Was wurde eigentlich aus dem Klimageld? Eine Spurensuche
Einst hatte die Koalition groß angekündigt, den Bürger:innen die Einnahmen aus der CO2-Steuer wieder zurückzuzahlen. Passiert das noch? Oder muss das Klimageld als verschollen gemeldet werden?
Nicht nur in US-amerikanischen Krimiserien oder bei Aktenzeichen XY gibt es »Cold Cases«. Ungelöste »Fälle« finden sich zuhauf auch in der Politik. Hier geht es zum Glück nicht um Mordfälle. Aber manchmal würde man sich doch wünschen, Vermisstenanzeigen für politische Versprechen aufgeben zu können. Eines der aktuelleren Beispiele: das Klimageld.
Nachdem es fast schon in Vergessenheit geraten ist, wurde dessen stark erkalteter Fall Anfang des Jahres neu aufgerollt. Das Problem: Bislang gibt es vom Klimageld bloß ein Phantombild in beklagenswerter Auflösung, auf dem Details schlecht zu erkennen sind. So interpretiert jede:r anders, wie das Klimageld in der Realität denn nun aussieht (oder angeblich aussehen soll).
Während Naturschutzorganisationen und Sozialverbände im Januar in einem
Um die Diskussion besser zu verstehen, analysiere ich in diesem Artikel den »Fall Klimageld«. Ich erkläre die Grundidee dahinter und welche unterschiedlichen Möglichkeiten zur Ausgestaltung es gibt, den aktuellen Stand bei dessen Umsetzung und welche Alternativen es gäbe.
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Das Opfer: Was verbirgt sich überhaupt hinter dem Konzept »Klimageld«?
Auch wenn er sich langfristig um ein Vielfaches auszahlt,
Emissionen werden gleichzeitig durch steigende CO2-Preise verteuert, um sie unattraktiver zu machen und zum Sparen anzuregen. Denn die steigenden Preise, die Unternehmen für CO2-Zertifikate bezahlen müssen, schlagen sich letztlich in höheren Kosten für Endverbraucher:innen nieder. Im Idealfall werden die Verbraucher:innen so motiviert, sparsam zu heizen oder weniger Auto zu fahren – oder ganz auf klimafreundlichere Heizungen und Fahrzeuge umzusteigen.
Das Problem: Wird an keinem anderen Parameter zusätzlich geschraubt, belastet der CO2-Preis Menschen mit geringerem Einkommen überproportional. Denn ärmere Menschen geben einen größeren Anteil ihres Gelds für Grundgüter wie Essen, Miete oder Mobilität aus – an diesen Ausgaben lässt sich nicht viel schrauben.
Diese finanzielle Belastung kann dazu führen, dass Menschen Klimaschutzmaßnahmen ablehnen.
Womit wir bei der Idee des Klimagelds angekommen sind: Es soll hier als Instrument dienen, das für faire Kompensation und mehr Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen sorgt. Nicht nur wir bei Perspective Daily haben das Klimageld immer wieder als mögliche Lösung für faire Klimapolitik in unseren Artikeln aufgegriffen. Auch die Ampelregierung hat es in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt:
Um einen künftigen Preisanstieg zu kompensieren und die Akzeptanz des Marktsystems zu gewährleisten, werden wir einen sozialen Kompensationsmechanismus über die Abschaffung der EEG-Umlage hinaus entwickeln (Klimageld).
Die Sache ist die: Wie genau das Klimageld gestaltet und ausgeschüttet werden soll, ist noch völlig offen.
In der einfachsten Variante gibt der Staat einmal pro Jahr das gesamte Geld an die Bürger:innen zurück, das er durch den CO2-Preis einnimmt. Jede Person erhält den gleichen Betrag. Wenn der CO2-Preis ansteigt, ist folglich auch die ausgezahlte Summe größer.
Inwiefern das eine faire Kompensation ist? Wer wenig CO2 ausstößt, erhält mehr, als er oder sie beim Tanken, im Supermarkt oder auf der Stromrechnung für den in den Benzin-, Lebensmittel- und Energiepreisen enthaltenen CO2-Preis gezahlt hat. Wer hingegen CO2-intensiv lebt oder konsumiert, zahlt insgesamt drauf.
Diese Pro-Kopf-Ausschüttung wäre – ist das System für die Auszahlung erst einmal eingeführt – leicht umzusetzen. Allerdings lautet auch eine Kritik, dass es nicht wirklich fair sei, wenn jede:r genau das gleiche bekomme. Andere Ansätze schlagen deshalb vor, das Klimageld beispielsweise analog zum Einkommen zu staffeln.
In Österreich, wo die Idee als sogenannter Klimabonus bereits umgesetzt ist, richtet sich die Höhe der Auszahlung nach einer anderen Variable: dem Hauptwohnsitz. Je nachdem wie gut die Infrastruktur und zum Beispiel der öffentliche Nahverkehr ausgebaut sind,
Die Kläger: Warum wird aktuell wieder über das Klimageld diskutiert?
Obwohl das Klimageld im Koalitionsvertrag versprochen wurde, ist es bislang nicht eingeführt worden. Zunächst lag es daran, dass es angeblich keine passende digitale Infrastruktur für die Auszahlung gäbe. Dem Staat habe schlicht ein Register mit den Kontonummern aller Bürger:innen gefehlt. Ab 2022 wurde deshalb die gesetzliche Grundlage geschaffen, um die Steuernummern mit der jeweiligen IBAN zu verknüpfen.
Doch damit hörten die technischen Probleme nicht auf: Laut Finanzminister Christian Lindner (FDP)
Was bei dieser Erklärung unter den Tisch fällt: Selbst wenn die technischen Voraussetzungen bereits erfüllt wären, hätte das bislang durch den CO2-Preis eingenommene Geld nicht an die Bürger:innen zurückgezahlt werden können. Denn die Milliarden waren längst anderweitig verplant; für den
Dass die Diskussion um das Klimageld seit Anfang des Jahres wieder an Fahrt aufnimmt, hängt unter anderem mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und den daraus resultierenden Kürzungen im Bundeshaushalt zusammen, und das gleich auf 2 Wegen: Zum einen, weil Lindner an der Schuldenbremse festhält und den Plänen für das Klimageld vorerst eine Absage erteilt hat.
Zum anderen, weil die Bundesregierung den CO2-Preis zum Anfang des Jahres von 30 auf 45 Euro pro Tonne CO2 angehoben hat, um die Einnahmen des Bundes
Menschen mit niedrigeren Einkommen werden durch den höheren CO2-Preis proportional stärker belastet als Menschen mit höheren Einkommen. Gleichzeitig haben sie weniger Möglichkeiten, die Kosten zu senken – also zum Beispiel in eine neue Heizung, in Solarzellen auf dem Dach oder die Dämmung ihrer Mietwohnung zu investieren. Bis 2030 könnte der Preis pro Tonne CO2
Viele Mitglieder von SPD, den Grünen und auch der FDP haben sich ebenfalls dafür ausgesprochen, dass das Klimageld noch in dieser Legislaturperiode ausgezahlt werden soll.
Doch innerhalb der Parteien scheint es keine vollständige Einigkeit zu geben.
Die Verteidigung: Welche Alternativen zum Klimageld gibt es?
So argumentierte Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich im Handelsblatt, dass der CO2-Preis bereits indirekt an die Bürger:innen zurückfließe:
Nun kommen allerdings nicht nur von der Bundesregierung Einwände, warum das Klimageld derzeit nicht als Pro-Kopf-Ausschüttung ausgezahlt werden könne oder solle. In den vergangenen Monaten sind auch immer wieder kritische Stimmen aus der Wissenschaft zu vernehmen. So veröffentlichte beispielsweise die
Ja, es verteile zwar zwischen Menschen, die viel CO2-Emissionen verursachen, und Menschen, die weniger Emissionen verursachen. Und ja, reiche Menschen stießen tendenziell mehr CO2 aus als ärmere. Allerdings handle es sich dabei immer nur um Durchschnittswerte. Menschen könnten das Gleiche verdienen, aber unter ganz unterschiedlichen Bedingungen leben, worauf sie keinen oder nur bedingt Einfluss hätten (schlecht angebunden auf dem Land vs. in der Stadt mit gutem Nahverkehr; schlecht gedämmtes Eigenheim vs. kernsanierte Mietwohnung). Vor allem in mittleren Einkommen gibt es laut der Studie mehr »Verlierer:innen« als Gewinner:innen.
Auch das
[Man könnte] den Entlastungsbetrag auch explizit auf der Gehaltsabrechnung als Klima-Bonus ausweisen.
Wenn das Klimageld nicht das richtige Instrument ist, um für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen – könnte es dann zumindest die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen erhöhen? Ein Betrag, der direkt auf das eigene Konto überwiesen wird, ist schließlich eine viel greifbarere Kompensation als indirekt wirkende Entlastungen; auch wenn es zunächst nur
Die (überraschende) Antwort: Es würde die Akzeptanz nur bedingt erhöhen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie aus dem vergangenen Jahr.
Eine im Januar vom ifo Institut veröffentlichte
Auf Platz 1 der Vorschläge, was mit den Einnahmen aus dem CO2-Preis passieren sollte, landete bei den Befragten, das Geld in klimafreundliche Maßnahmen zu investieren.
Das Urteil: Vertagt
Was lässt sich nun mit den Argumenten der unterschiedlichen Seiten anfangen? Wird das Klimageld zeitnah eingeführt oder bleibt sein Fall ungelöst und wird gar für immer zu den Akten gelegt? Dass Stand heute die Antwort völlig offen ist, mag zunächst frustrieren.
Doch dass durch die Diskussion um das Klimageld derzeit so viel über die soziale Dimension von Klimapolitik gesprochen wird, ist eine wichtige Chance. Eine Chance, die die Zivilgesellschaft nutzen kann, um weiteren Druck auf die Politik auszuüben und sozialen Ausgleich zu fordern – sei es in Form des Klimagelds oder einer anderen Maßnahme. Dabei wird es nie die eine Maßnahme geben, die alle Probleme löst, die 100% gerecht ist und alle Lebensrealitäten abdeckt. Aber eine nicht perfekte Lösung, die zeitnah kommt, ist besser als eine vermeintlich perfekte Lösung, die zu spät oder gar nicht kommt.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily