Wie Verbote deutsche Unternehmen erfinderisch machen
Junge Start-ups wollen von der Aufbruchsstimmung des europäischen Green Deal profitieren. Wie sie das machen und wie eine Initiative namens Circular Valley dabei helfen möchte.
Plötzlich funktioniert der Waschtrockner nicht mehr. Das Display zeigt blinkend an, dass irgendwo Wasser ausläuft und die Elektronik beschädigen könnte. Eine Mischung aus Enttäuschung, Wut und Hilflosigkeit setzt sich wie eine dicke Kröte in meinen Hals. Gerade mal gut 2 Jahre alt ist das für die Familie so wichtige Gerät, das bisher tadellos lief. Und nun?
Lösung 1: Reparieren lassen
Ich will die Maschine reparieren lassen, also muss ein Hausgerätetechniker her. Die Onlinesuche ergibt ein einziges brauchbares Ergebnis – für eine 350.000-Einwohner-Großstadt nicht gerade viel. Klar, die meisten verkaufen lieber Neugeräte. Die Anfahrt soll knapp 30 Euro kosten, danach Abrechnung im 5-Minuten-Takt. Das klingt fair, aber geht man davon aus, dass die Fehlersuche mindestens eine Stunde und dann der Ersatzteil-Einbau mit einer weiteren Anfahrt noch mal eine Stunde dauert, läppert sich das auf mindestens 200 Euro plus Ersatzteil – und das nur, falls das Problem leicht lösbar sein sollte. Das rechnet sich nicht, also umplanen.
Lösung 2: Ich wage die Reparatur selbst!
Heutzutage gibt es auf Youtube zahlreiche Anleitungsvideos. Also Waschtrockner aufschrauben und nachsehen. Ein Schlauch hat sich an einer Stelle durchgescheuert. Ein neuer kostet inklusive Versandkosten 10 Euro. Glück gehabt! Wenn ich daran denke, dass andere Menschen bei so einem kleinen Schaden die Maschine vielleicht verschrottet und neu gekauft hätten, wird mir schwindelig.
Um teure Reparaturen und unnötige Neukäufe zu verhindern, hat die EU ein neues Verbraucherrecht auf den Weg gebracht. Das »Recht auf Reparatur« sagt: Geht ein Gerät während der gesetzlichen Garantiezeit kaputt, verlängert sich die Garantie um 1 Jahr. Doch auch nach dieser Frist müssen Ersatzteile verfügbar und erschwinglich,
Der Green Deal in aller Kürze
Der Green Deal ist in erster Linie ein europaweites Regelwerk mit Geboten und Verboten. Es soll dabei helfen, die EU bis 2050 CO2-neutral zu machen, zerstörte Naturräume zu renaturieren oder die Wirtschaft kreislauffähig zu machen. Um vieles wird noch gekämpft, doch nach und nach kristallisieren sich im Bereich der Industrie und der Kreislaufwirtschaft Ergebnisse heraus, Verbote von Chemikalien oder Richtlinien für ökologischeres Produktdesign. Hier eine Auswahl:
- Das Recht auf Reparatur steht im Prinzip, muss nur noch
- Unternehmen müssen Verbraucher:innen künftig besser über Reparierbarkeit
- Ein Verbot von Produkten mit bewusst
Natürlich gibt es immer jene, die erst mal über neue Verbote und Gebote meckern. Zum Beispiel die Konservativen und ihre Abgeordneten im Europaparlament, die sich in der Rolle als Anwälte der Unternehmer und Landwirte alten Schlags gefallen. »Überregulierung« ist ein beliebtes Schlagwort –
Doch gerade bei jungen, kleineren Unternehmen macht sich eine ganz andere Perspektive auf den Green Deal bemerkbar – auch in Deutschland. Neue Start-ups gehen ins Rennen, die das Gebot-Verbot-Paket als Chance sehen. Sie haben das Ziel, kreislauffähige Chemikalien, Kunststoffe oder andere Produkte auf den Markt zu bringen, denn das verspricht künftig gute Geschäfte – und satte Förderungen.
Eines dieser Start-ups ist Bioweg,
Der Green Deal als Chance
Prateek Mahalwar ist CEO des Start-ups, das inzwischen nicht nur zahlreiche Preise eingeheimst hat,
Mahalwar hat seinen Doktortitel in Entwicklungsbiologie am Max-Planck-Institut Tübingen gemacht. Anschließend war er unter anderem Strategieberater bei EY (ehemals Ernst & Young) in Frankfurt. Damals lernt er seinen Bioweg-Mitgründer Srinivas Karuturi kennen. Die beiden möchten etwas Eigenes starten, suchen nach einer guten Geschäftsidee. Dabei stoßen sie auf das Problem Mikroplastik. »Wir waren schockiert, als wir erfahren haben, dass jeder Mensch pro Woche etwa 5 Gramm Mikroplastik zu sich nimmt und eigentlich noch niemand wirklich daran arbeitete, daran etwas zu ändern«, erklärt mir Prateek Mahalwar.
Die Pläne für die inzwischen beschlossene neue EU-Verordnung zum Mikroplastik kannten sie damals noch nicht – sie kam ihnen aber gerade recht. Mahalwar sieht sie als Beschleuniger für ihre Business-Idee, nicht als Gegner. So schafft die EU mit ihrem Verbot einen Rahmen, in dem neue Innovationen sicher entstehen können. Das erklärt, warum Mahalwar sein Start-up nicht etwa in einer internationalen Megametropole, sondern in Quakenbrück angesiedelt hat. Hier habe er die meisten Kontakte, die EU dürfte aber zunächst ein wichtiger Markt für Bioweg sein.
Ein Verfahren, das mehrere Probleme auf einmal lösen soll
Deren Regulierung macht Biowegs Lösung also auch lukrativ. Das Unternehmen bietet bisher 4 unterschiedliche Stoffe an, die Mikroplastik in der Kosmetik, in Saatgutummantelungen oder auch in der Medizintechnik überflüssig machen könnten. Ein Stoff für den Lebensmittelbereich soll umstrittene Zusätze wie Xanthan oder Carrageen in Nahrungsmitteln ersetzen. Hinter den 4 Produkten, die als Pulver oder Flüssigkeit verkauft werden, steht ein Verfahren, das per Fermentierung aus Pflanzenresten grüne Chemikalien herstellt. Derzeit nutzt Bioweg vor allem organische Abfälle aus der Zuckerproduktion. In der Natur bauten sich die Stoffe von Bioweg innerhalb von 60 Tagen ab,
Das klingt gut durchdacht, nach einer Idee mit Zukunftspotenzial. Trotzdem hätte es Bioweg nicht leicht, deutsche Fachkräfte davon zu überzeugen, in die Provinz zu kommen – auf das platte Land, irgendwo zwischen Osnabrück und Bremen. Ich bin verwundert und frage nach. Ist der Fachkräftemangel schuld?
Es seien die deutschen Fachkräfte, die sich zierten, aufs Land zu kommen, sagt Mahalwar. Deshalb wirbt das Start-up gezielt hochqualifizierte junge Menschen aus der ganzen Welt an und holt sie nach Quakenbrück – so lässt sich also der Fachkräftemangel beheben.
Dass das, was Bioweg herstellt, nicht nur den Regularien der EU dient, zeigt deren internationale Zusammenarbeit mit großen Unternehmen im Kosmetikbereich, Namen möchte Prateek Mahalwar nicht nennen.
Rund um den
Circular Valley aus Wuppertal hat nicht nur Bioweg auf seinem Weg unterstützt, sondern könnte eine wichtige Schnittstelle zur Umsetzung des Green Deal werden. Ich will mehr darüber wissen und da Wuppertal vor meiner Haustür liegt, bin ich während der Recherche zu diesem Artikel im November 2023 vorbeigefahren und habe mir das Circular Valley Forum angesehen.
Ein Silicon Valley für Kreislaufwirtschaft – in NRW?
»Die großen Unternehmen haben verstanden, dass es nur mit Kooperation weitergeht«, sagt Carsten Gerhardt von Circular Valley. Der Physiker und Unternehmensberater im Bereich Nachhaltigkeit ist der Ideengeber hinter dem Projekt. 2020 gegründet, platzt das Circular Valley Forum in der Historischen Stadthalle, dem wohl repräsentativsten Ort Wuppertals, vor wirtschaftlichen und politischen Schwergewichten schier aus allen Nähten. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ist da, Wirtschaftsministerin Mona Neubauer (Grüne) und Europaminister Nathanael Liminski (CDU) schauen ebenfalls vorbei. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) schickt immerhin eine mehrminütige Videogrußbotschaft.
Auf der Bühne diskutieren Vorstände unter anderem aus der Chemie- und Metallindustrie – darunter Vertreter von Unternehmen, die noch stark auf fossile Energie setzen, wie der Vorstandsvorsitzende von BP Europa, Patrick Wendeler. Er macht sinngemäß klar: BP investiere massiv in Erneuerbare, allerdings seien Gas und Öl nun mal das Hauptgeschäftsmodell. 2050 sollen rund 50% der Investitionen des Konzerns in Erneuerbare gehen. Bedeutet: die andere Hälfte geht dann offenbar immer noch in die Fossilen. Er ist jemand, den ich auf einer Veranstaltung für Kreislaufwirtschaft nicht erwartet hätte und so ein Statement auch nicht. Carsten Gerhardt wertet den Auftritt dennoch als positives Signal. »Ich rechne es ihm hoch an, dass er bereit war, zu kommen. Die Investitionen gehen in die richtige Richtung. Könnte es schneller gehen? Ja.«
Es wirkt ein bisschen so, als sollte den alten Konzernen durch das Zusammenkommen mit den Start-ups eine Art Frischzellenkur verpasst werden. Neugier sei bei den großen Unternehmen vorhanden, sagt Gerhardt, viele täten sich aber schwer damit, das Geschäft zu verändern, das sie über viele Jahre perfektioniert hätten. Doch dass sie das mit dem Green Deal und den Klimaherausforderungen bald müssen, scheint allen Anwesenden klar.
Was beim Forumstag deutlich wird, ist, dass es vor allem 2 Perspektiven gibt:
- Die etablierten Konzerne sehen Kreislaufwirtschaft eher als neues, zusätzliches Geschäftsfeld.
- Die jungen, aufstrebenden Start-ups wie Bioweg sehen Zirkularität als Basis ihres Unternehmens an und setzen voll auf Zukunft.
Dass das Circular Valley Forum in wenigen Jahren so gewachsen ist, zeigt aber vor allem: Wandel hängt in der Luft wie der Nebel über den Wäldern Wuppertals. Erstaunlich ist, woher die Initiative eigentlich kommt. Das Circular Valley ging aus dem Verein Wuppertalbewegung e. V. hervor. Dessen erstes Projekt? Der Umbau einer mehr als 20 Kilometer langen ausgemusterten Bahntrasse zu einem Rad- und Wanderweg. Ein Projekt, das vor ganz andere Herausforderungen stellte.
Carsten Gerhardt, der es mit aufgebaut hat, erzählt über seine Inspiration: »Ich habe mich gefragt, was wir in Deutschland haben könnten, das die Welt zu uns bringt.« Wie beim Radweg sei es letztlich darum gegangen, Menschen zusammenzubringen, um etwas anzupacken, von dem alle profitieren könnten. Eben auch die Start-ups.
Doch die Anwesenheit von BP, Evonik, Bayer und Co. macht etwas deutlich, was stillschweigend über dem ganzen Event schwebt: Auch hoffnungsvolle Start-ups sind nur kleine Fische in einem Markt von Multimilliarden-Euro-Konzernen. Wie können sie da bestehen und mit ihren Perspektiven etwas verändern?
Circular Valley hat darauf 2 Antworten gefunden.
Wie Kreislaufunternehmen bei den ganz Großen ankommen
Die Start-ups des Accelerator-Programms verbringen rund um das Forum, wo sie ihre Unternehmen beim Demo Day vorstellen, rund 3 Wochen miteinander; haben Workshops dazu, wie man Investoren findet und mit Kunden umgeht, sie lernen Patentrecht, treffen Vertreter:innen etablierter großer Firmen und tauschen sich viel untereinander aus. »In unserer Gruppe gab es Start-ups aus der ganzen Welt. Alle machen etwas Zirkuläres, aber kein Start-up war im selben Feld unterwegs. Wir haben viel diskutiert: Was sie tun und wie. Was ist der beste Weg? Wir haben also von den unterschiedlichen Erfahrungen gelernt«, sagt Prateek Mahalwar.
Tom Siekmann entwickelt mit Voodin Blades Technology Rotorblätter für Windkraftturbinen aus Holz. Er meint: »Es ist natürlich eine Plattform, um sich vorzustellen und zu vernetzen. Wir sind mit den anderen Start-ups verbunden und schicken uns gegenseitig Infos weiter. Und dann helfen dir solche Programme, bei den ganz Großen ernst genommen zu werden. Denn letztlich bist du ja ein Nobody.«
Es gehe darum, den Start-up-Macher:innen das nötige Rüstzeug als Unternehmende zu geben, sagt Carsten Gerhardt. Das ist die eine Antwort. Außerdem stellt das Programm Kontakte in die Industrie und zwischen den Start-ups her. Das ist Antwort 2. Es sei wichtig, physisch zusammenzukommen, »aus dem Zusammentreffen und dem Miteinandersprechen von Menschen entstehen in der Regel neue Gedanken, die über kurz oder lang Wirkung haben«, sagt Carsten Gerhardt.
Das ist notwendig, denn die Wirtschaft ist faktisch noch linear ausgerichtet, Input – Produkt – Müll. Manchmal Recycling. Die Stoffkreisläufe müssen geschlossen werden, wenn man es ernst meint mit Kreislauffähigkeit, also dass Produkte so designt werden, dass Recycling eine mindestens gleichwertige neue Verwertung garantiert. Die sogenannte Zirkularitätsrate (Circular Material Use Rate, CMU) liegt gerade einmal bei 11,5% im EU-Durchschnitt.
Prateek Mahalwar sagt, dass die Kreislaufwirtschaft eine Pull-Economy sei, gute Ideen wegen des Bedarfs also schnell groß werden könnten, weil sie schlicht gebraucht würden. Gleichzeitig seien viele Felder nahezu unbespielt, für Unternehmer:innen also ein ideales Pioniergebiet.
Viel Wind um Holz
Und das zeigt sich bei der Vielfalt der Start-ups beim Forum 2023: Ein Unternehmen aus Ecuador bietet eine Gesamtlösung für Elektroschrott an: Reparieren, vermieten, recyceln. Ein Unternehmen aus Warburg in NRW hat eine Fertigbauwand entwickelt, die in der Produktion weniger CO2 erzeugt und anders als klassischer Beton voll recycelbar ist. Und – schon kurz angesprochen – Voodin Blades entwickelt in Nordhessen kreislauffähige Rotorblätter für Windkraftturbinen.
Bisher sind klassische Rotorblätter eines der größten Probleme der Windenergie. Die bei Offshore-Anlagen bis zu rund 130 Meter langen Propeller bestehen aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) und sind am Ende ihres Lebens sperriger Sondermüll. Mancher hat vielleicht schon im Internet einzelne dieser gigantischen Blätter als Überdachungen für Fahrradparkplätze gesehen; das ist zwar clever, aber wie viele solcher Unterstände kann man realistischerweise nutzbringend aufstellen? Andere Verwertungsmöglichkeiten gibt es bei der Zementherstellung und bei Fußbodenbelägen, aber auch hier verschiebt sich letztlich das Problem der Entsorgung in die Zukunft.
Tom Siekmann hat mit seinem Unternehmen eine andere Lösung gefunden: Rotorblätter aus Holz. 2019 begann die Entwicklung mit ersten Ideen, Berechnungen und Probefräsungen, 2021 ging Voodin Blades ins Rennen. »Wir verwenden Furnierschichtholz (englisch: laminated veneer lumber) aus Finnland. Die Bäume werden dafür zu 3 Millimeter dicken Schichten abgeschält und miteinander verklebt.« Der erste reale Einsatz ist bald an einer älteren Turbine mit relativ kleinen Rotorblättern geplant, die 19,3 Meter lang sind.
Die Unternehmerfamilie Siekmann besitzt neben Voodin Blades mit Burg Lichtenfels Energie einen Windstromversorger, an dessen Turbinen die Tests laufen können. Betriebswirtschaftler Tom Siekmann gehört zur Nachfolgegeneration. Die Rotorblätter sollen langfristig aber an allen Turbinentypen zum Einsatz kommen, direkt als mögliche Option beim Anlagenkauf. Die Haltbarkeit sei vergleichbar, sagt Siekmann, dafür sorge ein Anstrich mit einem Stoff, der auf Rizinusöl basiert: »Das kann man auf Laborlevel in sogenannten Materialermüdungstests herausfinden. Unsere Ergebnisse waren, dass Holz langlebiger ist als das bisher verwendete Material. Wir rechnen damit, dass unsere Blätter mindestens 30 Jahre halten werden.« Um eine wirkliche Kreislauffähigkeit herzustellen, arbeitet Voodin Blades mit Holzherstellern und Abbruchfirmen zusammen. Am Ende soll aus den Propellern wieder ganz normales Bauholz werden.
»Zupackende Zuversicht«
Die Beispiele zeigen: Es tut sich unter der sichtbaren Oberfläche vieles, was hoffen lässt, was sich aber erst gegen Widerstände in der etablierten, mächtigen Wirtschaft durchsetzen muss. Carsten Gerhardt vom Circular Valley plädiert dafür, vor allem die Chancen zu sehen. »Wenn wir uns jetzt 3 Jahre hinsetzen und sagen, das ist aber alles schwierig in diesem Land, dann haben wir 3 Jahre Arbeitskraft verloren. Sie finden immer viele Leute, die sagen, warum das alles nicht geht.«
Gerhardt möchte es lieber so sehen wie Nathanael Liminski, der Leiter der Staatskanzlei in NRW und Europaminister, der die »zupackende Zuversicht« des Circular Valley gelobt habe. Die Frage sei, ob man es schaffe, Arbeit in das zu investieren, was jetzt wichtig sei, sagt Gerhardt. Die Rhein-Ruhr-Region mit all seiner Industrie und Wissenschaft zu einem Zentrum der Kreislaufwirtschaft zu machen, erscheint als logischer Schritt. Vielleicht kann sich dann auch ein BP-Konzern nicht mehr gegen den Sog des Fortschritts wehren – der eines Tages von lohnenden Geschäften im grünen Bereich ausgeht.
Titelbild: Unsplash / Bearbeitung Frauke Berger - copyright