Diese Chips sollen in deinen Kopf
Der zweitreichste Mann der Welt pflanzt jetzt Elektronik in menschliche Gehirne. Nach diesem Text verstehst du, warum er das tut und wie dadurch neue Chancen und Risiken entstehen.
Es ist ein regnerischer Tag, als eine junge Frau an der Praxis ihres Vertrauens klingelt. Sie hat Störungen im Sichtfeld, sieht Schatten, wo keine sein sollten. Der Arzt deutet auf den Behandlungsstuhl, fährt den Computer hoch. »Das haben wir gleich, sicher ein einfacher Wahrnehmungsfehler.« Er schließt ein Kabel an die hinter dem Ohr versteckte Buchse an. Im Sichtfeld der Frau blinkt das Wort »Wartungsmodus«. Dann tippt er auf ein paar Tasten und liest die Daten aus. »Nichts Wildes. Kleinen Virus eingefangen. Ich lade die Software noch mal hoch und starte das Implantat neu. Dann müsste alles wieder passen.« In wenigen Sekunden ist der Fehler verschwunden.
Das ist natürlich Science-Fiction, genauer gesagt eine Szene aus dem beliebten digitalen Spiel Cyberpunk 2077. Doch die spannende Fiktion ist näher an der Wirklichkeit, als wir vielleicht meinen. Denn heute schon gibt es Kopf-Implantate. Der Mensch beginnt damit, sein Fleisch, das nicht mehr funktioniert, gegen Metall und Chips auszutauschen und so der Biologie auf die Sprünge zu helfen.
Der zweitreichste Mann der Welt, Elon Musk, hat auf diesem Feld erst vor 2 Wochen einen Durchbruch verkündet. Sein Unternehmen Neuralink will den ersten »Gehirnchip« der Welt eingepflanzt haben. Neuralinks selbsterklärtes Ziel ist es, eine Schnittstelle zwischen dem menschlichen Gehirn und Computern zu schaffen: ein sogenanntes generelles Brain-Computer-Interface (BCI). Angeblich soll dies vor allem Menschen mit Behinderungen helfen und uns unsere Smartphones per Gedanken steuern lassen. Funktioniert das BCI, wäre das der revolutionäre Grundstein für viel mehr Technik in unseren Körpern.
Was kommt da auf uns zu? Und wo liegen die Risiken?
Dieses Implantat tragen schon heute 30.000 Deutsche im Kopf
Fakt ist: Der menschliche Körper funktioniert oft nicht so, wie er sollte. Ein verbreitetes Beispiel dafür ist Schwerhörigkeit und Gehörverlust.
Doch wenn Hörgeräte nicht mehr reichen und eine Innenohrschädigung vorliegt, gibt es seit 1978 eine Alternative, das sogenannte Cochlea-Implantat, das auch heute noch wie Realität gewordene Science-Fiction wirkt. Entwickelt und patentiert wurde es unter anderem von NASA-Ingenieur Adam Kissiah. Um es zu verwenden, ist eine Operation nötig, mittlerweile ein risikoarmer Routine-Eingriff. Dabei wird ein 5–8 Zentimeter breiter Schnitt hinter dem Ohr bis auf den Schädelknochen gemacht.
Warum unterziehen sich Menschen dieser Operation, die gruselig klingt, aber mittlerweile eher harmlos ist? »Was es bedeutet, nicht zu hören, kann man erst nachvollziehen, wenn der Hörsinn plötzlich nicht mehr richtig funktioniert. Nicht hören zu können, bedeutet nicht selten Kontaktlosigkeit«, erklärt die Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft e. V., die Menschen über diese Technik informiert und Ängste nehmen will.
30.000 Deutsche haben sich dafür entschieden. Du erkennst Menschen mit Cochlea-Implantat an einem runden Gerät am hinteren Schädel (dem Ausgang des Implantats, bestehend aus Mikrofon, Sprachprozessor, Batterie oder Akku und Spule), verbunden mit einem Hörgerät. Diese könnte man schon als Cyborgs bezeichnen – ein Begriff aus der Science-Fiction, der biologische Wesen beschreibt, die ihre Körper dauerhaft mit technischen Bauteilen erweitern und technisch modifizieren. Der Begriff ist aber oft mit negativen Assoziationen verbunden, einem Verlust von Menschlichkeit, und deshalb stark umstritten. Das Einzige, was Menschen mit Cochlea-Implantat von anderen Menschen unterscheidet, ist, dass sie einmal im Jahr zur Wartung des Geräts müssen – die allerdings ohne weiteren Eingriff auskommt.
Horst Hessel, langjähriger Forschungsleiter bei Cochlear Deutschland, ist von der Technik überzeugt: »Patienten haben die Möglichkeit, an neuesten technologischen Entwicklungen zu partizipieren. Der extern getragene Soundprozessor kann meist durch einen neuen, leistungsfähigeren SP ausgetauscht werden,
Doch diese Entwicklung bereitet
Es dürfte nicht die letzte Klage wegen »Implantatsverweigerung« gewesen sein. Denn leicht lässt sich argumentieren, dass, wenn wir unsere Körper »aufrüsten« können, das auch unsere Pflicht ist – wenn es denn hilft.
Und noch etwas anderes wird durch Implantate relevant: Technologie muss hergestellt und upgedated werden. Damit treten Unternehmen auf den Plan, die für die Chips in den Körpern verantwortlich sind – und natürlich auch eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen. Je mehr Technik in unseren Körpern steckt, desto mehr sind Menschen diesen Unternehmen ausgeliefert. Denn anders als Smartphones oder externe Hörgeräte können Implantate nicht einfach so auf den Elektromüll geworfen werden.
Diese Technik ist dann ein Teil von uns.
Und Cochlea-Implantate sind nur die Spitze des Eisbergs.
Biohacking: Diese Technik von morgen verändert den Menschen
Bereits heute arbeiten Forschungsteams rund um die Welt fieberhaft an neuen technischen Lösungen und Chips für den Körper. »Biohacking« nennt sich diese neue, boomende Branche.
- Funktionschips: Es gibt bereits Chips zur sogenannten »Nahfeldkommunikation« (NFC), also der Übertragung von Informationen auf nahe
- Überwachungschips: In Baden-Württemberg arbeitet die Hahn-Schickard-Gesellschaft etwa an Chips, die man sich unter die Haut pflanzen lässt und die die Körperfunktionen bei Risiko-Patient:innen
- Neuroprothesen: Herzschrittmacher sind nicht die einzigen Geräte, die Körperfunktionen aufrechterhalten. Das Lausanner Universitätskrankenhaus verpflanzte einen experimentellen Hirnschrittmacher (Neuroprothese), der das Rückenmark eines Parkinson-Patienten stimulierte. Das Ergebnis der vorläufigen begleitenden Studie:
- Bionische Prothesen: Seltene Fehlbildungen oder Unfälle können Menschen Gliedmaßen kosten. Heute können diese fehlenden Arme oder Beine durch Technik mit Chips, Motoren und Sensoren ersetzt werden. Die niedersächsische Firma Ottobock etwa stellt Prothesen her, die nicht durch Muskeldruck, sondern durch Nervenenden-Impulse gesteuert
Der Markt für Biohacking-Produkte wächst derzeit
Wohin das führen könnte, wurde längst in der Science-Fiction vorausgedacht. Seit mehr als 30 Jahren malt dieses Genre Welten aus, in denen sich Biohacking durchgesetzt hat – vom Computerspiel Cyberpunk 2077 bis zur William Gibsons Neuromancer-Romanreihe. Diese Kunstformen nähern sich moralischen Fragen an, die wir uns als Gesellschaft gerade erst zu stellen beginnen: Was wäre etwa, wenn wir durch Implantate drogenabhängige Menschen von ihrer Sucht heilen könnten, indem die schädlichen Stoffe einfach wirkungslos herausgefiltert werden? Wäre dies human und nützlich oder übergriffig und grausam?
In einem sind sich fast alle Science-Fiction-Szenarien einig: Biohacking-Konzerne gewinnen durch ihre Produkte extremen Reichtum und Einfluss. Denn sie übernehmen die »Erweiterung des Menschen«.
Genau hier kommt Elon Musk mit seiner Gehirnchip-Sensationsmeldung ins Spiel.
Elon Musk will mit Gehirnchips die Welt retten – er könnte einen Punkt haben
Oberflächlich betrachtet ist die Nachricht um Neuralink kaum mehr als eine Fortsetzung der Liste von Biohacking-Entwicklungen: Das 2016 gegründete Unternehmen aus San Francisco entwickelt einen Gehirnchip, um nach eigenen Angaben neurologische Erkrankungen wie Alzheimer, Demenz und Rückenmarksverletzungen zu bekämpfen. Nach Tierversuchen seit 2021 erlaubte die verantwortliche U.S. Food and Drug Administration dem Unternehmen im Mai 2023 Tests an Menschen. Nach Angaben von Neuralink meldeten sich Tausende Freiwillige dafür. Nun verkündete Elon Musk per Twitter/X,
Dafür musste ein Teil der Schädeldecke aufgebohrt und entfernt werden, um den etwa münzgroßen Chip mit 1.024 Elektroden und einer kabellos aufladbaren Lithiumbatterie einzusetzen. Der soll laut Neuralink Gehirnaktivität registrieren und per Bluetooth an einen Empfänger-Computer senden. Man kann sich das vereinfacht so vorstellen, dass ein Mensch an etwas Bestimmtes denkt, etwa »links«, »klicken« oder »scrollen«, das Implantat dies in Daten umwandelt und der Computer diese Eingabebefehle dann interpretiert – und je nach Anwendung nach links wischt, klickt oder scrollt.
Ein vom Unternehmen 2021 veröffentlichtes Video zeigte einen Affen mit BCI, der auf einem Bildschirm ein simples digitales Spiel (Pong) nur mit seinen Gedanken spielte. Das Implantat interpretierte die gedachten Befehle »hoch« und »runter«.
Es stelle keine völlig unerwartete Revolution dar, erklärte etwa der Neuroinformatiker Moritz Grosse-Wentrup von der Universität Wien, der bis zur Marktreife eines BCI beim Menschen aber noch viele Hürden sieht. Frühestens in 10 Jahren sei es so weit,
Neuralink will nach eigenen Angaben 2024 insgesamt 11 Operationen durchführen. 2030 will das Unternehmen bereits mehr als 20.000 Chips in menschliche Gehirne implantieren.
Dies könnte im besten Fall der Anfang einer Art universellen Anlaufstelle für Biohacking-Technik sein. Damit unterscheidet sich Neuralink
Mit einem funktionierenden BCI müssten Armprothesen etwa nicht mehr über Restnerven gesteuert werden, die nicht mehr bei allen Amputierten funktionieren. Ein Mensch müsste dann nur mit der BCI trainieren. Damit könnte Elon Musk quasi ein Stück zentraler Technik geschaffen haben, das die Biohacking-Industrie dankbar aufnehmen dürfte. Falls die BCI sicher und risikofrei ist, könnte sie auch als Eingabegerät für Smartphones dienen – also Surfen und Nachrichten-Tippen nur mit Gedanken.
Eine begleitende Studie zur Wirksamkeit und Nebenwirkungen der BCI steht noch aus. Neuralink ist mit Informationen bisher sehr sparsam.
Eigentlich könnte der Artikel an dieser Stelle enden, doch um Elon Musks Neuralink-Projekt wirklich zu verstehen, seine Risiken und sein Potenzial, müssen wir über Ängste reden.
Was die Computer-Gehirn-Schnittstelle mit Science-Fiction zu tun hat – und für die Zukunft der Menschheit leisten könnte
Elon Musk hat Angst vor künstlicher Intelligenz.
Das sagt er zumindest und meint nicht Chatbots wie ChatGPT, schließlich lässt Musk selbst in diesem Bereich über seine Firma xAI forschen. Der zweitreichste Mensch
Darum geht es wirklich, wenn Elon Musk fieberhaft Neuralink vorantreibt: Wenn die rasante technische Entwicklung in einer KI mündet, die klüger ist als der Mensch, muss sich der Mensch selbst mit Technik »verbessern«.
Ganz von der Hand zu weisen ist diese Idee nicht – ist sie doch auch in der Science-Fiction eine der wenigen Antworten darauf, wie der Mensch im Zeitalter denkender Maschinen konkurrenzfähig bleiben kann. An dieser Stelle hat Elon Musk – wenn man die Prämisse akzeptiert – einen Punkt.
Doch die Lösung kommt mit einem Paket von Risiken daher, sowohl für den Menschen als auch für die Gesellschaft, die die Science-Fiction längst benennen kann:
- Wettrüsten über Leichen: Weder Ängste vor einer KI-Apokalypse, Technik-Enthusiasmus noch Musk-Fankult sollten über berechtigte Kritik hinwegtäuschen. Neuralinks Tierexperimente waren mit starkem Druck von Musk durchgeführt worden. Nach Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters erhöhte dies die Zahl der dabei gestorbenen Tiere unnötig. Das US-Landwirtschaftsministerium begann 2022 Ermittlungen
- Gesellschaftliche Spaltung: Wenn Menschen durch Technik nicht nur gleich effektiv wie andere Menschen, sondern effektiver werden, kann eine neue 2-Klassen-Gesellschaft entstehen. Denkbar sind Einstellungsbedingungen für Berufe nur mit bestimmten Implantaten – eine neue Form der Diskriminierung. Und da Technik Geld kostet, verschärft sich dadurch der Druck auf ärmere Menschen, die sich Technik unter der Haut nicht leisten können. Wohin das im Extremfall führt, skizziert Cyberpunk 2077. Denn der Arzt in der Eingangserzählung war keineswegs in einer Praxis, sondern betrieb in der fiktiven Welt ein illegales Schwarzmarkt-Geschäft. Teure Technik in menschlichen Körpern führt logischerweise zu neuen Formen organisierter Kriminalität.
- Machtkonzentration: Viele Science-Fiction-Geschichten drehen sich um die Frage, was passiert, wenn die Chips in unseren Körpern Fehler haben – oder welche Macht Konzerne durch sie gewinnen. Wenn Internet und Smartphones uns eines gezeigt haben, dann, dass transformative Technologie das Potenzial hat, die Gesellschaft schneller zu verändern, als die Demokratie mit Regeln und Rahmenbedingungen gegensteuern kann. Die Gewinner:innen sind meist die Privatkonzerne.
Wenn uns die Nachricht um Neuralink eines beibringen kann, dann vor allem, dass wir gerade jetzt anfangen sollten, die Szenarien und Fragen der Science-Fiction ernster zu
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