Ernsthaft, schon wieder Trump?!
Nach diesem Text weißt du, was die US-Republikaner geritten hat, warum das Land so gespalten ist und wie der erbitterte Kulturkampf nach Europa schwappt.
Achtung, Gute-Laune-Killer:
Der nächste Präsident der USA könnte wieder Donald Trump sein. Die republikanischen Vorwahlen sind eindeutig – Trumps größter Konkurrent, Ron DeSantis, hat das Handtuch geworfen und unterstützt nun den Ex-Präsidenten. Die letzte Gegnerin aus den Reihen der Republikaner, Nikki Haley, kämpft weiter, doch ihre Chancen stehen laut Politolog:innen nicht gut. Aus deutscher Perspektive ist es leicht, an dieser Stelle fassungslos mit dem Kopf zu schütteln: Ausgerechnet Donald Trump?! Der Mann also, …
- … der den Begriff »alternative Fakten« prägte und in seiner Amtszeit 30.573-mal log oder die Wahrheit verschleierte.
- … unter dessen Null-Toleranz-Einwanderungspolitik Kinder zum Entsetzen von Menschenrechtsorganisationen wie
- … dessen Verhalten gegenüber Vladimir Putin so freundschaftlich ist, dass er Kritik meidet, etwa Cyberattacken und
- … der nach der verlorenen Wahl seine Niederlage bis heute nicht eingestanden hat. Stattdessen stachelte er seine Anhänger:innen zum Sturm aufs Kapitol an, was vom FBI als
- … der kürzlich in einem
So jemanden wollen die US-Republikaner wieder aufstellen? Jepp!
Warum das alles kein Problem mehr für einen Großteil der US-Republikaner:innen und ihre Wähler:innen ist, erklärt ein neues Buch der Journalistin und USA-Beobachterin Annika Brockschmidt. Es ist ein Lehrstück über politische Radikalisierung, Umdeutung von Wörtern, Medienkrisen und den verantwortungslosen, unbedingten Willen zur Macht.
Es heißt »Die Brandstifter«, und der Name ist Programm. Wer es liest, entdeckt eine Reihe von Zutaten für das Programm der radikalen Rechten, nicht nur in den USA.
Brockschmidt: So was kommt von so was
Annika Brockschmidt analysiert seit Jahren die radikalen Kräfte in den USA, die mit Trump erstmals ungehemmt an die Macht kamen und nun wieder kommen könnten – mit direkten Auswirkungen für Europa. Nur beginnt ihr Buch nicht mit der Ära Trump – sondern im Jahr 1900.
Damals steckte die Partei in einer enormen politischen Krise. Die Industrialisierung hatte einen Großteil der Arbeiterschaft in »wirtschaftliche und soziale Probleme« gebracht, die wenig, so Brockschmidt, mit dem amerikanischen Traum gemein hatten. Die Republikaner erreichten die wirtschaftlich und politisch enttäuschten Menschen nicht mehr. Ihre damalige Politik – gegen Arbeiterschutz und für die Interessen von reichen Großindustriellen – drohte, keine politischen Mehrheiten mehr zu finden.
An dieser Stelle vollzog sich ein Wechsel in der Republikanischen Partei. Eine Gruppe junger, neuer Politiker trat gegen die »alte Garde« und für neue Politik ein – aber vor allem für einen neuen Politikstil und politische Kommunikation. Angeführt von Theodore Roosevelt, einem charismatischen und begabten Rhetoriker, der zunächst eine eigene
Kommt das bekannt vor?
Zeitsprung ins Jahr 2012. Die Republikaner hatten dasselbe Problem wie damals: Ihre Botschaft dockte nicht mehr bei der Breite der Wähler:innen an – während Barack Obama gerade den Minderheiten und Abgehängten Hoffnung machte. Das Entsetzen der Partei über den eigenen Bedeutungsverlust gegenüber Obama war groß. Seine Wiederwahl gegen den aus der alten Parteigarde stammenden Mitt Romney war der letzte Weckruf aus Sicht der Republikaner. Er war so siegessicher in seiner Überzeugung, die Mehrheit der USA sei konservativ und wähle damit republikanisch, dass er nicht einmal eine Rede für seine Niederlage vorbereitet hatte. Er verlor dennoch. Ein Kurswechsel musste her, die Partei stand am politischen Scheideweg.
An dieser Stelle analysiert Brockschmidt in ihrem Buch, wie damals 2 sich widersprechende Analysen den Weg der Partei in die Zukunft zeichneten:
- Die gemäßigteren Republikaner: Das »Republican National Committee«, das traditionelle Organisationsgremium der Partei, ließ das »Growth and Opportunity Project« die Situation analysieren. Dieses bestätigte die politische Krise der Partei: Die Republikaner wurden als Partei »wirtschaftlicher Elite« und »spießiger weißer Männer« wahrgenommen und verlor gerade bei Minderheiten und Frauen den Anschluss. Die überraschende Lösung: Gemäßigtere Töne bei Themen wie Abtreibung und Homosexualität, weg von radikal-rechten Positionen und hin zu einer gemäßigten, inklusiveren Politik.
- Die radikalen Republikaner: Dem Bericht und dessen Empfehlungen widersprach ein Gegenbericht von Rechts-außen-Stimmen um die radikale »Tea Party« – darunter etwa Kellyanne Conway. Sie stimmten der Problemanalyse zu, zogen aber ganz andere Konsequenzen: Nicht Mäßigung, sondern Radikalisierung sei die Lösung. Es gehe darum, die eigene politische Basis mit allen Mitteln zu mobilisieren. Dazu gehörten auch Populismus, provokante Positionen und Kulturkämpfe.
Zutat: Mit Radikalität gegen das »Establishment«
Obama selbst hatte noch darauf gehofft, dass nach der Wahlniederlage Vernunft und Mäßigung bei den Republikanern einkehren würde. Doch welche Seite sich durchgesetzt hat, wissen wir heute: Conway wurde Trumps erfolgreiche Wahlkampfstrategin. Trump nutzte den Moment der Identitätskrise der Partei und den vorgezeichneten Weg einer Reformbewegung, der »Tea Party«, um groß und einflussreich zu werden. Der medienerfahrene Charismatiker konnte sich so als radikaler Erneuerer präsentieren, der »in der Politik aufräumt« und den Sumpf des »Establishments« trockenlegt. Das erklärt, warum Trumps politische Affronts ihm nicht schaden – warum er ungeniert lügen und demokratische Gepflogenheiten ignorieren kann (etwa eine Wahlniederlage einzugestehen). Seine Selbstinszenierung ist eine radikale Absage an das Bisherige, und wer ihn ermahnt oder ihm widerspricht, gehört nur selbst zum »Establishment«. Genau damit fängt er die politische und soziale Frustration der Menschen auf und lenkt sie gegen seine politischen Gegner:innen. Dass Trump selbst zu den Superreichen gehört und an der Macht das Establishment bildet, bleibt dabei nebensächlich.
Im amerikanischen Westen nichts Neues
Annika Brockschmidt erzählt diesen Umbruch der Republikanischen Partei sachlich und mit vielen Belegen nach. Doch sie stellt nicht nur 1900 und 2024 gegenüber, sondern skizziert viele Entwicklungsschritte der Partei dazwischen, die man als Fragmente radikaler rechter Politik beschreiben muss, und deren Versatzstücke sich heute als Zutaten wieder in Trumps Reden finden:
- Paranoia und Verschwörungsmythen: Die antikommunistische Paranoia der USA der Nachkriegsjahre mündeten 1960 in der Gründung der »John Birch Society«, eines extrem rechten Vereins, dessen Anhänger:innen überzeugt waren, die USA vor den Kommunist:innen retten zu müssen – notfalls über Einschüchterungen und politische Sabotage gemäßigter Kräfte. Verschwörungserzähler wie Trump-Unterstützer Tucker Carlson oder Alex Jones schlagen genau in diese Kerbe. Bei Trump finden wir diese Verschwörungsmythen im Kern seiner Politik, etwa der Behauptung, die Wahl gegen Biden nie verloren zu haben. Viele Anhänger:innen glauben ihm und wähnen sich in einem von imaginierten Feinden unterwanderten Amerika im Widerstand.
- Sehnsucht nach Größe: »Make America Great Again« war Trumps Wahlslogan, doch eigentlich stammte die Idee von Ronald Reagan. Beeinflusst von der »John Birch Society« skizzierte er eine Zukunft voller Wohlstand in einem »großartigen Amerika«. Dafür müsse man nur jene Kräfte zähmen, so Reagan, die dieser Zukunft im Weg stünden: radikale Linke, radikale Studierende, Minderheiten mit Ansprüchen. Die Sehnsucht nach dieser Zukunft bleibt vage, dockt aber an nationalistisches Denken und bigotte Ressentiments der weißen Unter- und Mittelschicht an.
- Kulturkrieg um Identität: Nach dem Ende des Kalten Krieges, zu Beginn der 90er-Jahre, drehten sich die Gedanken vieler US-Amerikaner:innen um soziale Fragen. Innenpolitische Umbrüche, etwa der erstarkende Feminismus und die LGBTQI-Bewegungen, verunsicherten vor allem weiße Männer. Einer davon war Pat Buchanan, der »den vergessenen Amerikanern« eine Stimme geben wollte – gemeint waren traditionelle Wertegemeinschaften. Religiosität vermischte sich hier mit Nationalismus und Ressentiments zu einem neuen Identitätsversprechen. Auch die Opferrolle beherrschte Buchanan meisterlich: »Wenn sie der Meinung sind, dass Amerika ein gutes Land ist […], denken viele Leute, dass sie rassistisch, homophob und bigott sind.« Viele seiner Versatzstücke finden sich heute bei Trump. So wollte Buchanan bereits eine Mauer zu Mexiko bauen – denn simple Identität braucht auch ein Gegenüber der »anderen«, von dem man sich abgrenzt.
Annika Brockschmidts »Die Brandstifter« geht noch viel weiter und sei an dieser Stelle als Lektüre für ein vollständiges Bild wärmstens empfohlen – etwa um zu verstehen, dass Trumps radikalste Positionen auch von radikalen Journalist:innen bei »Fox News« geformt wurden. Auch das ist nicht neu, aber wichtig, um es sich in Erinnerung zu rufen. Immer wieder skizziert Brockschmidt, wie die US-Republikaner von 1960 bis heute mit rechtsextremen Kräften und radikalen Nationalist:innen liebäugelten. Die Mauer zu Mexiko, Verschwörungserzählungen, Heilsbotschaften, Politik gegen Minderheiten und für weiße Identitäten – wer »Die Brandstifter« gelesen hat, muss einsehen, dass dies alles bei Weitem nicht neu ist.
Die USA sind nicht plötzlich »verrückt« geworden.
Donald Trump hat die Republikanische Partei nicht aus dem Nichts »gekapert«.
Er ist nur die neueste politische Galionsfigur und logische Konsequenz von etwas, was schon über 100 Jahre in Teilen der USA schwelt und immer wieder an die politische Oberfläche tritt. Der gewalttätige Sturm auf das Kapitol ist keine spontane Verachtung der Demokratie nach 4 Jahren eines lügenden Präsidenten, sondern der vorläufige Höhepunkt einer sehr langen Radikalisierung einer Partei – und weiten Teilen eines Landes.
Genau deshalb lassen ihn viele Republikaner gerade jetzt nicht fallen und schrecken weder vor Putinfreundlichkeit noch vor den Gerichtsurteilen zurück. Sie sehen die direkte Chance, das Land noch einmal mit radikaler Politik zu prägen. Kurz: Es geht um Macht.
Das darf man gern auch schärfer angehen, als es Brockschmidt in ihrem eher deskriptiven Buch tut. Etwa wie der erfolgreiche US-Schriftsteller Paul Auster, der im Gespräch mit dem britischen »Guardian« aufgrund der eskalierenden Waffengewalt den USA jüngst einen neuen Namen verpasste: »Bloodbath Nation«.
Wir sind so selbstgefällig. Wir haben solche Überlegenheitsgefühle dem Rest der Welt gegenüber. Selbst die dümmsten Dinge, die wir machen, werden als gut angesehen, weil sie amerikanisch sind – 6 Mal unterstrichen.
Auster sieht in den USA ein Land, das für eine radikale Idee von Freiheit und ein Gefühl von Macht und Überlegenheit immer wieder Gewalt zulässt (bei Auster geht es konkret um Amokläufe), und nichts daraus lernt.
Achtung, Deutschland: Die Neue Rechte liest mit
Brockschmidts Buch ist als Mahnung gedacht. So formuliert sie es im letzten Satz:
[Der] heutige Zustand der Republikanischen Partei muss für europäische Konservative als mahnendes Beispiel dafür dienen, was passiert, wenn man sich mit Extremisten einlässt. Von nun an – es mag noch so pathetisch klingen – steht bei jeder der kommenden Wahlen in den USA nicht weniger als die amerikanische Demokratie auf dem Spiel.
Doch was Brockschmidt in ihrem Buch, das sich auf die USA konzentriert, nur am Rande streift: Die Radikalisierung der Konservativen in den USA wirkt längst auch auf Europa, auch auf Deutschland. Natürlich hat die Historikerin recht, wenn sie mahnt, plakative Vergleiche zwischen Deutschland und den USA, zwischen Republikanern und CDU zu meiden. »Dazu bestehen viel zu viele Unterschiede«, so Brockschmidt.
Dennoch wissen wir durch ausgiebige journalistische Recherchen längst, dass zentrale Gestalten der Trump-Präsidentschaft internationale Ambitionen hatten. Publizist Steve Bannon etwa, dem Gründer von Breitbart News, der als Trumps Chefstratege die Altright-Bewegung für ihn mobilisierte, ging es nie nur um die USA, sondern um einen internationalen Rechtsruck. Bannon wollte in den USA ein ideologisches Feuer entzünden, das sich dann wie ein Flächenbrand auf andere westliche Länder ausbreiten könnte. Trump war ihm dazu nur Vehikel und Mittel zum Zweck.
Fakt ist: Von den USA aus sind Dinge ins Rollen gekommen, die bis nach Deutschland wirken. 2 Beispiele:
- Identitäre Ideen: 2013 war der französische Autor Alain de Benoist zu Gast im Ronald Reagan Building in Washington, D.C. Also jenem Ort, wo der Rechtsextremist Richard Spencer nur 3 Jahre später seine »Heil Trump«-Rede hielt, die um die Welt ging. Benoists Ideen von Überfremdung und Identität sollten rechtsextreme Bewegungen in Europa prägen, etwa die 2012 gegründete Identitäre Bewegung. Es gehe um eine neue »rechte Identität« gegen »Multikulti« und »linke Weltbilder«. Eine Rückbesinnung auf Nationalität und Identität sei die Zukunft des Konservativen, so Benoist. Diese Ideen und Rhetorik finden sich auch bei der AfD wieder.
- Toxische Männlichkeit: Jack Donovan ist ein selbsternannter »Maskulinist«, der unter anderem das Buch »Der Weg der Männer« schrieb. Er war Mitglied in der Altright-Bewegung und ist Mitglied der »Wolves of Vinland« einer gewaltbereiten neuheidnischen Gruppe aus Virginia, die Ideen der Hypermaskulinität, die Unterdrückung von Frauen und männliche Überlegenheit verfolgt. Das klingt bizarr, ist aber nur der extreme Endpunkt der Gender-Genervtheit und antifeministischer Reflexe, die in rechten Kreisen längst zum guten Ton gehören. Nicht von ungefähr wurde Donovans Buch hierzulande 2016 vom
Diese beiden Beispiele sollen illustrieren, dass ein Ideenaustausch zwischen US-Republikanern und extremistischen Kräften hierzulande selbstverständlich längst stattfindet. Was daraus folgt, ist die zweite mahnende und konstruktive Message von Annika Brockschmidt: Wir haben es bei der Radikalisierung von rechts außen nicht mit einzelnen Akteuren zu tun, nicht nur mit Trumps und Höckes, sondern mit Ideen, Ressentiments und verzweigten Bewegungen, denen wir in der ganzen Breite begegnen müssen.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily