen ihrer Umgebung mehr auf, wie warm, kalt, steinig, sandig oder eben. Durch diese Reize bekommen wir unser Fuß muss arbeiten und jeden Schritt ausbalancieren. Der Fuß braucht in den seltensten Fällen eine Einlage und auch keine gedämpften Schuhe. Die Dämpfung übernimmt der Körper von selbst über die Sprung-, Knie- und Hüftgelenke, das Becken und die Wirbelsäule, wenn der Fuß ebenerdig ist.
Werden Einlagen heutzutage zu schnell verschrieben?
Stefan Heidl:
Leider ja. Es wird oft zur Einlage gegriffen, anstatt die Ursache des Problems zu behandeln – vor allem bei Kindern, die tippeln oder einen fleischigen Fuß Ich würde mir von meinen Kolleginnen und Kollegen in der Orthopädie und allen anderen, die mit Einlagen zu tun haben, wünschen, sich mehr dem Fuß zu widmen, weil er eine zentrale Rolle in unserem Leben spielt.
Also brauchen die meisten Menschen Ihrer Meinung nach keine Einlagen?
Stefan Heidl:
Einlagen haben ihre Berechtigung – aber nur ein Stück weit. In den meisten Fällen ist es tatsächlich hilfreicher, mehr barfuß zu laufen: zu Hause, aber auch gerne im Sommer draußen. Durch die unterschiedlichen Reize wird die Fußmuskulatur gestärkt und man gewöhnt sich wieder ein anderes Gangbild an, was die Haltung verbessert und wodurch Rückenschmerzen weniger werden. Es gibt auch welche die Reflexpunkte unter den Füßen stimulieren, auch diese können bei der Muskelkräftigung helfen. Vor allem Kinder sollten keine Schuhe tragen, denn die Reize aus der Umgebung und wie unsere Füße darauf reagieren, formen unsere Haltung.
Barfußsandalen für den Sommer und Barfußschuhe für den Winter können ihren Beitrag leisten, denn wer tatsächlich ohne Schuhe durch die Stadt oder in Geschäfte läuft, wird oft mitleidig angeschaut. Es ist in unserer Gesellschaft einfach nicht anerkannt.
Bei welchen Problemstellungen der Füße kann Barfußlaufen – mit speziellem Schuh oder ganz ohne – besonders helfen?
Stefan Heidl:
Bei Auch für Leute, die oft umknicken, sind sie gut. Je höher ich stehe, desto größer ist nämlich auch der Winkel zum Umknicken. Bei Kniegelenkfehlstellungen oder Arthrose höheren Grades hingegen muss man noch einmal genauer Nur wenn die Fußmuskulatur gänzlich schlapp macht, bleiben einem nicht mehr viele andere Optionen als Einlagen oder Fußchirurgie. Soweit sollte man es aber nicht
Hausärzte, Orthopäden, Physiotherapeuten und Sportwissenschaftler können bestimmt bei der Frage helfen, ob Barfußschuhe für einen geeignet sind. Doch letzten Endes ist die erste Anlaufadresse immer man selbst. Man sollte sich fragen: Wann tritt der Schmerz auf? Und wie befreiend ist es, wenn man abendlich etwa die dicken Arbeitssicherheitsschuhe auszieht?
Auf was genau muss ich bei Barfußschuhen achten?
Stefan Heidl:
Der Fuß ist morgens immer schmäler als abends. Kaufe ich Schuhe, die morgens also passen, muss das abends nicht mehr der Fall sein. Darum sollten sie eine breite Zehenbox haben. Leder gibt auch ein Stück weit nach, Textilschuhe jedoch nicht. Am besten finde ich jedoch Barfußsandalen, darin haben die Füße am meisten Freiraum. Ich persönlich benutze sie seit 8 Jahren und bin damit auch schon Marathons, und Triathlons
Gibt es da auch eine Umgewöhnungszeit?
Stefan Heidl:
Ja, man braucht Zeit und Durchhaltevermögen, um sich an die flachen Schuhe und die neuen Bewegungsabläufe zu gewöhnen. Diese Erfahrung habe ich jedenfalls gemacht. Bei mir dauerte es zwar nur 3 Monate, bis ich meinen ersten Marathon in Barfußsandalen gelaufen bin, doch ich habe schon vorher unbewusst breite Schuhe ohne viel Dämpfung getragen. Man kann sie nicht sofort als Alltagsschuhe tragen, da man anfangs Wadenkrämpfe bekommen kann. Die Muskulatur ist die neue Belastung nicht gewohnt. Daher würde ich empfehlen, die Umstellung langsam angehen zu lassen und nichts übers Knie zu brechen. Man sollte auf seinen Körper hören und es nicht übertreiben, wenn es weh tut. Am besten ist es, Barfußschuhe nach und nach in den Alltag zu integrieren, bis sie zu Alltagsschuhen werden, und ab und an auch im Gras barfuß spazieren zu gehen.
Der Klimawandel hat bereits viele Kipppunkte erreicht. Die gute und die schlechte Nachricht zugleich: Er ist menschengemacht. Wir können also etwas dagegen tun. Als Umweltjournalistin geht Désiree folgenden Fragen nach: Wie können wir unseren Konsum nachhaltiger gestalten? Was müssen Firmen tun? Und wo muss sich das System ändern? Denn jeder Mensch und jedes Unternehmen kann Teil des Problems sein – oder der Lösung.